Viktor Giacobbo

, 4. Oktober 2018, von Daniele Muscionico

«Wir haben geglaubt, dass wir später in verrückten Alters-WG leben würden»

Interview

Der bekannteste Satiriker der Schweiz steigt wieder ins Sägemehl und gastiert ab März im Zirkus Knie. Viktor Giacobbo über die Unterschiede zwischen Nationalzirkus und Nationalfernsehen, Fernsehstudio und Zirkusmanege – und über etwas, worüber er lieber schweigen würde: das Alter.

Herr Giacobbo, ich möchte über ein unattraktives Thema reden: das Alter. Sie treten zum 100-Jahr-Jubiläum nochmals im Zirkus Knie auf, dieses Mal mit Mike Müller. Ist das die Narrenfreiheit des Alters?

Beginnen wir mit einem attraktiveren Thema als dem Alter: Ich wurde seit meinem letzten Engagement 2006 von der Familie Knie immer wieder gefragt, ob ich wieder einmal eine Saison bei ihr gastieren würde. Doch solange unsere Sendung «Giacobbo/Müller» lief, war das kein Thema.

Sie sind 66 Jahre alt, wie stehen Sie zu Ihrem Alter?

«Alter» ist für mich ein eher abstrakter Begriff. Ausser in den Momenten, in denen ich mich im Spiegel sehe. Dann sehe ich nicht nur, was mir gefällt.

Und was missfällt Ihnen an Ihrem Spiegelbild?

Wenn ich nicht in den Spiegel sehe, denke ich, ich sähe aus wie Leonardo DiCaprio. Wenn ich in den Spiegel sehe, sehe ich aus wie Viktor Giacobbo!

Ist das nun eitel oder alterskokett? Etwas an Ihnen wird Ihnen wohl gefallen.

Viel ist es tatsächlich nicht. Aber manchmal, wenn ich Gleichaltrige treffe, denke ich: Das kann nicht sein, dass ich mit denen zur Schule ging, das müssen meine Eltern sein!

Ist ein Mann im Alter von 66 Jahren eigentlich ein älterer Herr oder ein Senior?

Er ist ein Mann in den Sechzigern, ein älterer Herr, wenn Sie so wollen. Aber mein Alter interessiert mich nicht wirklich. Man muss verdammt aufpassen, dass man nicht in die Banalitätenfalle gerät, wenn man darüber spricht. Ich meine, es gibt ein paar Banalitäten, die stimmen: Man kann zum Beispiel als biologisch älterer Mann geistig jung sein. Im Gegensatz dazu gibt es Dreissigjährige, die bereits aufgehört haben, neugierig zu sein. Und das ist tragischer, als 66 Jahre alt zu sein.

Die Philosophie kennt die Theorie der Alterskunst, man spricht von einem Know-how, einem Kennen und Können des Altwerdens. Mussten Sie lernen, älter zu sein?

Wieso sollte ich etwas lernen, das sowieso auf mich zukommt? Da halte ich es mit einer anderen Philosophie, und zwar mit jener von Yuval Noah Harari, dessen Buch «Homo Deus» ich gerade gelesen habe. Nachdem Harari mit der Seele und teilweise auch mit dem Geist abgerechnet hat, wagt er es, den Menschen als einen Algorithmus zu definieren. Wie dieser im Alter seine Aufgaben wahrnehmen wird, kann ich nicht beeinflussen. Auch wenn ich mich bemühe, im Alter neugierig zu bleiben – wenn wir denn ein Algorithmus sind, ist auch mein Wunsch, neugierig zu sein, letztlich vom Algorithmus gesteuert.

Der Mensch ist ein Algorithmus, ohne Seele, ohne freien Willen?

Also ohne ein Ich. Was dem Liberalismus den Garaus macht . . .

Dieses satirische Menschenbild spricht Sie als Berufssatiriker natürlich an . . .

. . . nein, hier spricht höchstens der Satiriker, der das Buch von Harari nicht ganz verstanden hat, das kann sein. Deshalb schlage ich vor, dass wir das Gebiet der Philosophie verlassen.

Gibt es Vorteile, 66 Jahre alt zu sein, verglichen mit, sagen wir, 44 Jahren?

Wenn man etwas auf sich hält und geistig noch ein bisschen fit ist, lernt man dazu, nicht jedes Jahr, aber vielleicht im Rhythmus von zehn Jahren. Aber nochmals: Ich habe über das Alter nicht viel zu sagen, es interessiert mich zu wenig.

Was interessiert Sie denn?

Das Leben, die Politik, Freundschaft, die Kultur, Sex!

Grossartig, reden wir über Sex. Hat sich Ihr Sexleben im Alter verändert?

Sicher, es ist vielfältiger geworden, man hat ja mehr Erfahrung (lacht). Dieser Satz wird mir von den Boulevardmedien sicher einmal um die Ohren gehauen.

Nächster Versuch: Gibt es in Ihrer Biografie ein Erlebnis, auf das Sie im Rückblick gerne verzichtet hätten?

Ja, das Frühaufstehen! Auf jedes frühe Aufstehen hätte ich gerne verzichtet. Übrigens, wenn Sie über das Alter reden möchten, ich kann doch etwas zum Thema beisteuern: Senile Bettflucht kenne ich nicht. Bis zehn Uhr vormittags kann ich gut liegen bleiben.

Welches Lebensalter war Ihr schwierigstes?

Ich habe in jedem Alter etwas für mich entdeckt. Als ich beispielsweise sechzehn war, 1968, war der linke Aufbruch toll, man konnte kreative und lustige Aktionen starten. Erst ein paar Jahre später kamen die Ideologie, das Denkverbot und die Neigung zum Sektierertum dazu. Damit war diese Zeit für mich abgeschlossen. Aber das Gute am Alter ist ja, dass man Dinge sein lassen kann. Lieber als in die Vergangenheit sehe ich nämlich in die Zukunft.

In der Zukunft, nächsten März bereits, stehen Sie mit Mike Müller wieder in der Manege. Was ist es an dieser Zirkusliebe, dass man nicht von ihr lassen kann?

Langsam, zuerst spielen wir von Herbst bis Januar das Stück «Giacobbo/Müller in Therapie» – eine Thematisierung unserer TV-Show auf einer Metaebene. Für die Zeit nach der Zirkustournee habe ich Ideen für einen Spielfilm; gleichzeitig aber habe ich keine Lust, bei den Filmförderungskommissionen Klinken zu putzen und um Unterstützung anzufragen. Lieber realisiere ich eine neue Mockumentary im Stil von «Der grosse Kanton», die könnte ich wieder privat finanzieren.

Machen Sie es doch wie Andreas Thiel. Für seinen Spielfilm sucht er keine staatlichen Fördergelder, sondern will ihn mit privaten Sponsoren finanzieren.

Das sehen wir dann, wenn wir es dann sehen.

Was reizt Sie denn daran, wieder ins Sägemehl zu steigen? Zirkustourneen gelten als äusserst strapaziös.

Weil das die tollste Live-Tournee ist, die in der Schweiz möglich ist! Der Zirkus Knie ist weltweit die Nummer eins unter den Zirkussen. Das wird Ihnen jeder Zirkusmensch bestätigen. Viele weltberühmte Zirkusse zeigen heute nur noch Werbeshows für Kinder. Eine traurige Entwicklung. Das private Unternehmen Knie präsentiert weiterhin ein anspruchsvolles Programm mit internationalen Top-Acts, aber als Stargäste werden Schweizer Komikerinnen und Komiker engagiert.

Es gibt also Ähnlichkeiten zwischen einem Studio des nationalen Fernsehens und der Manege des Nationalzirkus?

Die Manege ist viel mehr als ein Fernsehstudio! Man riecht, man improvisiert, man kann die Menschen mit einbeziehen, es kann einiges schiefgehen, Tiere treten auf, und zwar mittlerweile solche, bei denen man kein schlechtes Gewissen haben muss, dass sie auftreten, sondern solche, die in der Manege beschäftigt werden und Freude daran haben. Mike Müller und ich sind wie Fredy Knie junior grosse Tierfreunde, und wir engagieren uns auch dafür. Ich beispielsweise für das Orang-Utan-Programm der Stiftung PanEco.

Sind Sie der ältere Herr, der Sie einmal werden wollten?

Nein, ich hoffe nicht! Als Jugendlicher hat man ja ganz andere Vorstellungen davon, wie man im Alter einmal sein wird. Man transportiert sich, so, wie man ist, ganz einfach fünfzig Jahre in die Zukunft. Meine Generation hat zum Beispiel immer geglaubt, dass wir später einmal in tollen, verrückten Alters-WG leben und Rockkonzerte veranstalten würden. Inzwischen merken wir alle: Na ja, man wird ein bisschen älter . . .

. . . und erkennt heute: Auch klassische Musik hat ihr Gutes?

Überhaupt nicht! Heute sitze ich hier und gebe wider Willen ein Interview über das Alter, obwohl ich eigentlich gar nicht darüber sprechen wollte.

2017