Viktor Giacobbo

, 9. Dezember 2016, von Philipp Loser

Eine Sendung wie die Schweiz

Zum Abschied von «Giacobbo/Müller»: Eine politische Würdigung von neun Jahren «Late Service Public».

Wir Schweizer sind Opfer unseres Systems. Staunend und gruselnd sitzen wir da und schauen nach Amerika. Nach Deutschland. Frankreich oder Grossbritannien. Wie viel grösser und bedeutender uns das alles doch vorkommt. Wie viel wichtiger.

Nicht nur die Politik per se – sondern auch wie darüber geredet wird. Satiriker Jon Stewart prägte unser Bild der Bush- und Obama-Jahre. John Oliver bringt uns Abgründe des amerikanischen Systems näher (und was für Abgründe das sind). In Grossbritannien seziert Charlie Brooker die aristokratische Politiker-Klasse in einer Schärfe, die wir uns nicht gewohnt sind. «Stermann & Grissemann» sind unsere liebsten Österreicher. Es gibt die «Heute-Show» in Deutschland, die «Anstalt» und natürlich Jan Böhmermann.

Und wir?

Wir haben noch bis Sonntag Viktor Giacobbo und Mike Müller. Unter Kultur- und anderen Journalisten hat sich in den vergangenen Jahren ein starker Konsens gebildet, was wir von der Sendung zu halten haben. Die Einspieler sind meist okay und manchmal sogar lustig. Die Witze platt («Wer ist hier dick?»), die Interviews mit den Politikern brav und im schlimmsten Fall fraternisierend. Konsens ist auch, dass man die ausländischen Sendungen so viel besser findet; die Olivers und Stewarts und Böhmermanns. «Warum macht in diesem Land niemand ernsthaftes politisches Kabarett?»

Diese Erzählung wird den beiden Satirikern nicht gerecht. Und bevor die beiden am Sonntag dem Publikum zum letzten Mal – auch hier: gutschweizerisch – «e guete Obe» wünschen, ist es Zeit für eine Ehrenrettung. Denn so klein, wie die (politische) Leistung der beiden manchmal gemacht wird, ist sie nicht.

Dabei darf man gerne grundsätzlich werden: «Late Service Public» (und die Vorgängersendungen von Viktor Giacobbo) haben der Schweizer Politik eine Bühne und ein Publikum gegeben, die sie vorher nicht hatte. «Uns haben oft mittelalterliche Eltern erzählt, dass sie mit ihren halbwüchsigen Kindern unsere Show gucken. Und umgekehrt bestätigten uns Jugendliche, dass unsere Show ihr Interesse für Politik weckte. Das war für uns eigentlich immer das grösste Kompliment», sagt Mike Müller selber. Und er hat recht! Da können Politikjournalisten noch so schlaue Leitartikel schreiben, aufsehenerregende Recherchen veröffentlichen und hochtourige Diskussionssendungen organisieren: Sie werden niemals die gleichen Leute erreichen, niemals so niederschwellig sein, wie das «Giacobbo/Müller» während der acht Jahre ihrer Sendung waren. Da gibt es dann halt zuerst zwei Witze über den Bauch von Mike Müller und später drei halbe Pointen über das Alter und die Ohren von Viktor Giacobbo. Aber dazwischen verhandeln die beiden die Lächerlichkeit einer Minarett-Abstimmung, entlarven das Nachgeplappere von Christoph Blocher und Roger Köppel (und vice versa) und stellen dem Präsidenten der SP jene Frage, die normalen Journalisten eben nicht in den Sinn kommt.

Die Schweiz als Konsens

Nach der Wahl von Donald Trump war in der Schweiz oft die Rede davon, wie die direkte Demokratie als System einen zu tiefen Graben zwischen denen da oben und denen da unten verhindere. Warum diese Analyse stimmt, sah man in den vergangenen Jahren jeweils am Sonntagabend: «Giacobbo/Müller» waren Ausdruck dieses nicht vorhandenen Grabens. Banales und Hochpolitisches, Kindisches und halb Ernstes: Es geht eben beides. Es ist normal. Die Schweiz als Konsens, als Land des Ausgleichs und der Konkordanz, als ein Land, wo man alle Fragen von allen verhandeln lässt, wo die Mächtigen nicht ganz so mächtig und die Hilflosen nicht ganz so hilflos sind: Das war «Giacobbo/Müller». Es sind Sendungen wie ihre, in denen all diese theoretischen Schweiz-Begriffe plötzlich eine Bedeutung erhalten und – wenn auch indirekt – einem breiten Publikum fassbar gemacht werden.

Und abgesehen davon, waren die beiden oft auch einfach nur lustig. Ueli Maurer wird man nie mehr nur als Ueli Maurer denken können, sondern immer auch als dümmlich grinsende Parodie seiner selbst. Die Hilflosigkeit von Bundesrat Johann Schneider-Ammann bei allem, was mit direkter Rede zu tun hat; die glucksende Diktion von Roger Köppel; das «wüsset Si» von Christoph Mörgeli; das wiehernde Gelächter von Toni Brunner oder das verschnupfte Bündnerdeutsch der Baselbieterin (!) Susanne Leutenegger Oberholzer: Viktor Giacobbo und Mike Müller haben die Aussenwahrnehmung vieler Politikerinnen und Politiker nachhaltig geprägt. Sie haben auch, und das ging manchmal etwas unter, das Bewusstsein der Menschen für Schlagzeilen geschärft. Dass ein Thema nicht immer so ernst ist, wie es in den Medien oft verhandelt wird. Dass es manchmal viel schneller und lustiger erzählt werden kann.

Dass wir in diesem Land nicht immer die ganz grossen Fragen behandeln, dass unser politisches Personal eher zum Durchschnitt als zur Brillanz tendiert: Es ist nicht die Schuld von «Giacobbo/Müller». Sie taten, was sie konnten. Und wenn man jetzt überlegt, dass ihr Sendeplatz in Zukunft von Kurt Aeschbacher belegt wird, darf man zu Recht sagen: Sie werden fehlen.

 

2017