Viktor Giacobbo

, 22. September 2014, von Stefanie Christ und Fabian Sommer

«Ich bin der grösste Kindskopf»

Montagsinterview · Ade Sommerpause: Am Sonntag startet die Satiresendung «Giacobbo/Müller» des Schweizer Fernsehens in die neue Staffel. Zeit für ein Gespräch mit dem Winterthurer Kabarettisten Viktor Giacobbo (62) über Humor, sein Theater und das Pensionsalter.

Herr Giacobbo, wir fürchten uns ein wenig vor Ihnen…

Viktor Giacobbo: Das ist eine gute Voraussetzung. Ich mag ängstliche Journalisten. Aber wieso?

Im Gespräch mit Journalisten offenbarten Sie «Arroganz und Dünnhäutigkeit», war kürzlich in einer grossen Schweizer Tageszeitung zu lesen.

Ach, das war ein Spezialfall, das war kein verängstigter Journalist, sondern ein verärgerter – und er liess sich von Mike und mir so prächtig ärgern. Ich kann Sie aber beruhigen: Für gewöhnlich bin ich nicht so. Mich kann man alles fragen.

Sehr gut. Dann fragen wir, ob es Sie wurmt, dass Geri Müller seine Nacktselfies just in der Sommerpause von «Giacobbo/Müller» verschickt hat?

Nein, nein. Natürlich hätten wir zu Geri Müller möglicherweise ein paar pointierte Bemerkungen gemacht. Aber das nächste Gerigate kommt bestimmt. Die nachhaltigsten Rohstofflieferungen, die man sich vorstellen kann, finden ja in unserer Branche statt, in der Politik und auch sonst überall, wo auf der Welt was passiert.

Es wurmt Sie kein bisschen, wenn Sie etwas nicht in der Sendung verarbeiten können?

Natürlich kommt das vor. Aber ich habe ja auch andere Kanäle neben der Sendung. Ich twittere zum Beispiel oft oder verarbeite Ereignisse in Theaterproduktionen.

Welcher Politiker hat eigentlich den höchsten Unterhaltungswert?

Unfreiwilligen Unterhaltungswert haben viele, freiwilligen nur wenige. Alexander Tschäppät zum Beispiel ist einer der zweiten Kategorie, er ist schlagfertig und fightet gerne auf humorvolle Art. Toni Brunner kann das auch.

Viele Politiker sind bei «Giacobbo/Müller» zu Gast. Wie wählen Sie sie aus?

Mike Müller und ich brainstormen mit der Redaktion völlig unsystematisch nach möglichen Gästen, bei denen aber die Humorfähigkeit weniger Kriterium ist als deren Authentizität. In der Regel fragen wir unsere Wunschkandidaten dann am Dienstag oder am Mittwoch vor der Sendung an.

Und die kommen so kurzfristig?

Wenn sie sich freimachen können, schon. Die meisten Politiker nehmen die Einladung an und sind sich bewusst, dass man bei einem Auftritt in unserer Sendung gut wegkommen kann – oder eben auch nicht. So oder so ist unser Publikum grösser als jenes der «Arena», relativ jung und politisch noch unentschieden. Das ist für Politiker natürlich attraktiv.

Was bedeutet es Ihnen, wenn Sie Junge für Politik begeistern können?

Kürzlich hat mir eine Gymnasiastin gesagt, sie hätte die Sendung früher uninteressant gefunden, weil sie nie gewusst habe, wovon wir sprechen. Auf Anraten ihrer Freundinnen hätte sie begonnen, die politischen News zu verfolgen, und nun fände sie die Sendung toll. Es ist ein schönes Kompliment, wenn Junge «Giacobbo/Müller» schauen und merken, dass die Sendung zwar zum Lachen ist, dass es aber neben dem Klamauk auch um die politische Realität geht.

Sitzen Sie und Mike Müller die ganze Woche zusammen und hecken Sprüche aus?

Nein, das nicht gerade. Aber natürlich stehen wir in engem Kontakt. Unsere Partnerinnen haben uns auch schon als altes Ehepaar bezeichnet, das mindestens einmal pro Tag telefonieren muss. Wenn man eine solche Sendung zusammen macht, versteht man sich auch neben dem Beruf und ist befreundet.

Wie sieht eine Produktionswoche bei Ihnen aus?

Sie beginnt am Dienstag mit einer Telefonkonferenz. Wir schauen, welche Themen aktuell sind, welche Sketche wir machen könnten. Am Mittwoch werden diese geschrieben, danach ziemlich rasch produziert. Die Sketchtexte stammen von Mike Müller oder von mir, unser Headwriter Domenico Blass schreibt ab und zu auch einen, sonst niemand. Nur damit das mal gesagt ist.

Aber Sie arbeiten mit Pointenschreibern.

Ja, es gibt eine solche Gruppe. Sie bekommt jeweils am Donnerstag die Themen der Sendung, dann kann sie uns Pointen schicken. Wenn wir eine davon verwenden, wird der Schreiber entlöhnt. Das ist international Usus bei Late-Night-Shows. Ausserdem kommen jeweils drei von ihnen an unsere wöchentliche Inputsitzung.

Wie viel kostet eine Pointe?

Ungefähr 70 Franken.

Im Nachhinein müssen Sie sich Ihre Sendung anschauen. Tun Sie das mit Ihrer Freundin auf dem Sofa?

Nein. Ich sitze alleine auf dem Sofa.

Und wie ist das?

Es ist der härteste Teil meines Jobs. Denn es gibt immer Situationen, in denen ich etwas vermasselt habe. Dann muss ich beschämt wegschauen.

Sie sind streng mit sich.

Ja, Mike Müller und ich sind mit uns selbst am strengsten. Aber am Ende des Tages gibt es nur ein Kriterium für jemanden, der Satire macht: seinen eigenen Geschmack. Was wir gut finden, bringen wir. Wenn du anfängst, dich nach Mehrheiten zu richten oder gar Probeaufführungen durchführst, verlierst du deine Identität. Dann hast du auch keinen Mut mehr, Neues auszuprobieren.

Aber das Schweizer Fernsehen SRF nimmt doch bestimmt Einfluss.

Nein. Dass uns niemand dreinredet, war eine Grundbedingung für uns, diese Sendung zu machen. Wir sind nicht auf Gedeih und Verderb vom Fernsehen abhängig, das gibt uns eine frische Haltung. Und die Situation ist ja für beide Seiten gut: Wir bescheren dem Sender tolle Quoten und er uns keine Vorschriften.

Selbst bei Kritik am SRF nicht?

Es ist ein viel gescholtenes Unternehmen, wir halten uns mit Kritik auch nicht zurück, machen uns über die Logos lustig oder über die Chefs. SRF hat früh realisiert, dass man Satiremacher walten lassen muss, wenn man Satire will. Anders geht es nicht.

Sie produzieren 30 Sendungen pro Jahr, damit Raum für andere Projekte bleibt. Aktuell haben Sie neben «Giacobbo/Müller» Auftritte in der Boulevardkomödie «Achtung Schwiiz» im Casinotheater Winterthur. Ist es schwierig, den Theatermann vom TV-Satiriker zu trennen?

Trennen muss ich da nichts. Ich spiele im Theater eine andere Figur, es ist ein anderes Medium. Manchmal wird es halt ein bisschen streng, wenn Theater und Fernsehen zusammenkommen, so wie jetzt gerade.

Sind Sie auf der Bühne freier als im Fernsehen?

Freier im Sinne von frecher sicher nicht. Die Form ist anders. Bei einem Theaterstück ist man über zwei Stunden auf der Bühne, man muss das Publikum abholen und den Spannungsbogen bis am Schluss durchhalten. Man kann am Ende nicht sagen: Diese Szene machen wir noch einmal und schneiden am Schluss etwas raus, was man beim Fernsehen theoretisch machen könnte. Ein Publikum zu begeistern, ohne Mikrofon, unverstärkt zu spielen, Dialoge mit anderen Schauspielern – das ist etwas Grossartiges. Fernsehen ist für mich in keiner Hinsicht besser.

Anfang Jahr löste ein TV-Sketch, für den sich Birgit Steinegger das Gesicht schwarz angemalt hatte, eine Grundsatzdebatte über Humor aus. Hat diese Diskussion etwas verändert?

Nein, solche Diskussionen kommen ja immer wieder. Meistens wird dabei nicht sachlich diskutiert, das zeigt auch diese sogenannte «Blackfacing»-Debatte. Es war ein misslungener Sketch – so was passiert jedem Komiker. Aber daraus zu schliessen, Birgit Steinegger sei eine Rassistin, ist absurd. Als ich vor über zehn Jahren Harry Hasler gespielt habe, brandmarkten Feministinnen die Figur als frauenfeindlich. Bei fast allen Figuren hat irgendein Bedenkenträger mal protestiert – ich versuche diese jeweils zu ermuntern, sich statt mit dem eigenen grossartigen Moralkodex doch eher mit dem Verstand zu fragen, wer denn die Satirezielscheibe ist – bei Hasler sicher nicht die Frauen, sondern der Depp, der so daherredet.

Manche Leute denken einfach nicht weit genug.

Ja, aber meist ist nicht das Publikum zu dumm, sondern Berufsempörte entdecken da für sich ein Podium. In der «Blackfacing»-Debatte waren es zwei Kulturschaffende, die auf Missachtung der Antirassismusnorm klagten. Wenn wir so weit sind, dass wir Pointen oder die Satire dem Urteil eines Richters überlassen wollen, dann gute Nacht.

Humor braucht also kein Leitbild?

Um Gottes Willen! Das wäre das Ende.

Wo liegen Ihre persönlichen Grenzen?

Es fordert mich nicht heraus, wenn jemand bereits am Boden liegt und alle auf ihn eintreten, wie bei Geri Müller. Man kann ihn wegen seiner Nahostpolitik kritisieren, aber sicher nicht, weil er blöde Fotos verschickte und sich daraufhin selber als «Tubel» bezeichnete. Schliesslich hat er seine Penisaufnahmen nicht der Hamas geschickt.

Im arabischen Raum wird Humor gegen IS-Terroristen eingesetzt – etwa durch Karikaturen. Es gibt Stimmen, die das pietätlos finden. Andere meinen, Humor könne eine Waffe sein.

Konkret ändern kann Humor oder Satire wahrscheinlich nichts. Aber es kann jemanden beim Weiterdenken helfen, wenn er mal lachen muss. Oder sich mal etwas komplett Absurdes anschaut. Diese Diskussionen gab es schon immer. Darf man Hitler verulken? Er war doch ein Böser, darf man über ihn lachen? Wieso sollte man nicht über ihn lachen dürfen? Das Böse hat sehr wohl seine lächerlichen Seiten. Und ich denke nicht, dass Neonazis einen Sketch amüsant finden, in dem Hitler als Dödel – der er ja nebst Massenmörder auch war – dargestellt wird.

Hat sich Ihr Humor seit dem Anfang Ihrer Karriere verändert?

Lustig ist lustig, überraschend ist überraschend, absurd ist absurd. Das ist gleich geblieben. Verändert hat sich, wie man Humor konstruiert. Wenn man sich zum Beispiel die alten Sketches aus «Viktors Spätprogramm» anschaut, sieht man: Die waren doppelt so lang und viel langsamer geschnitten. Die Ästhetik hat sich verändert und damit auch die Rezeption von Humor.

Humor entsteht oft aus Traurigkeit. Haben auch Sie eine melancholische Basis?

Ja, genauso wie alle anderen Menschen auch. Es gibt viele Leute, die müssen in ihren Jobs funktionieren und gleichzeitig mit ihren depressiven Momenten fertigwerden. Das Klischee vom Clown, der an seiner Traurigkeit besonders zu leiden habe, finde ich kitschig und verlogen. Nehmen wir Robin Williams: Der arme Kerl litt an Depressionen und er hätte auch unter Depressionen gelitten, wenn er kein Komiker gewesen wäre.

Zu einem erfreulichen Thema: Sie sind Initiator und Verwaltungsratspräsident des Casinotheaters Winterthur.

Ja, das Haus funktioniert auch nach über zwölf Jahren immer noch – und das vor allem wegen der vielen kreativen Leute, die es am Leben erhalten. Das Haus wird durch Sponsoren finanziert und kommt ohne öffentliche Gelder aus. Trotz treuer Sponsoren – es ist an jedem Jahresende ein Kampf um eine schwarze Null.

Wenn Sie wie im aktuellen Stück selber mitspielen, stürzen sich die Zuschauer auf die Tickets.

Das hat nicht nur mit meinem Namen zu tun – das ist eine Teamleistung von Ensemble, Regie, künstlerischer Leitung. Aber Publikumshits lassen sich nur beschränkt programmieren.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Institution?

Wir müssen dafür sorgen, dass die Künstler der jüngeren Generation nachrücken und sich künstlerisch wie finanziell beteiligen. Wenn ich in zehn Jahren hier noch Verwaltungsratspräsident bin, stimmt etwas nicht.

Weil Sie in zehn Jahren in Pension sind? Sie sind 62-jährig …

Nein, aber dann mache ich etwas anderes. Vielleicht meine Zivilschutzkarriere fortsetzen.

Können Sie sich überhaupt vorstellen, je in Pension zu gehen?

Schwer. Aber ich habe ja auch ein grosses Privileg: Die Wahl, nur noch Projekte in Angriff zu nehmen, auf die ich Lust habe.

SRF plant auf 2016 eine eigene Dramaserie. Wäre nach TV-, Kino-, Theater- und Zirkusauftritten eine Serienkarriere was für Sie?

Nein, das kann Mike Müller besser («Der Bestatter», SRF, Anm. d. Red.). Wahrscheinlicher ist wieder einmal ein Spielfilm.

Wie bewahren Sie sich Ihren jugendlichen Elan?

Ich habe das Glück, mit vielen jungen Leuten zusammenzuarbeiten. Meistens bin ich zwar in diesen Gremien der grösste Kindskopf. Man sollte sich immer die Lust auf Neues bewahren. Ich habe beispielsweise für mein Alter einen eher untypischen Musikgeschmack. Ich liebe Indierock. Die meisten in meinem Alter hören ihre Oldies.

Dann trifft man Sie regelmässig an Konzerten?

Ich bin kein grosser Konzertgänger. Wenn man eine so bekannte Fresse hat, ist das nicht immer nur locker.

Alle wollen ein Selfie?

Ja. Die Leute sind ja immer nett und ich sage sicher nicht Nein. Aber an einem Konzert möchte ich nicht über die Sendung reden und Selfies machen.

Aber wir dürfen jetzt noch ein Selfie mit Ihnen machen?

Gerne. Aber die Hosen lasse ich nicht runter.

Interview: Stefanie Christ Fabian Sommer Giacobbo/Müller: ab 28.9., immer sonntags, 22.15 Uhr, SRF 1.

Achtung Schwiiz!: bis am 4.10. im Casinotheater Winterthur.


Im Gespräch

Wir treffen Viktor Giacobbo im Casinotheater Winterthur. Der 62-jährige Schauspieler, Satiriker und Autor initiierte im Jahr 2000 die privat finanzierte Institution und steht ihr seither als Verwaltungsratspräsident vor. Während er sonntags im Schweizer Fernsehen mit Mike Müller durch die satirische Late-Night-Show «Giacobbo/Müller» führt, tritt der Winterthurer noch bis zum 4. Oktober mit der Boulevardkomödie «Achtung Schwiiz!» im Casinotheater auf. Es ist ein familiäres Haus mit angegliedertem Restaurant, in dem die Mitarbeiter den Chef duzen und in dem auch kurz vor dem Auftritt noch alle gelassen scheinen.

Auch im Gespräch begegnet uns Viktor Giacobbo ruhig, reflektiert, herzlich. Wer einen aufgedrehten «Schnuri» erwartet hat, wird eines Besseren belehrt. Er nimmt sich Zeit für die Antworten, freut sich über ein vertieftes Gespräch – allzu oft halte ihm jemand unter Zeitdruck ein Mikrofon ins Gesicht. Man spürt: Giacobbo will nicht als Prominenter, der er zweifelsohne ist, wahrgenommen werden, sondern als Kulturschaffender. So werden denn auch Fragen zu seinem Privatleben höchstens mit einem schelmischen Grinsen gewürdigt.

Nach dem Interview mischt sich ein bescheidener Giacobbo unter die Gäste des Theaterrestaurants. Stunden später wird er sie auf der Bühne zum Lachen bringen.stc/fs

2017