Viktor Giacobbo hat die Deutschschweizer Satire-Kultur geprägt wie kein anderer. Im Interview spricht er über Komik im Zeichen der Cancel-Culture. Und über die Comedy-Krise bei SRF.
Viktor Giacobbo, sind Sie ein Fan von Otto Waalkes?
Das muss man als Komiker fast sein. Er ist einer der ersten deutschsprachigen Humor-Anarchisten und wirklich sehr lustig. Ein paar Otto-Witze kann ich immer noch auswendig.
Hat er Sie als Komiker geprägt?
Wenn mich einer direkt beeinflusst hat, dann war es eher der Kabarettist Dieter Hildebrandt. Die Mischung aus harten politischen Jokes und seinem Spass am Unsinn fand ich sehr überzeugend. Spass am Unsinn hat auch Otto, aber politisch war er nie.
Jetzt hat der WDR zum 75. Geburtstag von Otto Waalkes alte Otto-Fernsehshows im Online-Archiv der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – allerdings mit dem Hinweis, die Aufzeichnungen enthielten Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet würden. Wovor wollte man warnen?
Das müsste man die Leute fragen, die sich durch Otto-Witze diskriminiert fühlen oder vor Diskriminierung warnen. Möglicherweise würden sich dann Ostfriesen melden oder Jungfrauen, die beide zu den Opfern berühmter Otto-Witze zählen. Otto selbst hat aber gut reagiert und erklärt, dass man vor Komik gar nie genug warnen könne, denn sie habe immer etwas Anstössiges, weil sie alltägliche Regeln verletze.
Ist es mit Trigger-Warnungen in der Comedy-Szene schon ähnlich wie bei Warnungs-Klebern auf Pop-CD: Gehört es zum guten Ton, dass man mit Warnungen bedacht wird?
Wenn jemand die Trigger-Warnung als Kompliment verstehen will – okay, das gönne ich ihm. Allzu stolz sollte man aber nicht sein. Gute Komiker sind meist Kindsköpfe geblieben. Und ein Kindskopf sagt manchmal etwas, das nur im Moment lustig ist, ohne weiter darüber nachzudenken. Manchmal kann aber etwas rausrutschen, das man selbst im Nachhinein auch nicht mehr so toll findet.
Gibt es bisweilen gute Gründe für Trigger-Warnungen?
Ich finde die Trigger-Warnung des WDR irritierend. Aber immerhin wurde nichts zensuriert. Die mediale Aufregung scheint mir auch wiederum etwas unverhältnismässig. Am meisten stört mich an Trigger-Warnungen, dass Fragen der Diskriminierung eher überspielt als diskutiert werden. Man setzt sich mit der allfälligen Problematik gar nicht auseinander.
Es gibt die Standard-Frage: Was darf Satire? Darauf folgt jeweils die Standard-Antwort: Satire darf alles, aber . . . Was wäre Ihr «Aber»?
Satire darf meiner Meinung nach tatsächlich alles. Aber der Satiriker hat einfach mit entsprechenden Reaktionen und allfälligen Missverständnissen zu rechnen. Um Satire zu verstehen, muss man manchmal um ein paar Ecken herumdenken können. Als meine Macho-Figur Harry Hasler frauenfeindlichen Blödsinn rausliess, war es nach einigen Diskussionen auch den Feministinnen klar, dass da nicht die Frauen, sondern der Mann ausgelacht wird.
Inhaltlich aber gibt es für Sie als Satiriker keine Grenzen?
Doch, es gibt eine Grenze, die mir sehr wichtig ist. Ich werde niemanden in der Öffentlichkeit ausstellen, der die Öffentlichkeit nicht schon selbst gesucht hat. Alle Leute, die ich karikiert habe, teilen in ihrem Job oder in ihrer Funktion selber aus oder stehen öffentlich für etwas, das man gut oder schlecht finden kann. Diese Leute müssen auch etwas aushalten können – so wie ich ja auch. Die einen werden trotzdem weinerlich, andere wiederum nehmen es cool.
Können Sie Beispiele nennen?
Einer, der eigentlich viel einstecken musste und trotzdem gelassen blieb, ist Ueli Maurer. Wenn wir uns begegnen, unterhalten wir uns freundlich. Er hat mir allerdings gesagt, dass er sich meine Fernsehsendung und meine Ueli-Maurer-Nummern nie angeschaut habe – aus einer gewissen Angst, sie könnten ihm was ausmachen. Das fand ich sehr ehrlich.
Und wer hat weniger cool reagiert?
Dass wir ihre Versuche als Schlagersängerin karikiert haben, beklagt Vreni Schneider bis heute. Dabei sind doch die meisten Schlager bereits gesungene Witze.
Sie haben berühmte Leute karikiert, aber Sie erfanden auch diverse Figuren. Sie haben sich als Mann mit Frauen wie Debbie Mötteli oder Donatella Versace identifiziert, Sie sind als weisser Europäer in die Rolle des Inders Rajiv geschlüpft, und Sie haben als gefeierter Promi den unterprivilegierten Junkie Fredi Hinz gespielt. Wurden Sie für all diese Übertretungen nie gecancelt, verurteilt und verdammt?
Man hat es einige Male versucht und einzelne Figuren kritisiert. Aber wenn die Kritiker die Inhalte der Sketche genauer studiert haben, mussten sie feststellen, dass sie nichts hergaben für einen Shitstorm. Es geht nicht darum, dass man sich über einen Junkie lustig macht. Es geht darum, dass sich ein Fredi Hinz, den ich live immer noch spiele, alles erlauben und die Welt aus seiner Sicht umkehren kann. Und je gehobener die Gesellschaft, desto besser funktioniert er als ungeladener Gast, der unabhängig Klartext redet.
Es gibt aber Figuren in Ihrem Repertoire, auf die Sie mittlerweile verzichten?
Ja, die gibt es. Aber ich verzichte nicht aus politischer Korrektheit, sondern weil ich den Eindruck habe, dass sie wie abgespielt sind, aus Gründen der Aktualität oder weil ich einfach – wie Ueli Maurer – keine Lust mehr darauf habe.
Den Inder Rajiv spielen Sie nicht mehr, weshalb?
Rajiv habe ich oft genug gespielt. Weil er Inder ist, habe ich die Haut jeweils etwas dunkler geschminkt. Es gab damals Kritiker, die mir «Blackfacing» vorwarfen. Ich habe den Kritikern dann erklärt, dass ich mich jeweils ähnlich schminken musste, um Harry Hasler und Roger Schawinski als Sonnengebräunte zu imitieren. Beim ursprünglichen Blackfacing war gar nicht die Gesichtsfarbe das Problem, sondern das rassistische Verbot für Schwarze, in den USA als Schauspieler zu arbeiten. Die Rollen wurden ihnen von Weissen weggenommen, die dann die Gesichter schwarz färbten. Bei Rajiv habe ich nie einen Inder getroffen, der die Rolle gerne übernommen hätte. In allen Sketchen war Rajiv zwar eine leicht ordinäre, aber gewitzte Figur, die am Schluss als Sieger alle spiessigen Schweizer um den Finger wickelte.
Diskriminiert wurden durch Rajiv eigentlich eher die Schweizer?
Ja, und durch Harry Hasler die Thurgauer, durch Fredi Hinz die Zürcher, durch Donatella Versace die Italienerinnen und durch mich die Winterthurer!
Die heutige Cancel-Culture scheint darauf hinzudeuten, dass die Gesellschaft sensibler oder intoleranter geworden ist. Gilt das auch für das Comedy-Publikum?
Die Cancel-Culture gab es schon immer, seitens der politischen Rechten ebenso wie seitens der Linken. Gepflegt wurde die Cancel-Culture jahrhundertelang auch von der katholischen Kirche. Aber ich glaube schon, dass die Empfindlichkeiten überall zugenommen haben. Es gibt immer mehr Leute, die es sofort in ihre Bubble tragen, wenn ihnen etwas unkorrekt erscheint. Es wird mehr verurteilt statt gestritten, und Fehler werden sofort geahndet statt diskutiert. Die SVP, die aggressiv zum Wahlkampf-Auftakt das Canceln aller übrigen Parteien gefordert hat, unterscheidet sich da nicht von super-woken Bubbles.
Mit «Giacobbo/Müller» haben Sie von 1990 bis 2002 am Sonntagabend jeweils fast die ganze Deutschschweiz vor den Fernseher gelockt. Was war Ihr Erfolgsrezept?
Entscheidend war der Live-Charakter der Late-Night-Show, der viel Spontaneität voraussetzte. Es geschahen Dinge, die man nicht in ein Script schreiben kann. Ausserdem wurde die Sendung als Show in einem Zug aufgenommen und nicht in einzelnen Teilen mit Unterbrüchen. Live-Publikumsreaktionen sind bei Late-Night-Sendungen für die Stimmung entscheidend.
Was hat Ihre eigene politische Position für eine Rolle gespielt?
Es war dem Publikum klar, dass Mike Müller und ich politisch eher links von der Mitte stehen. Es gab zwar Leute, die uns Unausgewogenheit vorwarfen, und wir waren auch für Konzessionsverletzungen verantwortlich. Aber gerade bei den rechten Parteien wusste man schon, dass wir auch SP und Grüne kritisierten. Und wir haben uns selber ja nicht so ernst genommen, wir haben uns selbst als der Alte und der Dicke in Szene gesetzt.
Ist Selbstironie wichtig in einer Comedy-Sendung?
Sie ist für alle sehr wichtig! Den Politikern, die ich in unsere Show einlud, habe ich jeweils zwei Dinge empfohlen: Bringt bitte kein Geschenk mit – das nimmt zu viel Sendezeit in Anspruch! Und: Macht vielleicht mal einen Witz über die eigene Partei. Wer sich daran hielt, hatte beim Publikum Erfolg.
Viktor Giacobbo: «Die Comedy-Krise beim Schweizer Fernsehen ist hausgemacht.»
Im Rahmen der SRF-Sendung «Sommerlacher» wurden kürzlich wieder alte Sketche von Giacobbo/Müller ausgestrahlt. Haben Sie diese selbst zusammengestellt?
Nein, wir wurden nicht darüber informiert, dass sie ausgestrahlt würden; übrigens bereits zum dritten Mal. Schön, dass unsere Nummern immer noch für Quoten sorgen. Aber es ist eine lieblose Zusammenstellung, die auf irgendeinem Algorithmus basiert. Es gäbe Nummern, die nicht so abgenudelt sind und viel besser in die Aktualität passen würden.
Warum haben Ihre Nachfolger bei SRF kaum mehr Erfolg mit Comedy?
«Deville» hat sehr wohl Erfolg gehabt. Ich persönlich habe seinen Verzicht auf direkten satirischen Schlagabtausch mit Politikerinnen und Politikern aber bedauert, und ein Teil seines Publikums vielleicht auch.
Wenn man sich heute langweilt bei Comedy-Sendungen, dann liegt das an den Komikern?
Nein, die Comedy-Krise beim Schweizer Fernsehen ist hausgemacht. Als Mike Müller und ich unseren Rückzug bekanntgaben, haben wir eine Reihe von Nachfolgerinnen und Nachfolgern vorgeschlagen. Aber SRF hat es mit vielen verspielt, weil sie sich nicht an die Grundregel von TV-Comedy gehalten haben: Die Komiker müssen die Sendung gestalten und nicht die Redaktion. Es wird den Künstlerinnen und Künstlern aber pausenlos dreingeredet – häufig mit Verweis auf das fehlende Budget.
Für Aufregung sorgte SRF kürzlich dadurch, dass man für eine neue Late-Night-Show keine einzige Komikerin in Betracht zog. Wie ist das zu erklären?
Dass man keine einzige Frau zu einer Probesendung eingeladen hat, ist nicht zu entschuldigen. Und es hätte Kandidatinnen gegeben, die infrage gekommen wären. Allerdings braucht es für eine Late-Night-Show gewisse Voraussetzungen, Risikobereitschaft und einen langen Atem – für Frauen wie für Männer.
Sie selber sind immer noch sehr populär, das zeigt der anhaltende Erfolg Ihrer Sketche auf SRF. Hat man Ihnen nie eine neue Sendung vorgeschlagen?
Doch, öfter. Aber wir wollten nicht mehr; wir haben unterdessen neue Projekte und Pläne. Mike Müller spielt mit grossem Erfolg seine Solostücke. Und ich plane ab Oktober im Casinotheater Winterthur eine monatliche Talk-Show: «Late Giacobbo. Viktor Giacobbos letztes Aufgebot». Achtung: kein Comeback!
«Gute Komiker sind meist Kindsköpfe geblieben. Und ein Kindskopf sagt manchmal etwas, das nur im Moment lustig ist»
2. September 2023, Neue Zürcher Zeitung, von Ueli Bernays
Viktor Giacobbo hat die Deutschschweizer Satire-Kultur geprägt wie kein anderer. Im Interview spricht er über Komik im Zeichen der Cancel-Culture. Und […]