Viktor Giacobbo

, 29. Juli 2021, von Alex Baur

Viktors Privatprogramm

Bleifuss Harry Hasler verhöhnt alles, was seinem Erschaffer heilig ist. Nur eines teilt Viktor Giacobbo mit seinem Alter Ego: den Hang zum Subversiven.

Ist die Corona-Krise nicht ein Paradies der Satire? All die Massnahmen, die Pirouetten von Politik und Wissenschaft, die Ängste und Ungewissheiten, sie schreien doch förmlich nach einer sarkastischen Auflösung. «Im Prinzip, ja», meint Viktor Giacobbo etwas zögerlich, «doch wer an Long Covid leidet, findet Witze über Long Covid wohl gerade nicht so lustig.» Gewiss. Aber haben wir nicht auch über den Drögeler Fredi Hinz gelacht – wohl wissend, wie verheerend Drogensucht für die Betroffenen sein kann? – «Fredi fühlt sich nicht als Opfer, sondern als selbstbestimmter Drogenkonsument.»

Wir sitzen im Gartenrestaurant vor dem Casinotheater in Winterthur. Sonnenschein, entspannte Gesichter, ausser dem Servicepersonal trägt kaum noch einer Maske. Im Theater wird nach einem entbehrungsvollen Jahr wieder geprobt. Sogar auf Giacobbos Twitter-Account, wo es in den letzten Monaten wenig zu lachen gab, stehen die Zeichen auf Entspannung.

Fredi Hinz, Rajiv Prasad, Harry Hasler

Er war beileibe nicht der einzige Comedian, dem der Humor, so machte es zumindest den Anschein, während der Corona-Krise abhandengekommen war. Es hatten sich bald zwei Lager gebildet. Auf der einen Seite standen Andreas Thiel und Marco Rima, die sich offen mit den Skeptikern solidarisierten. Sie wurden als Hetzer und Covidioten beschimpft. Auf der anderen Seite stand das Duo Giacobbo/Müller. Auch sie wurden mit Schmähungen überhäuft, als Panidioten und Staatskomiker gebrandmarkt. Das war nicht mehr lustig. Und auch gemein.

Wenig nervt Viktor Giacobbo mehr als die Leier vom Subventionsjunkie (was seine Kritiker natürlich doppelt anspornt). Tatsächlich gibt es wenige Künstler in diesem Land, die mit eigener Initiative und ohne Staatshilfe so viel erreicht haben wie er (was übrigens auch für Mike Müller gilt). Gewiss, seine Bekanntheit hat der Mann mit den Segelohren vor allem dem öffentlichen Fernsehen zu verdanken. Doch auf einem freien Markt hätte Giacobbos Gage schon nach wenigen Jahren ein Mehrfaches betragen von dem, was das SRG-Lohnreglement erlaubt.

Seit Emil Steinberger hat kein Komödiant mehr in der Schweiz so viele Menschen begeistert. Seine Figuren – von Fredi Hinz über Rajiv Prasad bis Debbie Mötteli und vor allem natürlich Harry Hasler – trafen einen Nerv. Sie sind Ikonen, die jedes Kind kennt. Die Parodien auf Roger Schawinski, Ueli Maurer, Gaddafi oder Donatella Versace drehen als Evergreens auf Youtoube. Dabei sind all diese Figuren in ihrer anarchistisch anmutenden Unverschämtheit und Unberechenbarkeit untypisch für das Schweizer Fernsehen. Giacobbo ist denn auch alles andere als ein typisches SRF-Gewächs.

Wenn es einen Fixpunkt gibt im mittlerweile 69-jährigen Leben des Künstlers, dann ist es die Stadt Winterthur. Hier wurde er geboren, hier ist er zu Hause, hier wird er wohl dereinst begraben. Was normalerweise ein Leben prägt – vorweg Familie und Beruf –, erscheint bei Giacobbo unfassbar. Die Partnerinnen wechselten alle paar Jahre. Ein Weiberheld war er nie, wie man so hört, er hatte immer schön eine aufs Mal, keine Skandale. Aber einen gemeinsamen Haushalt gab es nie. Geschweige denn Kinder. Und was die Arbeit betrifft – es sind so viele Berufe, dass einem schwindlig werden könnte: Schriftsetzer, Korrektor, Kolumnist, Dokumentalist, Komiker, Moderator, Schauspieler, Regisseur, Autor, Unternehmer, Verleger, Produzent, um die wichtigsten Stationen zu nennen. Und was er ganz besonders erwähnt haben möchte – sein langjähriges Engagement für die Orang-Utans in Indonesien und als Verwaltungsrat beim Verlag Kein & Aber –, es ist in der Öffentlichkeit am wenigsten bekannt.

Um den wahren Viktor Giacobbo zu ergründen, versuchen wir es also mit einem Spaziergang durch Winterthur. Startpunkt: das Casinotheater. Giacobbo hat die altehrwürdige Bühne inklusive Gastro-Betrieb vor zwei Jahrzehnten zusammen mit Patrick Frey und anderen Kulturschaffenden gekauft. So etwas könne ausserhalb der Weltstadt Zürich nie funktionieren, monierten damals einige. Doch sie irrten sich. Das Casinotheater entwickelte sich schnell zum Dreh- und Angelpunkt der Schweizer Cabaret-Szene.

Dorado für Start-ups

Die Stadt Winterthur gewährte den Käufern einen zinslosen Kredit von zwei Millionen Franken, verbunden mit der Auflage, ein Kulturprogramm zu betreiben. Doch die grossen Investitionen für den Umbau, insgesamt dreizehn Millionen, mussten die Betreiber selber aufbringen. Und vor allem: Der Betrieb kommt ohne staatliche Hilfen aus, wie Giacobbo bei jeder Gelegenheit betont. Die Nähe zum Zürcher Hauptbahnhof und die hervorragenden Verkehrsverbindungen in die Ostschweiz waren sicher hilfreich. Mit seinen 110 000 Einwohnern bietet Winterthur allerdings auch einen soliden Heimmarkt.

Grosszügige Parks und Bauten aus der Gründerzeit verleihen der Stadt sogar einen Hauch von Weltläufigkeit. Historisch gesehen stand Winterthur bis zum Einmarsch von Napoleon 1798 unter dem Joch der Zürcher. Mitte des 19. Jahrhunderts setzte dank Sulzer, Rieter und den Lokomotivwerken eine Blüte ein, die über hundert Jahre lang andauerte. Die Stadt schaffte den Sprung in die Neuzeit, die alten Industriebrachen sind ein Dorado für innovative Start-ups. Die Industriebarone verewigten ihren Nachlass mit einer ganzen Reihe hochkarätiger Kunstmuseen. Politisch geprägt wurde Winterthur von den Demokraten, die etwas mehr auf den Staat und den sozialen Ausgleich setzten als der Zürcher Freisinn. Das merkt man heute noch. Die Überwindung des Kapitalismus wird hier weniger verbittert ausgefochten als in anderen Städten, obwohl die Rot-Grünen auch hier in der Mehrheit sind.

Es war eine recht friedliche und prosperierende Welt, in die Viktor Giacobbo 1952 als Sohn einer Verkäuferin und eines Metzgers hineingeboren wurde. Seine Grosseltern väterlicherseits waren aus Italien zugewandert (sie traten zur protestantischen Kirche über, doch ihren scharfen Akzent bewahrten sie sich bis zum Ende ihrer Tage). Der Bursche begann 1968 eine Lehre als Schriftsetzer, mit Ausbildung an der Kunstgewerbeschule. Und das ging damals fast automatisch einher mit einer Konvertierung zur marxistischen Lehre. Die Frage war lediglich, ob sich einer eher den Leninisten, den Trotzkisten oder den Maoisten verbunden fühlte. Genosse Viktor mochte sich nie entscheiden.

Anarcho und Einzelgänger

Aus der SP trat er schnell wieder aus. Die Sozis waren ihm zu rechts. Obwohl kerngesund, entwischte Giacobbo, getarnt als eine Art Frühversion von Fredi Hinz, dem Ruf der Armee. Ein in der Wolle gefärbter Linker also? Wenn er heute sagt, er habe sich nie mit einer Bewegung identifiziert, der Dogmatismus und die Intoleranz gewisser Linker seien ihm schon damals ein Gräuel gewesen, dann ist das durchaus glaubhaft. Proletarische Dialektik und Humor, das passte nicht zusammen. Weggefährten aus alten Zeiten haben Giacobbo als kauzigen Anarcho und Einzelgänger mit einem Hang zum Subversiven in Erinnerung. Einer, der sich nirgends eingliedern liess und stets herumgemeckert habe (einer murmelte sogar etwas, was wie «Sozialphobiker» klang). Der Hang zu Spektakel und Satire lag ihm schon damals im Blut.

Die roten Seilschaften waren allerdings sicher kein Hindernis für seine Anstellung beim Schweizer Fernsehen. Die Abteilung Dokumentation, wo er startete, galt als linke Hochburg. Nebenbei wirbelte Giacobbo seit den späten 1970er Jahren in verschiedenen Comedy- und Theatertruppen (Stuzzicadenti, Zampanoo’s Variété, Haruls Top Service). Im linken Szenenblatt Tell brachte er sein eigenes Milieu mit einer Klatschkolumne regelmässig auf die Palme – etwas, was es vor ihm nie gegeben hatte und auch später nie mehr geben sollte. Fernseh-Talkmaster Ueli Heiniger holte Giacobbo schliesslich für kurze Sketches in seine Sendung «Medienkritik». Der Newcomer fiel schnell durch eine bei den SRG-Sendern unübliche Frechheit auf (Aficionados erinnern sich an das Wortspiel mit dem «Sack am Ständer»). Alle bekamen sie ihr Fett ab, seine Arbeitgeber inklusive.

Viktor Giacobbo hat sich den Titel «Puffmutter des Schweizer Humors» (Gabriel Vetter) redlich verdient. Nachdem er 1990 seine erste eigene Sendung («Viktors Programm») bekam, blieb er während eines Vierteljahrhunderts der unbestrittene Satire-Platzhirsch beim Schweizer Fernsehen. Der Start war harzig (wie nicht anders zu erwarten), es gab Beschwerden und scharfe Kommentare, rechte Kreise monierten eine notorische Linkslastigkeit. Doch TV-intern war Giacobbo unantastbar.

Und dafür gab es vor allem eine Erklärung: die Quote. Der Mann traf in seiner verschmitzten und unprätentiösen Art beim Schweizer Publikum einen Nerv. Zu seinen Verdiensten gehörte auch seine Nase für neue Talente, denen er neben sich stets grosszügig Platz einräumte. Giacobbo wusste die Publikumsgunst zu nutzen: «Ich habe bei SRF immer gemacht, was ich wollte, niemand hat mir dreingeredet.» Es gibt nicht viele, die das von sich behaupten können.

Die grössten Erfolge erzielte Viktor Giacobbo mit Harry Hasler, einem halbstarken PS-Fetischisten aus Zürich Schwamendingen mit Thurgauer Migrationshintergrund. Ursprünglich entstand die Figur aus einer Parodie auf den Opel-Manta-Fanklub. Harry ist die fleischgewordene Antithese zu seinem Schöpfer: Frei von jeglicher Bildung, wirft er mit rassistischen und sexistischen Zoten nur so um sich, er definiert sein Glück über die Pferdestärken seiner aufgemotzten Karossen, Klimawandel, Ökostrom oder Veganismus sind für ihn Fremdwörter. Trotz allem kommt der Hardcore-Chauvinist mit der Föhnfriese und den zur Schau gestellten Brusthaaren in seiner direkten Art grundsympathisch rüber.

Dasselbe gilt für den zwielichtigen Inder Rajiv Prasad («I make you a verry special price»), den Fixer Fredi Hinz («das ist Panasche, mein Drogenspürhund»), die Ordensschwester Viktoria Morgenthaler («Rufen Sie einfach an, einhundertsechsundfünzig . . .»), die Klischee-Blondine Debbie Mötteli («Hallihallo»), den Waffenhändler Mehmet Örkan («Heroin ist wie Kebab für die Seele») oder den integrationsresistenten Italo Gianfranco Benelli («Gasche nigge magge»). Kein Klischee ist dem Komödianten zu derb, um mit einem schrägen Spruch nicht noch einen draufzupacken. Selbstverständlich geben die Karikaturen die Gemeinplätze der Lächerlichkeit preis. Doch sie versuchen nie, diese in irgendeiner Weise aufzulösen oder gar zu widerlegen.

Einen derartigen Spagat muss einer erst schaffen. Fast-Vegetarier Viktor Giacobbo ist tief im linksliberalen Milieu eingebettet, welches in der Kunst- und Medienszene alternativlos das Sagen hat und nicht gerade für Toleranz gegenüber Andersdenkenden bekannt ist. Wer sich in diesen Kreisen über den eigenen Schrebergarten mokiert, braucht eine gehörige Portion Chuzpe.

Harry Hasler kann auch als Antwort auf die «Political Correctness» gedeutet werden, die in den frühen 1990er Jahren von den USA in die Schweiz überschwappte. Im Sommer 1996 hielt sich Giacobbo mit seinem Hasler-«Saletti-Rap» während siebzehn Wochen in den Schweizer Top Ten. Der Hitparade-Erfolg des von SRF eher für den hausinternen Gebrauch produzierten Jux-Videos überraschte die Macher selber. Man hätte die Figur ausbauen können, etwa mit einem Harry-Hasler-Film, ein garantierter Kassenschlager. Doch Giacobbo entschied sich instinktiv dagegen.

Lob und Hass

Den Ausschlag gab ein Auftritt im Glattzentrum, einer Mall am Zürcher Stadtrand. Die «Saletti»-Manie stand in ihrem Zenit, Harry Hasler lud zur Autogrammstunde. Der Einkaufstempel wurde von Fans buchstäblich überrannt. Inmitten des brodelnden Tumults, auf dem bedrohlich schwankenden Podest, so erinnert sich Giacobbo, sei ihm der Spass an der Rolle nachhaltig abhandengekommen. Er legte Harry Hasler für ein paar Jahre in die Kühlbox. Der eigene Erfolg wurde ihm ungeheuer.

Fans können zu den ärgsten Feinden jedes Künstlers werden, wenn er ihnen nicht das liefert, was sie von ihm erwarten. Das lässt sich gut auf Twitter beobachten, wo Giacobbo deutlich mehr Follower (knapp 200 000) hat als die Bundesräte Parmelin, Sommaruga, Amherd und Cassis zusammen (Berset schafft es dank Corona auf 160 000). Die Lobpreisungen («Danke, dass es Dich gibt») können indes schnell in eine Orgie von Hohn und Hass kippen. Bisweilen reicht dafür ein falsches Wörtchen. Für einen Freidenker, der seine Unabhängigkeit über alles stellt, kann es schnell sehr beengend werden.

2001 traf ich Giacobbo während einer Recherche in Santo Domingo zufällig auf einem Set, wo er den Spielfilm «Ernstfall in Havanna» drehte. Weil die kubanische Zensur die Erlaubnis verweigert hatte, war man auf die Dominikanische Republik ausgewichen. Trotzdem schwärmte die halbe Crew beim Apéro nach dem Dreh in den höchsten Tönen von den angeblichen Errungenschaften der kubanischen Revolution. Mir platzte der Kragen. Das Castro-Regime gehöre zu den übelsten Diktaturen, die es auf dem amerikanischen Kontinent je gegeben habe, warf ich ein; dass ausgerechnet sie, die Zensierten, dem Tyrannen huldigten, schlage dem Fass den Boden aus. Die Stimmung unter dem Tropenhimmel sank unter den Gefrierpunkt. Ich war auf alles gefasst, von der Schlägerei bis zum Rauswurf, als plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund die Gemüter beruhigte: «So ganz unrecht hat er ja nicht.» Es war die Stimme von Viktor Giacobbo.

Es gibt eine Reihe von Anekdoten in dieser Währung. So galt während fast drei Jahrzehnten beim öffentlichen Schweizer Rundfunk ein faktisches Auftritts- und Redeverbot für den Monopolbrecher und SRG-Kritiker Roger Schawinski. Giacobbo foutierte sich als Einziger um dieses ungeschriebene Gesetz. Er karikierte den Radiopiraten in seinen Sendungen und lud ihn auch mal als Stargast ins Studio ein. Das gab Stunk. Giacobbo stellte die Direktion vor die Alternative: Wenn Schawinski nicht auftreten dürfe, werde er es auch nicht mehr tun. Damit war die Sache erledigt.

Oder der Comedian Andreas Thiel. Obwohl Thiel aus seiner rechtskonservativen Grundhaltung nie ein Geheimnis machte, bot ihm Giacobbo stets eine Bühne im Casinotheater wie auch in seinen TV-Programmen. Mag sein, dass auch er, zumal als Unternehmer, den Kapitalismus heute etwas differenzierter sieht als auch schon. Doch im Herzen, da sprechen seine Tweets eine deutliche Sprache, ist Giacobbo ein Linker geblieben. Nur hinderte ihn das nicht daran, Andreas Thiel aus dem Schlamassel zu helfen, als sich dieser – eine Todsünde für Komödianten – in einen bitterernsten Disput um den Islam verhedderte. Als im letzten Herbst das Casinotheater seine Tore vorübergehend wieder öffnen konnte, bekam auch Thiel als einer der Ersten wieder seine Bühne.

Freiheitskämpfer Giacobbo reagiert empfindlich auf Leute, die ihm zu nahe treten. Doch auf der Bühne kennt er keine Berührungsängste. Natalie Rickli ist bei ihm ebenso willkommen wie ihre rot-grünen Kontrahenten. Der Unternehmer und SVP-Spitzenpolitiker Peter Spuhler gehört zu den treusten Freunden des Winterthurer Casinotheaters. Doch niemand (am wenigsten Peter Spuhler selber) würde von Viktor erwarten, dass er ihn deshalb schont.

Reif für ein neues Alter Ego?

Der Comedian, Unternehmer und Filmemacher Giacobbo stand mit 68 Jahren in der Blüte seines Schaffens, als der Corona-Tsunami übers Land rollte. Wirtschaftlich gesehen war es für ihn wie für jeden freischaffenden Künstler eine schwierige Zeit. Gravierender, so vermute ich, war die politische und ideologische Verkrampfung, die der Glaubenskrieg zwischen Panidioten und Covidioten nach sich zog. Das brachte selbst den Meister der humoristischen Entspannung an seine Grenzen. Vielleicht wäre die Zeit reif für ein neues Alter Ego – zum Beispiel in der Person der Genderbeauftragten Simonetta Scharulla-Habicht, die an der mysteriösen Impfkrankheit «Long Vaccid» leidet.

2017