Viktor Giacobbo

, 31. Dezember 2017, von Andreas Tobler und Matthias Lerf

«Das Schweizer Fernsehen hat es verkackt»

Viktor Giacobbo und Mike Müller über die schwierige Suche nach ihren Nachfolgern, die Auferstehung von «Giacobbo/Müller» auf der Bühne und das Engagement des «Bestatters» gegen No Billag

 

«Giacobbo/Müller in Therapie» heisst Ihr neues Bühnenstück. Sind Sie therapiebedürftig?
Giacobbo: Unsere Therapeuten ­haben uns empfohlen, nach dem selbst verschuldeten Verlust unserer Sendung auf die Theaterbühne zu gehen.
Müller: Das ist zumindest die Behauptung im Stück.

Wird politische Aktualität darin vorkommen?
Giacobbo: Auch, aber nicht vordergründig. Wir thematisieren das Fernsehen, unsere Rolle als Medienmacher und Medienobjekte. Schon allein das gibt viel Stoff für Komik.

Werden Figuren wie Debbie Mötteli oder Hanspeter Burri ebenfalls auftreten?
Giacobbo: Ja, aber nicht in Vollmontur. Eine wichtige Rolle wird der Schauspieler Dominique Müller übernehmen, der auf der Bühne unseren Therapie-Coach spielen wird. Wie in unserer Fernsehshow wird auch der Musiker Dani Ziegler wieder mit dabei sein.
Müller: Aber wir zeigen keine alten Sketches. Dafür gibt es einen wunderbaren Youtube-Kanal von SRF, wo man die abrufen kann.

Wenn Sie jetzt mit etwas ­Ähnlichem zurückkommen wie dem, was Sie zuvor im Fernsehen gemacht haben, brauchen Sie vielleicht doch eine Therapie.
Giacobbo: Auf der Bühne schon. Privat eigentlich nicht, oder?
Müller: Nun gut, das kann man schwer beurteilen. Die meisten, die einen Hau weghaben, würden sich als gesund bezeichnen. Das ist immer gefährlich.
Giacobbo: Es ist auch gefährlich, jemanden so zu benennen. Nicht alle, die in Therapie sind, haben einen Hau.
Müller: Ich bin froh, dass du heute so auf Korrektheit bedacht bist. Das ist eine neue Seite an dir, die ich noch glatt finde.

Mike Müller, wie gut finden Sie es eigentlich, dass fast jeder Artikel zur No-Billag-Initiative mit einem Foto aus dem ­«Bestatter» illustriert wird.
Giacobbo: Mike ist halt der Billag-Junkie, der Gebührenabzocker, der muss jetzt auch mal dafür hinstehen. Ich gehöre zur Privatwirtschaft, bin unabhängig und unsubventioniert. Wir im freien Markt würden das ja nie machen.
Müller: Genau. Aber im Ernst: Der «Bestatter» muss für diesen Wortwitz, der Bestattung des Senders, herhalten. Es ist halt so, der «Bestatter» ist ein geeignetes Aushängeschild, deshalb engagiere ich mich auch in der Kampagne gegen No Billag. Die Quote der Serie stimmt. Aber sie ist auch sehr teuer. Nur ein subventionierter Sender kann Fiktion und Late Night produzieren. Dabei geht leicht vergessen, was SRF an Sachen Information leistet. Allein die tollen Radiosendungen, die kein Privater je machen würde.

 

In zwei Tagen beginnt die sechste «Bestatter»-Staffel. Ist es die letzte?
Müller: Das wissen wir noch nicht genau.

Eine Frage der Quoten? Oder der Lust von Mike Müller?
Giacobbo: Eine Frage der Gage. Mike treibt sie immer in die Höhe. Das können sie jetzt, vor der No-Billag-Abstimmung, aber nicht kommunizieren.
Müller: Das würde das Resultat beeinflussen . . . Nein, es ist doch so: Ich glaube nicht, dass Serien ewig laufen, auch die allerbesten aus Amerika oder Dänemark werden nicht unendlich fortgesetzt. Irgendwann hat man sie einfach gesehen. Die Programmierung von «Wilder» und «Bestatter» hat übrigens nichts mit der Abstimmung zu tun. Aber es kann natürlich helfen, wenn sie gut ankommen.
Giacobbo: Wenn wir schon beim Thema No Billag sind: Ich kann durchaus verstehen, dass jemand nicht zahlen will für etwas, das er nicht braucht. Nur muss er sich dann auch Fragen nach seinem Staatsverständnis gefallen lassen.

Ob die Ablehnung eines Service Public auch für andere Bereiche gelten würde.
Giacobbo: Genau, eine Annahme der No-Billag-Initiative läuft ja letztlich darauf hinaus, dass man für alles, was der Staat liefert, separat bezahlt. Das wird teurer und komplizierter, weil das auch einen riesigen Verwaltungsaufwand erfordert. Wenn jemand sagt, ich schaue das nie, also zahle ich dafür auch nicht, muss er konsequenterweise so weit gehen, dass er auch keine Steuern mehr bezahlen will.
Müller: Wenn man diese Perspektive einnimmt, gerät man schnell in einen libertären Chic, den die neue Rechte als Lifestyle verkauft. Damit kann man kokettieren, aber es zeigt eigentlich bloss Einfalls­losigkeit.

Viktor Giacobbo, Sie haben keine Fernsehprojekte?
Müller: Sie wollen ihn nicht mehr.
Giacobbo: Ich wollte eine Jugendsendung machen.
Müller: Er wollte ein Skateboard-Magazin moderieren. Aber das SRF ruft ihn nicht mehr an.

«Giacobbo/Müller» war ­erfolgreich. Eigentlich ein tolles Format, das ein Privater nach der Annahme der No-Billag-­Initiative selbst produzieren könnte.
Giacobbo: Ach, uns hat auch schon mal ein Privater gesagt, dass er unsere Sendung sofort übernehmen würde. Aber ich bin mir nicht sicher, ob der weiss, was das alles bedeutet. Ein privater Anbieter hätte uns ja auch mit unserer Unabhängigkeit übernehmen müssen. Da würde ich dann gerne einen Pietro Supino, Michael Ringier oder Peter Wanner sehen, wenn wir über sie in ihren eigenen Medien unsere Witze machen, wie wir das bei SRF getan haben.

Unabhängigkeit ist zentral für Satire.
Giacobbo: Das war unser Erfolgsrezept bei «Giacobbo/Müller». Wobei das schon beim «Spätprogramm» eine klare Abmachung mit SRF war: kein Chef, der mir sagt, was ich darf – und was nicht. Ich kenne in der Schweiz keinen anderen Medienbetrieb als die SRG, der dies seinen Satirikern je gewährt hat.

Der Ombudsmann ist bei Ihnen aber auch eingeschritten.
Giacobbo: Dauernd. Ich wurde von der Unabhängigen Beschwerdeinstanz gar wegen zwei Konzessionsverletzungen in «Viktors Spätprogramm» verurteilt. Aber wir konnten trotzdem weitermachen.
Müller: Satire im Oligarchen-TV ist einfach nicht möglich.

Ein Satireformat wie «Giacobbo/Müller» ist aber auch beim SRF nicht mehr gefragt, was gerade für Jüngere wie Dominic Deville hart ist, den man auf den späten Freitagabend verdrängt hat.
Giacobbo: Das SRF hat es verkackt. Schlicht und einfach. Vom Sendeplatz her und auch vom frühzeitigen Aufbau einer Nachfolge.
Müller: Sie hätten genug Zeit gehabt.
Giacobbo: Und wir haben auch früh genug junge Künstler oder Künstlerinnen empfohlen, die sich eignen würden. Das SRF hat jetzt ein Jahr lang gebraucht, bis es doch langsam wieder zu diesen Tipps zurückfindet, die wir ihnen schon vor drei Jahren gegeben hatten.

Welche Funktion hat Satire in unserer Gesellschaft?
Giacobbo: Nur eine: Sie soll unterhalten. Punkt. Mit dem Unterschied, dass man keine Weltflucht betreibt, sondern im Gegenteil das Weltgeschehen als Material benutzt. Ich halte es für Kitsch, wenn Satiriker sagen, sie hielten den anderen den Spiegel vor.
Müller: Es ist auch arrogant. Damit stellt man sich übers Publikum.

«Der Bundesrat, der für die Digitalisierung zuständig wäre, müsste für sich ­selber erst mal die ­Analogisierung begreifen.»
Viktor Giacobbo

Aber es freut Sie ja doch, wenn durch Satire eine gewisse politische Bildung zustande kommt?
Giacobbo: Ja, aber das soll nicht heissen, dass dann alle meiner Meinung sein müssen. Es gab mal drei Gymnasiastinnen aus Wetzikon, alle Fans von uns, die erzählten, die eine habe die Sendung zuerst schlecht gefunden. Bis ihr die anderen sagten: Du musst eben Zeitung lesen, dann verstehst du auch, um was es da geht. Am Ende habe sie begriffen, dass es diesen Ueli Maurer wirklich gibt. Das finde ich toll.

Was sorgt Sie am meisten in unserer Zeit?
Müller: Ich finde es ein Problem, dass mit den sozialen Medien so viele Bubbles entstanden sind und diese von amerikanischen Konzernen wie Facebook und Twitter kontrolliert werden, über die wir am 4. März nicht abstimmen können. Die interessieren sich auch nicht dafür, was wir in der Schweiz politisch gestalten wollen.

Sie selbst sind beide aktiv in den sozialen Medien, haben auf Twitter weit über 100’000 Follower, arbeiten also auch an der Bildung von Bubbles mit.
Müller: Natürlich blase auch ich Luft in meine Bubble. Aber ich lese auch noch Bezahlmedien wie Ihre. Und ich bin nicht der Typ, der sagt: «Mir ist alles zu viel, ich ziehe mich zurück.» Ich finde gewisse Fights auf Twitter ganz lustig.
Giacobbo: Ausserdem sehe ich an den Reaktionen auf Twitter, dass meine Bubble glücklicherweise nicht sehr dicht ist.

«Teilweise überschätzen sich die Politiker, was ihren Einfluss angeht. ­Gerade angesichts der Bubb­les und der neuen Medien.»
Mike Müller

Facebook und Twitter sind eine Realität, die unser Leben weiter bestimmen wird. Was tun?
Giacobbo: Ich weiss es nicht. Aber wenn ich mir die Politik im Alltag anschaue, bin ich grundsätzlich optimistisch. Pessimistisch bin ich nur, wenn ich mir die Welt in einigen Jahrzehnten vorstelle.

Warum?
Giacobbo: Weil ich mir denke, irgendwann einmal muss alles krachend zugrunde gehen. Sagen wir in hundert Jahren.

Glauben Sie als Kurzstrecken-Optimist, dass die No-Billag-­Initiative abgelehnt wird?
Giacobbo: Ja, aber nicht mit grossem Mehr.
Müller: Das glaube ich auch. Aber wir haben uns ja schon ein paar Mal geirrt.

Sind Sie, Mike Müller, auf Dauer auch pessimistisch?
Müller: Ja, aber das können wir uns leisten, wir sind ja keine Politiker. Politiker müssen Optimisten sein, Satiriker dürfen es nicht. Das liegt in der Natur der Sache.
Giacobbo: Wir dürfen tief pessimistisch sein, können aber immer noch einen Witz darüber machen.
Müller: Politiker dagegen müssen den Wählern etwas versprechen. Mir geht es ja nicht mal um Wahllügen, aber teilweise überschätzen sich diese Leute, was ihren Einfluss angeht. Gerade angesichts der Bubb­les und der neuen Medien.
Giacobbo: Auch bei der Digitalisierung. Der Bundesrat, der für sie zuständig wäre, müsste für sich selber erst mal die Analogisierung begreifen.

Mike Müller, Sie touren mit dem Stück «Heute Gemeindeversammlung» durchs Land. Hat das Ihren Blick verändert?
Müller: Ich habe gelernt, dass in der SVP der Unterschied zwischen Stadt und Land noch grösser ist, als ich angenommen hatte. Viele Gemeindepräsidenten, mit denen ich nach der Aufführung spreche, sagen mir: «Sie, wir bei uns haben im Fall nichts mit denen zu tun, die Sie meinen. Wir haben Ausländer im Dorf, aber es geht trotzdem gut.»
Giacobbo: Beim Drehen meines Dokfilms «Der grosse Kanton» in Deutschland habe ich gelernt, wie wichtig die Direkte Demokratie ist. Das klingt jetzt vielleicht etwas ­seltsam.

Auch etwas rührselig.
Giacobbo: Ja, aber bei den Gesprächen mit Deutschen, darunter grossen Namen wie Frank-Walter Steinmeier, Joschka Fischer und Gregor Gysi, haben die schon gesagt: Wenn wir ein Land wie die Schweiz wären, könnten wir zum Beispiel den Bau unseres Berliner Flughafenprojekts so vorantreiben, wie ihr den Gotthard gemacht habt. Nämlich mit einer Volksabstimmung, die dem Gemeinschaftsprojekt erst die notwendige Klarheit und Durchsetzung ermöglicht. Und irgendwie merkt man es ja jetzt auch bei der No-Billag-Abstimmung, wie wichtig der Zusammenhalt wäre. Die Schweiz ist ja nicht nur ein Volk von Hedonisten.

Sondern auch eine ­Willensnation.
Giacobbo: Ich wollte diesen Begriff eigentlich vermeiden. Aber klar, die Schweiz wird nicht nur vom Föderalismus und der Direkten Demokratie bestimmt. Sie wird auch von einem gemeinsamen Willen zusammengehalten.

Das klingt jetzt wie ein Wort zum Silvester.
Giacobbo: Ja, tut mir leid, dass ich die Neujahrsansprache des Bundesrats vorwegnehme. Aber ich denke, Alain Berset wird das noch etwas brillanter formulieren.
Müller: Ich fand das jetzt schon ein wenig peinlich.

Dann halten Sie uns keine Neujahrsansprache?
Müller: Mir ist die Stimmung gerade verreist.
Giacobbo: Gib doch zu, du warst gerührt! Du hast Tränen abgetupft.

2017