Viktor Giacobbo

Badische Zeitung, 27. Juli 2014, von Heidi Ossenberg

„Der große Kanton“: Satirische Doku mit Gerhard Polt

Schweizer und Deutsche „verbrezeln“: Der Kabarettist und Autor Viktor Giacobbo stellt auf dem Freiburger Filmfest seine satirische Dokumentation „Der große Kanton“ vor.

So ganz rund läuft’s ja nicht zwischen den Schweizern und den Deutschen: Steuerflüchtlinge aus Deutschland, das Schweizer Bankgeheimnis, der Schweizer Fluglärm und die Duldung deutscher Arbeitsimmigranten – um nur einige Beispiele zu nennen – sorgen hin und wieder für zwischenmenschliche und zwischenstaatliche Irritationen. Da kommt die „dokumentarische Konversation zur Beilegung eines nachbarschaftlichen Konfliktes“ doch gerade recht: Der Schweizer Autor, Kabarettist, TV-Moderator und Schauspieler Viktor Giacobbo hat in seinem satirischen Dokumentarfilm „Der große Kanton“ viele Interviews geführt, die sich alle um eine These drehen: Wären nicht alle Probleme gelöst, wenn Deutschland der Schweiz als neuer Kanton beiträte?

So absurd dieser Vorschlag ist – es ist ein Heidenspaß sich knapp 90 Minuten lang anzuschauen, mit welchem Ernst, mit welchem Engagement sich die vielen prominenten Interviewpartner mit der Idee auseinandersetzen. Schweizer und deutsche Politiker, Unternehmer, Künstler und Wissenschaftler sitzen Giacobbo im heimischen Garten oder im Büro gegenüber oder schlendern mit ihm durch Städte und Landschaften und assoziieren, was das Zeug hält. Ex-Außenminister Joschka Fischer hält vor allem die Bayern für nicht Manns genug, sich den Eidgenossen unterzuordnen. Der Schweizer Journalist Roger Schawinski freut sich schon darauf, dass die Schweiz mit dem neuen Kanton dann endlich einen Zugang zum Meer – und Sylt! – bekommt. Linken-Politiker Gregor Gysi verspricht sich, da er selber Schweizer Vorfahren habe, einen weiteren Karriereschub in der Politik, möchte aber nicht, dass alle Deutschen das Verhältnis der Schweizer zum Geld übernehmen.

Klug und ironisch zugleich sind ganz viele Kommentare; Intellektuelle wie Peter von Matt oder Roger de Weck bemühen die gemeinsame Vergangenheit der Nachbarn, finden mehr kulturell verbindendes als trennendes. Großartig ist der Auftritt von Gerhard Polt, der ein berühmtes bayerisches Salzgebäck als Symbol für die natürliche „verbrezelung“ der beiden Nationen nimmt. Elke Heidenreich macht handstreichartig Düsseldorf zur neuen, gemeinsamen Hauptstadt des neuen Landes.

Auch fiktive Persönlichkeiten haben ihren Auftritt in „Der große Kanton“. So spielen etwa die Freiburger Kabarettisten der Truppe Oropax zwei Bodenseeschwimmer, die es schon jetzt nicht mehr in Deutschland aushalten und in der Schweiz Asyl beantragen wollen. Der Schweizer Schauspieler Michael Finger tritt als letzter Nachfahre derer von Habsburg auf, der in dem Schweizer Örtchen gleichen Namens im Kanton Aargau als Landwirt sein Auskommen hat. Und seine Milchkühe der adeligen „Verwandschaft“ eindeutig vorzieht …

Zur Bebilderung seiner Geschichte hat sich der Regisseur teils weit aus dem Fenster gelehnt: Er bedient sich historischen Materials, setzt aber auch schon mal dem Berliner Kanzleramt ein Schweizer Holzdach oben drauf oder versieht eine Passagiermaschine der Lufthansa mit dem Logo „Luftansli“. Dennoch ist Giacobbos satirische Doku nicht etwa nur albern oder nur absurd, sie liefert durchaus Stoff zum nachdenken über das Verhältnis der beiden Nachbarn. Und der Satz eines Schweizers ganz am Ende des Films produziert angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage auch gleich einen Knoten im Hals: „Wer will, kann kommen, der Welt kann es damit doch nur besser gehen.“ Wenn es doch nur so einfach wäre.

„Der große Kanton“ von Viktor Giacobbo läuft im Rahmen des Freiburger Filmfests am Sonntag, 27. 7. um 21.10 Uhr und dam Montag, 28.7., 16.45 Uhr Kino Harmonie. Am Sonntag ist Regisseur Viktor Giacobbo zu Gast.

2017