Viktor Giacobbo

Coopzeitung, 5. Juli 2021, von Andreas W. Schmid

«Danke! Diese Frage stellt man nur alten Menschen»

Viktor Giacobbo (69) kann man fragen, was man will. Er hat auf alles eine Antwort. Hier erklärt er, wer ihm gehörig auf den Senkel geht, was man im Bett nicht tun sollte, wie sein Lieblingsschimpfwort lautet und was er Gianni Infantino ins Gesicht sagen würde.

Interview

«Heute mache ich nur noch, was mir Spass macht», sagt Viktor Giacobbo. Dabei hatte man schon früher das Gefühl, dass bei ihm der Spassfaktor über allem steht. Er setzt sich im Foyer des Casinotheaters in Winterthur hin und findet, dass wir loslegen können. Das tun wir – nicht, dass er noch den Spass verliert.

Viktor Giacobbo, es folgen 41 Fragen, Sätze oder Stichwörter, zu denen Sie bitte etwas Gehaltvolles sagen. Fangen wir mit dem verkürzten Interview an, in dem wir Ihnen nur ein Stichwort nennen. Das erste lautet Minderwertigkeitskomplex.

Da sage ich: Den hat die Schweiz gegenüber Deutschland oder manchmal auch der ganzen Welt – der dann auch mal in Trotzigkeit umschlägt. Dieser Komplex wird von den Medien gepflegt, weil für sie ein Erfolg von Schweizerinnen und Schweizer im Ausland per se bejubelt wird. Wenn sich dann ein ausländischer Star über die Schweiz äussert, kriegen sich die Medien gar nicht mehr ein!

Aushebung.

Die fand witzigerweise genau in diesem Gebäude, dem heutigen Casinotheater Winterthur, statt. Ich erschien als Frühform von Fredi Hinz zur Aushebung, trug deutlich längere Haare als heute und sah abgekämpft aus, weil ich extra wenig geschlafen hatte. Es war meine erste Performance an diesem Ort, und sie war erfolgreich. Jedenfalls machte die Armee schnell klar, dass man ‹so einen› nicht haben wolle.

Konspirative Wohnung.

Hat nichts mit mir zu tun.

Das war das Wort des Jahres 1978.

Stimmt, das passt in jene Zeit. Ich wohnte auch schon in einer WG, die aber ziemlich das Gegenteil einer kon­spirativen Wohnung war. Es handelte sich vielmehr um eine therapeutische WG, weil wir sogenannte Problemjugendliche aufnahmen. Es funktionierte: Wir waren ja alle selbst nicht ohne Probleme.

Was waren die grössten Streitpunkte?

Keine grossen. Einmal belegte ich eine Pizza mit Scheibenkäse, merkte aber nicht, dass es dünne Plastikschichten dazwischen hatte. Die Pizza sah toll aus, roch auch gut, doch sie war wegen des Plastiks versiegelt und somit ungeniessbar. Das kam bei den Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern nicht so gut an.

Bruder.

Bruno ist neun Jahre älter, bildender Künstler und beklagt sich bis heute darüber, dass er mich als Kind hüten musste, statt sich mit seinen Kollegen treffen zu können. Das habe ich anders in Erinnerung, aber vermutlich hat er recht. Er zog dann bald aus, sodass ich früh auf mich selber aufpassen musste. Meine Eltern arbeiteten, ich war ein Schlüsselkind, wie man das damals nannte. Im Lebensmittelladen durfte ich anschreiben lassen, wenn ich etwas brauchte. Das gab es damals noch.

Schon mal die Brille nur getragen, um intelligenter zu wirken?

Nein, aber um schöner und jugendlicher zu wirken. Hat nicht geklappt.

Waren Sie immer schon witzig?

Als Wortgewandtheit im Vergleich zu den sportlichen Leistungen zusehends an Bedeutung gewann, stieg meine Stellung in der Schulklasse. Ich hatte schon früh ‹e vorluuti Schnore›, auch in Momenten, wo ich besser die Klappe gehalten hätte. Ich imitierte gerne Lehrer, die es aber gar nicht richtig merkten. Die lebten in ihrer Welt, es ging ihnen nur ums Schulstoffpauken. Heute sehe ich Lehrpersonal und Schülerinnen und Schüler richtig miteinander kommunizieren. Das hätte mir damals gefallen.

Was haben Ihre Eltern gutgemacht?

Meine Eltern gehörten zur Arbeiterklasse, der Vater Metzger, die Mutter Kleiderverkäuferin. Sie liessen mir alle Freiheiten und sagten mir nie, mit wem ich verkehren solle und mit wem nicht. Einmal fragte mich meine Mutter, ob ich auch schon ‹dieses Haschisch› genommen habe. Ich antwortete, dass ich zwar gekifft, es mir jedoch nicht wahnsinnig viel Spass bereitet habe. Da sagte sie nur: ‹Schau einfach, dass du es nicht übertreibst.› Ihr Umgang war sehr pragmatisch und basierte auf Vertrauen – down to earth.

Haben Sie noch Verwandte in Verona?

Vielleicht. Ich weiss es nicht, war nur einmal in den Ferien dort. Meine Kontakte beschränken sich auf die Giacobbos in der Schweiz. Wobei ich nie ein grosser Familienmensch war. Wenn ich manchmal höre, wie Menschen sich auch noch im mittleren Alter ängstlich an die Vorgaben der Eltern halten, dann finde ich das doch eher gewöhnungsbedürftig.

Haben Sie bewusst keine Familie?

Ich wusste immer, dass ich nicht für den Part des klassischen Familiengründers geschaffen bin. Ich hatte verschiedene langjährige Partnerinnen, wollte aber nie heiraten. Als ich es doch einmal tat, war das seltsamerweise mit einer lesbischen Freundin. Eine Deutsche, die hier mit ihrer Partnerin leben wollte, dies aber nicht durfte, weil sie keinen Schweizer Pass hatte und zwei Frauen nicht heiraten durften. Also heiratete ich sie. Die Geschichte habe ich vor einem Jahr in einer Talkshow publik gemacht, weil ich auf die Notwendigkeit der Ehe für alle aufmerksam machen wollte. Ein lebensfremder SVP-Politiker wollte sofort prüfen, ob man diese ‹Erschleichung der Staatsbürgerschaft› rückgängig machen könne. 30 Jahre später! (Lacht.) Meine Ex-Frau ist übrigens immer noch mit derselben Partnerin zusammen und eine sehr erfolgreiche Unternehmerin.

Wenn in einer Zeitung mal wieder der Name Giacobbo falsch geschrieben steht, dann …

… denke ich: Schade, gibt es den früher hoch angesehenen Beruf des Korrektors bei den Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr. Oder: Schade, hat ein schlampiger Algorithmus aus Spargründen den Korrektor ersetzt.

Ein Wort zur heutigen Jugend?

Danke. Das ist eine Frage, die man nur alten Menschen stellt. (Lacht.) Ich freue mich, dass Jugendliche wieder mehr politisches und gesellschaftliches Engagement zeigen. Deren Forderungen sind zwar manchmal sehr radikal, was meistens ein Hindernis für wenigstens die teilweise Umsetzung ist. Das hat sich gerade beim CO₂-Gesetz gezeigt, bei dem die radikalen Klimaschützerinnen und -schützer genauso dagegen waren wie die Rechten – die darauf die Abstimmung gewannen. Um etwas verändern zu können, brauchts halt etwas Strategie, Taktik und auch Kompromisse – wobei mir gerade klar wird, dass nur alte Menschen so reden. Wenn man jung ist, will man alles, total und sofort. Ich war ja auch so.

Dann gibt es die viel beschworene Altersmilde tatsächlich?

Ja, aber bei gewissen Themen bin ich immer noch radikal: Bei sozialen Ungerechtigkeiten, Armut, mangelnder Empathie für Flüchtlinge oder andere Menschen, denen es dreckig geht. Oder bei Tierquälerei. Wenn ein Restaurant zum Beispiel Stopfleber auf der Menükarte hat, werde ich zu einem unangenehm fragenden Gast.

Was sollten junge Menschen unbedingt tun?

Neugierig bleiben. Je länger sie neugierig sind, desto weniger schnell werden sie alt. Wenn ich manchmal meine Generation für diejenige meiner Eltern halte, dann weil ich feststelle, dass sie keine neuen Freunde, kulturellen oder technischen Innovationen, keine neuen Orte mehr entdecken wollen.

Til Schweiger gibt bei seinen Filmen keine Pressevorführungen mehr. Weil die Journalisten zu oft negativ über seine Filme geurteilt hätten. Schweiger findet, dass die Journalisten zahlen sollen, wenn sie den Film sehen wollen. Hat er recht?

Aber sicher. Ein Kunstwerk sollte immer in Anwesenheit des interessierten, zahlenden Publikums beurteilt werden. Bei Pressevorführungen aber hast du nur Medienleute dabei, die nie lachen, nie eine Emotion zeigen und immer alles schon wissen. Das ist tödlich. Würden sie eine ganz normale Vorstellung besuchen, wäre die Wirkung eine ganz andere. Ganz absurd war es früher beim Zirkus Knie: Da gab es extra für die Presse am Nachmittag eine Show, zu der vor allem Heimbewohnerinnen und -bewohner eingeladen wurden. Die Atmosphäre an der abendlichen Premiere war natürlich eine komplett andere – was die Medienleute nicht mehr mitkriegten, weil sie ihren Beitrag für den nächsten Tag fertigstellen mussten. Glücklicherweise hat das der Zirkus Knie mittlerweile geändert. Das sollten Kritiker auch tun und eine Show nicht an der Premiere mit eingeladenen Gästen und Promis beurteilen, sondern inmitten des wirklich interessierten Publikums.

Wer oder was geht Ihnen sonst noch auf den Senkel?

Na ja, wenn ich schon am Mäkeln bin: die Spielfilmproduktion in der Schweiz, die leider von staatlicher Unterstützung abhängig ist und somit durch Kommissionsbeurteilungen bis zur Mittelmässigkeit nivelliert wird. Das ist nicht der Fehler der Filmschaffenden, sondern der Institutionen, die eine Produktion wirtschaftlich erst möglich machen – und das ist meistens im Gegensatz zur Kreativität der Künstlerinnen und Künstler. Selber habe ich übrigens keine Lust mehr, ein Komödiendrehbuch von Leuten beurteilen zu lassen, die noch nie einen satirisch-komischen Dialog schreiben mussten.

Sie können austeilen, aber nicht einstecken!

Doch, ich kann einstecken, teile dann halt sofort wieder aus. Dieses Hin und Her nennt man lustvolles Streiten.

Sie waren früher lustiger!

Diese Antwort hören alle Komikerinnen und Komiker von jenen Leuten, die sich von einer satirischen Pointe getroffen fühlen. Die finden das nie lustig.

Sie haben bei SRF in der Dokumentation angefangen. Sie müssen sich hochgeschlafen haben, um eine eigene Sendung zu erhalten!

Mit wem hätte ich denn schlafen sollen? Mit Ueli Heiniger? Richtig ist, dass er mich, als ich bei SRF arbeitete, nebenbei im Improvisationstheater sah und mich daraufhin für satirische Beiträge in seiner Talk-Sendung ‹Medienkritik› anfragte. Weil das einigermassen erfolgreich war, bekam ich später meine eigene Show.

Wenn Sie nochmals zurückkönnten, wären Sie lieber Brad Pitt?

Nein. Nicht weil ich ihn nicht gut finde, sondern weil ich einfach lieber nochmals mich selber wäre. Ausserdem sehe ich viel besser aus als er.

Was sollte man im Bett nicht machen?

Man sollte anderen Menschen später nicht detailliert erzählen, was man darin gemacht hat.

Welches Talent hätten Sie gerne?

Ich weiss, das ist eine Klischee-Antwort: ein Instrument spielen können, am liebsten Klavier. Beklagen kann ich mich aber trotzdem nicht. Immerhin kann ich Blockflöte spielen, das habe ich sogar mal im Zirkus Knie rückwärts sitzend auf dem Kamel getan. Als Fredi Hinz, begleitet vom Orchester. Das Lied war ‹Blowin’ in the Wind›, und Suleika, das Kamel, ist dabei nur ein einziges Mal durchgebrannt.

Weshalb lernten Sie Blockflöte?

Das gehörte damals in der Primarschule einfach dazu. Zum Leidwesen meines armen Flötenlehrers.

Kochen Sie vegetarisch?

Ich koche, ja. Zu 90 Prozent vegetarisch. Und falls doch mit Fleisch, dann nur aus tiergerechter Haltung.

Was gehört nicht ins Sandwich?

Schuhsohle.

Was gehört nicht auf den Esstisch?

Dieses teure, technisch subtil-komplizierte Salzstreu-Gadget – anstelle normaler Salzstreuer.

Was aber gehört unbedingt darauf?

Essen?

Was würden Sie sofort abschaffen, wenn Sie könnten?

Die Fragen über den Esstisch.

Stimmt es, dass es sich mit Alkohol leichter auf der Bühne spielen lässt?

Nein. Aber es gehört zu meinem Ritual, dass ich in den Stunden vor einer Vorstellung ein Einerli Weissen trinke. Betrunken bin ich deshalb nicht. Und eine tiefere Bedeutung als Schauspieler- Ritual hat es auch nicht. Wie vieles im Leben. Es gefällt mir einfach so.

Was ist der grösste Unsinn, den Sie jemals in Ihrem Leben gehört haben?

Ich mache beim Unsinn kein Rating.

Stimmt es, dass Sie den Tag mit Yoga beginnen?

Nein. Ich beginne den Tag mit mindestens zwei grossen Tassen Cappuccino, gebraut mit der dunklen Napoli-Mischung von Caffè Ferrari aus Dietikon. Das wird vielleicht viele nicht interessieren – so wie mich Yoga.

Schon mal physisch geworden?

Das Wort alleine sagt noch nicht so viel aus. Wenn Sie aber freundschaftliche Körperlichkeit damit meinen, dann ja. Wenn Sie darunter gewalttätige Auseinandersetzungen verstehen, dann nein. Ausser einmal als Drittklässler auf dem Pausenplatz, und da war ich so was von unterlegen.

Ihr Lieblingsschimpfwort von Geburt auf?

Da gibt es nicht ein Einziges. Es steht ja für jede Situation eine wunderbare Palette zur Auswahl. ‹Arschloch!› geht eigentlich immer, ist aber nicht sonderlich originell.

War die Zeit vor der Erfindung des Handys glücklicher?

Nicht glücklicher, sondern anders. Das Handy hat viel Gutes gebracht, aber auch einiges, das nervt. Letzthin habe ich ein Foto am Bahnhof gemacht, auf dem man lauter Menschen sieht, die beim Warten auf den Zug auf das Handy starren. Was um sie herum passiert, nehmen sie nicht mehr wahr. Und das Schockierendste ist: Ich bin einer von ihnen.

Was würden Sie dem Papst ins Gesicht sagen?

Anfangs fand ich dich irgendwie cool. Jetzt bist du derselbe konservative, homophobe Kleriker wie die anderen.

Greta?

Deinen Rucksack von öffentlichem Interesse möchte ich nicht tragen müssen.

Gianni Infantino?

Zügle doch nach Katar!

Wie viel geben Sie, wenn Sie von einem Bettler um ‹zwei Stutz› angehauen werden?

Wenn hierzulande jemand nur am Boden sitzt und bettelt, ist meine Empathie nicht sehr gross. Anders verhält es sich, wenn ich höre oder erfahre, dass es jemandem schlecht geht, dann bin ich sehr freigiebig. Auch bei Performern auf der Strasse bin ich ziemlich grosszügig.

Können Sie über Corona lachen?

Corona selbst ist nicht so lustig. Aber wie sich die Menschen teilweise verhalten, darüber kann ich sehr wohl lachen – bevor es dann oft spooky wird. Ich hätte vor dieser Pandemie nie gedacht, dass so viele bisher vernünftige Menschen auf die idiotischsten Theorien hereinfallen. Wissenschaft und Fakten werden relativiert oder der eigenen Ideologie untergeordnet. Ich bin jetzt schon darauf gespannt, welche verrückten Stoffe die Corona-Zeit dann einmal für die künftigen Komödien hergibt. Lassen wir uns überraschen.

Welcher Spruch auf dem Grabstein kommt gut an?

Die beste Inschrift auf einem Grabstein habe ich am Grab des Komikers Merv Griffin in Los Angeles gelesen: ‹I will not be right back after this message›. (Zu Deutsch: «Ich werde nach dieser Nachricht nicht gleich zurück sein.»)

Viktor Giacobbo, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Viktor Giacobbo
Entertainer und Theatermann
Viktor Giacobbo, 1952 in Winterthur geboren, schaffte Anfang der Neunzigerjahre mit der Satiresendung «Viktors Programm» den Durchbruch als Entertainer. Mit den Nachfolgeshows «Viktors Spätprogramm» und «Giacobbo/Müller» erlangte er Kultstatus. Giacobbo – die Betonung liegt auf dem ersten o! – ist heute Verwaltungsratspräsident des Casinotheaters in Winterthur und lebt auch dort.

2017