Viktor Giacobbo

Die Bühne, die man ihnen einst im Fernsehen für die Late-Night-Show bereitete, gibt es nicht mehr: Weg sind die Sessel, weg das Pult, weg ist auch die Kaffeemaschine, weg das ganze Glanz-und-Gloria der TV-Unterhaltung. Im leeren Raum stehen Viktor Giacobbo und Mike Müller jetzt im Theater, der Auftritt bedeutet die Rückkehr der TV-Komiker. Da gibt es nichts, an das sie sich halten könnten, ausser natürlich: an sich selber. Ein Schrägstrich scheint aber zwischen ihnen zu stehen, der alles trennt, was sie vorher verbunden hat. Und da können sie noch so ihre alte Show abziehen.

«Giacobbo/Müller in Therapie» heisst ihr Stück, das am Donnerstag im Casinotheater Winterthur Premiere hatte. Der Titel steht für den Bruch der Wahrnehmung. Wer zu lange Fernsehen gemacht hat, hat keine Ahnung mehr vom Publikum, das ist zumindest die These. Dominique Müller, der Schauspieler und Regisseur, gibt hier den Therapeuten. Er sagt, wir bekämen einen intimen Einblick in zwei Karrieren, die neu justiert werden müssten. TV-Komiker gelten im Theater noch immer als Parias. Dominique Müller arbeitet an ihrer Reintegration.

Aufstand der Komparsen

Das ist natürlich Quatsch, es geht um etwas anderes. Dominique Müller hat in ein paar Sketches für «Giacobbo/Müller» mitgemacht, an seiner Seite ist im Stück der Bassist Daniel Ziegler, ebenfalls ein «Giacobbo/Müller»-Hintergrund-Mann. Die beiden proben den Aufstand der Komparsen: Sie blasen sich auf vor Wichtigkeit und versuchen, die Fäden in die Hand zu bekommen. Viktor Giacobbo und Mike Müller sollen hier dastehen als recht traurige Figuren, die nichts anderes können, als Giacobbo/Müller in Pension zu sein.

Die beiden machen das traurige Spiel am Anfang mit, es heisst: Sehnsucht nach Vergangenheit. Und wenn Giacobbo und Müller behaupten, ohne ihre Show glücklich sein zu können, sehen sie immer noch in jedem Rotlicht das Zeichen für die laufende Kamera, auch mitten auf der Strasse. Sie sind völlig weg vom TV-Fenster.

Das allerbeste Theater

Schritt für Schritt erobern Mike Müller und Viktor Giacobbo ihre Bühne zurück. Klar, die beiden haben ja das Stück selber geschrieben. Bald stehen zwei Sessel aus dem «Giacobbo/Müller»-Studio auf der Bühne, die Kaffeemaschine kommt auch hinzu. Und schon sind die alten Figuren wieder da. Perücken auf, und ab gehts in die Vergangenheit. Das Publikum bekommt noch einmal Fredi Hinz und Hanspeter Burri.

Doch die Figuren werden auf einmal zu anderen, sie spielen sich in das Leben von Giacobbo und Müller hinein, als hätten sie von ihnen Besitz ergriffen. Jetzt könnte es theoretisch kompliziert werden. Die Frage lautete: Wer bin ich, und, wenn ja: in wie vielen Rollen? Aber da können Giacobbo und Müller noch so kompliziert in ihrem Stück tun: Es ist eigentlich ganz einfach Theater. Und so ziemlich das beste, das die beiden je gemacht haben. Regisseurin Brigitt Maag trägt das ihre dazu bei, sie kennt sich mit dem Mechanismus von Komödien aus.

Drinnen und draussen

Das Schönste an diesem Theater ist die Pause. Denn sie verändert alles. Da läuten Dominique Müller und Daniel Ziegler nach einer Stunde die Pause ein, ihr Theater geht ohne Pause nicht. «Wir bleiben auf der Bühne», sagen aber Viktor Giacobbo und Mike Müller, das Publikum solle doch bitte nach draussen gehen, es gebe Glace und so. Natürlich bleibt das Publikum noch ein bisschen im Saal, schliesslich könnte auf der Bühne noch etwas passieren.

Aber da passiert gar nichts. Giacobbo und Müller stehen einfach da und sagen dies und das. Nach fünf Minuten steht der erste Promi auf, die anderen Promis folgen samt einem grossen Teil des Nicht-Promi-Publikums Richtung Cüpli, Zigis und Toiletten. Giacobbo und Müller stehen dann immer noch auf der Bühne, sie machen sich einen Kaffee, trinken Wasser, schauen in die leeren Ränge. Sie schauen auch zu, wie das Publikum wieder in den Saal kommt.

Auch die Zuschauer sind in Therapie

So bespielen Viktor Giacobbo und Mike Müller nach der Pause, die für sie keine war, den ganzen Raum und zeigen, wie gross ihr Theater sein kann: Es geht über die Zeit hinaus und hält sich an keine Regeln. Von nun an wird gepowert. Mike Müller ist in Hochform, Viktor Giacobbo spielt über sich hinaus. Die beiden zeigen jetzt eine grosse Leichtigkeit in diesem Spiel, dass es eine grosse Freude ist: für uns und für sie. Denn sie stehen wieder im Zentrum: «Wir haben am liebsten, wenn es um uns geht.»

Bald merkt das Publikum, dass es in diesem Theater eigentlich auch in Therapie ist. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sehen: Da können auf der leeren Bühne zwei Menschen stehen, der eine schaut zu, was der andere macht – und schon ist das Theater. Auf einmal geht eine Welt auf, die grösser ist als die von «Giacobbo/Müller». Und die von der Möglichkeitsform erzählt, die TV-Komiker auf der Bühne haben. Viktor Giacobbo und Mike Müller haben ihre Chance genutzt. Ihre Rückkehr ist ein Triumph.

Das Schönste ist die Pause

7. April 2018, Landbote, Tages-Anzeiger, von Stefan Busz

Die Bühne, die man ihnen einst im Fernsehen für die Late-Night-Show bereitete, gibt es nicht mehr: Weg sind die Sessel, […]

Wie weiter mit der politischen Satire in der Schweiz nach dem Aus von «Giacobbo/Müller»? Talente gäbe es genug. Nur fehlt dem SRF der Mut, auf sie zu setzen.

Am Abschiedsabend von «Giacobbo/Müller» sass die Kulturintelligenz der Schweiz im Zürcher Kaufleuten und lachte über Scherze, die genau das waren: Scherze. Nicht besonders beissend, nicht besonders böse, eher bieder als bitter. Es war die letzte Wiederholung eines wohligen Rituals. Viktor Giacobbo und Mike Müller machten Satire für alle. Ihre Sendung war eine der letzten im Schweizer TV, die dieses Lagerfeuer­gefühl wie früher «Wetten, dass …?» oder «Benissimo» vermittelten. Eine Sendung, die jeder schaut, und selbst wenn man sie nicht schaut, hat man zumindest eine Meinung dazu.

Das allein war schon eine Leistung. Eine zweite, unterschätzte, war die grosse Bühne, welche die Sendung für Talente darstellte. Giacobbo und Müller betrieben genau die Nachwuchsförderung, die man beim Schweizer Fernsehen seit Jahrzehnten vernachlässigt. Und so ist das Ende von «Giacobbo/Müller» doppelt bitter: Ab sofort findet keine politische Satire mehr statt, weil jene ­Talente, die erst durch die zwei SRF-Haussatiriker einem breiten Publikum bekannt gemacht wurden, nicht jene ­Lücke füllen dürfen, die das Aus von «Giacobbo/Müller» hinterlässt. So viel Talent. Und so wenig Platz.

«Wir müssen aufhören, uns immer zu fragen, was das SRF für uns machen soll», sagt Renato Kaiser, «und es einfach selber tun!» Kaiser ist eines dieser Talente, ein Slampoet wie viele der hochbegabten jungen Satiriker, und schon seit Jahren zumindest eine feste Kleinkunstgrösse. Der 31-jährige Ostschweizer hat – lange, bevor in hiesigen Zeitungen das Fehlen eines echten Schweizer Politkabaretts beklagt und sehnsüchtig in die Romandie und nach Deutschland/Österreich/Amerika geblickt wurde – mit einem 20-minütigen Video bewiesen, dass es eben doch geht. Dass man kein zerfressenes politisches System wie in den USA haben muss, um jene Art von investigativ-böser Satire zu schaffen, für die ein John Oliver in der Schweiz so geliebt wird.

Im Video redet Kaiser über die Sozialhilfe und bringt das sperrige Thema auf eine Art und Weise auf den Punkt, dass man sich während der gesamten 20 Minuten fragt: Warum hat das noch niemand vorher gemacht? Die Einseitigkeit der Medien, die sich widersprechenden Forderungen der Politik, das absurde Verhalten der Gemeinden: Kaiser streift viele einzelne Aspekte und verdichtet sie zu einem klaren Bild. Er ist schnell und doch präzise, er verwebt Statistiken und lässt Betroffene zu Wort kommen. Eigentlich macht er Journalismus – einfach in lustig.

So viral, wie es geht

Das Video entstand im Auftrag der Hochschule für Soziale Arbeit in St. Gallen und war auch ein Test. Funktioniert so etwas in der Schweiz? Ist das Publikum gewillt, länger als die zwei, drei Minuten aufzubringen, die es für eines der normalen Videos von Kaiser braucht? «All die Leute, die vorher immer gesagt haben, das gehe nicht, haben es wohl noch nicht ausprobiert», sagt Kaiser, der von der Resonanz auf das Video selber überrascht war. Über 160’000-mal wurde es auf Facebook aufgerufen, für Schweizer Verhältnisse ist das so viral, wie es nur geht. Kaiser arbeitet nun an einem ausgebauten Konzept und trifft sich in diesen Tagen mit verschiedenen Interessenten. In der Schweiz gebe es viele Themen, die sich auf diese Weise einem breiteren Publikum präsentieren liessen.

Comedian Michael Elsener war regelmässig Gast bei «Giacobbo/Müller» und versucht, der politischen Satire in der Schweiz auf eine ähnliche Weise wie Renato Kaiser eine neue Sinnhaftigkeit zu verleihen. Seit einem Jahr veröffentlicht der 31-Jährige auf seinem Youtube-Kanal «Comedy Essays», in denen er das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, Lobbyismus oder das populistische Phänomen zu ergründen sucht. «Alles Themen, die ein breiteres und jüngeres Publikum verdienten», sagt Elsener. In einer Zeit, in der die Nachrichten pausenlos auf einen einprasselten, brauche es Autoren, Feuilletonisten oder eben Comedians, die einen Schritt zurück machten und versuchten, das grosse Bild zu zeichnen. «Ohne politische Satire ist unsere aktuelle Zeit nur schwer auszuhalten.»

Kaiser und Elsener sind nicht die einzigen jungen Schweizer, die nach dem Aus von «Giacobbo/Müller» politische Satire machen. Da sind ausserdem: der nach wie vor zu wenig bekannte Gabriel Vetter, ein Ausnahmetalent auf vielen Kanälen mit aktuellem Stand-up-Programm; Lara Stoll, die experimentierfreudiges, sehr politisches und sehr böses Halbfernsehen macht; Laurin Buser, der schlaue Texte schreibt und neu auch Theater macht. Nils Althaus ist mit seinem vierten Soloprogramm unterwegs. Satire sei wie die Zeugen Jehovas, sagt er darin: Sie müsse ein wenig nerven. Und Hazel Brugger ist schon fast zu gross für die Schweiz und dabei, in Deutschland zur Marke zu werden.

Sie alle stehen für eine neue Art von Schweizer Satire. Die hat nichts mehr mit dem muffigen, sozialdemokratischen Politkabarett der 70er-Jahre zu tun. Sie ist böser, schwärzer, mehr ­Nische als Mainstream – und darum vielleicht auch gar nicht fürs Schweizer Fernsehen übersetzbar. Auf jeden Fall nicht im Hauptabendprogramm. In Deutschland versuchen ARD und ZDF seit vergangenem Herbst, das dortige Potenzial von Slam-Poeten, Youtubern und Videobloggern mit einer eigenen Plattform im Internet abzuholen. «Funk» heisst das Projekt und zielt auf jene junge Publikumsschicht, die sich schon lange vom linearen Fernsehen verabschiedet hat.

Ein Klima der Angst

Wahrscheinlich ist sogar ein solches Projekt fürs Schweizer Fernsehen zu heikel. Man darf die Auswirkungen, welche die nur hauchdünn gewonnene Abstimmung über das neue Radio- und TV-Gesetz im Sommer 2015 hatte, nicht unterschätzen. Ebenso wenig die nun anrollende Service-public-Debatte und die «No Billag»-Initiative. In ganz anderem Ausmass als früher ist das Schweizer Fernsehen auf Ausgewogenheit bedacht. In einem solchen Klima hat es alles schwer, was potenziell für Irritationen sorgen könnte.

Aber die Frage darf man sich schon stellen: Ist es nicht eine falsche Vorstellung, mit seinen Sendungen immer das breitestmögliche Publikum abholen zu müssen? Sollte ein Sender, gerade wenn er angeblich dem Service public verpflichtet ist, nicht auch etwas wagen? Auch mal unbequem sein? Selbst wenn das bedeutet, für einmal nicht allen zu gefallen.

Die Überwindung der Biederkeit

31. Dezember 2016, Tages-Anzeiger, von Philipp Loser

Wie weiter mit der politischen Satire in der Schweiz nach dem Aus von «Giacobbo/Müller»? Talente gäbe es genug. Nur fehlt […]

Eben hat er die letzte Sendung von Giacobbo/Müller hinter sich, nun kann der Kabarettist und Schauspieler eine Auszeichnung entgegennehmen.

Viktor Giacobbo ist am Donnerstag auf dem 25. Arosa Humor Festival mit dem Arosa Humorfüller ausgezeichnet worden. Die Trophäe solle «symbolisch für die vielen neuen Texte stehen», die man künftig vom «wichtigsten Produzenten hochwertigen Humors» erleben dürfe.

Im Anschluss an die Verleihung begeisterte Giacobbo das Festivalpublikum mit einer 90-minütigen Live-Talkshow mit Sportreporterin Steffi Buchli, Slam-Poetin Hazel Brugger und SVP-Nationalrat und «Weltwoche«-Verleger Roger Köppel.

Die Show in der ausverkauften Arosa Humorhalle sei bestens angekommen, meldeten die Veranstalter. «Das Publikum war sich einig, Viktor Giacobbo ist einer der originellsten Talker des Landes». (thu/sda)

Viktor Giacobbo am Arosa Humor Festival geehrt

15. Dezember 2016, Tages-Anzeiger

Eben hat er die letzte Sendung von Giacobbo/Müller hinter sich, nun kann der Kabarettist und Schauspieler eine Auszeichnung entgegennehmen. Viktor […]

Zum Abschied von «Giacobbo/Müller»: Eine politische Würdigung von neun Jahren «Late Service Public».

Wir Schweizer sind Opfer unseres Systems. Staunend und gruselnd sitzen wir da und schauen nach Amerika. Nach Deutschland. Frankreich oder Grossbritannien. Wie viel grösser und bedeutender uns das alles doch vorkommt. Wie viel wichtiger.

Nicht nur die Politik per se – sondern auch wie darüber geredet wird. Satiriker Jon Stewart prägte unser Bild der Bush- und Obama-Jahre. John Oliver bringt uns Abgründe des amerikanischen Systems näher (und was für Abgründe das sind). In Grossbritannien seziert Charlie Brooker die aristokratische Politiker-Klasse in einer Schärfe, die wir uns nicht gewohnt sind. «Stermann & Grissemann» sind unsere liebsten Österreicher. Es gibt die «Heute-Show» in Deutschland, die «Anstalt» und natürlich Jan Böhmermann.

Und wir?

Wir haben noch bis Sonntag Viktor Giacobbo und Mike Müller. Unter Kultur- und anderen Journalisten hat sich in den vergangenen Jahren ein starker Konsens gebildet, was wir von der Sendung zu halten haben. Die Einspieler sind meist okay und manchmal sogar lustig. Die Witze platt («Wer ist hier dick?»), die Interviews mit den Politikern brav und im schlimmsten Fall fraternisierend. Konsens ist auch, dass man die ausländischen Sendungen so viel besser findet; die Olivers und Stewarts und Böhmermanns. «Warum macht in diesem Land niemand ernsthaftes politisches Kabarett?»

Diese Erzählung wird den beiden Satirikern nicht gerecht. Und bevor die beiden am Sonntag dem Publikum zum letzten Mal – auch hier: gutschweizerisch – «e guete Obe» wünschen, ist es Zeit für eine Ehrenrettung. Denn so klein, wie die (politische) Leistung der beiden manchmal gemacht wird, ist sie nicht.

Dabei darf man gerne grundsätzlich werden: «Late Service Public» (und die Vorgängersendungen von Viktor Giacobbo) haben der Schweizer Politik eine Bühne und ein Publikum gegeben, die sie vorher nicht hatte. «Uns haben oft mittelalterliche Eltern erzählt, dass sie mit ihren halbwüchsigen Kindern unsere Show gucken. Und umgekehrt bestätigten uns Jugendliche, dass unsere Show ihr Interesse für Politik weckte. Das war für uns eigentlich immer das grösste Kompliment», sagt Mike Müller selber. Und er hat recht! Da können Politikjournalisten noch so schlaue Leitartikel schreiben, aufsehenerregende Recherchen veröffentlichen und hochtourige Diskussionssendungen organisieren: Sie werden niemals die gleichen Leute erreichen, niemals so niederschwellig sein, wie das «Giacobbo/Müller» während der acht Jahre ihrer Sendung waren. Da gibt es dann halt zuerst zwei Witze über den Bauch von Mike Müller und später drei halbe Pointen über das Alter und die Ohren von Viktor Giacobbo. Aber dazwischen verhandeln die beiden die Lächerlichkeit einer Minarett-Abstimmung, entlarven das Nachgeplappere von Christoph Blocher und Roger Köppel (und vice versa) und stellen dem Präsidenten der SP jene Frage, die normalen Journalisten eben nicht in den Sinn kommt.

Die Schweiz als Konsens

Nach der Wahl von Donald Trump war in der Schweiz oft die Rede davon, wie die direkte Demokratie als System einen zu tiefen Graben zwischen denen da oben und denen da unten verhindere. Warum diese Analyse stimmt, sah man in den vergangenen Jahren jeweils am Sonntagabend: «Giacobbo/Müller» waren Ausdruck dieses nicht vorhandenen Grabens. Banales und Hochpolitisches, Kindisches und halb Ernstes: Es geht eben beides. Es ist normal. Die Schweiz als Konsens, als Land des Ausgleichs und der Konkordanz, als ein Land, wo man alle Fragen von allen verhandeln lässt, wo die Mächtigen nicht ganz so mächtig und die Hilflosen nicht ganz so hilflos sind: Das war «Giacobbo/Müller». Es sind Sendungen wie ihre, in denen all diese theoretischen Schweiz-Begriffe plötzlich eine Bedeutung erhalten und – wenn auch indirekt – einem breiten Publikum fassbar gemacht werden.

Und abgesehen davon, waren die beiden oft auch einfach nur lustig. Ueli Maurer wird man nie mehr nur als Ueli Maurer denken können, sondern immer auch als dümmlich grinsende Parodie seiner selbst. Die Hilflosigkeit von Bundesrat Johann Schneider-Ammann bei allem, was mit direkter Rede zu tun hat; die glucksende Diktion von Roger Köppel; das «wüsset Si» von Christoph Mörgeli; das wiehernde Gelächter von Toni Brunner oder das verschnupfte Bündnerdeutsch der Baselbieterin (!) Susanne Leutenegger Oberholzer: Viktor Giacobbo und Mike Müller haben die Aussenwahrnehmung vieler Politikerinnen und Politiker nachhaltig geprägt. Sie haben auch, und das ging manchmal etwas unter, das Bewusstsein der Menschen für Schlagzeilen geschärft. Dass ein Thema nicht immer so ernst ist, wie es in den Medien oft verhandelt wird. Dass es manchmal viel schneller und lustiger erzählt werden kann.

Dass wir in diesem Land nicht immer die ganz grossen Fragen behandeln, dass unser politisches Personal eher zum Durchschnitt als zur Brillanz tendiert: Es ist nicht die Schuld von «Giacobbo/Müller». Sie taten, was sie konnten. Und wenn man jetzt überlegt, dass ihr Sendeplatz in Zukunft von Kurt Aeschbacher belegt wird, darf man zu Recht sagen: Sie werden fehlen.

 

Eine Sendung wie die Schweiz

9. Dezember 2016, Tages-Anzeiger, von Philipp Loser

Zum Abschied von «Giacobbo/Müller»: Eine politische Würdigung von neun Jahren «Late Service Public». Wir Schweizer sind Opfer unseres Systems. Staunend […]

Viktor Giacobbo hält es für Unfug, wenn Richter über Satire entscheiden sollen. Im Interview erklärt er, warum verbotene Ausdrücke wie «Neger» die interessantesten sind.

Theatermacher Samuel Schwarz und Lyriker Rafael Urweider wollen Anzeige erstatten gegen das Schweizer Fernsehen wegen eines Sketchs, in dem Birgit Steinegger eine Schwarze spielt – was halten Sie davon?

Ich finde es praktisch, wenn Kulturschaffende keine Diskurse mehr führen, sondern die Frage, ob ein Sketch gelungen ist oder nicht, gleich von Anfang an bei einem Gericht deponieren.

Gut, jetzt bitte noch eine unironische Antwort.

Ich fand diese Nummer auch missglückt. Aber so etwas kommt vor, wenn man Satire macht – ich habe selber einige missglückte Produktionen zu verantworten. Darüber kann man debattieren. Dass nun ausgerechnet zwei Theatermacher, die sich sonst als Provokateure verstehen, gegen andere Künstler klagen, finde ich lächerlich. Sie behaupten, niemand sonst bringe diese Zivilcourage auf; das hat mit Mut gar nichts zu tun, im Gegenteil, es ist feige. Indem man beim Richter petzt, vermeidet man den Diskurs.

Schwarz und Urweider bemängeln, Satire in der Schweiz richte sich zunehmend gegen Randfiguren und Schwächere. Damit zielen sie gegen Ihre Sendung.

Natürlich – schade nur, dass sie uns nicht genannt haben. Jeder kann unsere Sendung Scheisse finden, damit habe ich keine Mühe. Aber offensichtlich wollen Schwarz und Urweider gerne die «Grenzen des guten Geschmacks», ein konservativ-bürgerliches Kriterium, im Strafgesetzbuch festschreiben. Vielleicht wollen sie ganz einfach schlechten Humor verbieten. Wie wärs mit einer Antidilettantismus-Kommission, betreut von der Pro Helvetia?

Die beiden sagen, Ihnen fehle «Reflexion und doppelter Boden». Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Da haben sie bei der inkriminierten Nummer sogar recht. Das Ziel dieser Satire war die Aufregung über den Täschli-Gate-Vorfall und diese Vaudeville-Negerinnen-Figur lenkte nur davon ab. Letztlich ist das eine ästhetische Frage. Ausserdem: Die «schwache Randfigur» in dieser Affäre war ja nicht die Multimillionärin Oprah, sondern die arme Verkäuferin.

Also geht es nur um Ästhetik, wenn sich jemand über Figuren wie Mergim Muzzafer und Fredi Hinz empört?

Die Frage muss doch sein: Auf wen zielt die Pointe und mit welcher Haltung macht der Komiker das? Nehmen wir Mergim Muzzafer. Hört man dem genau zu, dann ist das eine sehr positive Figur, und die Zielscheibe ist nicht er selber, sondern sind die Schweizer. Darauf achtet Mike Müller sehr genau. Bei Harry Hasler empörten sich anfänglich auch die Feministinnen. Wenn man ein Arschloch spielt, rechnet man halt damit, dass der «doppelte Boden» auch erkannt wird.

Verstehen Sie nicht, dass Minderheiten auf Spott vonseiten eines Massenmediums vielleicht sensibler reagieren als Durchschnittsschweizer?

Warum? Warum kann ich üble Schweizer spielen, aber keine üblen Figuren mit dunkler Hautfarbe? Oder gar einen üblen Juden? Die Frage ist: Wird da etwas generalisiert? Sind alle Schweizer Harry Haslers oder alle Inder wie Rajiv Prasad – wie Christoph Mörgeli mir einst vorwarf? Das fände ich tatsächlich problematisch. Mike und ich haben diese Grenzen immer beachtet.

Wie hätten die beiden die Auseinandersetzung denn suchen sollen?

Sie können durchaus die Nummer als misslungen bezeichnen. Dann müssen sie sich aber die Frage gefallen lassen, was es heisst, aktuelle, schnelllebige Satire zu machen. Einen aktuellen Stoff aufzugreifen und ihn sofort umzusetzen, ist etwas anderes, als ein Theaterstück oder Lyrik zu schreiben.

Inwiefern?

Es ist heikler und erfordert sehr schnelle Einfälle. Hin und wieder geht dann halt eine Nummer schief.

Muss man Grenzen überschreiten, um Satire zu machen?

Bei der Frage, was Satire darf, schlafen mir die Füsse ein. Genauso gut könnte man fragen: Was darf Meinung? Grenzen verletzen ist weder witzig noch mutig, das kann jeder zum Beispiel mit Verbalinjurien gegen Politiker. Aber Satire – und das wird die grossen Kulturschaffenden, die genau wissen, wie Satire funktioniert, entsetzen – ist eine Unterhaltungsform. Eine, welche die Realität nicht ausklammert, sondern als Material benutzt.

Welche Verantwortung trägt der Komiker?

Für sein Programm, für seine Witze und seine Haltung. Er hat weder einen didaktischen noch einen kulturellen Auftrag, sondern er muss unterhalten. Das Niveau und die Geschmacksgrenzen legt er selber fest. Das ist wie mit der Gürtellinie. Der eine trägt den Gürtel am Hals und der andere an den Knöcheln.

Gibt es Gruppen, über die Sie keine Witze machen würden?

Ja, jene, die ohnehin immer dran kommen, auf die jeder gratis losgehen darf.

Die Rechten?

Natürlich kommen die immer dran, aber mit ihrem lärmigen Populismus haben sie es auch verdient. Zurückhalten würde ich mich bei jemandem, der ohnehin am Boden liegt. Bei Mörgeli zum Beispiel ist es langsam so weit, da tritt inzwischen jeder nach. Auch bei meinen Strassenumfragen bin ich jeweils vorsichtig. Die wissen zwar alle, dass es sich um eine TV-Aufnahme handelt, aber trotzdem können diese Menschen oft nicht abschätzen, worauf sie sich einlassen.

Aufzuzeigen, dass die Schwachen nicht notwendig die Guten sind, sondern auch ganz schön ärgern können, das macht normalerweise die SVP. Rezyklieren Sie das einfach auf einer humoristischen Ebene?

Das muss ich nicht, denn die SVP rezykliert sich selber. Wenn Mike den Toni Brunner parodiert, dann äussert er sich auch wie Toni Brunner. Wer das dann für unsere Meinung hält, sollte sich keine Satiresendungen anschauen. Und Randfiguren sind deshalb interessant, weil sie Fleisch am Knochen haben, weil sie anders aussehen und reden, das ist seit Jahrhunderten eine Basis für Witze. Entscheidend ist immer: In welches Umfeld setzt sich eine Nummer, was sagt sie aus, was ist ihr Ziel? Dann kann man alles spielen, Schwule, Juden, Neger…

Wieso sagen Sie Neger?

Bei allem Diskurs über Satire: Jeder in meinem Beruf ist so weit Trotz- bzw. Kindskopf, dass er am liebsten Ausdrücke verwendet, die verboten sind.

Können Sie nicht verstehen, dass Schwarze das diskriminierend finden?

Es sind in der Regel nicht die Schwarzen, die die Metaebene nicht verstehen, sondern einheimische Moralanwälte.

Sie machen Ihre Sendung seit 10 Jahren – wurde diese Diskussion früher schon so geführt?

Momentan ist das ein Medienhype. Ein Stadtpräsident lässt sich auf einen gar nicht so schlechten Stand-up-Auftritt ein und macht dabei ein paar uralte Italienerwitze. Wochen später pickt ein Medium die heraus, darauf fühlt sich ein unterbeschäftigter Basler Anwalt persönlich zutiefst betroffen, die mediale Skandalisierung geht weiter. Dann wühlt ein Journalist im Archiv und findet bei Marco Rima eine alte Nummer, die übrigens ebenfalls nicht rassistisch gemeint war. Ich kenne Rima und Steinegger und es ist schwachsinnig, die beiden als Rassisten zu bezeichnen.

Nochmals: Wie haben die Reaktionen sich verändert?

In der Schweiz ist man eigentlich sehr liberal. Als wir mir «Viktors Programm» begonnen hatten, reagierten einige Leute verschreckt, weil das Publikum in der Hauptsendezeit so etwas nicht gewohnt war. Im darauf folgenden «Spätprogramm» gab es etwas weniger Klagen, obwohl wir die Konzession zweimal verletzt haben. Trotzdem lässt man uns bei SRF unsere künstlerische Autonomie. Da könnten sich Tamedia oder Ringier eine Scheibe abschneiden.

Welche Leute regen sich denn meistens auf? Die Betroffenen?

Im Gegenteil. Bei Fredi Hinz gab es von Anfang an eine Gruppe Eltern drogenabhängiger Jugendlicher, die sich ab ihm nervten, aber die Drogenfachstellen, die Junkies selbst, amüsieren sich. Als wir am Bahnhof Stadelhofen Premiere hatten mit «Der grosse Kanton», haben mich die Junkies im gegenüberliegenden Park freudig begrüsst. Probleme gibt es nur mit Leuten, die sich stellvertretend für andere empören.

Das ist ja eine für die Linke typische Haltung. Sind Linke humorloser als Rechte?

Leider häufig ja. Die Linken reagieren in der Regel beleidigter als die Rechten, weil sie es sich weniger gewohnt sind, Satirezielscheibe zu sein.

Die Linke setzt sich eben für die Schwächeren ein.

Wenn sie das in der Praxis machen, finde ich das toll. Aber dieser Kampf gehört vorwiegend auf die politische und weniger auf die juristische Ebene.

Müssen Komiker nun jeden Sketch darauf überprüfen, ob sich nicht jemand diskriminiert fühlen könnte?

Also bitte. Ich bezeichne mich ja selber als Tschingg, da wird bemängelt, dass wir Witze über Dicke machen. Mein Gott, Mike ist dick, ich bin alt und habe abstehende Ohren – wir veräppeln uns ja selber. Ich weiss nicht, wie viel Selbstironie Urweider und Schwarz haben, aber sie ist sicher von Vorteil, wenn man Komik macht.

Neulich fragte eine Moderatorin einer Podiumsdiskussion einen SVP-Politiker, woher seine Putzfrau komme. Danach beschwerte sich die Leiterin eines Putzinstituts, das sei abschätzig. Sind wir überempfindlich geworden?

Das ist die berühmte Political Correctness, die ja selber schon wieder ein Klischee ist, sogar sich darüber lustig zu machen, ist bereits politisch korrekt. Komik ist etwas Anarchisches und der eigene Lachreiz hält sich leider nicht ans Strafgesetzbuch.

Aber ist es nicht wichtig, dass man sich über einen Dieudonné aufregt?

Den finde ich weder komisch noch provokativ, sondern rassistisch beziehungsweise dumm. Dieudonné ist ein erklärter Antisemit, aber auch da frage ich mich: Was nützt es, das zu verbieten? Wenn der französische Staatspräsident sich zu diesem Komiker äussert, dann ist das die beste Werbung für ihn. Ausserdem darf man das Publikum nicht unterschätzen. Glauben Sie, die laufen alle da raus als Antisemiten? Viele werden abgeschreckt reagieren. Solange so einer nicht wirklich zur Gewalt aufruft, soll man ihn spielen lassen. Und natürlich muss sich ein Veranstalter fragen, ob er damit etwas zu tun haben will.

Sie interpretieren die Meinungsfreiheit also sehr weit.

Ja, auch was das Antirassismusgesetz betrifft. Wenn einer den Holocaust leugnet, ist der Fall klar. Aber bei einem abgehangenen Italienerwitz die Antirassismusstrafnorm zu bemühen?

In ihrer Anzeige kritisieren Urweider/Schwarz, dass man sich nach dem Massengeschmack richte, dass also das Publikum das auch noch gutheisse.

Kritiker begreifen in der Regel nicht, dass ihre Meinung nicht wertvoller ist als die Meinung jedes Einzelnen im Publikum.

Dann sind Sie der Meinung: Was Erfolg hat, ist auch gut?

Nein. Ich habe auch schon Witze gemacht und mir gesagt: Diesen Applaus habe ich jetzt zu einfach bekommen. Der Künstler muss selber wissen, ob er den Applaus unter, auf oder sogar über seinem Niveau bekommen hat. Darum sind Urweider und Schwarz ja so rührend, wenn sie sich wegen des niederen SRF-Niveaus entsetzen – Robert Gernhardt hat das mal so auf den Punkt gebracht: Es gibt ebenso wenig niveauvolle Komik wie einen niveauvollen Orgasmus.

«Linke reagieren schnell beleidigt»

18. Januar 2014, Tages-Anzeiger, von Michèle Binswanger

Viktor Giacobbo hält es für Unfug, wenn Richter über Satire entscheiden sollen. Im Interview erklärt er, warum verbotene Ausdrücke wie […]

Viktor Giacobbo glaubt, die beiden Nachbarn hätten deshalb ein schwieriges Verhältnis zueinander, weil sie sich so ähnlich sind. Sein satirischer Dokumentarfilm holt nun den grossen Kanton heim.

Deutschland tritt der Schweiz bei, das ist die Idee des Films. Nehmen wir sie mal kurz ernst. Ein Wunsch- oder ein Angsttraum für Sie?

Es ist eine absurde Idee, die mich zum Denken gebracht hat und mit der ich meine Gesprächspartner zum lockeren Spintisieren bringen wollte. Es ist ein Gedankenspiel, das anregen will, nicht irgendetwas lösen. Der Film will unterhalten, ohne dass man sein Hirn abschalten muss. Allerdings muss man zuhören wollen.

Zwischen Deutschland und der Schweiz gibt es zwei Dauerbrenner: Fluglärm und Steuern. Beim Fluglärm ist es einfach: Jeder will ihn zum Nachbarn schieben. Im Steuerstreit gibt es Verteidiger des Bankgeheimnisses und Transparenz-Fans, Käufer von Daten-CDs und andere, die das für Hehlerei halten. Ihre Position?

Klar, der Kauf von CDs mit Steuerdaten ist Hehlerei. Aber die Schweiz war auch jahrzehntelang Hehler für deutsche Steuerbetrüger. Ich bin für Transparenz, und ich verstehe auch, dass die Staaten heute mit ihren hohen Schulden ein Interesse daran haben, Steuergelder mit allen Mitteln einzutreiben. Ich verstehe dagegen nicht, dass sich die Schweiz Scheibe für Scheibe abschneiden lässt, statt ein für allemal aufzuräumen. Mittlerweile sind die Banker grössere Realisten als die bürgerlichen Politiker.

Jetzt gibt es den Fall Uli Hoeness, und wenn man die Diskussion verfolgt, kann man den Eindruck gewinnen, Steuerhinterziehung sei mindestens so schlimm wie Kindsmissbrauch. Verstehen Sie das?

Hoeness muss für das geradestehen, was er getan hat, that’s it. Er ist aber auch eine Lichtgestalt, alle haben seine Nähe gesucht. Wenn so einer fällt, ist das Geschrei grösser als bei irgendeinem Industriellen. In Deutschland ist, wenn es um das angebliche Fehlverhalten eines Grossen geht, die Hysterie immer besonders gross. Denken Sie an die Affäre Wulff, wo es jetzt nur noch um ein paar Hundert Euro geht. In Deutschland tobt sich die entfesselte Korrektheit aus, masslos und auch etwas kleinkariert.

Ist das deutscher Perfektionismus, der wieder einmal von einem Extrem ins andere fällt?

Genau den Eindruck habe ich. In Deutschland kommt es schnell zu einer Medienhysterie. Aber wir Schweizer kochen da auch gern mit.

Die Schweiz hat sich in Steuerfragen gegenüber Deutschland widerspenstiger verhalten als gegenüber den USA. Bei den Amerikanern ist man eingeknickt und hat Namen geliefert, selbst gegen eigene Gesetze. Kann man mit den Deutschen anders umspringen, weil die es nicht zum Äussersten kommen lassen, wegen ihrer Vergangenheit?

Was haben die USA gemacht? Sie haben den Ratschlag von Peer Steinbrück umgesetzt. Sie haben nicht nur mit der Kavallerie gedroht, sondern sie eingesetzt. Steinbrück hat recht bekommen: Die Schweiz hat vor der Kavallerie kapituliert oder wenigstens vor den Marines.

Apropos: Steinbrück hätte sich im Film gut gemacht. Warum fehlt er?

Wir haben ihn angefragt, aber eine höfliche Absage von seinem Büro bekommen. Mir gefällt der Steinbrück eigentlich. Er ist kompetent, unterhaltend und spielt mit offenen Karten. Ich habe damals die Aufregung um seinen Spruch mit Peitsche und Kavallerie nicht verstanden. Da haben sich die Schweizer wie Jammerlappen verhalten. Wir reden immer über unsere Eigenständigkeit – aber was für eine Freude haben wir erst, wenn uns jemand im Ausland lobt! Umgekehrt, wenn wir kritisiert werden, sind wir so was von wehleidig.

Bekommt die Schweiz jetzt den Ruf eines Schurkenstaates, weil sie so viel Schwarzgeld versteckt – von Deutschen, von griechischen Reedern, von Diktatoren? Das wäre dann eine neue moralische Schieflage zwischen Deutschland und der Schweiz.

Was Diktatorengelder angeht, waren wir lange tatsächlich ein Schurkenstaat. Das hat sich geändert, heute gehören unsere Kontrollen, wie mir Banker glaubhaft versichert haben, zu den schärfsten der Welt. Aber das Image wird uns noch eine Weile anhaften. In neuen amerikanischen Serien hat der Bösewicht immer noch ein Konto in Genf.

Es wird oft behauptet, die Schweizer hätten einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Deutschen. Aus Ihrer Filmidee spricht eher das Gegenteil: Schweizer können alles besser, deshalb nehmen wir Deutschland auf und lösen seine Probleme.

Wir haben beides, Minderwertigkeitsgefühl und bockigen Nationalstolz. Im Verhältnis zu Deutschland kommt noch etwas Spezielles hinzu, weil wir ja lang zum Deutschen Reich gehört haben und eigentlich eine Abspaltung sind – und diese Abspaltung ist nicht so lang her, wie viele meinen, und sie war auch nicht so heroisch, wie viele meinen.

Was kriegt Deutschland besser hin, was die Schweiz? Was könnte der eine vom anderen übernehmen?

Mir gefällt die Klarheit in der Auseinandersetzung. Ich halte unsere Konkordanzdemokratie für ein Auslaufmodell. Politische Gegner sind zur Zusammenarbeit in einer Kollegialbehörde verdammt, und man merkt immer mehr, dass das nicht klappt. In einer parlamentarischen Demokratie wie in Deutschland kann der Wähler entscheiden, ob er die Regierung behalten oder abwählen will. Wenn wir das übernähmen, hiesse das nicht, dass wir die direkte Demokratie aufgeben müssten. Es könnte weiter Referenden und Initiativen geben. So hätten wir vom deutschen und vom Schweizer System jeweils das Beste.

Es gibt ein paar Klassiker, wenn man über Mentalitätsunterschiede redet: Das Tempo, die Konfliktfähigkeit. Haben Sie einen Favoriten beim deutschen Wesen?

Die Konfliktfähigkeit. Die ist auch für Satiriker wichtig. Je klarer die politischen Gegensätze, desto besser greift die Satire. Was das Tempo angeht: Wir Schweizer brauchen manchmal länger, bis wir etwas per Volksabstimmung beschliessen, aber der Beschluss wird dann zügig umgesetzt. Volksferne Projekte wie Stuttgart 21 sind bei uns schwer vorstellbar.

In einer immer vernetzteren Welt vertrauen Schweizer Politiker gern auf die eigene Stärke.

Die Vorstellung, allein käme man am besten zurecht, ist rührend. Das zeigt schon die Immigration: Davon hat die Schweiz immer profitiert, sie hat zum Wohlstand beigetragen. Ich finde die Schweizer übrigens nicht nationalistischer als andere Nationen, aber unsere besondere Spielart geht mir natürlich mehr auf den Keks, weil ich hier lebe. Der Kult um die Neutralität – als ob wir die erfunden hätten! Dabei ist sie uns vom Ausland aufgezwungen worden.

Sprechen wir über die Deutschen in der Schweiz. Sind es zu viele? Nehmen sie den Schweizern wirklich die Frauen, die Jobs und die Parkplätze weg?

Bei den Parkplätzen kommen wir uns schon deshalb nicht in die Quere, weil wir parkieren und die Deutschen parken. Aber im Ernst: Ich habe die Deutschen gern. Sie bringen einen anderen Rhythmus ins Leben, bringen neue Elemente ins Land. Mich interessiert doch bei jedem nur: Macht er seine Arbeit gut? Ist er freundlich zu mir? Und als Chef kannst du ein deutsches Arschloch oder ein Schweizer Arschloch haben.

Warum gelingt es, alle drei Jahre eine Mediendebatte anzuzetteln, dass es zu viele Deutsche gibt?

Diese Debatten spielen sich innerhalb der Medien ab. Mit solchen Themen kann man Emotionen wecken, jeder kann mitreden, und man spielt schneller mit niedersten Instinkten, vor allem in den Onlinekommentaren – von denen ich denke, dass die sogenannte Qualitätspresse sie abstellen sollte.

Es gibt ein neues Modewort: Zuwanderungsstress.

Ein schönes Wort . . . Wobei nicht klar ist, wer den Stress hat: die Zugewanderten oder die Einheimischen. Ich fühle mich nicht gestresst, solange es sich nicht gerade um Verbrecherbanden handelt.

Haben es Deutsche und Schweizer so schwer miteinander, weil sie sich so ähnlich sind?

Ja. Wir sind uns grundsätzlich ähnlich – arbeitseifrig, ordentlich, leicht spiessig. Die Unterschiede sind Alltagsfolklore.

Sind die Schweizer die besseren Deutschen?

(lacht) Schweizer sind Deutsche.


«Der grosse Kanton»

Was wäre, wenn?

Nach der Schlacht von Marignano 1515 haben die Schweizer allen Grossmachts-ehrgeiz begraben. Sie beschlossen, ein «putziges Bergvolk» zu werden, wie Elke Heidenreich es nennt. Aber das Träumen vom Zugang zum Meer wird wohl noch erlaubt sein. Insbesondere mit den Deutschen, die uns unsere Putzigkeit unter die Nase reiben, haben die Deutschschweizer, die sich gern mit der ganzen Schweiz verwechseln, ja ihre Selbstbewusstseinsprobleme.

Und deshalb hat Viktor Giacobbo für seinen Film «Der grosse Kanton» darüber nachgedacht und etliche deutsche und Schweizer Prominenz darüber nachdenken lassen, wie das wäre, wenn Deutschland in seiner Gesamtheit (und womöglich auch die habsburgischen Erblande) ein Kanton der Schweiz würde, ständisch gleichberechtigt mit den beiden Appenzell. Gewissermassen: damit die dort drüben auch einmal von ihrem hohen Rössli herunterkommen.

Es ist eine sehr ironisch grundierte Unternehmung aus dem Geiste jener leisen Kränkung, die daher rührt, dass diese Schwaben dem Franken immer Fränkli sagen. Die Idee von der Einschweizerung Deutschlands gewinnt an Plausibilität durch den seriösen sittlichen Unernst. Am vergnüglichsten ist der Film dort, wo die, die Giacobbo zum lauten Denken provoziert, auf der Höhe des humoristischen Gedankens sind und die Unseriosität einmal konsequent ernst nehmen. Manche können das.

Joschka Fischer kann es in seinem natürlichen Vonobenherab; er ist ganz bei sich, wenn er den Schweizern erklärt, wie sie am Volksstamm der Bayern zerschellen werden. Peter von Matt kann es besonders gut; die Lakonik seiner detailfreudigen Ironie streift die Hochkomik. Manchen aber war die Humorlosigkeit, mit der sie Spass verstehen, einfach nicht auszutreiben. Die sorgen dann für einen rechten Überdruss an der ohnehin zur Monotonie neigenden Dramaturgie der sprechenden Köpfe. (csr)

Der grosse Kanton (CH 2013). 85 Minuten. Regie: Viktor Giacobbo. Mit Joschka Fischer, Doris Leuthard, Philipp Müller, Gerhard Polt, Peter von Matt u. a.

«Der grosse Kanton» läuft ab Donnerstag im Lunchkino im Le Paris.

«Schweizer sind Deutsche»

7. Mai 2013, Tages-Anzeiger, von Martin Ebel

Viktor Giacobbo glaubt, die beiden Nachbarn hätten deshalb ein schwieriges Verhältnis zueinander, weil sie sich so ähnlich sind. Sein satirischer […]

Das Verfahren gegen das Schweizer Fernsehen wegen unbefugter Nutzung des öffentlichen Grundes ist Realsatire – und ein Beispiel für Bürokratiewildwuchs.Zürich – Wenn die Geschichte nicht wahr wäre, hätte sie für eine Satiresendung mühsam erfunden werden müssen. Nach dem Stratosphärensprung von Felix Baumgartner vom 14. Oktober planten Viktor Giacobbo und Mike Müller für die Sendung vom 21. Oktober eine Veräppelung der Aktion anhand eines Rekordversuchs mit einem ZVV-Automaten. Um auf dem – meistens menschenleeren – Platz vor dem Hallenstadion filmen zu dürfen, stellten sie bei der Stadtpolizei den Antrag für eine Drehbewilligung. Das Schweizer Fernsehen füllte ein sechsseitiges Vertragswerk aus, in dem unter anderem Angaben zur geplanten Anzahl von WC-Häuschen und zu den Tribünengrössen verlangt wurden. Als Frist zur Erteilung der Bewilligung nannte die Polizei vier Wochen.

Giacobbo und seine Crew filmten daraufhin ohne Bewilligung, wie Tattergreis Jakob Liniger – eine von Giacobbos Figuren – mit Bauchkamera aus zehn Meter Distanz torkelnd einen blauen Billettautomaten ansteuerte und es in 15,96 Sekunden schaffte, ein Tramticket zu lösen. Giacobbo entschuldigte sich in der Sendung vom 21. Oktober öffentlich dafür, dass man illegal gedreht habe. Eine Anfrage an Rekordspringer Felix Baumgartner, in vier Wochen nochmals zu springen, sei abgelehnt worden, witzelte er weiter, weil Sponsor Red Bull «absolut unflexibel» sei.

Ein Fall für den Stadtrichter

In der neusten Sendung vom letzten Sonntag zeigten Giacobbo und Müller prompt einen amtlichen «Verzeigungsvorhalt», den sie vom Kommissariat Gewerbedelikte West erhalten hatten. Grund für das Verfahren: Benützen des öffentlichen Grundes ohne Bewilligung. Die beiden müssen nun innerhalb von zehn Tagen Stellung nehmen, dann geht der Fall ans Stadtrichteramt.

Beim Verfassen des Dokuments innert dreier Wochen musste die Stadtpolizei jedoch ihrem eigenen horrenden Tempo Tribut zollen. Adressiert war die Amtsschrift an «Giaccobo-Müller». Und der illegale Dreh soll sich laut Stapo am «ZSC-Lions Patz» zugetragen haben. Für die beiden Satiriker ein gefundenes Fressen. Da war erstens Giacobbo falsch geschrieben (mit zwei c statt mit zwei b). Zweitens verbinden sich die beiden in ihrer Satiresendung mit Schrägstrich und nicht mit einem Bindestrich wie verheiratete Paare. Dazu kommt der Patzer mit dem ZCS-Lions-Platz.

Giacobbo/Müller liefen am Sonntagabend im Kaufleuten zu Hochform auf – und die Stadtpolizei machte eine zunehmend schlechtere Falle. «Liebe Polizei, ich kenne niemanden, der sich so schreibt», sagte Giacobbo maliziös. Den «ZSC-Lions Patz» habe er bei Google und auf allen Stadtplänen gesucht – «aber einfach nicht gefunden». Und Mike Müller sagte im Stile des gestrengen Schullehrers: «Wir geben euch nun fünf Tage Zeit, das nochmals sauber abzutippen. Mit solchen formaljuristischen Böcken kommt ihr in Strassburg nicht durch.»

Fernsehen vermixt ZSC mit SCZ

Marco Cortesi, Medienchef der Stadtpolizei, hat sich am Sonntagabend während der Sendung «köstlich amüsiert», wie er sagt. Beim bürokratischen Irrlauf mit der Drehbewilligung habe sich das Schweizer Fernsehen aber mindestens ebenso ungeschickt angestellt. Das Fernsehen lud nämlich bei der Stadtpolizei fälschlicherweise das sechsseitige Formular für die Bewilligung einer Veranstaltung herunter – das sind Kaliber im Stile eines Züri-Fäschts oder des Sechseläutens. Das einfache Formular für Dreharbeiten hätte genügt. Zudem wollte das Fernsehen angeblich auf dem «SCZ- Lions Platz» filmen.

«Nachdem sich Giacobbo vor drei Wochen mit dem illegalen Dreh öffentlich gebrüstet hatte, mussten wir handeln», sagt Cortesi. «Wir müssen alle gleichbehandeln, auch das Schweizer Farbfernsehen.» Die Schreibfehler im amtlichen Verzeigungsvorhalt nimmt Cortesi auf die Kappe der Polizei. «Wir haben nun in unserem Korrekturprogramm den Namen Giacobbo gespeichert.» Die Anzeigeschrift hat Cortesi gestern nochmals fehlerfrei abgetippt – «und mit der Brieftaube an Giacobbo-Querstrich-Müller geschickt».

Giacobbo von Stadtpolizei verzeigt, weil das Fernsehen patzte

13. November 2012, Tages-Anzeiger, von Ruedi Baumann

Das Verfahren gegen das Schweizer Fernsehen wegen unbefugter Nutzung des öffentlichen Grundes ist Realsatire – und ein Beispiel für Bürokratiewildwuchs.Zürich […]

Kein Kabarettist ist so erfolgreich wie Viktor Giacobbo. Seine Figuren sind so bekannt wie er selbst. Ein Gespräch über das Bankgeheimnis, seinen Erfolg und weiblichen Humor.

Herr Giacobbo, worüber machen Sie keine Witze?

Ich mache über alles Witze, was bei mir einen komischen Impuls auslöst. Aber ich mache nicht alle Witze öffentlich. Witze sind ein wunderbares Stress- und Elendsbewältigungsmittel. Privat gibt es traurige Momente, die mit Komik abgebaut werden können – aber eben privat und nicht am TV.

Erzählen Sie uns einen Witz, den Sie am Fernsehen nicht bringen würden.

Ich erzähle lieber einen grenzwertigen, den Mike Müller und ich öffentlich gemacht haben. Nach dem tödlichen Autounfall von Jörg Haider sagten wir in der Sendung: Um unsere grössten Probleme zu bewältigen, brauchen wir in der Schweiz 60 Milliarden. In Österreich reichen 1,8 Promille.

Wo ziehen Sie persönlich die Grenze zwischen öffentlichen und nicht öffentlichen Witzen?

Es ist eine reine Bauchsache. Aber natürlich gibt es immer Leute, die sich beschweren. Die organisierten Christen sind besonders heikel. Gleichzeitig lassen sie uns jeweils wissen, wir hätten Glück, dass wir es nur mit ihnen zu tun hätten und nicht mit Muslimen. Die nämlich würden uns steinigen und auspeitschen. Als Christen seien sie dagegen so voller Nächstenliebe, dass sie so etwas nie tun würden.

Waren Sie schon als Kind ein Spassmacher?

Ich habe schon als Kind immer im falschen Moment absichtlich etwas gesagt, oft zum Verdruss meiner Mutter. Ich habe das, was sie über die Tante in deren Abwesenheit gesagt hatte, wiederholt, wenn die Tante anwesend war. So bekam ich ein erstes Gefühl für Satire.

In der Schule gibt es die Sportler, es gibt jene, welche die andern verprügeln…

…meine Bedeutung in der Klasse stieg erst, als das Reden wichtiger wurde.

Warum ist Viktor Giacobbo lustig?

Fragen Sie jemand anders. Vielleicht schätzen die Leute meine Mischung: Einerseits bin ich ein Satiriker, der von einem bestimmten Standpunkt aus Ereignisse oder Personen qualifiziert. Andererseits mag ich auch Klamauk. Es gibt ja Leute, die sagen: Die echte, wahre Satire findet in kleinen Kellertheatern statt und nicht im Massenmedium Fernsehen. Ich finde, dass man mit bewusst eingesetztem Klamauk durchaus auch Satire machen kann.

Das Duo Giacobbo/Müller funktioniert nach einem einfachen Muster: Da sind zwei, die benehmen sich wie «Dick und Schlau».

Man kann das salopp so sagen. Aber natürlich sind das Rollen, die wir spielen. Nach der Sendung hiess es in der Presse, Mike sei im Hinter- und ich im Vordergrund. Diese Analyse zeugt von wenig Sachverstand. Es geht darum, dass es interessanter ist, wenn mal der eine, mal der andere den Chef mimt. Das erzeugt Komik. Entscheidend ist, dass wir zusammen improvisieren können.

Wie viel an «Late Service public» ist Improvisation?

Es gibt keinen ausformulierten Text, und wir proben nicht wirklich. Wir üben nur den technischen Ablauf. Den vollen Text sprechen wir das erste Mal in der Sendung. Natürlich haben wir einen Spick, auf dem der Ablauf und die Stichworte stehen. Doch wer von beiden die Pointe bringt, ist nicht festgelegt. Das ergibt sich spontan. Wir haben also viele Möglichkeiten zum Improvisieren, aber auch zum Abstürzen.

Ihr Erfolg als Fernsehsatiriker begann 1990. Ihr Aufstieg verlief parallel zum Aufstieg der SVP. Ein Zufall?

Ein schöner Gedanke. Der Aufstieg der SVP hat dazu geführt, dass die öffentlich-politische Auseinandersetzung zackiger geworden ist. Dass man öfter die Sache beim Namen nennt, finde ich ganz erfrischend. Im Windschatten der SVP haben übrigens auch die anderen Parteien zugelegt – und eben auch die Satire.

Ihre liebsten Opfer sind SVPler. Ueli Maurer wurde von Ihnen jahrelang parodiert.

Das war vor allem wegen der Konstellation reizvoll: Die erfolgreichste Partei hatte einen Präsidenten, der nicht der Chef war. Da ist alles drin, was es für Komik braucht. Wobei wir das Ueli-der-Knecht-Image längst korrigiert haben. Schon im Spätprogramm musste Blocher Uelis Auto waschen.

Die grosse Zeit der SVP ist vorbei und Blocher nicht mehr so im Saft wie einst. Verschwinden damit Ihre besten Pointen?

Ich habe ein bisschen Mitleid mit Blocher – und bin selbst erstaunt über meine milden Gefühle. Ein alter Mann, der nicht loslassen kann und sich selber demontiert.

Sie verlieren Ihr dankbarstes Opfer.

Es gibt mehr als genug Stoff. Der Bundesrat liefert ihn ja frei Haus. Manchmal, wenn ich meine Steuern bezahle, denke ich: Ich zahle gerne. Es ist ja nur gerecht, wenn ich für all den Stoff etwas zurückgebe.

Sind Sie eigentlich noch ein Linker?

Natürlich kommen Satiriker in der Regel aus dem linken Lager. Aber es gibt auch unter den Linken Tendenzen, die ich unsäglich finde. Zum Beispiel müssen die Gewerkschaften aufpassen, dass sie nicht ins reaktionäre Lager abgleiten – das blüht ihnen, wenn sie sich noch länger gegen den Sonntagsverkauf oder gegen längere Ladenöffnungszeiten wehren.

Welche Partei wählen Sie?

Ich panaschiere. Es sind vor allem Sozis, Grüne und Freisinnige, die auf meiner Liste erscheinen.

Das Schweizer Bankgeheimnis ist gefallen, die Swissair längst weg und die UBS noch immer nicht über den Berg. Wird sich die Schweiz neu erfinden müssen?

Kein Land erfindet sich neu. Einige Länder, wie etwa die USA mit Obama, leisten sich zumindest eine bemerkenswert frische Regierung. Während wir uns an unserem nachbarlichen Lieblingsfeind Peer Steinbrück abarbeiten. Er mag ein arroganter Typ sein und sich im Ton vergriffen haben – Peer Steinbrück hat in der Sache jedoch Recht. Wie würden wir reagieren, wenn unsere reichsten Leute das Geld im Ausland verstecken statt hier versteuern würden? Leute, die überhaupt nicht vom Bankgeheimnis profitieren, verteidigen es. Das Bankgeheimnis ist wie das Rütli geworden – ein Mythos. Ich finde das absurd.

Was sonst soll die Schweiz sein wenn nicht das Land der Banken?

Das Land der Konkordanz! Hier kann niemand kommen und mit einem grossen Wurf etwas verändern. Es kann keinen Aufbruch geben, weil bereits alle starken Strömungen in der Regierung sind, zumindest alle grossen Parteien. Darum kann die Regierung ja auch nicht abgewählt werden. Und darum bewegt sich nicht viel.

Sie sehnen sich nach dem grossen Wurf und wollen die Konkordanz beerdigen?

Ich fände es gut, wenn ein Regierungschef oder eine Regierungschefin antreten und sagen würde: Jetzt machen wir es so und so. Und wir verwässern nicht alles mit hundert Vernehmlassungen.

In Interviews wirken Sie oft sehr kontrolliert bis gereizt. Langweilen Sie die Fragen der Journalisten derart?

Schöner Begriff: kontrollierte Gereiztheit. Manchmal habe ich das Gefühl, als würde ich seit zwanzig Jahren das gleiche Interview geben. Das ist nicht immer die Schuld der Journalisten, sondern liegt in der Natur der Sache. Hin und wieder erlebe ich jedoch, dass ich von Schülern interviewt werde. Und der Anteil der Fragen, die mir noch nie gestellt wurden, ist da viel höher als bei den Journalisten.

Auf die Gefahr hin, Sie mit einer alten Frage zu langweilen: Gibt es einen spezifischen Schweizer Humor?

Das glaube ich nicht. Klar, es gibt Pointen, die nur Schweizer verstehen. Ansonsten ist der Humor eher nach sozialen Schichten unterteilt als nach Landesgrenzen. Zumindest, wenn man sich mal auf Europa beschränkt. Chinesen und Japaner lachen offenbar tatsächlich über anderes als wir.

Ist die Herausforderung für Sie und Mike Müller, einen Humor zu produzieren, der schichtübergreifend ankommt?

Wir produzieren den Humor, den wir persönlich lustig finden. Wir betreiben da keine Witzmarktforschung. Die grösste Freude ist dann, wenn das Publikum unseren Geschmack teilt.

In Ihrer Sendung wirkt es, als ob Rechte besser über sich selber lachen könnten als Linke.

Linke neigen stärker zum Moralisieren, und damit haben sie ein etwas schwieriges Verhältnis zur Selbstironie. Linke glauben, sie stünden immer auf der richtigen Seite, weshalb es keinen Grund gebe, über sie Witze zu machen.

Sind Frauen weniger lustig als Männer?

So generell kann man das nicht sagen. Aber es ist leider eine Tatsache, dass es viel weniger Komikerinnen gibt als Komiker. Allerdings hatten wir witzige weibliche Talkgäste: Bea Tschanz, Ursula Haller, Therese Frösch…

In Kontaktanzeigen wird oft ein humorvoller Mann gesucht, aber kaum je eine humorvolle Frau. Konsumieren Frauen Humor, während Männer ihn produzieren?

Vor allem muss ich sagen: Es gibt nichts Schlimmeres als eine humorlose Partnerin. Frauen produzieren nicht weniger Humor, sondern einen anderen. Der männliche Humor ist offensiver und aggressiver und wohl daher für die Bühne geeigneter. In unserer Sendung gibt es Elemente, von denen wir wissen, dass sie bei Männern besser ankommen. Ich denke vor allem an Boppeler und Stark, die beiden «gruusigen Siechen», die wir einfach sehr gerne spielen. Andererseits gefällt es den Zuschauerinnen besser, wenn Mike und ich uns wegen des Gewichts oder des Alters anzünden.

In jüngster Zeit kam es zu Ereignissen, die skurriler waren als jede Satire. Ein Behälter mit Schweinegrippenviren, der im Intercity explodiert…

…oder ein Fussballklub, der auf einen 300-Millionen-Spender hereinfällt…

Stellt die Realität die Satire in den Schatten?

Manchmal hat man als Satiriker wirklich gar nicht viel anzufügen. In der letzten Sendung sagten wir, die kürzeste Pointe der Woche heisse: GC. Das Gute an der Realsatire ist: Sie schärft die Sensibilität für Komik im Alltag. Und genau diese Komik ist ja unser satirisches Thema.

Ist man als Satiriker von Berufs wegen ein Pessimist?

Ich stehe eher auf der pessimistischen Seite – wie die meisten Satiriker, die ich kenne. Mir fällt es schwer zu glauben, dass sich die Menschheit positiv entwickeln wird. Ich glaube, dass gewisse globale Probleme immer grösser werden.

Bis alles zusammenbricht?

Keine Ahnung, ich hoffe, dass ich es nicht mehr erlebe.

«Ich habe ein bisschen Mitleid mit Blocher»

9. Mai 2009, Tages-Anzeiger, von Alain Zucker, von Hannes Nussbaumer

Kein Kabarettist ist so erfolgreich wie Viktor Giacobbo. Seine Figuren sind so bekannt wie er selbst. Ein Gespräch über das […]

Der neue Bundesrat ist für Viktor Giacobbo ein Glücksfall. Ueli Maurer habe Ecken und Kanten sowie exzentrische Hobbys. Das macht ihn für die Satire attraktiv.

Viktor Giacobbo, freuen Sie sich über die Wahl von Ueli Maurer?

Ich habe mich noch bei keiner Bundesratswahl wirklich gefreut. Wer die Konkordanz will, musste Ueli Maurer wählen – oder noch besser Christoph Blocher. Persönlich finde ich die Konkordanz ein Auslaufmodell, das nicht mehr richtig funktioniert. Wir sind ja das einzige Land auf der Welt, das keine Regierung hat, sondern nochmals ein Parlament über das eigentliche Parlament stellt. So sitzen die grössten politischen Gegner miteinander im Bundesrat und müssen so tun, als ob sie Kollegen wären.

Und aus satirischer Sicht? Hat sich der Wechsel von Samuel Schmid zu Ueli Maurer gelohnt?

Natürlich ist das gut für jenen, der Ueli Maurer parodiert. Aber das ist unwesentlich an einem solchen Tag.

Warum eignet sich denn Ueli Maurer besonders gut für die Satire?

Weil er Ecken und Kanten hat. Dazu kommen seine leicht exzentrischen Hobbys: Er kaut Gräser und klettert auf Bäume. Ich finde Ueli Maurer cool. Man hat den Eindruck, der ganze Zirkus pralle an ihm ab.

Sie mögen also Ueli Maurer?

Politisch weniger, als Person durchaus. Wenn immer wir uns begegnet sind, konnten wir sehr gut miteinander reden. Er hatte seinerzeit auch einen tollen Auftritt im «Spätprogramm».

Maurer sagte kürzlich, Sie würden sich auf Kosten anderer lustig machen. Das sei ein armseliger Job. Aber jeder lebe nun einmal von dem, was er am besten könne.

Er sagte auch, ich müsse mich nicht entschuldigen. Das gehöre zu meinem Job. Daneben hat er mir noch eins ausgewischt. Das ist doch lustig. Im Übrigen muss er jetzt beweisen, ob er wirklich am besten kann, wovon er nun drei Jahre lebt.

Sie haben Maurer lange als Blochers Knecht karikiert. Jetzt ist er Bundesrat, und Ihre Figur steht in der falschen Ecke.

Das ist das Problem der Journalisten. Die schreiben immer wieder, ich hätte Ueli Maurer als Knecht dargestellt. Obwohl wir das seit etwa sechs Jahren nicht mehr tun. Wir zeigten ihn auch schon, wie er Blocher sagte: Wasch mein Auto! Komischerweise scheint aber die Parodie am Anfang prägend zu sein. Diesen Eindruck kann man fast nicht mehr ändern.

In letzter Zeit sah man Ueli Maurer in Ihrer Sendung weniger.

Ich neige dazu, eine Figur zurückzustellen, wenn sie stark gefragt ist. Das habe ich auch bei Harry Hasler gemacht – obwohl dieser nun nicht Bundesrat geworden ist.

Wird Maurer jetzt, da er Bundesrat ist, bei «Giacobbo/Müller» wieder mehr in Erscheinung treten?

Keine Ahnung. Wir machen unsere Sendung von Woche zu Woche.

Also wäre er am nächsten Sonntag doch aktuell?

Das wäre er auch am vergangenen Sonntag gewesen, ohne dass wir ihn gebracht hätten. Wir machen nur, was wir wollen. Und wir bürsten gerne gegen den Strich.

Viktor Giacobbo: «Ich finde Ueli Maurer cool»

11. Dezember 2008, Tages-Anzeiger, von Iwan Städler

Der neue Bundesrat ist für Viktor Giacobbo ein Glücksfall. Ueli Maurer habe Ecken und Kanten sowie exzentrische Hobbys. Das macht […]

633’000 Personen sahen am Sonntag die Satiresendung Giacobbo / Müller – so viele wie noch nie.

Bei der allerersten Sendung im Januar hatten Giacobbo / Müller 619’000 Zuschauer, später pendelten sich die Quoten bei rund einer halben Million ein. Jetzt, in der zweiten Staffel, erreichen die beiden Komiker neue Rekordwerte. Am Sonntag schalteten 633’000 Personen die Sendung ein. Der Marktanteil betrug 45,7 Prozent, das heisst, dass knapp die Hälfte aller aktiven TV-Zuschauern zu jener Zeit SF 1 eingeschaltet hatten. «Es ist sensationell, dass eine Sendung um diese Zeit solche Zuschauerzahlen erreicht», sagt Pressesprecher David Affentranger. Dass die Giacobbo / Müller nach dem Erfolg einen Platz im Hauptabendprogramm erhalte, sei aber unwahrscheinlich. «Der Sendeplatz ist genau richtig», meint er.

Rekordquote für Giacobbo / Müller

4. November 2008, Tages-Anzeiger

633’000 Personen sahen am Sonntag die Satiresendung Giacobbo / Müller – so viele wie noch nie. Bei der allerersten Sendung […]

Originaltitel: Die Qualität der Qualitätsdebatte

Beim Thema „Qualität des Fernsehens“ erfasst mich für gewöhnlich eine plötzliche psychosomatische Müdigkeit. Denn es handelt sich hier zwar nicht gerade um ein sich selbst zerstörendes, aber bestimmt um ein sich selbst beantwortendes Thema. Schliesslich wird Fernsehen ja durchwegs mit schlechter und nicht mit guter Qualität konnotiert.

Was kürzlich an der Fernsehpreisverleihung in Deutschland ablief, war typisch für dieses ewige Gejammer: Ein bildungsbürgerlicher Fernsehverächter, in diesem Fall Marcel Reich-Ranicki, lässt sich über ein Medium aus, das ihm zutiefst fremd ist und das er deshalb auch nicht kennt. (Dass er sich für einen Fernsehpreis nominieren lässt und erst bei der Verleihung merkt, an welch schwachsinniger Veranstaltung er teilnimmt, bestätigt seine Unkenntnis.)

Natürlich heisst das nicht, dass er komplett unrecht hat. Natürlich ist Fernsehen (auch) ein ärgerliches Schrottmedium, zuweilen nicht nur eine Beleidigung für jeden von uns, die wir ja alle über einen inneren Reich-Ranicki verfügen, sondern für jene, die irgendwas mit den Begriffen Würde oder Stil anfangen können. Jedoch – ist diese Erkenntnis für irgend jemanden neu? Nee, weder für den fernsehsüchtigen Analphabeten noch für den Gross-Feuilletonisten. Für alle, vom White Trash über den bewusst massvollen Fernsehzuschauer und den verzweifelt nach einem Thema suchenden Kolumnisten bis zum elitären Kulturschaffenden, der bei jedem Vernissage-Smalltalk stolz anfügt: Ich habe gar keinen Fernseher – für alle diejenigen ist „das Fernsehen“ ein beliebt-bewährtes Schmähobjekt. In der Schweiz sagt man häufig anstelle von „das Fernsehen“ auch „Leutschenbach“, früher der Name eines unschuldigen Vorortbaches, heute eine abfällige Bezeichnung für biederes Staatsfernsehen.

Dabei wundere ich mich manchmal, mit welcher Elle gemessen wird, und vor allem, wer diese Elle anlegt. Häufig ist das die, sagen wir mal freundlich semi-professionelle Fernsehkritik in den Printmedien, meist verfasst von Leuten, deren Qualifikation für diese Tätigkeit darin besteht, dass sie einen Fernseher besitzen. Während für alle andern Sparten wie beispielsweise Oper, Wirtschaft oder Sport primäres Grundwissen verlangt, ja als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird, ist die Fernsehkritik sowas von brutal radikaldemokratisch: jeder, der will, darf. Manchmal auch jeder, der woanders nicht mehr kann, darf hier noch lange, und zwar unbeleckt von Sachkenntnis. Und hier wäre mal eine Debatte über die Qualität der Qualitätsdebatte sehr interessant. Doch das ist erst mal eine Metaebene zuviel.

Fernsehen ist halt immer Boulevard, und zwar nicht nur bei Unterhaltungssendungen für die Masse. Der immanente Zwang zur Bebilderung wirkt in manchen Bereichen rührend hilflos oder unfreiwillig komisch. Etwa bei den unter dem Label Kultursendung laufenden Geschichtsmagazinen, wo drittklassige Darsteller römische Feldherren mimen. Schön grotesk auch Literaturdiskussionen, in denen Germanistik-Cracks alles dafür tun, um zu verschleiern, dass sie im Fernsehen sind. Trotzdem findet man in dieser riesigen bunten Kiste namens Fernsehen echte Trouvaillen – Dokumentarfilme, Magazine, Serien, Diskussionssendungen, die den Qualitätsvergleich mit den so seriösen Printmedien nicht zu scheuen brauchen. Schrott ist in jedem Medium zu haben, im Fernsehen ist er einfach besonders schön gelackt, deswegen aber nicht verwerflicher als die aufgegossenen Brangelina-Paris-Hilton-News, die der Tages-Anzeiger auf seiner Kehrseite mit dreitägiger Verspätung publiziert.

Weshalb nun eigentlich die permanente Aufregung übers Fernsehen? Wie kommt es, dass die „Arena“ seit Jahren als Brüllshow bezeichnet wird, obwohl ich dort wirklich selten jemanden habe brüllen hören? Neidisch, weil diese Art der politischen Auseinandersetzung halt eben nur im Medium Fernsehen möglich ist (unabhängig von vielen dürftigen Voten, die man ja nicht ernsthaft dem Überbringer anlasten kann)? Weshalb führen sonst ganz vernünftige Leute über Jahre hyperventillierend eine aufgeregte Debatte über die Qualität einer Wettersendung, nur weil diese auf einem Hausdach produziert wird? Weil kein anderes Medium dermassen ordinär in die Wohnung des Zuschauers platzt. Und seltsamerweise auch in die Wohnung jener, die zwar gar nie Fernseh gucken, aber trotzdem schon immer und auch in Zukunft öffentlich den Oechslegrad der Fernsehqualität bestimmen wollen.

(Dies ist die Originalversion des Artikels, bevor er von der TA-Redaktion konfektioniert worden ist… V.G.)

In der bunten Kiste finden sich Schrott und Perlen

29. Oktober 2008, Tages-Anzeiger

Originaltitel: Die Qualität der Qualitätsdebatte Beim Thema „Qualität des Fernsehens“ erfasst mich für gewöhnlich eine plötzliche psychosomatische Müdigkeit. Denn es […]

Grosse Erwartungen, erster Jubel. Trotzdem: Die Premiere von «Late Service Public», der neuen Satiresendung von Viktor Giacobbo und Mike Müller, ist missglückt.

Die Nervosität war ihnen anzumerken. Aber die Erwartungen waren hoch gewesen, nicht zuletzt ihre eigenen. Seit Viktor Giacobbo angekündigt hatte, nach fünf Jahren wieder eine Satiresendung fürs Fernsehen zu machen, hatte man sich über die Rückkehr eines Komikers gefreut, der viel Verschiedenes kann.

Giacobbo hat als Schauspieler ein gutes Dutzend von Figuren entwickelt, die noch bekannter wurden als er selber. Als Conférencier überzeugte er mit einer Selbstironie, bei der die Pointen fast absichtslos aus ihm herauskullerten. Und als Interviewer brillierte er im Streitgespräch mit wechselnden Gästen, vorzugsweise Politikerinnen und Politikern, denen er kompetent und schlagfertig nachsetzte.

So etwas wie ein Gespräch

Weil er aber nicht mehr dasselbe machen wollte, versucht Giacobbo es diesmal anders, wie schon der umständliche Titel der neuen Sendung klar macht. « Giacobbo /Müller, Late Service Public», als satirischer Wochenrückblick angelegt, wird im Duett verabreicht. Dazu hat sich Viktor Giacobbo den Schauspieler Mike Müller geholt, ein komisches Talent auch er. So sitzen die beiden nebeneinander am Pult und reden lustig über das, was in der letzten Woche so passiert ist. Dann stossen ein paar Gäste hinzu, dazwischen gibt es Sketche, etwas Musik, und das wars.

Aber das reicht so nicht: Die Premiere der neuen Satiresendung ist missglückt. Das liegt einerseits am Material, vor allem aber am Konzept. Angestrengt versuchen die beiden Protagonisten, aus einstudierten Abläufen so etwas wie Gespräch entstehen zu lassen. Nacheinander deklinieren sie die Bankenkrise, das WEF, die Vorgänge im Zürcher Sozialamt, die katholische Kirche und ihre Pädophilen und Sarkozy mit seiner Bruni. Nur reden Giacobbo und Müller dermassen schwerfällig aufeinander ein, dass man dauernd die Ausrufezeichen blinken sieht, wo eine Pointe sitzen sollte. Als Gespräch funktioniert das nicht, weil kein Gespräch zu Stande kommt. Als einstudierte Satire genügt es nicht, weil die Satire zu wenig lustig ist. Das Timing stimmt nicht, die Pointen bleiben absehbar, überhaupt dauert alles viel zu lange.

Dann kommen die Gäste, und mit ihnen neue Probleme. Zwar findet das Moderatorenpaar zwanglos zu neuen Rollen: Müller regrediert auf witzige Weise zum Knecht, während Giacobbo im ironischen Gespräch mit den Eingeladenen das tut, was er am besten kann. Leider haben sich die beiden für ihre Premiere die Falschen ausgesucht. Etwa den Berner Satiriker Andreas Thiel, der als Komiker gegen alles antritt, was sich links von ihm noch rotgrün rührt. Statt über die Rechte loszuziehen, macht sich der Nachgeborene über die Linke her, oder in seinen Worten: «über eine Sozialdemokratie als staatlicher Vormundschaftsbehörde». Dazu hätte er allen Grund. Nur geht Thiel dabei dermassen klischiert vor, dass er exakt jene Selbstgerechtigkeit produziert, gegen die er satirisch angetreten war. Bloss mit umgekehrten Vorzeichen.

Als ersten Politiker haben sich Giacobbo und Müller den freisinnigen Nationalrat Otto Ineichen ausgewählt, und auch den hätten sie lieber bleiben lassen sollen. Ineichen redet manchmal schneller, als er denkt, und als er in den Saal hinausruft, dass alle Parteien im Moment zu Führerparteien würden und hart geführt werden müssten, wünschte man sich, jemand würde den wackeren Unternehmer vor sich selber schützen. Es stösst dann noch ein Jungunternehmer zur Runde, der das Handy mit Google verbinden möchte und artig Werbung für sich selber macht. Aber kaum kommt das Gespräch halbwegs zu Stande, ist die Zeit schon um.

Dennoch zwei Höhepunkte

Was auch alles missriet an diesem ersten Abend: Vieles lässt sich korrigieren, die angestrengte Doppelmoderation wäre das Erste. Im Übrigen hatte die Sendung durchaus ihre Höhepunkte, vornehmlich deren zwei. Nämlich Peter Tate, der als lakonischer Brite mit Gitarre für Musik und Kommentare sorgte. Und Fabian Unteregger, der in einem Sketch brillant den SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli parodierte – auch dieser ein Einwegsatiriker, der Komik immer nur bei den Gegnern sucht.

Das zumindest wird man den Gastgebern nicht vorwerfen können. Ihr Problem ist eher, dass man sie noch nicht so lustig findet wie sie einander.

Wo die Pointen sitzen sollten, blinken angestrengt die Ausrufezeichen

29. Januar 2008, Tages-Anzeiger, von Jean-Martin Büttner

Grosse Erwartungen, erster Jubel. Trotzdem: Die Premiere von «Late Service Public», der neuen Satiresendung von Viktor Giacobbo und Mike Müller, […]

Zehn Jahre lang haben Viktor Giacobbo und Lorenz Keiser für den TA Satiren geschrieben. Jetzt gehen auch sie in die Opposition. Ein Werkstattgespräch zum Abschied.

 

Christoph Blocher ist nicht mehr, jedenfalls nicht mehr Bundesrat. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von seiner Abwahl erfuhren?

Viktor Giacobbo: Ich war verblüfft. Ich hatte immer gedacht, in diesem Land bewegt sich sowieso nichts, jedenfalls nicht politisch. Freudensprünge habe ich deswegen keine gemacht – auch wenn der Messias gegangen ist, bevor er, gemäss seinem Bruder, den ganzen Berner Sauladen ausgemistet hat.

Droht den Satirikern jetzt Konkurrenz, weil alle sich ihre Blocherwitze selber basteln?

Lorenz Keiser: Ich habe da keine Angst. Von der Abwahl war ich ebenso überrascht wie Viktor. Ich hätte das diesem Land gar nicht zugetraut. Das sind die Früchte von «Big Brother» und «MusicStar»: Abwählen statt Wählen. Mein zweiter Gedanke war ziemlich egoistisch: Mist, jetzt muss ich mein Programm für den Abend umschreiben. Man sieht also: Blochers Abwahl ist für Satiriker weit dramatischer als für ihn selber.

Giacobbo: Und noch dramatischer für seine Frau Silvia.

Keiser: Klar, weil ihr Mann jetzt immer daheim ist!?

Alle sind auf Blocher fixiert, allen voran wir Journalisten. Soll das jetzt vier Jahre so weitergehen? Viele Leser schreiben uns, sie könnten es nicht mehr hören.

Giacobbo: Das geht mir genau so, aber er hat eben viel zu bieten. Es gibt keinen Politiker in der Schweiz, der so gut unterhält, und nur wenige, die beim Ärgern der Gegner so echt wirken. Es macht immer Spass, mit ihm zu streiten.

Keiser: Er bringt eben viel zu Stande. Er ist zum Beispiel der Erste, der von der Ausländerkriminalität geredet hat, während die Ausländer sie immer nur begingen.

Ist ein Regierungssystem mit Opposition lustiger als eine Konkordanzregierung?

Giacobbo: Klar, keine Frage. Ich bin gespannt, wie zum Beispiel Christoph Mörgeli und Ulrich Giezendanner jetzt über Anstand debattieren werden.

Keiser: Vielleicht zieht sich die SVP zu einer Mediation zurück wie damals die SP unter Ursula Koch, um die eigenen Bäuche wieder zu spüren. Als sie noch einen Bundesrat hatten, sagte die SVP, Samuel Schmid sei nur ein halber SVP-Bundesrat. Jetzt haben sie zwei Bundesräte und sagen, sie haben gar keinen. In vier Jahre werden sie vier Bundesräte haben und sagen, sie hätten minus zwei. Ich frage mich, was die für Drogen nehmen.

Da sich so viele über Blochers Abwahl freuen, müssten Sie ihn jetzt in den Bundesrat zurückreden.

Giacobbo: Was mich viel mehr irritiert: Niemand stellt die Konkordanz in Frage, nicht einmal die SVP. Offenbar ist die über alle Gräben und Jahrzehnte hinweg immer noch heilig.

Keiser: Auch jetzt ist im Grunde etwas sehr Konkordantes passiert: Wenn einer in der Schweiz den Grind zu sehr heraushält, ist es aus mit ihm.

Wer ist der beste Witzlieferant der Schweizer Politik?

Giacobbo: Das bleibt trotz allem eben wieder Blocher; schon weil er selber hin und wieder einen erzählt.

Keiser: Nein, nicht deshalb, sondern weil er hinsteht und sagt, ich mache das und stehe dazu – auch wenn er mit dem, was er behauptet, völlig danebenliegt. Was Satiriker mit Politikern verbindet: dass sie beide offenen Auges in den Abgrund laufen. Der Unterschied liegt darin, dass Satiriker daran noch verdienen.

Giacobbo: Wobei mir immer etwas unwohl wird, wenn ich über den Politiker als Gattung Witze mache – gerade weil ich weiss, dass ich damit einen Lacher auf sicher habe.

Was ist mit den neu gewählten Jungpolitikern: Besteht da Hoffnung auf Ersatz?

Giacobbo: Im Gegenteil. Ich habe die Eröffnungsrede von SVP-Nationalrat Lukas Reimann, dem jüngsten Parlamentarier, ein paar Leuten vorgespielt. Die dachten beim Anhören alle, da habe der Alterspräsident über den Aktivdienst geredet.

Um über jemanden herzuziehen, muss er also etwas hergeben?

Keiser: Das Problem ist, dass die Schweizer nicht mehr als zehn bekannte Figuren im Kopf haben, von denen sie einigermassen wissen, wofür sie stehen. Deshalb ist hier zu Lande auch nie jemand an etwas schuld. Das war das Schöne am Grounding der Swissair, da konnte man wunderbar über die Freisinnigen herziehen.

Giacobbo: Dafür geben heute die Wirtschaftsführer einiges her, da muss man dankbar sein.

Christoph Blocher hört nach vier Jahren auf, Sie nach acht beziehungsweise zehn Jahren, zumindest als Kolumnenschreiber für unsere Zeitung. Warum?

Keiser: Man kann das nicht ewig machen. Ich habe gemerkt, dass ich mich zu wiederholen begann. Immerhin habe ich viele Gratulationsschreiben erhalten, weil ich aufhöre. Es gibt Leser, die mir schrieben: «Nachdem ich die Kolumne zehn Jahre lesen musste, haben Sie endlich eingesehen, dass Sie es nicht können.»

Man ist also begeistert, dass Sie nach zehn Jahren voller Fehler etwas richtig gemacht haben?

Giacobbo: Es gibt in unserem Beruf immer die gleichen Reaktionen – egal ob man aufhört oder anfängt.

Keiser: Ja, wenn du anfängst, etwas machst oder aufhörst: Es gibt immer Gratulationsschreiben!

Giacobbo: Ein schöner Beruf!

Für Ihr Honorar mussten Sie lange Jahre auf Befehl lustig sein. Wie funktioniert das eigentlich, wenn man gerade eine Krise hat, Fieber oder Liebeskummer?

Giacobbo: Manchmal entkommst du deinem Tief gerade dadurch. Am Anfang denkst du, du schaffst es nie. Doch dann geht es dir gerade dadurch besser.

Frage an Lorenz Keiser: Stimmt das für Sie auch? Es muss doch sehr schwierig gewesen sein, als Ihr Vater starb.

Keiser: Ja, da hab ich keine Kolumne geschrieben. Ich hab nicht von Anfang an gesagt, jetzt mache ichs nicht. Ich habe mich hingesetzt, habe es probiert und gemerkt: Jetzt will ich wirklich nicht. Das war aber das einzige Mal. In anderen schwierigen Momenten ging es mir gleich wie Viktor.

Giacobbo: Ich habe ein paar meiner besten Sketches gemacht, als ich mich in einem Tief befand. Ich erinnere mich an eine Szene, wo mir hundsmies zu Mute war – und ich gerade als Ueli Maurer geschminkt war. Als ich in den Spiegel schaute, ging es mir besser, weil die Aussicht aufs Abschminken etwas Tröstliches hatte.

Keiser: Ha! Der weinende Clown.

Giacobbo: Nein, der weinende Clown trennt das nicht, der zelebriert es. Und das geht mir unglaublich auf den Wecker.

Zurück zur Politik. Bis in die Neunzigerjahre hinein hatte die Linke die Lufthoheit über die Satire. Jetzt dominiert die Rechte die Agenda, die Kameras und sogar den Witz – wenigstens zum Teil, und meistens auf die höhnische Art.

Giacobbo: Die Linke war früher genauso höhnisch. Dass das nun auch die Rechte macht, ist für die Linke einfach ungewohnt.

Keiser: Ja, zu Anfang meiner Karriere wurde ich noch beinahe gelyncht, weil ich auch über Linke Witze machte. Die nannte mich damals «das schlimmste Arschloch». Natürlich ist es etwas anderes, wenn du von rechts oben Witze machst als von links unten. Aber höhnisch sind wir bei Gelegenheit alle; ich auch.

Die Erfahrung im Parlament lehrt, dass linke Parlamentarier weniger Kritik ertragen und auch weniger Humor haben als rechte.

Giacobbo: Leider ist das so. Es betrifft nicht alle, aber doch einige. Dabei könnte die Linke statt Dauerempörung etwas mehr Witz und Gelassenheit brauchen. Und damit viel mehr Wirkung erzielen.

Gibt es einen Unterschied zwischen linkem und rechtem Humor?

Keiser: Nein. Eine Pointe ist lustig oder eben nicht.

Ist Humor wirklich eine so grossartige Eigenschaft? Warum erwähnt man ihn in jedem zweiten Heiratsinserat?

Giacobbo: Mit Humor räumt man grausam bei den Frauen ab.

Stimmt das? Ist es nicht eher so, dass die Frau lacht und dann allein nach Haus geht?

Keiser: Genau so ist es.

Giacobbo: Ja. Sie lachen selbst dann noch, wenn man sie gar nicht mehr zum Lachen bringen will.

Keiser: Entweder man hat Muskeln – oder Humor. Das gilt bei Prügeleien auf dem Pausenhof oder bei der Verführung von Angelina Jolie.

Verhaltensforscher sagen, das Lachen sei eine stilisierte Zubeissbewegung. Bei Mörgeli kann man das gut studieren.

Giacobbo: Eine gewisse Aggressivität braucht es schon, um Witze zu machen. Es muss dir etwas auf die Nerven gehen.

Mörgeli behauptet, Satire müsse verletzen.

Giacobbo: Sie kann, muss aber nicht. Wer mit seinen Pointen nur verletzen will, bewirkt unweigerlich, dass die Stimmung umschlägt und die Leute Mitleid haben.

Der deutsche Satiriker Robert Gernhardt schrieb, dass alle populäre Kunst eigentlich auf der Jagd sei nach Körperflüssigkeiten: Beim Liebesroman flös-sen Tränen, beim Krimi Schweiss, beim Porno Sperma und beim Humor der unfreiwillig abgegebener Urin. Waren Sie dabei erfolgreich?

Giacobbo: Also bei einer früheren Show, damals mit «Harul’s Top Service», ist sogar jemand gestorben. Die Leute haben so gelacht, dass ein Mann einen Schwächeanfall erlitt. Man trug ihn raus, und er starb.

Wäre das auch für Sie ein guter Tod?

Giacobbo: Kein schlechter Tod, denke ich . . .

Keiser: . . . vor allem, wenn du vorher noch den Witz verstanden hast.

Giacobbo: Das gilt auch für das Ende von Fernsehsendungen. Bei «Viktors Spätprogramm» habe ich aufgehört, als wir auf dem Höhepunkt waren – von der Beliebtheit her, der Einschaltquote und so.

Hatten Sie nie ein schlechtes Gewissen, zu weit gegangen zu sein?

Giacobbo: Nicht wirklich. Vielleicht damals, als ich hörte, dass man die Kinder von Ueli Maurer angepöbelt hat – obwohl ich wusste, das das nicht direkt meine Verantwortung war. Eigentlich bin ich ein sehr versöhnungsbedürftiger Mensch, ich bekomme schnell Mitleid mit jemandem. Und bei Politikern lasse ich gerne von ihnen ab, bevor die dritte und vierte Liga Gratiswitze über sie macht.

Ist nicht die beste politische Satire gerade jene, die missverstanden wird?

Keiser: Das klingt ein wenig nach der Forderung, ein Satiriker müsse die wahren Abgründe erkennen lassen. Ich kenne diese wahren Abgründe, weil ich sie auf der Bühne erlebe. Ich mache einen kritischen Text über die Idiotie, Wehrmännern Sturmgewehre heimzugeben, und dann wird an der Bushaltestelle ein 16-jähriges Mädchen erschossen. Ich kann nur sagen: Das ist gar nicht lustig.

Wir dachten eher an echte Scherze, die dermassen hinterhältig sind, dass sie das Publikum schockieren.

Keiser: Du darfst dir keine Illusionen machen, dass es auch nur fünf Leute im Publikum gibt, die das dann verstehen.

Giacobbo: Dazu kommt, dass man solche Schocks relativ leicht erzeugen kann – den Weihnachtsmann ans Kreuz nageln und so weiter. Da kommt grosse Empörung auf, sicher. Aber das ist nicht wirklich lustig. Mir gefallen Dinge, die einfach passieren. Etwa als Patrick Frey im Fernsehen eine ironische Nationalhymne auf Ogi sang, Armeechef Christoph Keckeis aufstand und salutierte – und mit ihm das ganze Publikum.

Kollegen von Ihnen wie Emil Steinberger oder Frank Baumann behaupten, es gäbe in der Schweiz keine Satire, weil die Political Correctness alles ersticke.

Giacobbo: So ein Seich. Heute weiss jeder Provinzkabarettist, dass er gegen die Political Correctness verstossen muss.

Also gibt es gar keine politische Korrektheit mehr, gegen die man antreten kann?

Keiser: Das ist doch eine endlose Zeit her. Das war am Ende der Achtzigerjahre, als die Frauen permanent ihre Doppelnamen vorführten. Nussbaum-Gandolfi.

Giacobbo: Oder Gämperli-Rodriguez.

Es gibt das Wort von Mel Brooks, der sagte, dass man auch die Schwarzen, die Juden, die Männer, die Frauen und die Blinden verspotten müsse. Seine Begründung war, dass sie leiden würden wie alle anderen Menschen.

Keiser: Ja. Es darf keine Schonung von Minderheiten geben, keinen Opferschutz. Vor allem wenn sie keine Minderheiten mehr sind. Etwa die Ausländer in der Schweiz – die sind bald die Mehrheit. Erst wenn man über jemanden Witze macht, nimmt man ihn für voll.

Gibt es so etwas wie einen Schweizer Humor? Laut einer Untersuchung neigen Franzosen zum Genitalen, während Deutsche den analen Humor bevorzugen. Liegen die Schweizer irgendwo in der Mitte?

Giacobbo: Gewiss eine interessante Position: die genital-anale Mitte. Aber Humor hat eher soziale und weniger nationale Grenzen.

Keiser: Soll ich jetzt etwas Vaginales sagen?

Giacobbo: Ja, bitte.

Keiser: Also –

Wir danken für dieses Gespräch.

«Soll ich jetzt etwas Vaginales sagen?» – «Ja, bitte.»

28. Dezember 2007, Tages-Anzeiger, von Constantin Seibt, von Jean-Martin Büttner

Zehn Jahre lang haben Viktor Giacobbo und Lorenz Keiser für den TA Satiren geschrieben. Jetzt gehen auch sie in die […]

In zwei Tagen ist er endlich vorbei, der teuerste, schärfste, härteste, ja brutalste Wahlkampf aller Zeiten. Vor der internationalen Gemeinschaft präsentiert sich die Schweiz als ein zerrissenes Land, das am Rande des Nervenzusammenbruchs an der Urne entscheidet, ob die Nazis oder die Grünen die Macht in Bern übernehmen werden. Eine Karikatur, in der ein Schweizerkreuz zum Hakenkreuz wird, erscheint in der «New York Times», in einem Land also, wo man bisher meinte, bei uns heisse der König von Schweden Roger Federer. Jetzt kennen sie einen weiteren Schweizer, nämlich Christoph Blocher (an Christoph Meili erinnern sie sich nur noch schwach), verwechseln den Justizminister mit Ahmadinejad, wo er doch nichts anderes als eine helvetische Mutation von Dick Cheney ist.

Dummerweise realisiert das aufgeschreckte Ausland nicht, dass bei uns ein nationaler Wahlkampf so was wie eine gigantische Freilichtaufführung ist, deren ewig gleicher Ausgang alle Schweizer von vorneherein kennen. Denn, ehrlich, gibt es irgendeine wahlberechtigte Person, die nicht mit 98-prozentiger Sicherheit weiss, wie die Regierung, das heisst das zankende Miniparlament, das wir Bundesrat nennen, nach den Wahlen aussehen wird? Nämlich: fünf Bürgerliche und zwei Sozis. Wie die dann genau heissen – who cares?

Trotz gegenseitiger Ausschlussdrohungen von SP und SVP ist die Konkordanz längst chronisch geworden. Fünfzig Jahre Wahlen und gleich bleibende Regierungszusammensetzung – so was schafft ausser uns nur China. Übrigens: Zurzeit weilt eine Delegation der OSZE als Wahlbeobachter in der Schweiz. Sollten Sie einem Delegationsmitglied begegnen, sagen Sie ihm auf keinen Fall, dass Sie den Wahlausgang schon kennen. Sonst argwöhnt er, dass es in unserem politischen System nicht mit demokratischen Dingen zugeht.

Ausländische Medien beobachten unser Land zurzeit scharf. Doch leider entgehen ihnen dabei die echten Sorgen und Nöte der Bevölkerung. Deren drängendste Probleme brachte vor ein paar Tagen ein Artikel im «Tages-Anzeiger» (die Zeitung, in der auch diese Kolumne erscheint) auf den Punkt: Laut Bundesamt für Umwelt ist die mangelnde Ordnung im Wald, also herumliegende Bäume und Äste, die «mit Abstand am häufigsten geäusserte Kritik». Weder Klima noch Ausländer noch Flat Tax noch Minarette noch Komplotte, sondern der unordentliche Wald beschäftigt das Volk – ein Fact, den Claude Longchamp in seinen Prognosen fahrlässig ignoriert! Im erwähnten Artikel sagt ein Forstbeamter, «das Waldbild vieler Leute» sei «von den 60er-Jahren geprägt» und sie gingen «mit einem statischen Bild vor Augen durch den Wald».

Nun, sie gehen ja auch mit demselben statischen Bild durch die Wahlen, und zwar seit mindestens den 60er-Jahren. Zugegeben, ein Volk ist schwer zu regieren, dessen Waldbild sich nicht vom Weltbild unterscheidet. Stossend ist trotzdem, dass keine einzige Partei dieses Anliegen aufgegriffen hat und fordert, den Waldboden von unreinlichem Holz zu befreien und mit abwaschbaren Kacheln auszulegen. Doch wer will so was von denselben Parteien erwarten, die sich in den nächsten vier Jahren wieder streitend durch das Dickicht der Konkordanz kämpfen werden, statt endlich damit Kleinholz zu machen.

Die Wahl, die Welt und der Wald

19. Oktober 2007, Tages-Anzeiger

In zwei Tagen ist er endlich vorbei, der teuerste, schärfste, härteste, ja brutalste Wahlkampf aller Zeiten. Vor der internationalen Gemeinschaft […]

Nicht nur im Export von High-End-Luxusgütern und Spitzentechnologie, sondern auch im Bereich der hochentwickelten Xenophobie ist die Schweiz erfolgreich, denn die Schäfchengrafik der grössten Partei ist offenbar im Ausland gefragt: Die neofaschistische NPD in Hessen kopiert das SVP-Plakat praktisch eins zu eins. Die SVP erwägt, dagegen juristisch vorzugehen, und zwar gemäss Parteisekretär Gregor Rutz wegen – ja, was wohl? – „Missbrauchs“. Noch ist nicht geklärt, wer hier missbraucht wird. Falls es das Schaf ist, bekäme die eifersüchtige Kleinviehpartei ziemlichen Ärger, denn bereits deren frivoler Umgang mit (männlichen!) Ziegen dürfte bald eine populäre Initiative nach sich ziehen: für eine lebenslängliche Verwahrung von politischen Sodomie-Straftätern.

Auch wenn der Peinlichkeitsquotient in der aktuellen Innenpolitik recht hoch ist – langweilig ist es in der Schweizer Politik zur Zeit nicht. Leider lässt sich aber unser Volk nur schwer aus seiner Lethargie reissen. Man stelle sich vor: Seit dem 5. September (Blochers „dunkler Tag für die Eidgenossenschaft“) findet in unserem Land ein Putsch statt, und keiner geht hin! Wie erklären wir das wieder dem Ausland? Da fällt ein Bundesrat konspirierenden „Schlangen“ in einer „Schlangengrube“ zum Opfer, wie sich das SVP-Reptil Christoph Mörgeli treffend ausdrückte. Worauf der Berg von Subkommission eine Maus gebiert, die dann vor der Schlange wieder… aber lassen wir das. Wie erklären wir als Erfinder der Demokratie der Restwelt, dass bei uns Politiker vor, während und nach einer dringlichen Parlamentsdebatte pathetisch drohen, den politischen Gegner nicht mehr in die Regierung zu wählen? Mit dem Sonderfall Konkordanz-Putsch oder dem Zauberformel-Komplott?

In einer der spannendsten Debatten im Bundeshaus werfen sich die grossen Kollegialitätsparteien wenige Wochen vor den Wahlen gegenseitig vor, sowas gschämiges wie Wahlkampf zu betreiben. Parteienstreit in einem Schweizer Parlament, unerhört! Die Sachlichkeitsparlamentarier der CVP stellen kleine Partei-Monstranzen auf ihre Pulte, und der Präsident der Staatsgründerpartei FDP, Fulvio Pelli, distanziert sich in einer wahlkämpferischen Rede vom Wahlkampf und bleibt nur aus „Respekt vor den Institutionen“ im Haus, würde aber lieber in burmesischen Mönchsroben auf der Strasse demonstrieren. Vielleicht realisiert er nach den Wahlen schmerzlich, dass Abgeordnete nicht ins Bundeshaus gewählt werden, um dort bei heissen Debatten hinauszugehen. Die SP-Nationalräte, wohl quasi die „Attentäter des 5. September“, warnen vor der Gefährlichkeit ihres langjährigen Koalitionspartners SVP und vor allem deren geistigem und weltlichem Oberhaupt, während Subkommissarin Meier-Schatz sich als eidgenössische Sophie Scholl sieht.

Alles hoffnungsvolle Ansätze für eine spannende Innenpolitik und steigende Wahlbeteiligungen. Doch leider werden sich die Vertreter der Regierungsparteien, nachdem sie sich erneut demütig für den Wahlkampf geschämt haben, mit viel oppositioneller Rhetorik wieder gegenseitig in die Kollegialitäts-Junta hieven. Das Land wird bleiben, was es ist, eine Dignitas-Schweiz, die Touristen aus aller Welt zum Sterben langweilig finden.

Geheime Putsch-Demokratie

5. Oktober 2007, Tages-Anzeiger

Nicht nur im Export von High-End-Luxusgütern und Spitzentechnologie, sondern auch im Bereich der hochentwickelten Xenophobie ist die Schweiz erfolgreich, denn […]

Krank sind sie nicht mehr, aber immer noch sehr komisch: Viktor Giacobbo, Mike Müller und Patrick Frey begeistern mit ihrem Stück «Erfolg als Chance» im Casinotheater Winterthur.

Der Titel ist eine Schutzbehauptung. Vor vier Jahren gelang dem Trio mit «Sickmen» ein Kassenrenner. Jetzt soll ein Nachfolger her. Aber woher nehmen und nicht sich selbst bestehlen? Wieder soll es kein Bühnenbild geben, Tisch und Stühle müssen genügen. Und am Tisch in der Bühnenmitte thront bereits auch Viktor Giacobbo, vor sich den Laptop, wobei thronen nicht ganz das richtige Wort ist. Die Ellbogen hat Giacobbo auf die Tischplatte gestützt, die Nase zerquetscht er zwischen den Zeigefingern. Da quält sich einer beim Denken. Erfolg als Chance?

Auch Mike Müller zu seiner Rechten scheint nicht gerade unter einem kreativen Schub zu leiden. Er liegt halb auf dem harten Holzstuhl, starrt Löcher in die Aussenwand des Casinotheaters, wölbt bedrohlich die Lippen, türmt gedankenschwer die Sneakers übereinander. Schweigen lastet. Bis den brütenden Müller ein Hüsteln reizt, das im Saal sofort vielfaches Echo findet, was den Schauspieler seinerseits zu einem schauerlichen Hustencrescendo inspiriert. Doch für ein neues Stück reicht das nicht.

Kreatives Wegdösen

So ruhen denn alle Hoffnungen auf dem dritten Stuhl, der noch leer ist. Warten auf Patrick Frey. Endlich stürmt er herein, das Handy am Ohr. Gereiztheiten zur Begrüssung. Endlich kann Giacobbo loslegen, das Protokoll der letzten Arbeitssitzung verlesen: «Mögliche Themen noch offen (Inhalt)». Eine abgründige Stille folgt dem Satz, die der Protokollführer schliesslich selber durchbricht: «Was hämmer eigentli dademit gmeint?»

Mehr als Chance ist der Erfolg Last. Das Trio variiert gekonnt den alten Kniff, der das Machen des Stücks zum Stück selber macht. Noch 14 Tage sind es bis zur Premiere und von Text keine Spur. Man druckst herum, flüchtet sich in ästhetische Debatten (Was kommt zuerst, Form oder Inhalt?) und in Kaffeepausen, giftelt und geht sich auf die Nerven. Bis Mike Müller seinen schweren Kopf auf die Tischplatte plumpsen lässt und kreativ wegdöst, um von einem revolutionären Konzept für die Premierenfeier zu träumen, was die Stückfindung allerdings nicht entscheidend voranbringt.

Endlich liegen nicht nur Köpfe, sondern auch erste Themen auf dem Tisch. Der intellektuelle Frey schlägt «Auto» vor, weil sich das zur soziologischen Analyse eigne. Giacobbo hat es lieber gemüthaft und möchte «Herkunft» als roten Faden. Und für eine Weile scheint es gar, als liessen sich die zwei Themen verbinden, Kindheit und Auto, der erste Familienwagen als prägendes Zeichen – zwischen DKW und Pontiac, zwischen dem Italo-Proleten Giacobbo und dem verarmten Patrizier Frey tut sich jedoch eine Klassenkluft auf, für die der arme Müller aus Olten als Verkörperung von Mittelland und Mittelstand zu büssen hat.

Höhepunkt nach der Pause

Die drei schenken sich nichts. Ständig wechseln die Konstellationen, bald verbünden sich diese zwei gegen den dritten, dann jene, und dazwischen fightet jeder für sich. Catch-as-catch-can. Man greift ins wirkliche Leben (der anderen), die Grenzen zwischen realer Person und Figur werden fliessend. Das macht den Reiz der vergnüglichen Aufführung aus. Er ist umso grösser, je dichter die Pointen fallen und je genauer sie sitzen. Und das tun sie immer mehr. Seinen Höhepunkt erreicht der zweistündige Abend (Regie: Tom Ryser) erst nach der Pause.

Mike Müllers Kinderblick ist jetzt noch schöner verquält. Giacobbo spitzt noch fieser sein Mündchen. Dem verbitterten Frey schwellen die Halsadern noch mächtiger an. Und das Thema «Mütter», an dem sich die drei nun abarbeiten, ist noch ergiebiger, weil sensibler. Da kann man den Kollegen so richtig ans Lebendige gehen. Für ein Stück ist das trotzdem nicht genug.

Müller nickt ein, Giacobbo macht Computerspiele, Frey telefoniert. Der Super-Gau scheint unausweichlich. Sicherer ist nur der grosse Beifall.

Drei Spitzenkomiker suchen ein Stück

8. September 2007, Tages-Anzeiger, von Peter Müller

Krank sind sie nicht mehr, aber immer noch sehr komisch: Viktor Giacobbo, Mike Müller und Patrick Frey begeistern mit ihrem […]

Viktor Giacobbo, Mike Müller, Ursus & Nadeschkin und andere Gründer des Casinotheaters haben am Montag dessen fünften Geburtstag gefeiert. Dazu gibt es nur eines zu sagen: Gratulation.

Giacobbo und Müller geben die schmierigen Moderatoren, die manche Lacher unter der Gürtellinie abholen. Patrick Frey singt sein Lied vom Sturmgewehr. Ursus & Nadeschkin bringen das Publikum mit einer wilden Handy-Telefoniererei im Saal in Kontakt und dann mit komischen Kommunikationsmustern durcheinander. Und das Duo Fischbach zeigt sich erstaunlich freundlich und sehr musikalisch, unter anderem mit Rossini im Kuhglocken-Duett. Die Stars der Comedy-Szene, die Initianten, Gründer und Aushängeschilder des Casinotheaters, bekannt aus Film und Fernsehen, feierten am Montag Jubiläum und Erfolg.

Es gibt nicht wenige, die finden: Das Casinotheater ist das Beste, was Winterthur in den letzten fünf Jahren widerfahren ist. Es zieht Leute von weit her an und bringt Winterthur als junge, offene Stadt in die Medien, öfter als jede andere Kulturinstitution der Stadt. Skandale, wenn es denn welche gab, schafften es nie an die Öffentlichkeit. Darin unterscheidet sich das Casino von anderen Häusern wie dem Schauspielhaus und dem Bernhard-Theater.

Längst vergessen ist der Abstimmungskampf um das Casino, als ein einzelner SVP-Exponent «Skandal» rief. Das Haus, das damals noch der Stadt gehörte, hätte mit unklarer Strategie und 20 Millionen Franken umgebaut werden sollen, als Giacobbo & Co. als Retter auftraten. Sie erklärten sich bereit, das baufällige Haus für 300 000 Franken zu übernehmen und bekamen ein zinsloses Darlehen von zwei Millionen dazu. – Sie gewannen und schufen mit nur 13 Millionen Franken ein Bijou.

Wie lange noch ohne Subventionen?

Man komme ganz ohne staatliche Subventionen aus, pflegt Giacobbo heute bei vielen Gelegenheiten zu sagen. Ganz ohne öffentliche Gelder freilich schafft es auch das Casino nicht: Stadt und Kanton unterstützen Eigenproduktionen regelmässig mit 10 000 Franken und mehr. Denn obwohl die Sitze im Schnitt zu zwei Drittel ausgelastet sind, ist das Theater keineswegs eine Goldgrube. 2005 etwa resultierten 350 000 Franken Betriebsverlust.

Die Frage drängt sich also auf: Gilt die Dauerbeteuerung «Wir kommen ohne Subventionen aus» auch für weitere fünf oder gar zehn Jahre? Viktor Giacobbo, der Verwaltungsratspräsident, zögert nicht: «Mit dieser Aussage sind wir angetreten, und das ziehen wir durch.» Für dieses Jahr sieht die Sache sehr gut aus: Aktuell liegt die Auslastung bei über 70 Prozent, drei Wochen Lorenz Keiser bei ausverkauftem Haus stehen noch bevor. Nur reicht das nicht. Das Restaurant muss rentieren, und Firmen müssen ihre Events im Casino buchen. Beides ist nötig, um den Theaterbetrieb hausintern zu subventionieren. Und beides laufe derzeit, so Giacobbo, «super».

Die Popularität stets hochhalten

Giacobbo selber, Patrick Frey, Mike Müller und Ursus & Nadeschkin sind jene fünf Gründer, die das Image des Hauses bis heute prägen und es füllen, wenn sie selber auf der Bühne stehen. Dabei kommt ihnen natürlich ihre Popularität zu Hilfe, die sie auf anderen Bühnen erweitern: im Circus Knie, am Humorfestival von Arosa, als Kolumnisten beispielsweise in dieser Zeitung, in Filmen wie Havanna oder Eugen und natürlich im Fernsehen. Gerade eben hat SF DRS bekannt gegeben, dass Giacobbo und Müller ab 2008 wieder regelmässig zu sehen sein werden am Sonntagabend. Beste Werbung natürlich fürs eigene Haus – auch wenn Giacobbo und Müller die Grösse haben, die Show nicht aus Winterthur, sondern wie vor Jahren schon aus einem Zürcher Lokal zu senden.

Nur können die fünf Aushängeschilder bei all ihren anderen Aktivitäten natürlich nicht immer selber auf der altehrwürdigen Casinobühne stehen. Aber erstens gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Gründer und Teilhaber, die regelmässig zu Gast sind – Franz Hohler etwa, Gardi Hutter, Andreas Thiel oder Joachim Rittmeyer. Und zweitens schafft es insbesondere der derzeitige Theaterchef Paul Burkhalter, ein Programm anzubieten, das sich nicht auf Comedy und Cabaret beschränkt. Die Musik beispielsweise ist im letzten Jahr wichtiger geworden: Patent Ochsner, Plüsch, Michael von der Heide, Andreas Vollenweider, Max Lässer – sie machen heute alle im Casinotheater Halt, wenn sie nach Winterthur kommen. Nicht mehr im Salzhaus oder im viel kleineren Albani.

Für den Salzhaus-Programmmacher Andi Gröber ist das jedoch nur «ein minimales Problem». Manches passe besser ins Casino, gibt er bereitwillig zu. Doch beispielsweise «Patent Ochsner hätten wir gerne bei uns gehabt. Und Stiller Has spielen an beiden Orten.» Kontakte zwischen Salzhaus und Casinotheater gebe es kaum, Absprachen keine. «Ich weiss nicht, wie hoch die Gagen dort sind», sagt Gröber. «Marktkonform», antwortet Giacobbo. Vor allem deutsche Künstler kämen sogar für weniger als sonst, weil das Haus einen sehr guten Ruf habe: «Die Künstler schätzen die Betreuung, die Garderoben mit Wascher und Tumbler sowie das Essen.»

Der Promifaktor und der Bundesrat

Schliesslich, aber nicht letztlich, trägt ein Faktor zum Erfolg des Casinotheaters bei, auf den sonst nur noch das Opernhaus zählen kann: der Promifaktor. Will man im Ausgang einem leibhaftigen Bundesrat, einer Fernsehmoderatorin oder doch zumindest einem Sportreporter begegnen, stehen die Chancen gut, alle drei am selben Premierenabend im Casino zu treffen. Nein, nicht Christoph Blocher ist Stammgast (höchstens in Anspielungen auf seine Politik). Es ist ein anderer Landesvater, den man im Alltag seltener lachen sieht.

Casinotheater, ein Prunkstück Winterthurs

9. Mai 2007, Tages-Anzeiger, von Martin Gmür

Viktor Giacobbo, Mike Müller, Ursus & Nadeschkin und andere Gründer des Casinotheaters haben am Montag dessen fünften Geburtstag gefeiert. Dazu […]

Mit Freude und Stolz hat mich die Meldung erfüllt, dass der Schweizer Aussenhandel im vergangenen Jahr alle Rekorde gebrochen hat. Offenbar sind Produkte aus unserem Binnenland gefragt. Selbst bei den Importen zeichnete sich eine markante Erhöhung ab, und dies nicht nur wegen der Einfuhr von Schlager singenden Steuerflüchtlingen aus Frankreich.

Gerade als ich mich fragte, welche Produkte aus der Schweiz im Ausland wohl am begehrtesten sind, ist mir die Schlagzeile „Schweizer Schnee für Mauren“ ins Auge gesprungen. Unglaublich – das stolze nordafrikanische Berbervolk importiert Schweizer Schnee? Natürlich nicht, denn Mauren heisst eine nicht sehr stolze liechtensteinische Flachlandgemeinde, in der ein Langlaufrennen durchgeführt wird, obwohl der anhaltende Pistenbericht „Wiese grün“ lautet. Deshalb lassen die Organisatoren Schweizer Kunstschnee aus dem Städtchen Buchs SG, das sich auch Ökostrom City nennt, mit Lastwagen ins fürstliche Mauren karren.

Ignorieren wir die ökologischen Einwände und wenden uns den phantastischen Perspektiven zu, die sich unserem Land dadurch eröffnen. Nach Uhren, Schokolade und Federer dürfte Schnee zum Exportartikel der Zukunft werden. Durch die Klimaerwärmung wird die weisse Pracht zu einem knappen Gut und bald auf dem Weltmarkt wie Erdöl oder gar Kaviar gehandelt. Obwohl natürlich Kunstschnee überall auf der Welt als billige Massenware hergestellt werden kann (z.B. aus chinesischer Hors-Ciel-Produktion), hat die Schweiz gute Chancen, im zertifizierten Luxus-Naturschneesegment die Führung zu übernehmen. Selbst wenn die allgemeine Erwärmung fortschreitet, wird es an den höchsten Berggipfeln immer noch genügend weisses Gold geben, welches an schattigen Felswänden geschürft und zu hohen Preisen ins Ausland verkauft werden kann.

Neben dem Buchser Ökostrom-Kunstschnee wird Wildschnee aus den Hochalpen durch das Swiss-Miss-Holle-Label geschützt. Als Premium-Qualität wird er zur wirtschaftlichen Zukunftschance für die Berggebiete. Besondere Regionalmarken entstehen, etwa der Davoser halbhart, der wegen seiner griffigen Sämigkeit geschätzt wird. Auf den exklusivsten Parties der Welt, wird neben dem Kunstkaviar aus Turkmenistan ein Haufen Swiss Snow aufgeschüttet und für die Gäste eine mehrere Meter lange Piste präpariert. In den USA besonders gefragt ist die Zermatter Spätlese aus Bodenhaltung oder der etwas günstigere Lauberhorner moitié-moitié mit mindestens 50 Volumenprozent Kunstdünger. Für den fairen Handel bietet Max Havelaar handgepflückte Schneeflocken der Sorte Eiger-Mönch-Jungfrau extra vergine im wiederverschliessbaren Kühlbeutel an.

Natürlich wird die Konkurrenz diese Entwicklung nicht verpassen. Fälschungen aus Südostasien, wo Kinderhände die Eisfächer der Kühlschränke auskratzen müssen, werden den Markt überschwemmen, und Kolumbien wird nichts unversucht lassen, um Schneeexporteur Nummer eins zu bleiben. Das liechtensteinisch-schweizerische Rheintal bei Buchs und Mauren wird hingegen mit Sicherheit zur Wiege der schneeexportierenden Industrie, zum Snow Valley. Der liechtensteinische Fürst wird dann allerdings seine malariaverseuchte Trutzburg längst verlassen haben.

Swiss Premium Snow

2. Februar 2007, Tages-Anzeiger

Mit Freude und Stolz hat mich die Meldung erfüllt, dass der Schweizer Aussenhandel im vergangenen Jahr alle Rekorde gebrochen hat. […]

Gerade zur richtigen Zeit vermeldet eine Studie der Uni Zürich, dass die Jugendlichen besser sind als ihr Ruf. Nun, schwer ist das nicht gerade, denn der Ruf dieser Bevölkerungsgruppe ist mieser als seinerzeit derjenige der Sowjetrussen, Tamilen oder Kosovo-Albaner-Nein. Erstaunlicherweise bescheinigt die Untersuchung den Jugendlichen soziale Kompetenz. Sie seien „auch in der Pubertät bereit, sich anzustrengen“. Ein vorurteilsbeladener alter Schuft, wer nach diesem Zitat an Seebach denkt?

Ich glaube, dass viele Ressentiments gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe daher rühren, dass man hierzulande sehr wenig über sie weiss. Woher kommen die Jugendlichen? Weshalb leben sie bei uns? Um derartige Fragen zu beantworten, sollten wir uns diese fremden Wesen einmal genauer ansehen.

Viele normale Menschen wissen nicht einmal, wie so ein Jugendlicher aussieht, denn oft rast er in seinem fahrbaren Bassverstärker, fast unsichtbar hinter getönten Fensterscheiben und versteckt unter einer Baseballmütze, an uns vorbei. Zumeist ist er dann auf dem Weg zu einem Date, das er mit seinem Handy filmt, um es dann als Pornovideo ins Internet zu stellen.

Die erwachsene Gesellschaft betrachtet dieses Verhalten als unter der Gürtellinie, nicht wissend, dass die Gürtellinie der Jugendlichen mittlerweile auf der Höhe der Kniekehle liegt und somit alles Geschlechtliche über der Schamgrenze. Eine soziokulturelle Werteverschiebung! Die Weibchen tragen meistens ein Handy vor ihrem nackten Bauchnabel her, um per SMS herauszufinden, ob die Jungs im getunten Auto den Crash überlebt haben.

Sie sehen, wenn man die Sitten und Gebräuche dieses Menschenschlages besser kennt, kann man sich leicht von Vorurteilen befreien. Dazu ist aber unsere Gesellschaft nicht bereit und verfrachtet die Jugendlichen in kostspielige Internierungslager. In diesen sogenannten Primarschulen müssen sie dann zwei Fremdsprachen lernen, obwohl die meisten mit fünfzig krassen Wörtern auskommen, sie ins Handy tippen oder notfalls als Porno ins Internet stellen können.

Einer der wenigen Politiker, der dieses Problem in seiner ganzen Komplexität erkannt hat, ist der kantonalzürcherische SVP-Fraktionschef Alfred Heer, der im Gegensatz zu den verblödeten Jugendlichen jederzeit die Hauptstadt von Pisa nennen kann. Und er weiss: die Integration der Jugendlichen ist gescheitert und deren Anteil an der einheimischen Bevölkerung wächst bedrohlich. Deshalb soll die gesamte Jugend wieder ausgeschafft werden, und zwar dorthin, wo sie hergekommen ist, zu den Linken und Freisinnigen.

Selbstverständlich gibt es Beispiele für geglückte Integration. Menschen, die sich seit Jahrzehnten als assimilierte Vorzeigejugendliche in unserem Staat engagieren – aber wer will als Toni Brunner enden? Ich bekenne, auch ich war einmal Jugendlicher. Glücklicherweise habe ich mich aber rechtzeitig von der Jugend abgewandt, bin ausgetreten und heute voll normal. Nicht auszudenken, was aus mir geworden wäre ohne diese Integration. Wahrscheinlich würde ich, animiert durch gewaltverherrlichende Videospiele, in den Kantonsrat gehen, dort mit meinem Handy Alfred Heer beim Daherreden filmen und als Porno ins Internet stellen.

Integration, Jugend und Porno

24. November 2006, Tages-Anzeiger

Gerade zur richtigen Zeit vermeldet eine Studie der Uni Zürich, dass die Jugendlichen besser sind als ihr Ruf. Nun, schwer […]

Dass es Gottes Gerechtigkeit irgendwie nicht bis ins sudanesische Darfur, nach Bagdad oder an die asiatischen Tsunamiküsten geschafft hat, war bisher für viele Nicht- bis Leichtgläubige eine beunruhigende Panne. Doch dieser Mangel ist eine Lappalie gegen die Ungerechtigkeit, die bisher dem Buch der Bücher, der Bibel, anhaftete. Das kunterbunte Kompilat aus alten, vielfach übersetzen, redigierten und zensurierten Texten leidet an sprachlicher Ungerechtigkeit, ist durchsetzt mit frauenfeindlichen Begriffen. Erst jetzt, wo die von protestantischen Christinnen und Christen neuübersetzte „Bibel in gerechter Sprache“ auch bei uns vorgestellt wird, werden wir gewahr, dass es offenbar in alt- wie neutestamentlicher Zeit weder Mutterschaftsurlaub noch geschlechtergerechte Doppelnamen wie beispielsweise Frau Maria Muttergottes-Nazarettinger gab.

Dem und noch viel anderem soll nun abgeholfen werden. Der Mackerbegriff „Herr“ wird ersetzt durch „die Ewige“, „die Lebendige“, „die Eine/der Eine“ oder „Ich-bin-da“. Selbstverständlich geht es hier nicht etwa um eine Geschlechtsumwandlung des „Ich-bin-da“, sondern lediglich um eine geschlechtsneutrale Darstellung des „Sie-Er“, wie „die Lebendige“ auch genannt werden darf. Mit viel modernem Sprachgefühl haben die Übersetzer auf die etwas zweifelhaften Begriffe Herrin oder Domina verzichtet.

Trotzdem ist leider die Sprache eine äusserst komplexe und eben nicht ganz protestantisch-korrekte Einrichtung, weshalb ich herrgottnochmal bzw. ichbindanochmal wissen möchte, wie ich gendergerecht evangelisch zu fluchen habe: dielebendigefriedstutz statt gottfriedstutz? Was rufe ich aus, wenn mir die Teufelin begegnet? Mein Ich-bin-da, steh mir bei? Vielleicht weiss da der schusselige alte Herrgott gar nicht, dass er gemeint ist!

Die über 50 Theologinnen und Theologen, die die traditionellen Bibeln im Sinne von Tina Luther und Hulda Zwingli neu übersetzt haben, werden von Gruppierungen wie dem österreichischen Weltgebetstagskomitee, aber auch vom nordelbischen Männerforum sowie von der Oekumenischen Frauenbewegung Zürich unterstützt. Vermutlich wird die Übersetzung sowieso ökumenekompatibel sein, denn gerade die Katholiken sehen das Geschlechtliche gerne etwas neutral und somit unbefleckter.

Die ganze Umschreiberei soll übrigens 400’000 Euro gekostet haben. Ich weiss nicht, wie viele Mahlzeiten man damit nach Darfur hätte liefern können, aber ich bin voller Hoffnung, dass mit der neuen Bibel die Ärmsten der Armen endlich sprachlich korrekt gegen den Hunger anbeten können.

Manch einer wird vielleicht dem amerikanischen Biologen Richard Dawkins näher stehen als dem nordelbischen Männerforum. (Achtung, der folgende Satz ist für leicht betroffene Christen nicht geeignet!) Dawkins sagt, dass in der heutigen Welt die grossen Religionen mehr Unheil als Frieden anrichteten, und er glaube ebensowenig an Gott wie an Schneewittchen oder an das Flying Spaghetti Monster. Ich selber begrüsse, dass mit der Neuübersetzung die Komik in das Buch der Bücher Einzug hält (wenn auch unfreiwillig), und ausserdem ist mir persönlich das Spaghetti-Monster gar nicht so unsympathisch, denn es ist geschlechtsneutral und somit absolut gerecht.

Über Ich-bin-da und die Welt

3. November 2006, Tages-Anzeiger

Dass es Gottes Gerechtigkeit irgendwie nicht bis ins sudanesische Darfur, nach Bagdad oder an die asiatischen Tsunamiküsten geschafft hat, war […]

Neulich an einer Abdankungsfeier für einen verstorbenen Jugendfreund: Der Pfarrer begrüsst die Trauergemeinde in quälend langsamer Rede, erwähnt den Toten in administrativ-statistischen Werten: Name (nach hastigem Blick ins Manuskript), Geburts- und Todesdaten, die AHV-Nummer gibt er nicht bekannt. Danach wechselt er in einen leidenschaftlicheren Tonfall, berichtet erschüttert von Jesus von Nazareth, der zwar tragischerweise auch verstorben ist, aber dessen Angehörige nicht in der Kirche sitzen. Es folgt ein thematisch nicht unbedingt zwingendes Zitat aus dem Römerbrief über Gottes freie Gnadenwahl und anschliessend eine detaillierte Schilderung der Fischereiwirtschaft am nahöstlichen See Genezareth vor 2000 Jahren. Herrgottnochmal, denke ich, jetzt leben diese Christen seit über einem Jahrtausend bei uns und sind immer noch nicht integriert!

Ich war nicht der einzige, den diese Werbeveranstaltung nervte, um so mehr als der arme Verstorbene Fischgerichte nicht ausstehen konnte. Gleichsam als Strafe für meine Gedanken erschien mir ein Engel, der sich in irritierendem Aargauer Dialekt an mich wandte. Aha, dachte ich erst, die haben da oben dieselben Probleme wie die Zürcher Innenstadt am Samstagabend – doch der Engel entpuppte sich nur als Hologramm von Doris Leuthard, die also zu mir sprach: „Die Schweiz ist ein Land mit christlicher Kultur. Das muss jeder akzeptieren, der hier leben will.“ Da bereute ich und nickte, denn schliesslich möchte ich nicht wegen unakzeptierter christlicher Kultur ausgewiesen werden.

Eine geballte Ladung christlicher Kultur erlebt zur Zeit der türkische Kulturverein in Wangen bei Olten, der auf seinem Vereinslokal ein Minarett errichten will. Zwar nur ein kleines, symbolisches das jederzeit durch das Kampfgeläute der umliegenden christlichen Minarette vom Dach geblasen werden könnte. Trotzdem hat die Baukommission das Miniminarett nicht bewilligt, weil es als Sakralbau in der Gewerbezone zu stehen käme, und so blöderweise Heiliges mit Geschäftlichem vermengt wird, was nicht unserer christlichen Kultur entspricht. Ein weiteres Problem sei die Parkplatzzahl für 450 Gläubige, die nicht garantiert werden könne. Hier wartet man noch auf einen VCS-Grundsatzentscheid vom Stuhl (Gabi) Petri.

Ferner gibt es in Wangen auch diejenigen, die Angst haben, weil sich ihr Islam-Bild irgendwo aus Kara Ben Nemsi oder Aladins Wunderlampe herleitet. Ausserdem wehrt sich die lokale evangelische und katholische Konkurrenz gegen den ausländischen Religionsanbieter inmitten der gewerblichen Sakralzone. Natürlich würden sie niemals das gegnerische Gotteshaus abfackeln oder Todesprämien für Karikaturisten aussetzen, wie das von radikalen Imamen der islamischen Welt zur Zeit praktiziert wird. Doch betreffend Integration friedlicher Muslime in der Schweiz stellen die Wangener wie auch Frau Leuthard (das Imami der CVP) eine Christenkarikatur dar, und zwar eine selber gezeichnete.

Hoffentlich finden die Wangener noch eine Lösung. Vielleicht nicht gerade in der Gewerbezonenverordnung, dafür im Lukas-Evangelium: Wer dich auf das eine Wangen schlägt, dem biete auch das andere dar.

Integrierte Minarette

24. Februar 2006, Tages-Anzeiger

Neulich an einer Abdankungsfeier für einen verstorbenen Jugendfreund: Der Pfarrer begrüsst die Trauergemeinde in quälend langsamer Rede, erwähnt den Toten […]

Möglichst durchschnittlich: Hauptdarsteller und Ko-Autor Viktor Giacobbo über seine Rolle im Film «Undercover».

Der biedere Normalo, der in Wahrheit ein Superagent ist: War «Undercover» als helvetische Version von «True Lies» gedacht, mit Ihnen in der Rolle von Arnold Schwarzenegger?

Nein, ich wusste zwar von «True Lies», hatte den Film aber nie gesehen. Unser Ausgangspunkt war die Bellasi-Affäre, es ging uns um die Arbeit eines verdeckten Ermittlers aus der Schweiz. Nach Vorgabe von Fausto Cattaneo, der das Buch «Deckname Tato» geschrieben hat, wollten wir zeigen, wie die Bundeskriminalpolizei arbeitet und wie über Geldwäscherei ermittelt wird. Nur dass unser Ermittler natürlich ein paar absurde Fähigkeiten besitzt: den Wurf des Panforte zum Beispiel, dieser italienischen Spezialität. Wir fanden das witzig, aber wie das halt so ist: Die einen finden es witzig, die andern nicht. Natürlich bin ich im Grunde genommen eine Fehlbesetzung. Aber solche verdeckten Ermittler sehen nun mal möglichst durchschnittlich und bünzlig aus. Und der Ermittler in «Undercover» hat genau deshalb Erfolg, weil ihn alle unterschätzen.

Sie betonen gern die fundierte Recherche und Realitätsnähe von «Undercover». Wird der Satiriker Giacobbo, wenn er Kino macht, plötzlich zu einem Realismusverfechter?

Nein, ich stehe ja am Morgen nicht auf und sage mir: Heute bin ich Satiriker. Diese Prämisse hab ich nicht. Ich mache das, wovon ich finde, das sei lustig oder originell. Was das Kino angeht, so haben schon bei «Ernstfall in Havanna» viele Leute gefragt, wieso ich nicht als Harry Hasler oder Fredi Hinz auftrete. Aber diese Figuren haben eine Halbwertszeit von dreissig Minuten, danach gehen sie einem auf den Wecker – am meisten mir selber. Und ich mag nicht einen Monat lang als Harry Hasler drehen, schon aus Gründen des persönlichen Komforts.

Heisst weniger Make-up denn auch zwangsläufig weniger Maskerade?

Es ist weniger Klamauk, ja. Der Ermittler in «Undercover» ist eine Eins-zu-eins-Figur, jemanden wie ihn könnte es geben im wirklichen Leben. Wie schon bei «Ernstfall in Havanna» hat mich auch hier interessiert, dass die Grundlagen der Realität entsprechen, das heisst, dass sich die Geschichten im Extremfall genau so abspielen könnten.

Als Komödie scheint mir «Undercover» aber doch ziemlich bieder. Weniger diplomatisch ausgedrückt: Dieser Film dürfte auch den Herren Blocher und Mörgeli gefallen . . .

Das ist möglich. Aber solche Urteile stammen meist von Leuten, die fixiert sind auf die politisch pointierten Sachen, die ich sonst mache. Und immerhin: Die Quintessenz des Films ist doch die, dass unser Justizminister am Ende eine Frau zur Bundesanwältin ernennt, die illegalerweise Kokain bei einem Geldwäscher in Italien beschafft hat. – Es ist ja so, dass man während der Drehbuchentwicklung immer mit vielen Leuten spricht, und alle reden irgendwie mit. Was ich sagen will: Es hätte auch einen anderen Weg geben können, und ich wäre darüber nicht unglücklich gewesen.

Welchen anderen Weg?

Die persönlichen Verhältnisse der Hauptfigur wurden irgendwann immer wichtiger. Das finde ich zwar auch reizvoll, aber es gab früher mal eine Phase, wo ich der Meinung war, dass das eher die Nebensache bleiben müsste und dass alles ein bisschen gewagter oder absurder daherkommen sollte.

Sie empfinden also eine gewisse Unzufriedenheit?

Ich bin nie zufrieden, mit keinem meiner Produkte. Das heisst, offiziell ist natürlich immer das, was man gerade gemacht hat, das Wunderbarste, was man je vollbracht hat – vor allem in Interviews wie diesem hier. Anderseits ist Film halt eine enorme Teamarbeit, und manchmal kippen ganze Handlungsstränge, weil die Bedingungen am Drehort nicht so sind, wie sie sollten. Ich bin eben das Gegenteil gewohnt. Gerade an den Kolumnen oder meinen Liveauftritten schätze ich, dass man als Autor bis zuletzt verantwortlich ist. Beim Film ist das nicht möglich, ausser man macht sich vor dem Team zum Arschloch. «Undercover» ist jetzt eher ein Beziehungsfilm geworden, und ich finde diese Beziehungen nicht uninteressant. Ob wir wirklich jede Chance zur Komik genutzt haben, das weiss ich nie.

«Im Grunde genommen bin ich eine Fehlbesetzung»

2. November 2005, Tages-Anzeiger, von Florian Keller

Möglichst durchschnittlich: Hauptdarsteller und Ko-Autor Viktor Giacobbo über seine Rolle im Film «Undercover». Der biedere Normalo, der in Wahrheit ein […]

In der Komödie «Undercover» von Sabine Boss spielt Viktor Giacobbo einen Geheimagenten. Die Komik leidet am Ernst des Lebens.

 

Der Unterschied zwischen Arnold Schwarzenegger in seiner besten und Viktor Giacobbo in seiner durchschnittlichen komischen Form liegt nicht in der Schauspielkunst, die beim einen und beim anderen mit begrenzten Mitteln auskommen muss. Sondern er gründet in dem, was man den zweien nicht glaubt, wenn sie dasselbe tun, der eine im komischen Action-Spektakel «True Lies» (1994) von James Cameron, der andere jetzt in «Undercover» von Sabine Boss, einer Agentenkomödie, in der die schweizerische Seriosität geradezu bannerhaft die Komik durchweht.

Beide Filme erzählen davon, wie ein Mann und Verbrecherjäger seine abenteuerliche und auch brachialgewaltige Natur hinter einem Schein von Langweilertum verbirgt, was der Ehe und der väterlichen Autorität nicht gut tut, von den privaten Teilen des Selbstbewusstseins nicht zu reden. Während aber der übertrainierte Arnold Schwarzenegger schon rein figürlich nicht bestimmt war zur Verkörperung eines unathletischen Würstchens, hat der unmaskierte Viktor Giacobbo die grösste Mühe, seinen, wie man sagen könnte, physiognomischen Biedersinn gewaltsam zu unterdrücken. Beide tragen ihr Image als Bürde, und keinem gelingt die Verwandlung in den anderen.

Dem Schwarzenegger konnte das seinerzeit egal sein, weil es ihm in «True Lies» erlaubt war, seinen parodistischen Tarncharakter gleich durch einen antiterroristischen Aktionismus ins Eck zu drücken, wo er dann keine Rolle mehr spielte. Der Giacobbo in «Undercover» hingegen hat es schwerer, weil der Film es todernst meint mit der Parodie und sich das Schwarzeneggerische und das Giacobbohafte als eine Harmonie realer Kontraste denkt. Als ginge das im Kino so einfach, dass einer, dessen Dienstwaffe im sonstigen künstlerischen Leben der schnelle Witz ist, einem afghanischen Drogenhändler in seinem Wüstenzelt schnell eine Pistole in den Mund stecken muss, um einen Spielfilm lang auch als Geheimagent durchzugehen (und seis nur als ein schweizerischer Bundespolizist).

Die Idee, ein wenig Schwarzenegger im Schweizer Bünzli zu finden, ist reizvoll.

Die Idee ist natürlich trotzdem reizvoll, das Harmlose kriegstauglich zu machen, das Komische im Wirklichen zu suchen und ein wenig Schwarzenegger im Bünzli zu finden oder umgekehrt. Und es ist wirklich keine schlecht erfundene Geschichte, wie der schweizerische Ermittler Boris Ruf sich zerreisst zwischen seiner Maskerade und seiner Persönlichkeit, wobei gar nicht so sicher ist, was nun die Maske ist und was das wahre Gesicht.

Die Frau (Sylvie Rohrer) läuft ihm davon, weil er ihr zu fad ist, und nimmt sich einen Harley-Fahrer, den so ein Boris Ruf mit der linken Hand auf den Rücken legen würde, wenn er dürfte. Die Geliebte (Nana Krüger), seine Chefin, schätzt den helvetischen Bond in ihm, er muss es mit ihr auf dem Schreibtisch treiben, obwohl ihm ein Bett und der Kick des Normalen lieber wären. Notwendige verdeckte Ermittlungen in Italien (Geldwäscherei, gleich nach der Aktion in Afghanistan) fallen in die geplanten Ferien mit der Tochter (Anna Schinz), das Mädchen muss jetzt mit auf die Geschäftsreise und macht es dem Vater nicht gerade leicht, und auf dem ganzen Agententum lastet überhaupt eine missmutige Sehnsucht nach jener Langeweile, die sonst der Tarnung dient.

Das klingt alles mehr nach wirklichkeitsbeschwertem Drama als nach der Komödie, die «Undercover» schliesslich sein will. Tatsächlich ist die Existenz des Boris Ruf in ihrer grundsätzlichen Wahrscheinlichkeit vielleicht lächerlich, aber eigentlich leider nicht zum Lachen, und das Allerkomischste in diesem Film ist nicht Viktor Giacobbo, sondern die kleine Szene mit Gerhard Polt als deutschem Touristen, den es aus einem anderen Film in diesen verschlagen hat.

«Havanna» war leichtfüssiger

Es gibt Komödien, die von den Kuriositäten der Realität profitieren. Diese hier leidet am Ernst und an der Trägheit des Lebens, die ihre dramatische Grundlage sind. Das Buch zu «Undercover» stammt vom bereits im «Ernstfall in Havanna» bewährten Autoren-Duo Giacobbo und Domenico Blass, ganz unschuldig ist der Hauptdarsteller also nicht an der etwas morosen Seriosität der Hauptfigur. Vielleicht ist das Buch sogar besser und charaktersatter. Aber damals in Havanna ist es leichtfüssiger zu und her gegangen, mit weniger Scheu vor der Tücke des Objekts und dem Affen, der seinen surrealen Zucker will. Und Viktor Giacobbo, der wirkliche und unser Bild von ihm, war näher bei sich als eine feine Mischung von Karikatur und Charakter.

Die Inszenierung verstärkt den Lebensernst durch eine heilige Angst vor der Karikatur. Auch die Regisseurin Sabine Boss schien damals in Havanna noch ein befreiteres Verhältnis zum höheren Blödsinn zu haben. Hier ist die Langsamkeit eines umständlichen Realismus erreicht, worin der Witz nur tröpfchenweise verabreicht wird. Der Rhythmus des Wahrscheinlichen sediert die vorhandene ungezogene Komik, bis sie brav ist. So passiert es dann, dass man in «Undercover» nicht immer weiss, was nun herrscht: die Bünzligkeit oder die komödiantische Idee davon.

Angst des Agenten vor Karikatur

, Tages-Anzeiger, von Christoph Schneider

In der Komödie «Undercover» von Sabine Boss spielt Viktor Giacobbo einen Geheimagenten. Die Komik leidet am Ernst des Lebens.   […]

Im Casinotheater Winterthur pokert Viktor Giacobbo hoch mit der teuren Eigenproduktion von Neil Simons «Ein seltsames Paar» – und gewinnt.Wer sich von Oskar ein Sandwich wünscht, darf zwischen Grün (das heisst sehr jungem Käse oder sehr altem Fleisch) und Braun wählen. Das Bier ist warm, die Pommes Chips schmecken ranzig, dicker Zigarrenrauch durchzieht den schicken Loft, unter dem Christoph Schubiger das verschnörkelte Gold der kleinen Bühne verschwinden lässt. Der Qualm legt sich sanft über die pokernde Männerrunde und vernebelt die Sicht auf den ungemütlichen Alltag. Auf kapriziöse und anspruchsvolle (Ex-)Ehefrauen, auf Paartherapien, offene Alimentenzahlungen und drohende Ferienreisen.

Doch zeichnet sich nervöse Anspannung in den fünf konzentrierten Pokerfaces ab. Es braucht bloss einen einzigen leicht verspäteten und derangierten Felix, um das labile Gleichgewicht zu kippen und den Männerbund in einen hysterischen Kriseninterventionsstab zu verwandeln. Felix, der von seiner Frau verlassen wurde, wird zur Suizidprävention bei Oskar einquartiert. Was zu saftigen Komplikationen führt.

Es sind vier starke Theaterakte, welche die Truppe um Viktor Giacobbo und Mike Müller aus Neil Simons Komödie «Ein seltsames Paar» («The Odd Couple») schöpft. Die vierzig Jahre, die seit der Uraufführung des Stücks in New York und der kurz darauf folgenden Verfilmung mit Jack Lemmon und Walter Matthau vergangen sind, scheinen am Stoff abzuperlen. Dies ist einerseits Giacobbos Textadaption zu verdanken, die effizient knappe Dialoge und süffige Mundart mischt. Dann aber auch der sorgfältigen Arbeit von Stefan Huber.

Der Regisseur setzt nicht auf Knalleffekte, sondern auf Nuancen. In nur vier intensiven Probewochen hat er mit einem überzeugenden Ensemble geduldig die unzähligen psychologischen Knoten und Verwicklungen des Stücks aufgedröselt und die latenten Ängste der Männer freigelegt: das drohende Versagen, die Konkurrenz, die Eifersucht und die ewige Suche nach Geborgenheit. So flüchtet sich Giacobbo in der Rolle des zerbrechlichen Felix vor seinen Minderwertigkeitsgefühlen wechselnd in vorwurfsvolle Hypochondrie und aufsässige Putzorgien, während Mike Müllers Oskar als geschiedener Single und Sportreporter seine Depressionen vergeblich hinter bärbeissiger Gelassenheit zu verstecken sucht.

Leider verlässt Huber der künstlerische Röntgenblick, wenn es im dritten Akt um die Frauenfiguren geht. Katharina von Bock und Rebekka Burckhardt haben in den Rollen zweier verschwisterter Nachbarinnen einen schweren Stand. Zwar sehen die beiden Bühnen-Täubchen mit hochgestecktem Blondhaar und tief geschnittenen Décolletés blendend aus, doch hakt die Inszenierung sich da an der schrillen Oberfläche fest. Beide Frauen bleiben auf laszives Räkeln und deplatziertes Lachen reduziert. So wird das Spiel in ihrer Gegenwart absehbar, ohne dass die beiden Schauspielerinnen eine Chance bekommen, dagegenzuhalten. An diesem Abend bleiben die Männer besser unter sich.

Weitere Vorstellungen bis 1. 10.

Am grossen Vorbild nicht gescheitert

3. September 2005, Tages-Anzeiger, von Charlotte Staehelin

Im Casinotheater Winterthur pokert Viktor Giacobbo hoch mit der teuren Eigenproduktion von Neil Simons «Ein seltsames Paar» – und gewinnt.Wer […]

JET-CETERA

Bereits auch schon wieder «geschieden» sind Komiker Viktor Giacobbo und Schauspielerin Sabina Schneebeli.
Noch gestern Abend bestätigte Giacobbo auf Anfrage, dass sie sich in den 24 Stunden nach der vom «SonntagsBlick» vorgenommenen «Zwangstrauung» bereits wieder auseinander gelebt hätten. Sabina Schneebeli und er werden aber weiterhin «gute Freunde» bleiben.

Giacobbo: «Und die Kinder bleiben bei Sabina.» Dass sie ein Paar seien («SonntagsBlick»: «Sie machten ihre Liebe offiziell»), sei «frei erfunden». «SonntagsBlick»-Chefredaktor Christoph Grenacher war für eine Stellungnahme zur gross aufgemachten Falschmeldung nicht erreichbar. (gin)

Getrennt und «geschieden»

10. Januar 2005, Tages-Anzeiger

JET-CETERA Bereits auch schon wieder «geschieden» sind Komiker Viktor Giacobbo und Schauspielerin Sabina Schneebeli. Noch gestern Abend bestätigte Giacobbo auf […]

Lorenz Keiser, Kabarettist und TA-Kolumnist, hat ein Kolumnenbuch geschrieben. Viktor Giacobbo hat sich mit ihm darüber unterhalten.

Viktor Giacobbo: Wir sind zwar per Du, aber die ethischen Richtlinien der Tamedia AG verlangen von mir, dass ich dich sieze.

Lorenz Keiser: Das erinnert mich daran, wie ich einmal am Dolder-Meeting George W. Bush traf und ihn freundlich mit den Worten begrüsste: Na, Schoscho, du taube Nuss! Er antwortete: Für Sie immer noch Mr. President.

Gut gegeben! Sie haben soeben ein Kolumnenbuch geschrieben. Ich habe auch eines, es ist extrem erfolgreich und heisst . . .

Das interessiert jetzt hier nicht.

. . . «Orangen der Vergebung». Oder so.

Jetzt aber zurück zum Thema.

Sehr richtig. Es ist sowieso vergriffen.

Was?

Mein Kolumnenbuch.

Sie haben ein Kolumnenbuch geschrieben?

Ja.

Ich auch!

Das freut mich aber.

Es trägt den Titel «Mindestens haltbar bis siehe Tubenfalz».

Ich finde, der Titel ist ziemlich schlecht lektoriert. Es heisst doch Taubenschwanz. Kann ich Ihnen jetzt endlich eine Frage stellen?

Wenn es sein muss . . .

Was darf Satire?

Die Satire ist wie ein guter Sandkuchen. Er darf alles, nur nicht im Halse stecken bleiben.

Und Schenkelklopfen?

Darf er auch nicht.

Woher nehmen Sie eigentlich immer Ihre Kolumnen?

Aus dem Buch, Sie Idiot!

Dieser Humor ist jetzt aber ganz schön britisch! (Nestelt in seinen Unterlagen.)

(Auftrumpfend.) Ich erkenne vierzig Pointen am Geschmack! Ich liege manchmal auf der Wiese und fresse sie. Das sind so geheime Rituale. Gottschalk hat sich bereits gemeldet.

(Hat seine Unterlagen gefunden.) Ich muss jetzt leider dringend einen Telefonanruf tätigen. Es geht um meinen neuen Roman, er heisst . . ., egal. Es gibt sicher etwas, was Sie den Lesern schon lange mal sagen wollten. (Verlässt den Raum.)

(Denkt lange nach.) Die Satire ist ja eigentlich ein Frischprodukt. Genau wie ein gutes Sushi muss die Satire stets, also jedenfalls die japanische Satire, irgendwie besser keine nach Fisch stinkenden Witze machen, sondern mehr so die Mächtigen in die Knie zwingen und mit dem Sashimi-Messer vierteilen. (Geht zur Tür.) Herr Giacobbo! Ich bin fertig! (Wartet lange.)

(Gut gelaunt.) Da bin ich wieder! Stichwort Satire. Als hinter- gründiger Mahner mit dem fein-sinnigen Florett halten Sie der Gesellschaft mit spitzer Feder den Spiegel vor, der den Regierenden die Maske von der hässlichen Fratze reisst. C’est le ridicule qui tue?

Wer?

Le ridicule.

Justement.

(Stöbert erneut in seinen Unterlagen.) Tja, dann hätte ich eigentlich keine Fragen mehr. Wollen Sie mich etwa noch was fragen über meinen nächsten Film?

Eher nicht. Wer hat eigentlich diese Woche Kolumnendienst?

Ich sicher nicht!

Ich auch nicht. Dann ist es wohl an Patrick Frey.

Hat der auch ein Kolumnenbuch?

Keine Ahnung. Wenn Sie das wissen wollen, fragen Sie doch ihn!

Gute Idee. Hätten Sie mir grad seine Telefonnummer?

Ja bitte. Hier.

Sehr freundlich, danke. (Wählt.)

Bitte, gern geschehen.

Und danke für das Gespräch. (Verlässt den Raum.)

Scheiss-Interview! (Wartet ein Weilchen und verlässt dann ebenfalls den Raum.)

 


Lorenz Keiser, Mindestens haltbar bis siehe Tubenfalz. Verlag Kein & Aber, 29.80 Franken.

«Ich erkenne vierzig Pointen am Geschmack»

17. November 2004, Tages-Anzeiger

Lorenz Keiser, Kabarettist und TA-Kolumnist, hat ein Kolumnenbuch geschrieben. Viktor Giacobbo hat sich mit ihm darüber unterhalten. Viktor Giacobbo: Wir […]

Fast wie im wirklichen Leben: «Abdankung» im Casinotheater Winterthur kommt gegen Schluss in Schuss.Gewöhnlich siegen die Lebensgeister beim Leichenmahl. Im Casinotheater braucht es 100 Minuten und eine Pause, damit die Totenfeier animiert wird. Der Winterthurer Lebensgeist heisst Viktor Giacobbo. Still mischt er sich unter die Trauergäste und ist gleich die wahre Hoffnung, von der Patrick Freys Pfarrer predigt.

Mit roter Mähne, blendend weissen Hauern im Maul und straffen Hosenträgern über dem Bierbauch kreiert Giacobbo die Figur des Herrn Boppeler, Boss der Agentur Freshmeat. Mädchen aller Gattung vermietet dieser Stiefbruder des unvergessenen Harry Hasler, SVP-Frauen in Reizschürzen, auch züchtige Cheerleader für die Winterthurer Abdankung. Doch jetzt ist genug gelogen, jetzt muss die Wahrheit über den toten Kumpel raus, jetzt legt Herr Boppeler richtig los.

Wein, Weib und Rassepferde

Bis dahin bewegt die Abdankung nicht übermässig. Das Ambiente ist vertraut: ein aufgebahrter Sarg, vier Kränze, eine Kanzel. Über dem Sarg hängt ewig lächelnd das Konterfei des Schauspielers Mike Müller alias Blacky Haberthür selig. Dieser Haberthür ist aus nichts versprechenden Anfängen zum Paten der helvetischen Unterhaltungsmafia aufgestiegen, hat Kleinkünstler kreuz und quer durch die Ostschweiz gejagt und im Übrigen Wein, Weib und Rassepferde geliebt. Jetzt gilt es, Abschied zu nehmen, im Casinotheater, wie es der grosse Sohn Wülflingens gewünscht hat.

Redner reiht sich an Redner, Nummer an Nummer. Ueli Becks greiser Primarlehrer verwechselt seine ehemaligen Schüler, Walter Andreas Müller als Geschäftsfreund Muggli rezitiert in Globi-Maske unkorrekte Verslein («Globi im Irak») und verspricht dann: «Nie mehr». Senioren-Akrobatik gibt es zu bestaunen, Witwe Lola Haberthür (Bettina Dieterle) trägt Schlager des Verblichenen vor, nicht ohne wiederholt auf ihre neue CD zu verweisen, der Stallknecht (Peter Fischli) mischt Tränen- und Samenerguss, und Pfarrer Frey müht sich um pointensichere Eselsbrücken zwischen Nasenbluten und christlichem Glauben.

Ziemlich zäh wirkt der Abend (Autoren: Charles Lewinsky und Patrick Frey, Regie: Alexander Stoia). Immerhin sorgt Joachim Rittmeyer als besoffener Sohn vor der Pause für einen komisch leisen, fast schon poetischen Höhepunkt. Und die (unterforderte) Fabienne Hadorn schwärmt als letzte Geliebte von einem esoterischen Dreier und lässt ihr Talent aufblitzen. Die Hoffnung, Mike Müller werde sich aus dem Sarg erheben, bleibt leider unerfüllt.

So wird es erst richtig munter mit Herrn Boppelers Schlussfurioso. Bei Blitzauftritten gab der hemdsärmlige Kulturmanager zuvor schon rachitische Töne von sich. Jetzt steigert sich die Atemnot ins Gotterbärmliche. Giacobbo keucht und röchelt, der Atem rasselt, der Speichel gurgelt, weinrot laufen die Backen an . . . Bis sich endlich eine Steckdose für den Herzschrittmacher aus Schwermetall findet und Vera Kaa das Finale anstimmen kann. Herr Boppeler ist gerettet und mit ihm die «Abdankung».

Viktor Giacobbos rettende Atemnot

4. Juni 2004, Tages-Anzeiger, von Peter Müller

Fast wie im wirklichen Leben: «Abdankung» im Casinotheater Winterthur kommt gegen Schluss in Schuss.Gewöhnlich siegen die Lebensgeister beim Leichenmahl. Im […]

Crossover im Casinotheater: Die Comedy-«Chicks» Viktor Giacobbo und Fabienne Hadorn mischen ein Konzert des Musikkollegiums Winterthur auf.

 

Es beginnt ganz ordnungsgemäss. Das Orchester Musikkollegium Winterthur unter Marc Kissoczy spielt Otto Nicolais «Die lustigen Weiber von Windsor». Ein Werk der eher leichteren Muse, aber immerhin. Die schwarz gewandeten Damen und Herren und ihr befrackter Dirigent entsprechen den Geflogenheiten des klassischen Konzertbetriebs. Und dann dies: Durch den Saal tönt ein «Halli hallo», mit jener nervigen Stimme, die man schon irgendwo gehört hat. Richtig, sie gehört jener umgespritzten Blondine, die sich Debbie Mötteli nennt und sich als Schuss aller Schüsse fühlt. In Volketswil, wo sie herstammt, mag sie das sein, unter weltläufig-objektiveren Gesichtspunkten muss man sie hingegen als Verkörperung der Schreckschraube schlechthin betrachten.

Comedy unterwandert die Klassik

Wo man hinschaut, knallt es. Ihre krummen Beine stecken in bunten Leggins, dazu trägt sie ein rotes Lackmäntelchen und ebensolche Schnürstiefel. So stöckelt sie auf die Bühne, im Schlepptau ihr Kaugummi kauendes, bauchfreies Gottenkind Gabi Muff. Ende der schönen Ordnung – die Comedy unterwandert die Klassik. «Women-Women: Chicks in Concert» heisst das Programm, mit dem Viktor Giacobbo (alias Debbie Mötteli) die vor einem Jahr initiierte Crossover-Reihe fortsetzt. Mit Fabienne Hadorn als Gabi Muff steht ihm diesmal eine ebenbürtige Komikerin zur Seite.

Was dabei herauskommt, ist selbstverständlich kein Abend der feinen Töne. Das Teenie-Girl ist ebenso überzeichnet wie die grelle Gotte. Die ausgewählten Musikstücke sind populär, also angemessen. Beschwingtheit geht über Differenzierung. Die «Chicks in Concert» provozieren einen Kulturschock, der unsere fixen Vorstellungen davon, was beispielsweise «ernste Musik» ist, unterläuft. Daraus ergibt sich die Komik.

Extrem blondes Haar im Gegenwind

Mötteli/Muff versuchen die für sie fremde Welt der Klassik einzuordnen, indem sie das Konzert als Castingshow begreifen. Georges Bizets «Carmen Suite» passt da prächtig. Obgleich ihre Stimme, wenn auch nicht ihr Bauch, etwas dünner ist als diejenige des frisch gebackenen MusicStars Carmen Fenk – am Schluss darf Gabi selber zum Mikrofon greifen. Ihr «Titanic»-Song nach «Céline Dijon» – so der Senf, den Debbie dazu abgibt – ist der dramatische Höhepunkt des viel beklatschten Abends. Wie die beiden Chicks kurzerhand das Dirigentenpult entern und im steifen Gegenwind, der durch ihr rotes beziehungsweise extrem blondes Haar fährt, gegen einen imaginären Ozean ansingen, bringt sogar die begleitenden Berufsmusiker zum Lachen. Mehr noch: Wir haben gesehen, dass Gabi mit einem Bassisten («du häsch e megagrossi Gitarre!») die Handynummern tauschte. Gute Voraussetzungen für eine vertiefte Interaktion. Denn eine weitere Folge der Reihe ist bereits geplant.

Die lustigen Weiber von Winterthur im Casting

27. Februar 2004, Tages-Anzeiger, von Philipp Gut

Crossover im Casinotheater: Die Comedy-«Chicks» Viktor Giacobbo und Fabienne Hadorn mischen ein Konzert des Musikkollegiums Winterthur auf.   Es beginnt […]

Der Heimatschutz hat die Initianten des Casinos für die Rettung des 140 Jahre alten Gebäudes in der Altstadt geehrt.

«Wir sind froh, dass wir jetzt unter Heimatschutz stehen», verdankte Viktor Giacobbo, der Satiriker und Präsident der Casino Theater AG, am Donnerstag den mit 10 000 Franken dotierten Preis des Schweizer Heimatschutzes (SHS).

«Der Preis ist ein Aufsteller für unser Haus», sagte Giacobbo. Derweil entriss ihm Patrick Frey das Couvert mit dem Check und frotzelte: «Das Geld bleibt bei der Immobilien AG.»

Der Sketch sorgte bei den geladenen Gästen aus Politik und Kultur für Heiterkeit. Die beiden Künstler würden für ihr zupackendes Unternehmertum geehrt, mit dem sie dem klassizistischen Bauzeugen neuen Sinn eingehaucht hätten, begründete SHS-Präsident Caspar Hürlimann die Wahl der Preisträger. In der von den Geschwistern Schmid umrahmten und von Mike Müller moderierten Feier zeichnete Stadtpräsident Ernst Wohlwend die wechselvolle Geschichte des Casinos nach. Und in launigen Worten überbrachte Markus Notter aus Zürich die Gratulation der Regierung.

Viel Lob für den 13,5 Millionen Franken teuren Umbau erhielten auch der Architekt Ernst Zollinger und Jasmin Grego (Büro Grego + Smolenicky) für den Innenausbau. Ende Mai 2000 hatten die Winterthurer an der Urne die Wiedergeburt des Casinos mit einem Ja zum Hausverkauf an Giacobbos und Freys Künstlertruppe lanciert. (smd)

Eine Perle Winterthurs ist preisgekrönt

31. Oktober 2003, Tages-Anzeiger

Der Heimatschutz hat die Initianten des Casinos für die Rettung des 140 Jahre alten Gebäudes in der Altstadt geehrt. «Wir […]

Die «Sickmen» von Patrick Frey, Viktor Giacobbo und Mike Müller bescheren dem Casinotheater in Winterthur immense Kosten durch Medikamente, Spitalaufenthalte und Spesen.Wie verhält sich das nun eigentlich genau mit diesen Viren? Die Aussentemperaturen sind markant gesunken, die Gemüter herbstlich unterkühlt. So sitzt man dicht gedrängt im Saal des Winterthurer Casinotheaters, und überall wird hemmungslos gelacht. Besteht da nicht eine akute Ansteckungsgefahr? Wenn ja, könnte das in Kombination mit einer Plüschallergie zu einer antizyklischen Überreaktion mit fatalen Folgen für den Solarplexus führen. Nicht auszudenken.

Aber viel gefährlicher als im Zuschauerraum ist es auf der Bühne. Ein abendfüllendes Stück zu schreiben, schädigt die Gesundheit. Die drei schwer geprüften Kabarettisten im Rampenlicht der Bühne sind der (nur dank ärztlicher Hilfe noch) lebendige Beweis dafür. Eine vorgefallene Bandscheibe, eine angeknackste Hüfte, ein Meniskus, Glutamat- und Katzenhaarallergien, diverse Melanome und Zeckenstiche und mindestens eine Alkoholvergiftung haben den kreativen Arbeitsprozess des hoch motivierten Trios empfindlich gestört. Und da ist es nur recht und billig, dass sich die Herren Giacobbo, Frey und Müller in der letzten, alles entscheidenden Phase zur Arbeitsklausur in den Quellenhof Bad Ragaz zurückgezogen haben, wo die körperlichen Gebresten durch flankierende Massnahmen wie Lomi-Lomi-Massagen, Bungee Jumping, Falun-Gong, Bordeaux und einer Andrea im selben Hotelkomplex kunstgerecht aufgefangen und ausgeglichen werden konnten. Zur Kostendeckung wird das Publikum nach knapp fünfzig Minuten zwecks ausgiebiger Konsumation in die Pause geschickt, zur Ausstattung genügen drei Stühle, und die Kostüme, drei gut sitzende Anzüge, können bei Bedarf privat wiederverwendet werden.

Prächtige Exemplare

Die Idee des Abends ist ebenso einfach wie bestechend: Zu sehen sind Patrick Frey als Patrick Frey, Viktor Giacobbo als Viktor Giacobbo und Mike Müller als Mike Müller, die über ein gemeinsames Stück sprechen, das bereits im Produktionsprozess gescheitert ist. Die Inszenierung wurzelt im autobiografischen Bereich des populären Trios und hätte leicht in eine narzisstische Nabelschau abrutschen können. Doch davon kann an diesem Abend nicht die Rede sein. Die Figuren auf der Bühne sind drei hochartifizielle, prächtig geschliffene Kabarettistenkarikaturen.

Gleichzeitig mit den Künstlern werden der Theaterbetrieb und sein Publikum mit träfem Sarkasmus zersetzt. «Sickmen» spielt mit Understatement, Versagen und Desillusionierung. Will einer zu hoch hinaus, fällt er auf die Nase, verstrickt sich in freudschen Versprechern, verirrt sich in komplizierten Argumentationsschlaufen, wird durch Schadenfreude, Mitleid oder ein Machtwort seiner Bühnenpartner auf den Boden der Realität zurückgeholt.

Diese fortwährende Abgleichung und Einmittung birgt allerdings auch die Problemzone des Abends (Regie Tom Ryser). In «Sickmen», das im Untertitel als Konversationsstück bezeichnet wird, herrscht ein (selbst)ironisch unterfütterter, maliziöser Erzählton vor. Und der ermüdet stellenweise etwas, lässt einen im Publikum passiv werden und träge auf die nächste Pointe warten. Besonders bestechend sind daher die Stellen, wo Unmittelbarkeit das Geschehen kräftig durchschüttelt, etwa wenn die drei Herren im Balgrist nächtigen und Viktor wegen Versicherungsfragen in Rage gerät, wenn Patrick einen durch Glutamat ausgelösten Anfall erleidet oder Mike sich über Pulposalat erst in Ekstase und dann in Rührung redet.

Weitere Vorstellungen bis zum 11. 10.

Kreative Kranke

26. September 2003, Tages-Anzeiger, von Charlotte Staehelin

Die «Sickmen» von Patrick Frey, Viktor Giacobbo und Mike Müller bescheren dem Casinotheater in Winterthur immense Kosten durch Medikamente, Spitalaufenthalte […]

Der Karikaturist Nico feiert sein 35-Jahr-Jubiläum beim «Tages-Anzeiger». Viktor Giacobbo befragte ihn aus diesem Anlass zu Motiven, Provokationen und Pannen.

Mit Nico sprach Viktor Giacobbo

Nico, du behauptest immer von dir, du würdest an der Côte d’Azur leben. Das macht aus dir einen Mann von Welt. Jetzt treffen wir uns hier in diesem trostlosen Mehrzweckbüro, das du beim «Tages-Anzeiger» bewohnst. Wie geht das zusammen?

Auch ein Kosmopolit muss hin und wieder in die Niederungen der Provinz hinuntersteigen. Nein, ernsthaft, es ist gar nicht mein Büro, sondern das von Tagi-Chefredaktor Peter Hartmeier.

Aha, das Chefbüro! Deswegen strahlt es so etwas Weltmännisches aus.

Das ist der Geist, der rüberspringt.

Du bist ja ursprünglich Deutscher . . .

Sag das nicht . . .

Die Wahrheit muss jetzt auf den Tisch. Du bist in Hannover aufgewachsen. Das ist ja nicht gerade ein wunderschöner Ort. War es danach immer dein Traum, einmal im Leben in Olten zu wohnen?

Beide Städte sind dermassen schön, man spürt den Übergang gar nicht.

Du hättest Montreux, Lugano oder Oberwinterthur wählen können und hast dich für Olten entschieden?

Ich bin erst nach Luzern gegangen und dann nach Zürich. Dass ich in Olten wohnte, kam erst viel später.

In Emmen wärst du mit dem Namen Cadsky nicht eingebürgert worden. Aber offenbar damals in Opfikon?

Ja, und zwar weil ich den Beamten mit meinen Jasskenntnissen überzeugen konnte. Ich betete ihm die Regeln aller in der Schweiz gängigen Jassarten herunter, sogar des ominösen Guggitalers, von dem der Beamte noch nie gehört hatte. Um sich das Ganze nicht noch einmal anhören zu müssen, hat er mich eingebürgert. Später wäre ich in Opfikon sogar fast noch Ehrenbürger geworden.

Dein gesamtes Leben hat sich also im Dreieck Opfikon, Olten, Hannover abgespielt?

(lacht)
Warum hast du dich als Schweizer Karikaturist an der Côte d’Azur niedergelassen?

Der Grund ist ein einfacher: Irgendwann bekam ich in den Händen Gicht und konnte nicht mehr ohne Schmerzen zeichnen.

Ein Super-GAU für einen Karikaturisten.

Ja, ich musste meine Lebensumstände verändern, bin in den Süden gezogen, habe meine Ernährung umgestellt und bin die Gicht so wieder losgeworden.

Du bist wahrscheinlich der bekannteste tagesaktuell politisch kommentierende Karikaturist der Schweiz. Da ich in einer verwandten Branche arbeite, überfällt mich immer wieder der Neid. Du zeichnest etwa 400 Karikaturen im Jahr. Findest du wirklich jeden Tag eine Idee?

Ich brauche die Ideen nicht zu finden, weil die Politiker und Wirtschaftskapitäne sie mir jeden Tag zuspielen. Das heisst, ich lese viele Zeitungen, höre Radio, schaue fern und versuche, am Ball zu bleiben.

In 35 Jahren beim Tagi hast du im Publikum ziemlich viel Widerspruch ausgelöst. Würde es wehtun, wenn die Beschimpfungen ausblieben?

Ja, Beschimpfungen braucht es. Sie schützen die Haut besser als Nivea-Crème.

Hast du eine Lieblingsbeschimpfung?

Ich bin nicht wählerisch. Die ernsthaftesten Beschimpfungen kommen natürlich aus der religiösen Ecke. Wenn eine Schwester aus Ingenbohl schreibt, sie reklamiere im Namen von 50 Millionen Christen, dann meint die das offensichtlich ernst. Ich habe der Schwester geantwortet, auf dem Brief würden noch ein paar Unterschriften fehlen.

Ist es nicht erstaunlich, dass Jahre nach den Filmen von Mel Brooks oder der Monty Pythons auch heute immer noch so viele Reaktionen von religiöser Seite kommen?

Die Reaktionen sind heute schon nicht mehr dieselben. Als ich 1968 beim Tagi anfing, gab es in Schweizer Tageszeitungen kaum politische Karikaturen. Für einen, der die Zeitung schon 50 Jahre abonniert hatte, war es ein gewaltiges Novum. Zu Beginn gab es enormen Protest, und es brauchte keine harten Zeichnungen, um die Leute auf die Barrikaden zu treiben. Heute ist dieser Gewöhnungsprozess abgeschlossen.

Bist du eigentlich kompletter Freidenker und Atheist?

Ja. Komplett frei. Sieh dich um: Es sind immer die monotheistischen Religionen, die Mord, Totschlag und Kriege auslösen.

Hattest du beim damals noch stärker links stehenden «Tages-Anzeiger» besonders gute Bedingungen, um zu provozieren?

Ich habe mir diese Frage manchmal gestellt, etwa wenn ich wieder einmal kündigte, weil ich mich über etwas aufgeregt hatte. Da stellte sich immer die Frage, wo ich jetzt hingehen könnte. Die Wahrheit ist – ich sage das nicht gern und streiche dem Verleger Hans Heinrich Coninx nicht gerne Honig um den Bart -, dass es in der Schweiz kein liberaleres Haus gibt als den «Tages-Anzeiger». Deswegen bin ich auch die ganze Zeit dageblieben. Der Tagi und Coninx haben von mir ja auch einiges an Kritik einstecken müssen, aber ich kann sagen, dass sie das gut weggesteckt haben.

Du hast ja einmal mit einer Karikatur Herrn Coninx sehr direkt angegriffen. Du liessest den Unternehmer Nicolas Hayek, der mit einer Studie über den «Tages-Anzeiger» beauftragt worden war, in einer Zeichnung zum Verleger sagen: «Wir können in diesem Haus niemanden entbehren – ausser Sie.» Wie hat er reagiert?

Er hat das sehr humorvoll aufgenommen, ja, er wünschte sich danach sogar das Original der Karikatur. Eine solche Haltung ist aber selten. Von all den Politikern und Bundesräten, die ich während der Jahre sehr häufig gezeichnet habe, hat eigentlich nur ein Einziger regelmässig mit Lob oder Kritik geantwortet: Willi Ritschard, der Bundesrat, von dem alle gesagt haben, der sei ja nur ein Spengler, wenn nicht gar ein Analphabet. Sonst kam nichts.

Auch nicht von Ogi oder von Blocher?

Blocher hat mir bei einer persönlichen Begegnung mal gesagt: «Aha, Sie sind der, der mich immer so zur Sau macht!» Das war seine Begrüssung.

Wenn man 35 Jahre lang zu allen wichtigen politischen Themen gezeichnet hat, kommt dann nicht der Punkt – etwa beim Thema Krankenkassenreform -, wo man merkt, dass man zu diesem Thema alle Jokes schon gemacht hat, die es gibt?

Mein Problem ist ein anderes: Wenn ich zu einem Thema zeichne, zum Beispiel zu Berlusconi, habe ich immer mehrere Zeichnungen fixfertig im Kopf, und im letzten Moment rufe ich diejenige ab, die mir die beste scheint. Die nicht gebrauchten Bilder bleiben aber im Kopf, und wenn ich später wieder zum Thema komme, weiss ich nicht mehr, ob ich diese Bilder schon gezeichnet habe oder nur gedacht.

Hast du schon einmal die gleiche Zeichnung erneut abgeliefert, weil du nicht mehr wusstest, dass du sie bereits gemacht hast?

Ja, ein einziges Mal ist mir das passiert, aber niemand hats gemerkt. Ich habs selber auch erst später bemerkt.

Wie geht das eigentlich technisch vor sich, wenn du von Cannes aus für die Zeitung zeichnest?

Ich schicke die Karikaturen per hundskommunes Fax. Ich bin gegen Computer und habe immer alle Geräte verschenkt, die ich aufgedrängt erhalten habe. Vermutlich würde die Redaktion von mir auch vermehrt farbige Karikaturen verlangen, wenn ich mit Computer und Modem ausgerüstet wäre, ich bin aber total gegen farbige Karikaturen.

Warum?

Aus ästhetischen und inhaltlichen Gründen. Die politische Karikatur verliert an Härte, wenn sie bunt gezeichnet ist. Wenn man die Tradition bei Angelsachsen oder Franzosen anschaut, dann sind jaall diese Karikaturen aus gutem Grund schwarzweiss.

Eines deiner erklärten Vorbilder als Karikaturist ist Paul Flora, auch Sempé gefällt dir. Gibt es Jüngere, die dir imponieren – oder verfolgst du die Szene nicht so stark?

Ich verfolge alles – ausser Comics, bei denen ich immer abschweife, weil mich die Geschichten langweilen. In der politischen Karikatur gibt es jedoch wenig Nachwuchs. Weder bei «Le Monde» noch bei der «Libération» oder den wichtigen deutschsprachigen Zeitungen sind bedeutende neue Talente zu erkennen.

Stirbt dein Gewerbe aus?

Nein, wir Älteren, Gestandenen hocken den Jungen heute einfach überall vor der Nase, sodass die sich gar nicht richtig entwickeln können. Zumal es auch keine Ausbildung gibt. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass ich nie von einer Kunstschule als Dozent angefragt wurde, um talentierte Zeichner, die Witz haben, zu politischen Karikaturisten auszubilden.

Kennst du denn einen guten Zeichner, der aus einem solchen Lehrgang hervorgegangen wäre? Wie wars bei dir?

Bei mir ist es autodidaktisch passiert, aber die Grundformen des Zeichnens habe ich doch in der Kunstgewerbeschule gelernt. Ein Lehrer entdeckte da, dass ich beim Porträtzeichnen leicht karikierte. Durch das leichte Verzerren kam ich schneller zur Ähnlichkeit als andere.

Genauer durch Übertreibung.

Genau. Zur Kenntlichkeit verzerrt.

Begonnen hat es also auch bei dir mit einer Kunstausbildung. Nun gelten die komischen Künste ja nicht richtig als Kunst. Wolltest du irgendwann etwas Ernsthaftes malen, um als wahrer Künstler anerkannt zu werden?

Es gab immer Kollegen, die gemalt haben. Ich weiss von Fredy Sigg, dass er gemalt hat, Peter Hürzeler malt, Hans Sigg sowieso. Ich selber würde nie malen. Das heisst, ich mache vielleicht schon humoristische Aquarelle, aber Malen als Künstler würde ich nicht. Es gibt so viel Tausende, die das machen . . .

Die Wertschätzung wäre eine andere.

Das ist mir wurst. Diesen Ehrgeiz habe ich nicht.

Aber das Vorurteil hast du schon gespürt?

Natürlich. Ich wurde schon zwei-, dreimal für den grossen Kunstpreis der Stadt Zürich vorgeschlagen. Das wurde freilich gar nie in Erwägung gezogen.

Wenn man an den «Tages-Anzeiger» der 60er- und 70er-Jahre denkt, dann erinnert man sich auch an radikale Journalisten, etwa an Niklaus Meienberg. Mit dem hast du dich aber seltsamerweise nicht so gut verstanden.

Das hatte eine Geschichte. Niklaus Meienberg verfasste eine Glosse auf einen Text, den Golo Mann für die «Weltwoche» geschrieben hatte. Das Problem war, man verstand die Glosse nicht, wenn man die «Weltwoche» nicht gelesen hatte. Also habe ich gesagt, dass ich mich weigere, diese Glosse zu illustrieren und dass ich sowieso dagegen sei, dass sie erscheint. Sie erschien aber dennoch, und es gab deswegen ein grosses Gestürm. Die Folge all dessen war, dass ich mit Niklaus Meienberg Streit hatte, nie etwas zu ihm zeichnete und er sich dies seinerseits auch vehement verbeten hätte. Später schrieb er dann in der WoZ einmal eine Doppelseite über politische Karikatur in der Schweiz, nur um darin meinen Namen nicht ein einziges Mal zu erwähnen. Es war unglaublich, welch negative Energie er mobilisieren konnte. Das war schade, denn politisch war ich mit ihm durchaus gleicher Meinung.

Sind wir Satiriker nicht vielleicht besonders gut im Austeilen, aber weich wie Pflaumen beim Einstecken?

Ich glaube nicht. Ich kann gut einstecken. Aber ich musste es lernen.

Welche Kritik macht dich auch heute noch sauer?

Wenn jemand schreibt, dass ich nicht aussehe wie Clark Gable.

Dabei siehst du aus wie Brad Pitt . . .

Mein jüngster Sohn rief mich letzthin an und sagte, er habe gar nicht gewusst, dass ich in einem Film mitspiele. Er bat mich France 3 einzuschalten, da sah ich Marlon Brando als 150-Kilo-Monstrum einen Psychiater spielen. Ich musste wahnsinnig lachen.

Empfindest du es nicht auch als grosses Privileg, dass wir unsere Wut in etwas Unterhaltsames verwandeln können?

Doch, es ist auch Psychohygiene.

Macht einen das aber nicht auch pessimistisch über die Entwicklung der Welt, weil die Probleme ja immer dieselben bleiben?

Zurzeit kann ich nur staunen, wie sich die Welt entwickelt – wenn ich etwa an George W. Bush oder Berlusconi denke. Ja: Pessimistisch bin ich manchmal, aber es knüppelt mich nicht nieder. Andererseits ist der Mensch halt einfach die schlimmste Kreatur der Schöpfung, das habe ich begriffen. Es gibt keine Fortschritte.

Du bist von Beginn an Pazifist gewesen und hast mit 19 Jahren Deutschland verlassen, weil du zum Militärdienst hättest einrücken müssen. Ist das eine Grundhaltung?

Ja. Ich musste schon beim «Nebelspalter» gehen, weil ich gegen den Vietnamkrieg und die Amerikaner anzeichnete. Der damalige Verleger fand das nicht lustig.

Aber beim Tagi teilt man deine politischen Haltungen?

Ja, es hat jedenfalls noch nie ein Verleger oder Konzernmanager oder Chefredaktor oder Redaktor versucht, meine Meinung zu ändern.

Kennst du jemanden anderen, der – so wie du – einfach zeichnen kann, was er will?

Von der Haltung her gab es ein Vorbild für mich: Die Geschichte von Vicky, der jahrzehntelang für den Londoner «Evening Standard» zeichnete. Vicky war ein ungarischer Kommunist, und dennoch wurde er vom bürgerlich-konservativen Besitzer des «Evening Standard» als Karikaturist angestellt. Der Besitzer sagte: «Meine eigene Meinung gezeichnet zu sehen, ist mir zu langweilig. Ich möchte wissen, was die anderen denken.» So verkaufe auch ich einem Freund und Kapitalisten meine Arbeitskraft – damit habe ich kein Problem -, aber nicht meine Seele. Die habe ich bereits dem Teufel verkauft.

Nico, ich danke dir für dieses Geständnis.

(Bearbeitung: Dominique Eigenmann)

«Ich bin total gegen farbige Karikaturen»

8. Juli 2003, Tages-Anzeiger

Der Karikaturist Nico feiert sein 35-Jahr-Jubiläum beim «Tages-Anzeiger». Viktor Giacobbo befragte ihn aus diesem Anlass zu Motiven, Provokationen und Pannen. […]

Im letzten Herbst feierte das Orchester Musikkollegium Winterthur einen grossen Erfolg, als es viermal im ausverkauften Casinotheater spielte mit Viktor Giacobbo als stänkerndem Kiffer Fredi Hinz. Der Erfolg veranlasste das Orchester und das Casino, das an sich konventionelle Programm mit Mozart, Vivaldi, Rossini und Strauss diese Woche noch viermal zu spielen – und wieder sind alle Vorstellungen ausverkauft. Musikkollegiums-Direktor Karl Bossert staunt: «Würden wir dasselbe Programm ohne Giacobbo spielen, kämen höchstens einmal 400 Leute.» Der Direktor des Musikkollegiums möchte gerne die Zusammenarbeit in dieser oder einer anderen Form weiterführen – nicht zuletzt wegen des Images und um ein neues, hoffentlich jüngeres Publikum anzusprechen.

Auch Theaterleiter Andrej Togni vom Casino ist des Lobes voll über die Zusammenarbeit: «Wir sind begeistert vom Publikumsmix und führen Gespräche über eine Fortsetzung. Es wäre schön, wenn sich daraus jedes Jahr ein gemeinsames Projekt ergäbe.»

Kiffer Giacobbo vernebelt Vivaldi

28. Januar 2003, Tages-Anzeiger, von mgm

Im letzten Herbst feierte das Orchester Musikkollegium Winterthur einen grossen Erfolg, als es viermal im ausverkauften Casinotheater spielte mit Viktor […]

Ueli Maurer, Roger Schawinski, Christiane Brunner und Jean Ziegler gibt es nicht mehr. Als Figuren bei «Viktors Spätprogramm». Die Verspotteten trauern; und wollen ihre Doubles selber weiterbeschäftigen.

Gestern Abend haben sie Schluss gemacht, sie hatten keine Wahl. Ihr Arbeitgeber Viktor Giacobbo hat genug von ihnen. Fredi Hinz, Debbie Mötteli, Rajiv Prasad und all die anderen sind suspendiert. Und was ist mit den Kopien Prominenter? Ihr Schicksal könnten die Parodierten selber lenken.

Wofür würden Sie Ihr Double einsetzen?
Ueli Maurer: «Mein Double sollte FDP-Präsident werden, das gäbe dieser Partei den nötigen Schwung.»

Roger Schawinski: «Mein Double wünsche ich mir als Nachfolger von Fernsehdirektor Peter Schellenberg, weil sie mich selber dort nicht wollen.»

Jean Ziegler: «Das Double schicke ich zur Schweizerischen Bankiervereinigung. Die reissen es in Stücke.»

Christiane Brunner: «Oh, ein Double wäre wunderbar. Ich würde es überall dorthin schicken, wo das Original es nicht hinschafft.»

Samuel Schmid: «Als Sportminister schicke ich es an die unzähligen Apéros, Cocktails, Arbeitsessen und Diners, die mir zunehmend auf dem Magen liegen.»

Peter Bichsel: «Ich möchte gerne einmal selber das Double sein und mich als Peter Bichsel verkleiden.»

Vreni Spoerry: «Ein Double brauche ich nicht. Man soll sich jeder Situation im Leben selber stellen.» Was nicht heisst, dass sie ihre Doppelgängerin nicht geliebt hätte. «Ein Markenzeichen» sei es, parodiert zu werden. Eine Auszeichnung, meint sie, «für Menschen mit Ecken und Kanten». Die SP-Präsidentin Christiane Brunner spricht gar von einem «Bonus der Parodierten».

Alle mögen sie ihre satirischen Doppelgänger. Fühlen sich geschmeichelt, parodiert zu werden. Bedauern das Ende der Sendung. Bezeichnen die schauspielerischen Leistungen als «hervorragend», «grandios», «einmalig». Leiten von ihren Imitatoren gar Handlungsanweisungen ab: Seit ihrem Double hinten einmal das T-Shirt zum Jacket herausgeschaut habe, achte sie beim Sitzen immer auf ihre Kleidung, sagt Christiane Brunner.

Sich im wandelnden Spiegel gesehen zu haben, findet Jean Ziegler «unglaublich» und rühmt seinen Darsteller Walter Andreas Müller. Und Peter Bichsel rühmt Mike Müller, der ihn imitierte.

Giacobbo schuf eine Satire, die vielen gut und niemandem richtig weh tat. Fast niemandem. Peter Bichsel gesteht, die Parodie sei ihm «unter die Haut» gegangen. Schon als Kind habe man ihn seiner näselnden Stimme wegen ausgelacht. «Und ich habe das Gefühl, ich sei hübscher als mein Doppelgänger.» Ueli Maurer hat sich mit Giacobbos Ueli versöhnt. Anfangs hatte es ihn verletzt, dass Giacobbo ihn als Blochers Trottel darstellte, auf der Strasse riefen ihm Unbekannte Beleidigendes nach, seine Kinder wurden in der Schule gehänselt. Mit der Zeit, als der SVP-Präsident an Statur und Einfluss gewann, konnte ihm sein Double nicht mehr viel anhaben. «In letzter Zeit hat es mir wohl sogar genützt», sagt Maurer.

Die Grosszügigkeit der Karikierten hängt weniger mit Humor als vielmehr mit Kalkül zusammen: Lieber karikiert werden als ignoriert. Jede Bühne ist gut genug, jeder Auftritt ist zu nutzen. Erst recht beim allseits beliebten Giacobbo.

Peter Bodenmann, der wortgewaltige Ex-Präsident der SP, hält den Humor giacobboscher Ausprägung für systembedingt. «Böser ging es im Staatsfernsehen nicht.» Spott sei in der Schweiz immer «ausgewogen, angemessen, zivilisiert». Unter diesen Vorzeichen habe Giacobbo seine Arbeit sehr gut gemacht. Einmal war auch Bodenmann in der Sendung, brillant wie immer. Wie Christoph Blocher. Wie Ruth Dreifuss.

Eine Einladung von Viktor war für viele sogar fast attraktiver als eine Einladung in die «Arena». Lustiger sei es gewesen und der Wein besser, sagt Jean Ziegler. FDP-Nationalrätin Christine Egerszegi fühlte sich wohl bei Giacobbo. Am liebsten wäre sie in einem Sketch aufgetreten, als Debbie Mötteli. Sie habe Giacobbo einmal darum gebeten, aber leider nie ihre Chance bekommen. Rekordhalter mit vier Auftritten war Ernst Mühlemann. Giacobbo und er hätten halt «ein ungebrochenes Verhältnis», von einer Beziehungskorruption will Mühlemann nicht sprechen. Aber von Neid. Grossem Neid der nicht Parodierten, nicht Eingeladenen.
Brunner hat sich nicht getraut

Es gab aber auch solche, die bewusst nicht hingingen. Vreni Spoerry zum Beispiel. Es sei ein Unterschied, ob sie in der Sendung als gelungene Karikatur vorkomme oder sich als Gast selbst zum Lachobjekt mache, sagt sie. Auch Christiane Brunner nahm nie eine Einladung an: «Ich habe mich nicht getraut.» Aus Angst, dem Satiriker auf Schweizerdeutsch sprachlich nicht gewachsen zu sein.

Wer in die Sendung gehen durfte, tat dies mit einer Mischung aus Freude und Angst. Verständlich: Die Absturzgefahr war gross. Es sei für Gäste die allerschwierigste Sendung gewesen, sagt Mühlemann. Viktors Sendung war immer live, während die «Arena» beispielsweise voraufgezeichnet wird. Bei Giacobbo wussten die Gäste nie, was auf sie zukommen würde. Ausserdem waren die Gespräche sehr kurz, drei bis sechs Minuten nur. Wenns nicht von Anfang an lief, war das Gespräch gelaufen.
Wählt Doubles in die Politik

Es gab einige Abstürze. Manche Gäste tappten in die selbst gestellte Falle und versuchten, den Satiriker zu imitieren. Giacobbo wollte seine Gäste nicht vorführen, auf fast jedes Gespräch war er bestens vorbereitet, der geistreiche Schlagabtausch hat ihn interessiert. Lächerlich machten sich die schlechten Gäste selber. Er habe «die Grenze des Anstandes» nie überschritten, lobt ihn die gutmütige SVP-Nationalrätin Ursula Haller. Und er habe der Politik einen besseren Stellenwert in der Öffentlichkeit geschaffen. Wer bei Giacobbo war, konnte sich grosser Resonanz sicher sein. Ein halber Satz bei Viktor habe 20 dröge Parlamentsvoten aufgewogen, sagt man im Bundeshaus.
Die logische Folge, denkt man sich, wäre künftig das Naheliegendste: die Wahl der Doubles in die Politik.

Viktor Giacobbo verlässt nach 13 Jahren das Fernsehen und seine Figuren.

Blumen für einen nicht so Bösen

12. Dezember 2002, Tages-Anzeiger, von Verena Vonarburg

Ueli Maurer, Roger Schawinski, Christiane Brunner und Jean Ziegler gibt es nicht mehr. Als Figuren bei «Viktors Spätprogramm». Die Verspotteten […]

2017