Viktor Giacobbo

Handelszeitung, 26. März 2020, von Stefan Barmettler

„Es trifft uns hart“

Der Satiriker und Kulturunternehmer musste wegen Corona-Krise sein subventionsfreies Theaterhaus schliessen – doch er hat bereits neue Pläne.

Sie beschreiben sich auf Twitter als «Corona-Häftling» – ist es so schlimm?

Viktor Giacobbo: Wir leben in selbst gewählter Isolation, dieser eine Teil hat eine angestrengte Seite.

Und der andere Teil?

Ich gehöre zu den Leuten, die ab und zu ganz gerne alleine sind.

Ruhe vom Rummel?

Ich bin an sich ein sehr sozialer Mensch, aber ich geniesse auch die Ruhe, die Zeit fürs Lesen, fürs Schreiben, für digitale Kommunikation mit Freunden oder ganz einfach für Netflix-Serien. Mit dem Alleinsein habe ich kein Problem.

Ein exklusiver Buch- oder Netflix-Tipp für all jene, die im Homeoffice sitzen?

Der dritte Teil der preisgekrönten Cromwell-Trilogie «The Mirror and the Light» von Hilary Mantel oder «Der Defekt» von Leona Stahlmann. Wer es düster-nordisch mag: «The Valhalla Murders» auf Netflix.

Amerikanische Comedians wie John Oliver sitzen nicht im Studio, sondern produzieren ihre TV-Shows aus dem Wohnzimmer. Nichts für Sie?

Nein, ich habe mit Sendungmachen aufgehört, schaue aber gerne den grossartigen Trevor Noah. Noch lieber verfolge ich jetzt ein paar neue Projekte oder denke über welche nach.

Ein nächster Kinofilm?

Eher nicht. Ich habe keine Lust, mich mit der Filmförderung in der Schweiz auseinanderzusetzen oder meine Arbeit von Kommissionen beurteilen zu lassen. Da bin ich lieber mit Bühnenprojekten beschäftigt, unter anderem für das Casinotheater.

Und Sie twittern fleissig.

Twitter ist unter den Social-Media-Kanälen jene Plattform, auf denen Debatten stattfinden oder wo man Aktuelles satirisch kommentieren kann. Es zählt das Wort und da zoffe ich mich gerne mit Leuten auf eine ernsthafte oder unterhaltende Art. Instagram ist für mich eher eine ruhige Bildplattform.

Ein Tweet von Ihnen lautet: «Frage an das BAG: Hilft Händewaschen gegen Roger Köppel?»

Der SVP-Nationalrat und Verleger hatte die Verhältnismässigkeit der BAG-Massnahmen infrage gestellt. Das haben seine Idole Donald Trump und Boris Johnson auch gemacht – mussten sich jetzt allerdings der Realität stellen wie Köppel auch.

Sie schrieben auch: «Die panischen Toilettenpapier-Hamsterer, welche Vier-Lagen-Rollen aus den Regalen geräumt haben, sollten jetzt Solidarität zeigen: Zwei Lagen abtrennen und sie den Sans-Toilettenpapiers spenden!»

Trotz aller Tragik, Corona-Zeit ist ein ideales Themenfeld für Satiriker: von den seltsamen Panikkäufen über die Politiker, die den Gegnern die Schuld an der Epidemie zuweisen, bis hin zu den grotesken «Expertisen» auf Social Media oder dem BAG, das per Fax die aktuellen Fallzahlen zusammenträgt. Komikerinnen geht der Stoff nie aus. Neu ist lediglich, dass viele Satiriker jetzt regierungstreu die bundesrätlichen Regeln verbreiten – das selbstverständlich völlig zu Recht.

Als Sie das VR-Präsidium im Casinotheater übernahmen, sagten Sie zu Ihrer Rolle als VR-Präsident: «Jetzt gehöre ich zu jenen, die im Unternehmen am wenigsten Bescheid wissen und am meisten mitreden.» Ist es immer noch so?

Ich habe mittlerweile eine zwanzigjährige Berufslehre als VR-Präsident hinter mir und bilde mir jetzt ein, gewisse Kenntnisse in Betriebsführung zu haben.

Wie hat der VR-Präsident den 13. März 2020 erlebt? Damals haben Sie im Casinotheater den Betrieb runtergefahren, zuerst im Theater, dann im Restaurant.

Das war nicht mein Entscheid, sondern unser Entscheid. Unsere Geschäftsleitung hat ein paar Tage vor dem Bundesrat gehandelt. Anfänglich hielten wir noch den Restaurantbetrieb offen, allerdings war die Gästezahl auf fünfzig Leute beschränkt. Darauf haben wir entschieden, ganz runterzufahren.

Das Casinotheater ist eines der wenigen Kulturhäuser in der Schweiz, das ohne Subventionen auskommt. Die Schliessung muss dramatisch sein für Ihr Geschäft.

Weil wir auf Subventionen verzichten, sind wir wohl gefährdeter als die meisten grossen Theaterhäuser, etwa als das Zürcher Opernhaus, das jedes Jahr 80 Millionen Franken aus der Staatskasse kriegt. Wir sind ein unsubventioniertes Theater-KMU – allerdings waren wir gut vorbereitet für die Krise.

Inwiefern?

Wir sind offenbar eine der ganz wenigen Firmen im Land, die eine Epidemie-Versicherung haben. Erst kürzlich wechselten wir die Versicherung und diskutierten, ob wir diese Abdeckung neu bei der Mobiliar weiterführen sollen oder nicht. Umso mehr habe ich mich gefreut, als wir feststellten, dass wir diesen befristeten Schutz tatsächlich haben.

Das hat der Verwaltungsratspräsident erst im Nachhinein festgestellt?

Nein, das ist das Verdienst unseres Geschäftsführers Beat Imhof. Es ist bei uns nicht so, dass der Verwaltungsratspräsident die Versicherungspolicen aushandelt. Immerhin gibt uns die Deckung eine gewisse Absicherung für die ersten drei Monate. Aber klar trifft uns die Schliessung hart, weil die Einnahmen von einem Tag auf den anderen wegfallen.

Das gilt auch für die Kunstschaffenden, die bei Ihnen in diesen Tagen aufgetreten wären, Helga Schneider, Mike Müller, Massimo Rocchi.

Und noch viele andere! Absolut, es sind diese selbstständigen Komikerinnen und Satiriker, die am meisten unter dem Shutdown der Theater leiden. Das sind Kleinstunternehmer, die keine Subventionen kriegen und das volle Risiko tragen. Ihre Unabhängigkeit hat grundsätzlich ihr Gutes, dadurch sind sie sehr unabhängig von Behörden oder Sponsoren. In dramatischen Zeiten ist das aber ein echtes Problem, weil die Einnahmen komplett wegbrechen. Da werden einige Leute schon bald in den Konkurs schlittern. Dazu gehören auch Musiker und Bühnentechniker mit ihren Familien.

Sie sind Chef von sechzig Angestellten…

Sechzig Festangestellte und viele Teilzeitangestellte. Bisweilen sind es siebzig Mitarbeitende. Für sie haben wir Kurzarbeit beantragt.

Das erste Mal in Ihrer Unternehmerkarriere?

Ja.

Finanzminister Ueli Maurer schnürt ein Hilfspaket über 280 Millionen Franken für die Kultur. Ausgerechnet Maurer, den Sie in Ihrer Late-Night-Show «Giacobbo/Müller» regelmässig aufs Korn nahmen.

Was hat das mit der gegenwärtigen Krise zu tun? Wesentlich ist, dass Ueli Maurer seinen Job als Finanzminister nicht schlecht macht. Je mehr er sich von der eigenen Partei freispielt, desto besser ist er.

Werden auch Sie respektive Ihr Haus von den 280 Millionen profitieren?

Davon gehe ich aus, aber die Details dieser Soforthilfe kenne ich noch nicht und habe da volles Vertrauen in unsere Geschäftsleitung. Was für uns einigermassen tröstlich ist: dass die meisten Firmen, die ihre Anlässe bei uns streichen mussten, diese in der zweiten Jahreshälfte nachholen wollen – sofern dann die Krise beigelegt ist. Das freut uns, aber logistisch hat das auch seine Tücken, weil natürlich alle verschieben wollen. Aber das ist nicht das grösste Problem.

Sie haben vorerst für anderthalb Monate dichtgemacht, keine Vorstellung, keine Besucher, kein Umsatz. Und die bereits verkauften Tickets?

Sie behalten ihre Gültigkeit, denn die Anlässe werden nachgeholt. Oder dann gibts die Möglichkeit, die Tickets in einen Gutschein umzuwandeln. Oder man kann den Ticketpreis spenden, und zwar nicht einfach nur ans Theater. Die Hälfte davon geht an die Künstlerinnen und Künstler.

Mit welchem Umsatzeinbruch rechnen Sie für 2020? Mit 20, 30 Prozent?

Zahlenspiele sind zurzeit sehr riskant. Aber wir werden es deutlich spüren. Dieser Rückschlag ist deshalb auch bitter, zumal wir das Geschäftsjahr 2019 positiv abschliessen. Das heisst etwas bei einem nicht subventionierten Kulturbetrieb.

Sie meinen, rote Zahlen sind in der Kultur der Normalzustand?

Nicht bei uns, aber grundsätzlich ist eine schwarze Null ein Erfolg. Nur sind wir davon ausgegangen, wir könnten dank 2019 einen bescheidenen Gewinn einfahren. Dieser wird innert kurzer Zeit weggefressen sein.

Neben der Corona-Krise müssen Sie auch noch die künstlerische Leiterin ersetzen, die Sie kürzlich entlassen und freigestellt haben, richtig?

Wir haben mit Susanne Steinbock bereits eine erfahrene Kulturmanagerin als Nachfolgerin verpflichtet.

Wie stark ist Viktor Giacobbo dieser Tage als Krisenmanager gefordert?

Ich bin nicht der Krisenmanager, das ist Beat Imhof, er ist der Geschäftsführer und fürs Operative zuständig. Und arbeitet in enger Abstimmung mit dem Verwaltungsrat – und mit dem Team.

Er ist erst seit zwei Jahren im Amt. Sein Vorgänger hatte eine glücklose Hand. Die Rede ist sogar von juristischem Nachspiel.

Imhof musste das Haus sanieren, weil operative Fehler gemacht wurden. Man hat viele Projekte falsch angepackt und notwendige Erneuerung im Management vernachlässigt. Das hat damals zu einer finanziellen Schieflage des Hauses geführt. Aber wird konnten dies in den letzten zwei Jahren meistern und waren unseren Aktionären gegenüber stets transparent.

Ein unternehmerischer Kraftakt?

Man darf nicht vergessen: Wir führen 600 bis 700 Veranstaltungen pro Jahr durch. Unsere Theaterauslastung liegt bei über 80 Prozent. Um die Infrastruktur in Schuss zu halten, wären wir auf ein Polster angewiesen. Das haben wir in der Vergangenheit leider versäumt. Der Bedarf an Ersatzinvestitionen ist enorm hoch. Nur schon ein neuer Kochherd kostet schnell 60 000 bis 100 000 Franken.

Was haben Sie zur Bewältigung der betrieblichen Finanzkrise 2018/19 persönlich beigetragen?

Ich habe dem Casinotheater Kredit gewährt und nochmals à fonds perdu Geld eingeschossen – wie andere Verwaltungsräte auch.

Der Hauptsponsor Ihres Kulturhauses ist die Zürcher Kantonalbank. Eine Bank im Haus kann nie schaden.

Das ist eine tolle Kooperation, sowohl auf persönlicher wie auf geschäftlicher Ebene. Auch jetzt sind wir mit der Bank im Austausch.

Geht es um kurzfristige Liquidität?

Unsere Liquidität ist vorläufig gesichert.

Der Bundesrat und die Banken haben einen Fonds für KMU-Kredite über 20 Milliarden Franken aufgesetzt. Ab Donnerstag werden erste Kredite vergeben. Werden Sie auch einen Kredit beantragen?

Ja.

Wie sind Sie mit dem Krisenmanagement des Bundesrats zufrieden?

Im Grossen und Ganzen sind wir gesegnet mit einer vernünftigen Staatsführung, vor allem, wenn ich die Regierungen in den USA, Brasilien oder Grossbritannien verfolge. Wir haben einen Bundesrat, der sachbezogen und pragmatisch agiert.

Das aktuelle Krisenmanagement von Donald Trump überzeugt Sie weniger?

Es hat sich mit dieser Krise definitiv gezeigt, dass er seinem Amt in keiner Weise gewachsen ist. Wenn ihn seine Berater nicht zum Umdenken gebracht hätten, würde er heute noch behaupten, Corona sei harmlos und nur von den Medien und den Demokraten inszeniert. Nein, als Präsident, der sein Land einigt und weiterbringt, ist er untauglich. Gut ist er einzig darin, seine eigenen Interessen und jene seiner Klientel in den Vordergrund zu rücken.

Und die Medien?

Diverse Pressetitel schreiben von Kollaps, Katastrophe, zählen jeden Todesfall auf. Da jagt eine fette Schlagzeile die andere. Das drückt auf die Stimmung im Land, da verwundert es eigentlich nicht, wenn die Leute anfangen, sogar Toilettenpapier zu horten. Glücklicherweise haben wir den unaufgeregten Fachmann Daniel Koch, Leiter Abteilung Übertragbare Krankheiten. Er bricht jeder Hysterie die Spitze. Diesen Ton wünsche ich mir ab und zu auch in den Medien.

 

 

Der Unternehmer
Name: Viktor Giacobbo

Funktion: Autor, Satiriker, Produzent, VR-Präsident Casinotheater Winterthur, Verwaltungsrat Buchverlag Kein & Aber

Alter: 68

Ausbildung: Lehre als Schriftsetzer, anschliessend Korrektor, Mediendokumentalist

Karriere: 1979 bis heute: Autor, Darsteller, Produzent 1990 bis 2002: «Viktors Spätprogramm», Schweizer Fernsehen (SF DRS) Seit 2000: VR-Präsident Casinotheater Winterthur 2006: Tournee mit Zirkus Knie 2008 bis 2016: Late-Night-Sendung «Giacobbo/Müller», Schweizer Fernsehen (SRF) 2019: Jubiläumstournee mit Zirkus Knie

Auszeichnungen (Auswahl): Salzburger Stier 1991 Prix Walo 1996, 1997, 2001, 2009 Swiss Award (Kunstpreis) 2002 Schweizer Fernsehpreis für «Giacobbo/Müller» 2008 Publikumspreis Swiss Comedy Award für «Giacobbo und Müller in Therapie» 2018

Kultur-Leuchtturm in Corona-Nöten
Herausgefordert Das Casinotheater Winterthur ist eine Kleinkunstplattform. Der Auslastungsgrad des Theaters lag 2018 bei 81 Prozent. 2018 rutschte das Haus wegen Fehlinvestitionen in Finanzprobleme. Mittlerweile ist der Betrieb mit 65 Angestellten saniert. Wegen des Coronavirus wurde Kurzarbeit eingeführt, zudem bemüht man sich um einen Überbrückungskredit des Bundes.

Prominent Die Kulturstätte, die auf Subventionen verzichtet, geniesst den Support der Wirtschaft. Hauptsponsor ist die Zürcher Kantonalbank, engagiert sind auch Sulzer und Biella. Zu den Sympathisanten gehören Peter Spuhler, Kurt Rüegg oder Fred Kindle.

2017