Viktor Giacobbo

, 18. Januar 2014, von Michèle Binswanger

«Linke reagieren schnell beleidigt»

Viktor Giacobbo hält es für Unfug, wenn Richter über Satire entscheiden sollen. Im Interview erklärt er, warum verbotene Ausdrücke wie «Neger» die interessantesten sind.

Theatermacher Samuel Schwarz und Lyriker Rafael Urweider wollen Anzeige erstatten gegen das Schweizer Fernsehen wegen eines Sketchs, in dem Birgit Steinegger eine Schwarze spielt – was halten Sie davon?

Ich finde es praktisch, wenn Kulturschaffende keine Diskurse mehr führen, sondern die Frage, ob ein Sketch gelungen ist oder nicht, gleich von Anfang an bei einem Gericht deponieren.

Gut, jetzt bitte noch eine unironische Antwort.

Ich fand diese Nummer auch missglückt. Aber so etwas kommt vor, wenn man Satire macht – ich habe selber einige missglückte Produktionen zu verantworten. Darüber kann man debattieren. Dass nun ausgerechnet zwei Theatermacher, die sich sonst als Provokateure verstehen, gegen andere Künstler klagen, finde ich lächerlich. Sie behaupten, niemand sonst bringe diese Zivilcourage auf; das hat mit Mut gar nichts zu tun, im Gegenteil, es ist feige. Indem man beim Richter petzt, vermeidet man den Diskurs.

Schwarz und Urweider bemängeln, Satire in der Schweiz richte sich zunehmend gegen Randfiguren und Schwächere. Damit zielen sie gegen Ihre Sendung.

Natürlich – schade nur, dass sie uns nicht genannt haben. Jeder kann unsere Sendung Scheisse finden, damit habe ich keine Mühe. Aber offensichtlich wollen Schwarz und Urweider gerne die «Grenzen des guten Geschmacks», ein konservativ-bürgerliches Kriterium, im Strafgesetzbuch festschreiben. Vielleicht wollen sie ganz einfach schlechten Humor verbieten. Wie wärs mit einer Antidilettantismus-Kommission, betreut von der Pro Helvetia?

Die beiden sagen, Ihnen fehle «Reflexion und doppelter Boden». Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Da haben sie bei der inkriminierten Nummer sogar recht. Das Ziel dieser Satire war die Aufregung über den Täschli-Gate-Vorfall und diese Vaudeville-Negerinnen-Figur lenkte nur davon ab. Letztlich ist das eine ästhetische Frage. Ausserdem: Die «schwache Randfigur» in dieser Affäre war ja nicht die Multimillionärin Oprah, sondern die arme Verkäuferin.

Also geht es nur um Ästhetik, wenn sich jemand über Figuren wie Mergim Muzzafer und Fredi Hinz empört?

Die Frage muss doch sein: Auf wen zielt die Pointe und mit welcher Haltung macht der Komiker das? Nehmen wir Mergim Muzzafer. Hört man dem genau zu, dann ist das eine sehr positive Figur, und die Zielscheibe ist nicht er selber, sondern sind die Schweizer. Darauf achtet Mike Müller sehr genau. Bei Harry Hasler empörten sich anfänglich auch die Feministinnen. Wenn man ein Arschloch spielt, rechnet man halt damit, dass der «doppelte Boden» auch erkannt wird.

Verstehen Sie nicht, dass Minderheiten auf Spott vonseiten eines Massenmediums vielleicht sensibler reagieren als Durchschnittsschweizer?

Warum? Warum kann ich üble Schweizer spielen, aber keine üblen Figuren mit dunkler Hautfarbe? Oder gar einen üblen Juden? Die Frage ist: Wird da etwas generalisiert? Sind alle Schweizer Harry Haslers oder alle Inder wie Rajiv Prasad – wie Christoph Mörgeli mir einst vorwarf? Das fände ich tatsächlich problematisch. Mike und ich haben diese Grenzen immer beachtet.

Wie hätten die beiden die Auseinandersetzung denn suchen sollen?

Sie können durchaus die Nummer als misslungen bezeichnen. Dann müssen sie sich aber die Frage gefallen lassen, was es heisst, aktuelle, schnelllebige Satire zu machen. Einen aktuellen Stoff aufzugreifen und ihn sofort umzusetzen, ist etwas anderes, als ein Theaterstück oder Lyrik zu schreiben.

Inwiefern?

Es ist heikler und erfordert sehr schnelle Einfälle. Hin und wieder geht dann halt eine Nummer schief.

Muss man Grenzen überschreiten, um Satire zu machen?

Bei der Frage, was Satire darf, schlafen mir die Füsse ein. Genauso gut könnte man fragen: Was darf Meinung? Grenzen verletzen ist weder witzig noch mutig, das kann jeder zum Beispiel mit Verbalinjurien gegen Politiker. Aber Satire – und das wird die grossen Kulturschaffenden, die genau wissen, wie Satire funktioniert, entsetzen – ist eine Unterhaltungsform. Eine, welche die Realität nicht ausklammert, sondern als Material benutzt.

Welche Verantwortung trägt der Komiker?

Für sein Programm, für seine Witze und seine Haltung. Er hat weder einen didaktischen noch einen kulturellen Auftrag, sondern er muss unterhalten. Das Niveau und die Geschmacksgrenzen legt er selber fest. Das ist wie mit der Gürtellinie. Der eine trägt den Gürtel am Hals und der andere an den Knöcheln.

Gibt es Gruppen, über die Sie keine Witze machen würden?

Ja, jene, die ohnehin immer dran kommen, auf die jeder gratis losgehen darf.

Die Rechten?

Natürlich kommen die immer dran, aber mit ihrem lärmigen Populismus haben sie es auch verdient. Zurückhalten würde ich mich bei jemandem, der ohnehin am Boden liegt. Bei Mörgeli zum Beispiel ist es langsam so weit, da tritt inzwischen jeder nach. Auch bei meinen Strassenumfragen bin ich jeweils vorsichtig. Die wissen zwar alle, dass es sich um eine TV-Aufnahme handelt, aber trotzdem können diese Menschen oft nicht abschätzen, worauf sie sich einlassen.

Aufzuzeigen, dass die Schwachen nicht notwendig die Guten sind, sondern auch ganz schön ärgern können, das macht normalerweise die SVP. Rezyklieren Sie das einfach auf einer humoristischen Ebene?

Das muss ich nicht, denn die SVP rezykliert sich selber. Wenn Mike den Toni Brunner parodiert, dann äussert er sich auch wie Toni Brunner. Wer das dann für unsere Meinung hält, sollte sich keine Satiresendungen anschauen. Und Randfiguren sind deshalb interessant, weil sie Fleisch am Knochen haben, weil sie anders aussehen und reden, das ist seit Jahrhunderten eine Basis für Witze. Entscheidend ist immer: In welches Umfeld setzt sich eine Nummer, was sagt sie aus, was ist ihr Ziel? Dann kann man alles spielen, Schwule, Juden, Neger…

Wieso sagen Sie Neger?

Bei allem Diskurs über Satire: Jeder in meinem Beruf ist so weit Trotz- bzw. Kindskopf, dass er am liebsten Ausdrücke verwendet, die verboten sind.

Können Sie nicht verstehen, dass Schwarze das diskriminierend finden?

Es sind in der Regel nicht die Schwarzen, die die Metaebene nicht verstehen, sondern einheimische Moralanwälte.

Sie machen Ihre Sendung seit 10 Jahren – wurde diese Diskussion früher schon so geführt?

Momentan ist das ein Medienhype. Ein Stadtpräsident lässt sich auf einen gar nicht so schlechten Stand-up-Auftritt ein und macht dabei ein paar uralte Italienerwitze. Wochen später pickt ein Medium die heraus, darauf fühlt sich ein unterbeschäftigter Basler Anwalt persönlich zutiefst betroffen, die mediale Skandalisierung geht weiter. Dann wühlt ein Journalist im Archiv und findet bei Marco Rima eine alte Nummer, die übrigens ebenfalls nicht rassistisch gemeint war. Ich kenne Rima und Steinegger und es ist schwachsinnig, die beiden als Rassisten zu bezeichnen.

Nochmals: Wie haben die Reaktionen sich verändert?

In der Schweiz ist man eigentlich sehr liberal. Als wir mir «Viktors Programm» begonnen hatten, reagierten einige Leute verschreckt, weil das Publikum in der Hauptsendezeit so etwas nicht gewohnt war. Im darauf folgenden «Spätprogramm» gab es etwas weniger Klagen, obwohl wir die Konzession zweimal verletzt haben. Trotzdem lässt man uns bei SRF unsere künstlerische Autonomie. Da könnten sich Tamedia oder Ringier eine Scheibe abschneiden.

Welche Leute regen sich denn meistens auf? Die Betroffenen?

Im Gegenteil. Bei Fredi Hinz gab es von Anfang an eine Gruppe Eltern drogenabhängiger Jugendlicher, die sich ab ihm nervten, aber die Drogenfachstellen, die Junkies selbst, amüsieren sich. Als wir am Bahnhof Stadelhofen Premiere hatten mit «Der grosse Kanton», haben mich die Junkies im gegenüberliegenden Park freudig begrüsst. Probleme gibt es nur mit Leuten, die sich stellvertretend für andere empören.

Das ist ja eine für die Linke typische Haltung. Sind Linke humorloser als Rechte?

Leider häufig ja. Die Linken reagieren in der Regel beleidigter als die Rechten, weil sie es sich weniger gewohnt sind, Satirezielscheibe zu sein.

Die Linke setzt sich eben für die Schwächeren ein.

Wenn sie das in der Praxis machen, finde ich das toll. Aber dieser Kampf gehört vorwiegend auf die politische und weniger auf die juristische Ebene.

Müssen Komiker nun jeden Sketch darauf überprüfen, ob sich nicht jemand diskriminiert fühlen könnte?

Also bitte. Ich bezeichne mich ja selber als Tschingg, da wird bemängelt, dass wir Witze über Dicke machen. Mein Gott, Mike ist dick, ich bin alt und habe abstehende Ohren – wir veräppeln uns ja selber. Ich weiss nicht, wie viel Selbstironie Urweider und Schwarz haben, aber sie ist sicher von Vorteil, wenn man Komik macht.

Neulich fragte eine Moderatorin einer Podiumsdiskussion einen SVP-Politiker, woher seine Putzfrau komme. Danach beschwerte sich die Leiterin eines Putzinstituts, das sei abschätzig. Sind wir überempfindlich geworden?

Das ist die berühmte Political Correctness, die ja selber schon wieder ein Klischee ist, sogar sich darüber lustig zu machen, ist bereits politisch korrekt. Komik ist etwas Anarchisches und der eigene Lachreiz hält sich leider nicht ans Strafgesetzbuch.

Aber ist es nicht wichtig, dass man sich über einen Dieudonné aufregt?

Den finde ich weder komisch noch provokativ, sondern rassistisch beziehungsweise dumm. Dieudonné ist ein erklärter Antisemit, aber auch da frage ich mich: Was nützt es, das zu verbieten? Wenn der französische Staatspräsident sich zu diesem Komiker äussert, dann ist das die beste Werbung für ihn. Ausserdem darf man das Publikum nicht unterschätzen. Glauben Sie, die laufen alle da raus als Antisemiten? Viele werden abgeschreckt reagieren. Solange so einer nicht wirklich zur Gewalt aufruft, soll man ihn spielen lassen. Und natürlich muss sich ein Veranstalter fragen, ob er damit etwas zu tun haben will.

Sie interpretieren die Meinungsfreiheit also sehr weit.

Ja, auch was das Antirassismusgesetz betrifft. Wenn einer den Holocaust leugnet, ist der Fall klar. Aber bei einem abgehangenen Italienerwitz die Antirassismusstrafnorm zu bemühen?

In ihrer Anzeige kritisieren Urweider/Schwarz, dass man sich nach dem Massengeschmack richte, dass also das Publikum das auch noch gutheisse.

Kritiker begreifen in der Regel nicht, dass ihre Meinung nicht wertvoller ist als die Meinung jedes Einzelnen im Publikum.

Dann sind Sie der Meinung: Was Erfolg hat, ist auch gut?

Nein. Ich habe auch schon Witze gemacht und mir gesagt: Diesen Applaus habe ich jetzt zu einfach bekommen. Der Künstler muss selber wissen, ob er den Applaus unter, auf oder sogar über seinem Niveau bekommen hat. Darum sind Urweider und Schwarz ja so rührend, wenn sie sich wegen des niederen SRF-Niveaus entsetzen – Robert Gernhardt hat das mal so auf den Punkt gebracht: Es gibt ebenso wenig niveauvolle Komik wie einen niveauvollen Orgasmus.

2017