Viktor Giacobbo

Das Duo Giacobbo/Müller kehrt auf die Bühne zurück. Die Kabarettisten sind die Stargäste beim100-Jahr-Jubiläum des National-Circus Knie.

Die Bühne, die man ihnen einst im Schweizer Fernsehen für die Late-Night-Show bereitete, gibt es nicht mehr: Die Sendung Giacobbo/Müller wurde im Dezember 2016 aus dem Programm genommen. Nun gibt das Satirikerduo überraschend ein Comeback – und macht Zirkus. Im Knie.

Viktor Giacobbo und Circus Knie kennen sich bereits: Der TV-Komiker wagte im Jahr 2006 den Sprung ins Chapiteau. Für Schauspieler Mike Müller wird die Manege eine Herausforderung sein. Routine sei es aber auch für ihn nicht, gibt Giacobbo gegenüber den Medienvertretern zu, die sich gestern auf der Berner Allmend eingefunden haben, wo der Schweizer Nationalzirkus derzeit gastiert. «Man darf es nie unterschätzen», sagt Giacobbo dieser Zeitung, «ich gehe dieses zweite Engagement mit Respekt an.»

Beobachter erinnern sich an das Duo Fischbach, das mit einigen Jahren Abstand ein zweites Mal den Komikerpart im Sägemehlrund übernahm – und dann prompt zu hören bekam, beim ersten Mal sei es besser gewesen. Allerdings traten Fischbachs zweimal in derselben Konfiguration an. Giacobbo kommt diesmal aber nicht allein in den Zirkus, sondern eben mit Mike Müller. Die beiden Komiker können sich Dialoge und Pointen zuwerfen wie Tennisbälle. Die Auftritte änderten sich während der Tournee, sagen die Komiker: «Wir nehmen Aktualitäten auf.»

Erstmals wird Knie 2019 eine Zweiteilung vornehmen: In den Nachmittagsvorstellungen, die vorwiegend von Familien mit eher kleinen Kindern frequentiert werden, werden Clowns mit kindgerechten Spässen auftreten. Abends wird die Manege Giacobbo/Müller gehören. Das Duo wird Anspielungen und Doppeldeutigkeiten einbauen, die junge Ohren vielleicht nicht so gut verstehen.

Babysitter für Knie-Kinder
Mike Müller hat eine andere Erklärung, weshalb Giacobbo/Müller an Nachmittagen pausieren: «Wir müssen die Kinder von Géraldine Knie hüten.» Wobei das eine steile These ist: Diese Kinder treten längst selber im Zirkus auf. Auch die launige Ankündigung des Duos, man werde 2020 im Circus Royal auftreten, treibt Zirkus-Chef Fredy Knie junior keineswegs den Schweiss auf die Stirn: Sie ist so unwahr wie Müllers Klage, Fredy junior habe ihn «übers Ohr gehauen», der Knie-Chef habe ihm einen Solo-Auftritt zugesagt – kein Duo mit diesem Giacobbo. Dieser revanchiert sich am Büffet mit der Anweisung ans Personal: «Gebt Mike nichts zu essen!»

Satire im Sägemehl

22. August 2018, Der Bund, von Markus Dütschler

Das Duo Giacobbo/Müller kehrt auf die Bühne zurück. Die Kabarettisten sind die Stargäste beim100-Jahr-Jubiläum des National-Circus Knie. Die Bühne, die […]

Satire als Geschäft Die Volkswirtschaftliche Gesellschaft schenkte sich zum Abschluss ihres 100-Jahr-Jubiläums einen Auftritt von Viktor Giacobbo. Der gab sich Mühe, nicht zu nett zu sein.

Einmal hat sich Urs Berger schon die Finger verbrannt an Viktor Giacobbo. Als die Mobiliar-Versicherung 2008 als Sponsor bei der Late-Night-Show «Giacobbo / Müller» einstieg, erhielt der damalige Firmenchef jede Menge böse Briefe. Was der Mobiliar eigentlich einfalle, «so einen Chabis zu unterstützen», wollten die Empörten damals wissen. Berger liess sich nicht beirren und hielt das Sponsoring vier Jahre lang aufrecht. Nun ging Berger noch einmal ein Risiko ein. Zum letzten Anlass unter seiner Leitung lud der abtretende Präsident der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft des Kantons Bern (VWG) keinen hochdekorierten CEO ins Zentrum Paul Klee ein, sondern einen KMU-Vertreter mit Spezialgebiet Comedy, der von sich sagt, er sei vermutlich der Einzige, der direkt vom Praktikanten zum Verwaltungratspräsidenten aufgestiegen sei.

Wer gehofft hatte, Viktor Giacobbo würde in Bern ein Pointenfeuerwerk zünden oder seine legendären Figuren Harry Hasler, Debbie Mötteli und Fredi Hinz zum Besten geben, wurde gestern Abend enttäuscht. Als er aus dem Publikum aufgefordert wurde, jemanden zu imitieren, entgegnete Giacobbo knapp, er sei heute als Unternehmer da, für alles andere brauchte er eine Extragage. Das klingt plausibel für einen, der sagt, als Satiriker dürfte man den Leuten nicht zu sympathisch sein, das wäre geschäftsschädigend. Aber natürlich lässt sich Unternehmertum und Satire in seinem Fall nie ganz trennen. Denn auch als Unternehmer ist Giacobbo nie um eine Pointe verlegen. Das Casinotheater Winterthur sei die einzige Aktiengesellschaft, die offen zugebe, dass ein Komiker das höchste Amt bekleide, bemerkte er beispielsweise.

Aber bei aller Selbstironie konnte Giacobbo nicht verbergen, dass er stolz ist auf das, was er in den letzten 15 Jahren mit befreundeten Künstlern aus dem maroden Winterthurer Casino gemacht hat. 700 Veranstaltungen stemmt das Haus pro Jahr mit 56 Festangestellten; rund die Hälfte der Events entfällt auf die Sparte Gastronomie, die einen Jahresumsatz von 5 Millionen Franken erzielt. Und die Bühnensparte unter der künstlerischen Leitung des Berners Nik Leuenberger schafft es laut Giacobbo immer wieder, «junge Talente zu entdecken und innovative Formate zu entwickeln». Das Casinotheater sei «der Leuchtturm der Schweiz im Bereich Kabarett», vergleichbar mit der Stellung des Zürcher Opernhauses, resümierte der Präsident ganz ohne Ironiesignale. Das provozierte prompt die Frage aus dem Publikum, was eine Aktie koste und wie hoch die Dividende sei. «Fast hätt ichs vergessen, ich bin ja hier unter Volkswirtschaftern», antwortete Giacobbo und führte aus, die untere Grenze für eine Beteiligung liege bei 10 000 Franken. Im Gegenzug erhielten Aktionäre diverse Ticketvergünstigungen und kämen in den Genuss einer rekordverdächtig kurzen Generalversammlung mit konkurrenzlos gutem Essen im Anschluss. Eine Eigenart des Hauses sei zudem, dass viele Künstler am Theater beteiligt seien und diese Künstleraktionäre über eine höhere Stimmkraft verfügten als die übrigen Teilhaber. Damit könne verhindert werden, dass finanzkräftige Investoren das Theater in ein Warenhaus oder ähnlich verwandeln würden.

Während andere Chefs gerne ein Maximum an Erfolgen für sich beanspruchen, gab sich Giacobbo alle Mühe, seinen Einfluss beim Casinotheater kleinzureden. Er fungiere hauptsächlich als «Grüssaugust», gab er zu verstehen, und er tauge als waschechter Winterthurer natürlich als Aushängeschild. Zudem sei er biografisch schon lange mit dem Casino verstrickt, habe er es in diesem Gebäude doch in jungen Jahren geschafft, dem Militärdienst zu entkommen. Er sehe noch heute das Gesicht des Leutnants vor sich, der ihn damals ungläubig gemustert habe und am Ende zum Schluss gekommen sei, dieser junge Mann stehe unter Drogen. «Damals schlüpfte ich erstmals unbewusst in die Haut des dauerbekifften Fredi Hinz.» Trotz solch schicksalshafter Verbindung mit dem Casino will Giacobbo nicht ewig im Chefsessel bleiben. «Wir Gründer waren schon vor 15 Jahren alt und sind seither nicht jünger geworden», sagte der 63-Jährige. Deshalb brauche es frischen Wind. Wenn er in 10 Jahren noch im Amt sei, sei etwas schiefgelaufen.

Gegen Ende der vergleichsweise ernsthaften Ausführungen wollte die bernische Finanzdirektorin Beatrice Simon dann doch noch wissen, worüber der Satiriker Viktor Giacobbo denn herzhaft lachen könne. Er sei ein eher ernsthafter Mensch und lache sich in seiner Freizeit nicht pausenlos tot, versicherte dieser. Ansonsten sei sein Humor durchaus ordinär: «Wenn Sie nachher hier vor meinen Augen auf einer Bananenschale ausrutschten, fände ich das wahnsinnig komisch.»

Die Lachnummer im Chefsessel

25. November 2015, Der Bund, von Mathias Morgenthaler

Satire als Geschäft Die Volkswirtschaftliche Gesellschaft schenkte sich zum Abschluss ihres 100-Jahr-Jubiläums einen Auftritt von Viktor Giacobbo. Der gab sich […]

Fünf Jahre nach seinem Abschied kehrt Viktor Giacobbo auf die Mattscheibe zurück. Und er bringt Verstärkung mit: Mit Mike Müller bietet er ab morgen einen wöchentlichen «Late Service Public» an. Das Timing könnte besser nicht sein.

 

Man stelle sich einen direktdemokratisch organisierten Königshof vor – zugegeben eine etwas abenteuerliche Konstruktion. An diesem Königshof namens Helvetien herrschten sieben Gekrönte mehr oder weniger gleichberechtigt; einer jedoch sah sich als Primus inter Pares, als Retter des Vaterlandes gar, und wurde prompt gestürzt. Die Anhänger des solcherart Gedemütigten schworen Rache und kündigten einen kompromisslosen Oppositionskurs an. Goldene Zeiten brachen damit auch für die Hofnarren an, allerdings dominierten seit dem Abgang des frechsten aller Narren einige Jahre zuvor an der Tafel der Mächtigen eher laue, mehr oder minder «genial daneben» liegende Spässchen, Fäkalhumoresken und allzu brave Königsparodien. Und just in diesem historischen Moment, wo sich für die Satire eine grandiose neue «Mörgeliröte» abzeichnet, kündigt der allerorten vermisste Spassmacher zum Entzücken des Hofstaats seine Rückkehr an, begleitet von einem überaus hoffnungsvollen Knappen.

Bekannte und neue Figuren

Hat er einfach den richtigen Zeitpunkt abgepasst, mit beneidenswerter Intuition auf eine Konstellation gewartet, die ihm – zumindest auf nationalem Parkett – satirisches Material im Überfluss bereitstellen wird? Tatsache ist, dass dem 56-jährigen Viktor Giacobbo, dem «Godfather» der Schweizer Comedy-Szene, in fast unterwürfiger Manier der rote Teppich ausgerollt und eine Carte blanche für diese neue Satiresendung ausgehändigt wurde. Seit seinem Abgang 2002 nach sieben Jahren «Viktors Spätprogramm» hatte die Unterhaltungsabteilung des Schweizer Fernsehens vieles versucht, um die satirische Dürreperiode zu beenden – aber Formate wie «Rätpäck», «Edelmais & Co» oder «Black ’n’ Blond» dümpelten kraftlos und ohne authentische Ausstrahlung im Kielwasser des Comedy-Booms deutscher Privatsender.

Morgen Sonntag nun hat «Giacobbo/Müller» Premiere. Angelegt als satirischer Wochenrückblick, wird die 40-minütige Sendung um 19.30 Uhr im Kaufleuten aufgezeichnet und jeweils um 22.10 Uhr auf SF 1 ausgestrahlt ( für 2008 sind 30 Sendungen geplant mit einer Sommerpause von Ende Mai bis Anfang Oktober). Die Gastgeber kommentieren die wichtigsten Ereignisse der vergangenen Woche, unterhalten sich mit Gästen, dazu gibt es vorproduzierte Filmeinspielungen und Auftritte von Komikern – fest engagiert ist der junge Parodist Fabian Unteregger, musikalische Akzente setzt das englische Einmannorchester «Peter Tate and himself».

«Wir erfinden weder das Fernsehen noch die Satire neu», sagt Giacobbo und versucht, die grossen Erwartungen zu dämpfen. «Wir wollen bestehende Formate einfach mit guten Inhalten füllen.» Improvisation und Spontaneität sind in «Late Service Public» denn auch gross geschrieben, Müller und Giacobbo verzichten als eingespieltes Team auf ein Drehbuch und wollen sich die Bälle situativ zuwerfen. Gleichwohl: Ganz ohne rhetorisches Sicherheitsnetz betreten sie das kabarettistische Hochseil nicht; ein vierköpfiges Autorenteam unter Headwriter Domenico Blass (der mit Giacobbo schon an den Drehbüchern zu «Ernstfall in Havanna» und «Undercover» schrieb) ist für Input zuständig.

Natürlich wird Viktor Giacobbo bei Bedarf auf die bewährten Kultfiguren zurückgreifen, auf Fredi Hinz oder Debbie Mötteli etwa. Allerdings ist er wohl zu intelligent, um sich auf den alten Lorbeeren auszuruhen und eine risikolose Figurenparade anzubieten. Dem Vernehmen nach ist etwa eine Toni-Brunner-Figur in Vorbereitung; bereits vorproduziert sind Einspielungen, die Müller und Giacobbo als eher unappetitliche Schweizer Touristen zeigen, die schon die ganze Welt gesehen haben sowie einen Teil des Auslands.

In den fünf Jahren selbst verordneter TV-Abstinenz ist Giacobbo bekanntlich nicht untätig geblieben: Er tourte mit dem Zirkus Knie und etablierte sich mit dem Casinotheater Winterthur als Unternehmer. Beim subventionsfreien Casinotheater fungiert er als Verwaltungsratspräsident. Geist und Macht führte Giacobbo für seine Zwecke gekonnt zusammen: Namhafte Wirtschaftsführer (darunter Leute wie SVP-Nationalrat Peter Spuhler oder UBS-Chef Ospel) konnten als Sponsoren gewonnen werden; immerhin wurden 15 Millionen für Umbau und Renovation benötigt.

So gesehen ist der TV-Rückkehrer Viktor Giacobbo heute ein Satiriker  mit einem gewissen Reputationsproblem; für die Rolle des ohnmächtigen Underdogs, dessen Waffen Witz und Wortgewandtheit sind, ist er nur noch bedingt tauglich, die zahlreichen Neider sehen in ihm den alles kontrollierenden Drahtzieher einer Winterthurer Theatermafia. Die verloren gegangene Street-Credibility wird sich der ehrgeizige Giacobbo zweifellos mit Angriffslust und ätzendem Spott zurückerkämpfen wollen.

Unterschätzt den Sidekick nicht

Seien wir jedoch nicht ungerecht: Bei seinem unaufhaltsamen Aufstieg auf den Schweizer Satireolymp hat Giacobbo immer auch nach Kräften den Nachwuchs gefördert – zu diesen Glücklichen gehörte einst auch der Oltener Mike Müller, der Giacobbo mit einer fulminanten Peter-Bichsel-Parodie begeisterte. Giacobbo und Müller sind, wie in einem Buddy-Movie, zwei schon äusserlich unterschiedliche Typen, der kleine Giftzwerg und der dickliche Gemütsmensch. Aber Obacht: Der 44-jährige Mike Müller ist studierter Philosoph, und die Tarnung als sympathische Dumpfbacke sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er problemlos auf dem intellektuellen Niveau und mit der Mundwerk-Geschwindigkeit von Giacobbo mithalten kann. Müller wird zwar in «Late Service Public» mit Giacobbo am gleichen Pult sitzen, aber schlitzohrig mit dem Habitus eines braven Soldaten Schwejk kokettieren. Als Theatertier weiss Mike Müller, «dass ein Gefälle zwischen uns schon sein muss, sonst fehlt die Spannung».

Der wandelbare und nuancierte Mime Müller hat kürzlich auf der Bühne des Zürcher Schauspielhauses den Horatio gegeben, den treuen Freund und Bewunderer von Hamlet. Mit der Rolle des ehrfürchtigen Stichwortlieferanten für Viktor Giacobbo wird er sich hoffentlich nicht begnügen, als ebenbürtiger Sidekick ist vom Vielseitigen einiges zu erwarten, er, der vom scharfsinnigen Wortakrobaten bis zum mundfaulen Prolo alle Register ziehen kann.

Ein Glas Wasser des Vergessens

Giacobbo und Müller haben im neuen Sendegefäss durchaus eine verantwortungsvolle therapeutische Funktion; als geistige Kläranlagen sind die bekennenden Medienjunkies um ihre eigene, aber auch um unsere geistige Hygiene besorgt, sie sichten und entsorgen den alltäglichen medialen Wahnsinn, auf dass wir fortan jeden Montag wieder mit klarem Blick die Arbeitswoche in Angriff nehmen und uns von der an psychische Folter grenzenden Gratiszeitungsflut nicht einfach so willenlos wegspülen lassen. Um noch etwas bei der Wassermetaphorik zu verweilen: Giacobbo und Müller reichen uns aus dem mythologischen Fluss Lethe – diesem Fluss des Vergessens – ein Glas Wasser, das unseren Durst nach etwas mehr Durchblick und Unterhaltung löscht und nebenbei die Erinnerungen an die schlimmsten medialen Lärmemissionen elegant auslöscht.

In der Premierensendung wird SVP-Scharfmacher Christoph Mörgeli auftreten – ob als Figur oder in Fleisch und Blut wird vielsagend offen gelassen. Allerdings spielt das keine entscheidende Rolle, denn: Herr Mörgeli wird zum Auftakt von «Late Service Public» so oder so eine königliche Lachnummer abgeben.

Die zwei von der Kläranlage

26. Januar 2008, Der Bund, von Alexander Sury

Fünf Jahre nach seinem Abschied kehrt Viktor Giacobbo auf die Mattscheibe zurück. Und er bringt Verstärkung mit: Mit Mike Müller […]

KULTUR-CASINO BERN

Sie suchten eigentlich das Casting für «Music-Star». Doch dann platzten Debbie Mötteli (Viktor Giacobbo) und ihr Gottenkind in ein klassisches Konzert im Berner Casino: «Chicks in Concert».Einen solchen «Clash of Civilizations» hat das altehrwürdige Kultur-Casino kaum je gesehen: Eine nuttig gekleidete Wasserstoffblondine – in den USA spräche man von «white trash» – betritt den Konzertsaal im knallroten Plastikmantel, in Leggins und mit Stilettos. Bar jeder Bildung und allzeit bereit, in ein Fettnäpfchen zu treten, hat sie auch nicht die Gnade, ihr vulgär geschminktes Mundwerk zu halten.

Debbie Mötteli, die vom Kabarettisten Viktor Giacobbo gespielte (Fernseh-)Kultfigur, hat Glück. An diesem Mittwoch sitzt im Auditorium nicht die mehrheitlich ergraute bildungsbürgerliche Abon-nementsgemeinde im dunklen Tenü. Das Durchschnittsalter ist auffällig tiefer als sonst. Viele Besucher haben unten an der Garderobe keine dunklen Mäntel abgegeben, sondern bunte Freizeitjacken. Dies, nachdem sie sich haben instruieren lassen, dass in diesem Bildungstempel jede Sitzreihe einer Garderobenfrau zugeteilt ist.

Heute ist alles anders. Das vertraute Bild eines dunkel gewandeten Orchesters, das im Halbkreis um den Dirigenten sitzt, darf nicht täuschen. Man gibt «die lustigen Weiber von Windsor», «das Märchen von der schönen Melusine» von Mendelssohn, Bizets «Carmen», Prokofiev und Strauss – Werke mit vielen Frauenbezügen. «Chicks in Concert», schwant es einem.

Weil ein Unglück selten allein kommt, hat Debbie Mötteli ihr Gottenkind Gabi Muff (Fabienne Hadorn) mitgebracht. «Du, s’hät ganz viil Lüt dinääää», entfährt es Debbie Mötteli, als sie in den Saal eindringt. Das ist der Beginn eines grossen Missverständnisses: Gotti und Gottengoof sind auf dem Weg zum «Music Star»-Casting, jetzt, wo dort gemäss Debbie Mötteli «au die Dickä döfed mitmochääää».

Dick ist Gabi Muff nicht, etwas drall vielleicht. Das kurze Shirt erlaubt den freien Blick auf ihren gepiercten Bauchnabel mit dem glänzenden Schmuck, den Gabis Freund, Secondo Flavio, angeblich so liebevoll . . . so genau, liebe Gabi, wollten wirs nicht wissen. Es gibt für Debbie und Gabi viel zu staunen: Die Absenz jeglicher Verstärkeranlagen, die «grossen Gitarren» (Kontrabass und Celli), den Mann «mit dem Steckli», in Insider-Fachkreisen auch Dirigent genannt.

In der Pause werden wir hinter uns des Paars Birgit Steinegger und Markus Köbeli ansichtig. Aha, daher weht der Wind! Köbeli hat ja dem äusserst wandlungsfähigen kabarettistischen Dreigestirn Birgit Steinegger, Viktor Giacobbo und Walter Andreas Müller unzählige Rollen auf den Leib geschrieben. Doch Köbeli winkt ab: Nein, diese Sketches seien nicht von ihm.

Unser Platznachbar, ein seriöser Herr, betrachtet das fast volle Casino mit Wonne. Es ist Karl Bossert, der Direktor des Musikkollegiums Winterthur. Der Tonkörper ist mit dem Crossover-Programm schon in der Eulachstadt und im «bumsvollen KKL» in Luzern aufgetreten, wie Bossert dem «Bund» in der Pause in einer dem Anlass angepassten Diktion erklärt. Gestern war Zürich dran. Der Erfolg kommt dem Orchester zupass: Ebenso wie andere Winterthurer Institutionen – Kunsthaus und Technorama – muss es sich in Bälde einer Volksabstimmung stellen, bei der es um Kredite geht, «die über Sein oder Nichtsein entscheiden».

Das Publikum klatscht begeistert – und pfeift wie bei einem Rockkonzert. Debbie und Gabi kommen doch noch zu ihrem «Music Star»-Auftritt: Ein Gesangsduo mit dem «Titanic»-Song samt Orchesterbegleitung. Gabi, echt mega krass, du hast es geschafft! Yeahhh!

«S’sind ganz viil Lüt dinäää»

17. Februar 2005, Der Bund, von Markus Dütschler

KULTUR-CASINO BERN Sie suchten eigentlich das Casting für «Music-Star». Doch dann platzten Debbie Mötteli (Viktor Giacobbo) und ihr Gottenkind in […]

«Sickmen» von Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller im Casino-Theater Winterthur

 

Ärztliche Betreuung von vor dem Eingang bis zum Ausgang: Das Winterthurer Casino-Theater bietet in seiner neuen Eigenproduktion einen kabarettistisch-medizinischen Totalservice. Als Spätprogramm mit anderen Mitteln dürfte es vor allem Entzugserscheinungen kurieren.

Ein schwarzer Vorhang, drei Lederstühle und drei Männer mittleren Alters in Anzügen: Die Ausstattungskosten für – gut anglo-eidgenössisch – «Sickmen» halten sich in Grenzen, da wäre das ursprünglich geplante Politstück «Der saubere Krieg» mit seinem Bodenseehochseefrachter bestimmt teurer geworden.

Welche komplizierten medizinisch-philosophisch-männerbündlerischen Verwicklungen und Eitelkeiten diesen Plan, den selbst die Künstleraktionärskollegen des Winterthurer «Monte Verità mit Sponsoren statt FKK» nicht retten konnten, vereitelt haben, davon erzählt «Sickmen», oder besser: Davon erzählen Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller in ihrem «Konversationsstück von und für drei Männer». Und wo andere Theaterschaffende einen Regisseur benötigen, brauchen die drei Spätprogramm-Cracks einen Männertrainer. Dass politisches Theater (schon wieder) passé sei, nimmt «Sickmen» en passant mit, wie so einige Randbemerkungen zu den Formaten, welche die drei Darsteller TV-DRS-weit bekannt gemacht haben.

Erfrischend spritzig

Wie arm und anfällig und wehleidig die drei «Malades imaginaires» aber sind, wenn es darum geht, ein neues Stück zu schreiben, davon erzählen sie nun als Selbsttherapie in Ermangelung eben dieses Stückes. Dass Gourmet-Hedonist Müller, Pharmajünger Giacobbo und Glutamatkreuzritter Frey sich nicht finden konnten, erstaunt nicht, wenn man hört, mit welcher Häme die drei Figuren in wechselnder Konstellation übereinander herfallen. Sie tun dies mit inszenierter Selbstironie (bisweilen auf einer Meta-Meta-Ebene) und einer erfrischenden sprachlichen Spritzigkeit.

Und in diesem Umfeld bekommt sogar die eingestreute Werbung für die Sponsoren und Veranstaltungen des Casinotheaters einen Touch, der sie schon fast wieder erträglich macht.

[i] Sickmen im Casino Theater Winterthur bis 11. Oktober. www.casinotheater.ch

Selbstinszenierung als Therapie

26. September 2003, Der Bund, von Tobias Gerosa

«Sickmen» von Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller im Casino-Theater Winterthur   Ärztliche Betreuung von vor dem Eingang bis […]

2017