Viktor Giacobbo

, 17. Februar 2005, von Markus Dütschler

«S’sind ganz viil Lüt dinäää»

KULTUR-CASINO BERN

Sie suchten eigentlich das Casting für «Music-Star». Doch dann platzten Debbie Mötteli (Viktor Giacobbo) und ihr Gottenkind in ein klassisches Konzert im Berner Casino: «Chicks in Concert».Einen solchen «Clash of Civilizations» hat das altehrwürdige Kultur-Casino kaum je gesehen: Eine nuttig gekleidete Wasserstoffblondine – in den USA spräche man von «white trash» – betritt den Konzertsaal im knallroten Plastikmantel, in Leggins und mit Stilettos. Bar jeder Bildung und allzeit bereit, in ein Fettnäpfchen zu treten, hat sie auch nicht die Gnade, ihr vulgär geschminktes Mundwerk zu halten.

Debbie Mötteli, die vom Kabarettisten Viktor Giacobbo gespielte (Fernseh-)Kultfigur, hat Glück. An diesem Mittwoch sitzt im Auditorium nicht die mehrheitlich ergraute bildungsbürgerliche Abon-nementsgemeinde im dunklen Tenü. Das Durchschnittsalter ist auffällig tiefer als sonst. Viele Besucher haben unten an der Garderobe keine dunklen Mäntel abgegeben, sondern bunte Freizeitjacken. Dies, nachdem sie sich haben instruieren lassen, dass in diesem Bildungstempel jede Sitzreihe einer Garderobenfrau zugeteilt ist.

Heute ist alles anders. Das vertraute Bild eines dunkel gewandeten Orchesters, das im Halbkreis um den Dirigenten sitzt, darf nicht täuschen. Man gibt «die lustigen Weiber von Windsor», «das Märchen von der schönen Melusine» von Mendelssohn, Bizets «Carmen», Prokofiev und Strauss – Werke mit vielen Frauenbezügen. «Chicks in Concert», schwant es einem.

Weil ein Unglück selten allein kommt, hat Debbie Mötteli ihr Gottenkind Gabi Muff (Fabienne Hadorn) mitgebracht. «Du, s’hät ganz viil Lüt dinääää», entfährt es Debbie Mötteli, als sie in den Saal eindringt. Das ist der Beginn eines grossen Missverständnisses: Gotti und Gottengoof sind auf dem Weg zum «Music Star»-Casting, jetzt, wo dort gemäss Debbie Mötteli «au die Dickä döfed mitmochääää».

Dick ist Gabi Muff nicht, etwas drall vielleicht. Das kurze Shirt erlaubt den freien Blick auf ihren gepiercten Bauchnabel mit dem glänzenden Schmuck, den Gabis Freund, Secondo Flavio, angeblich so liebevoll . . . so genau, liebe Gabi, wollten wirs nicht wissen. Es gibt für Debbie und Gabi viel zu staunen: Die Absenz jeglicher Verstärkeranlagen, die «grossen Gitarren» (Kontrabass und Celli), den Mann «mit dem Steckli», in Insider-Fachkreisen auch Dirigent genannt.

In der Pause werden wir hinter uns des Paars Birgit Steinegger und Markus Köbeli ansichtig. Aha, daher weht der Wind! Köbeli hat ja dem äusserst wandlungsfähigen kabarettistischen Dreigestirn Birgit Steinegger, Viktor Giacobbo und Walter Andreas Müller unzählige Rollen auf den Leib geschrieben. Doch Köbeli winkt ab: Nein, diese Sketches seien nicht von ihm.

Unser Platznachbar, ein seriöser Herr, betrachtet das fast volle Casino mit Wonne. Es ist Karl Bossert, der Direktor des Musikkollegiums Winterthur. Der Tonkörper ist mit dem Crossover-Programm schon in der Eulachstadt und im «bumsvollen KKL» in Luzern aufgetreten, wie Bossert dem «Bund» in der Pause in einer dem Anlass angepassten Diktion erklärt. Gestern war Zürich dran. Der Erfolg kommt dem Orchester zupass: Ebenso wie andere Winterthurer Institutionen – Kunsthaus und Technorama – muss es sich in Bälde einer Volksabstimmung stellen, bei der es um Kredite geht, «die über Sein oder Nichtsein entscheiden».

Das Publikum klatscht begeistert – und pfeift wie bei einem Rockkonzert. Debbie und Gabi kommen doch noch zu ihrem «Music Star»-Auftritt: Ein Gesangsduo mit dem «Titanic»-Song samt Orchesterbegleitung. Gabi, echt mega krass, du hast es geschafft! Yeahhh!

2017