Viktor Giacobbo

Viktor Giacobbo ist der bekannteste Sohn der zweitgrössten Stadt des Kantons. Der Satiriker erzählt, warum er nicht von Winterthur loskommt, trotzdem immer wieder weg muss und wo er sich am liebsten aufhält.

Die ganze Schweiz weiss: Er ist Zivilschützer, alt und: Winterthurer. Diese Eckdaten sind ­regelmässig Teil von Running Gags seiner SRF-Sendung «Giacobbo/Müller». Dieser ältere Winterthurer Zivilschützer sitzt nun also entspannt im Foyer das Casinotheaters und stellt sogleich eines klar: «Ich bin kein Berufswinter­thurer.» Der 61-Jährige bettet diesen Satz in eine längere, pointiert vorgetragene Rede wider die Vereinnahmung durch Aussenstehende. Er ist nicht nur als TV-Talker schlagfertig.

Viktor Giacobbo, der Mann, der seit Anfang der 90er-Jahre als Kabarettist aus dem Fernsehen das Land zum Lachen bringt, Filmemacher, ­Kolumnist, Kommentator und Theaterboss in einem ist, lässt sich ungern einordnen, auf etwas festzurren. Auch wenn er in der zweitgrössten Stadt im Kanton geboren ist, hier eine Schrift­setzerlehre absolviert hat und heute mitten im Stadtzentrum lebt, spricht er von Winterthur nur als seinem Wohnort. Mehr nicht. Er sei auf Reisen, sagt er. Diesen Sommer war er monatelang in Nordamerika unterwegs. Dazu oft in Zürich, wo ein Grossteil seiner Freunde lebe. «Zu Winterthur habe ich eine betont pragmatische Beziehung. Ich wohne einfach hier.»

Kein eigentliches Wahrzeichen

Giacobbo, der Ur-Winterthurer, dürfte damit wohl für die Haltung vieler seiner rund 100’000 Mitbewohner stehen. Winterthur inspiriert niemanden zu flammenden Hommagen, dient nicht als Vorlage für opulente Gemälde. Die Stadt hat kein eigentliches Wahrzeichen. Statt eines majestätisch fliessenden Flusses mit direkter Meerverbindung gurgelt nur die Töss durch die brav gewellte Hügellandschaft. Und die gros­sen Seen liegen weit weg. Einer davon ausgerechnet in Zürich, der selbstbewussten, grossmäuligen Kantonshauptstadt, zu der man hier ein ambivalentes Verhältnis pflegt.

Winterthur ist nicht nur optisch unaufgeregt. Auch die Elite – da sind vor allem die einflussreichen, vermögenden Industriellenfamilien wie die Reinharts, Volkarts, Wolfers oder Sulzers – will vor allem eines: nicht auffallen. Protz ist verpönt. Auch die traditionell rote Stadtregierung agiert ebenfalls eher unauffällig und pragmatisch. Publizist Karl Lüönd, selbst in der Region wohnhaft, schrieb jüngst von einer Art knurrendem Einvernehmen mit den Geldleuten. Viktor Giacobbo muss schmunzeln, als er das hört. «Karl hat recht. Es gibt hier keine Partei, die richtig auf Kriegsfuss mit der Wirtschaft steht. Es ist halt so: Hier gibts nicht ständig Lämpen.»

Das war auch so, als Giacobbo mit einer vielköpfigen Gruppe von Kulturschaffenden vor über zwölf Jahren die Idee des Casinotheaters lancierte. Aus dem muffeligen städtischen Veranstaltungslokal an bester Lage sollte ein agiles Theaterhaus mit internationaler Austrahlung werden. Zwar musste vor dem Kauf zuerst eine Volksabstimmung gewonnen werden, aber das Bewusstsein von Behördenseite, dass die Stadt Erneuerung brauchte, war laut Giacobbo immer vorhanden. «Denn Winterthur war schon damals längst keine richtige Industriestadt mehr. Viele Unternehmen hatten ihre Produktionsstätten abgezügelt. Zurück blieben zahlreiche Brachen und leere Hallen, die mit neuen Inhalten gefüllt werden mussten.»

Fixpunkt der Schweizer Comedy Szene

Heute ist das einst abenteuerlich gestartete Projekt zur festen Institution geworden. Deutsche Grössen wie Gerhard Polt oder Dieter Hildebrandt lassen in diesem schmucken Saal gar ihre Shows für die eigenen DVDs aufnehmen. Und für die Schweizer Comedyszene ist Winterthur längst zum Fixpunkt geworden. Viktor Giacobbo spricht von einem starken Werbeträger für die Stadt. «Und das ohne Subventionen!»

Jetzt ist der Satiriker ganz der PR-Fachmann im Dienste seiner Aktiengesellschaft. Er steht nicht nur mit seinem Namen fürs Casinotheater, sondern auch mit seinem Geld. Er habe, sagt Giacobbo, einen grossen Teil seines Vermögens reingesteckt. Warum? «Ich investiere lieber in Ideen, als mein Geld auf der Bank zu horten.»

So ist er auch verfahren bei der Finanzierung seines Dokumentarfilms «Der Grosse Kanton», der in diesem Sommer in den Kinos erfolgreich gelaufen ist. Alles passierte in Eigenregie. So hat er sich künstlerische Unabhängigkeit bewahren können. Festzurren lässt er sich eben nicht gerne. Diese Freiheit wird er sich bewahren wollen: bei einem weiteren geplanten Kinoprojekt, bei der quotenstarken TV-Sendung, die er allsonntäglich weitgehend autonom mit Mike Müller durchboxt. Fix bleibt auch sein Wohnort. Wegziehen aus Winterthur komme für ihn nicht infrage. Die Stadt ist sein Ausgangspunkt, um in Bewegung zu bleiben. «Und das darf man ja vielleicht auch mal sagen: Winti ist mittlerweile auch sexy. Ein bisschen zumindest.»

MEIN WINTERTHUR:

Ristorante Sottovoce
Capo Michele war früher bei uns im Restaurant des Casinotheaters Chef de Service. Jetzt führt er zusammen mit seiner Frau dieses kleine italienische Restaurant hinter dem Bahnhof. Es ist nicht etepetete, eher deftig und hat eine einfache, übersichtliche und gute Karte. Wenn ich bei Michele esse, nehme ich meist die herr­lichen Mistkratzerli, nicht gerade typisch italienisch. Wartstr. 24. www.ristorantesottovoce.ch

Vollenweider
Unsere Traditionskonditorei hat die besseren Luxemburgerli, wie ich finde. Beim Vollenweider mitten in der Altstadt ?heissen diese süssen kleinen Dinger aber Macarons. Seit kurzem können sich ja auch die Stadtzürcher davon überzeugen. Der Vollenweider hat beim Opernhaus einen neuen Standort. Meine absoluten Lieblinge sind die Zitronen­törtchen. Kollege Mike Müller mags –natürlich! – etwas grösser: die Giraffentorte mit Schokoladenstückchen. Marktgasse 17. Standort Zürich: Theaterstr. 1 www.vollenweiderchocolatier.ch

Portier
Ich muss gestehen: Ich war noch nie an einem Konzert in dieser kleinen Bar auf dem Sulzerareal. Ich habs einfach noch nie geschafft, hinzugehen. Dabei schaue ich jeden Monat das Programm an und weiss, dass mich ganz viele Bands, die dort spielen, interessieren. Das Portier tüpft voll meinen Musikgeschmack. So Indierock- und Singer-Songwriter-Sachen. Lagerplatz 3 www.lagerplatz.ch/portier

Museum Oskar Reinhart
Wir haben ja im Casinotheater regelmässig Künstler aus Deutschland. Wenn ich denen sage, dass Friedrichs «Kreidefelsen auf Rügen» bei uns in Winterthur hängt, staunen die nicht schlecht. Dieses Bild ist ja so etwas wie das Nationalbild von Deutschland. Ein Besuch im Museum Oskar Reinhart lohnt sich aber auch sonst, Meister wie Hodler oder Anker gibts in diesem schönen Haus zu sehen. Stadthausstr. 6 www.museumoskarreinhart.ch

Eschenberg
Pro Woche gehe ich in der Regel mehrmals mit meinem Mountainbike auf Tour, meist gehts auf den nahen Eschenberg, am Wildpark Bruderhaus vorbei, dann runter zur Töss, wo der Sauhund wartet. Ich nenne die giftige Steigung ?hinauf zur Kyburg so, weil na ja?.?.?.?weil man da vor lauter Anstrengung ins Fluchen kommt. Der Vorteil: Ich kann ?meinen regelmässigen Weggefährten Domenico Blass dort demütigen und mit einem Antritt stehen lassen. Möglichkeit zur Rast: Restaurant Eschenberg. www.restaurant-eschenberg.ch

Markthalle Trivisano
An der Shoppingmeile Marktgasse ist der Trivisano einer der letzten echten Lebensmittelläden, die sich gegen die grossen cheapen Modeketten behaupten können. Ich gehe aus dieser italienischen Markthalle nie ohne Dolci raus. Da ich ein passionierter Kaffeetrinker bin und zu Hause eine Maschine im Industriedesign habe, weiss ich, dass sie dort auch den exquisiten Ferrari-Kafi aus Dietikon im Sortiment führen. Marktgasse 25 www.markthalle-winterthur.ch

Mein Winterthur: Viktor Giacobbo

14. November 2013, Züritipp, von Yann Cherix

Viktor Giacobbo ist der bekannteste Sohn der zweitgrössten Stadt des Kantons. Der Satiriker erzählt, warum er nicht von Winterthur loskommt, […]

Das Casinotheater deckt zur 9. Saison auf. Zum Auftakt macht ein unheimlicher Abend mit heimischen Stars Gänsehaut.

Mit Elan und einem 57-seitigen Programmheft steuert das Casinotheater Winterthur diese Woche in sein 9. Jahr, unter anderem mit dem Duo Ohropax, Roger Willemsen, der Kabarettistin Désirée Nick oder dem «Schellen-Ursli» in Musical-Format.

Aber das ist Schnee von morgen. Jetzt ist ja erst mal der Sommer zurück, und im Casinotheater wird zur ersten Premiere aufgetischt. Es gibt Gans. Gänsebraten. Einen äusserst wichtigen Gänsebraten, denn Bettina (Sabina Schneebeli) sucht einen Job und hat Amin (Mike Müller) eingeladen, der vielleicht einen für sie hat. Im grossräumigen, spiessig-chic eingerichteten Plexiglas-neben-Papyrus-Esszimmer stöckelt Bettina nervös durch die letzten Vorbereitungen, während ihr Freund Pascal (Viktor Giacobbo) sich als unbrauchbarer Halbschuh entpuppt. Als es schliesslich klingelt, steht nicht etwa Amin vor der Tür, sondern, düster, kahl, in Lederjacke, ein Mordstyp von einem Fremden (Laszlo I. Kish). Als Amin und Freundin Tara (Norina Nobashari) dann doch noch eintrudeln, wird der Unheimliche auch noch zu Tisch gebeten. Die Gans brennt an, die Dialoge gefrieren, und der Abend nimmt einen unerwarteten Verlauf.

Kenner und TV-Zuschauer haben es bereits gemerkt: Da findet sich zum Saisonauftakt ein illustres Trüppchen ein. Und das ist gut so. Zum einen ist es amüsant, Giacobbo/Müller mal wieder unverpixelt zu Gesicht zu bekommen, und der ehemalige «Tatort»-Kommissar Kish ist als undurchsichtiger Vielleicht-Schurke auch nicht ohne. Zum anderen verzichtet Regisseurin Katja Früh gekonnt auf inszenatorischen Schnickschnack, und da sind Profis auf der Bühne von Vorteil. Gesprochen wird übrigens nicht die Originalfassung von Martin Heckmanns, sondern die schweizerdeutsche Übersetzung von Giacobbo himself.

Trotz der bekannten Gesichter ist es ein unüblicher Abend, der hier aufgetischt wird; eine Handlung mit Brüchen, ein Plot mit Grauen, kein reines Wohlfühlerlebnis. «Ein Teil der Gans» ist ein Stück über Vorurteile, Schein, Sein und den Anspruch auf Glück. «Ich weiss nicht, ob das allen gefällt», sagt Giacobbo. «Mutig», sagt Kish. Ein kleines Risiko fürs Casinotheater. Mehr davon!

Kein Wohlgefühl

26. August 2010, Züritipp, von Corina Freudiger

Das Casinotheater deckt zur 9. Saison auf. Zum Auftakt macht ein unheimlicher Abend mit heimischen Stars Gänsehaut. Mit Elan und […]

Giacobbo / Müller: «Ein seltsames Paar»

Manhattan-Transfer: Viktor Giacobbo verlegt Neil Simons Boulevardkomödie «The Odd Couple» aus New York 1965 ins Zürcher Westend von 2005.

 

Man kennt es: offene Zahnpastatube, zerfledderte Zeitung unterm Sofa, offene Schranktüren. Man könnte wahnsinnig, könnte gar zum Mörder werden. Oskar (Mike Müller), Sportjournalist, glücklich geschieden, schlampig, aber sonst ein netter Kerl, ist schon bald so weit. Seit einiger Zeit gewährt er nämlich seinem Kumpel, dem Nachrichtenredaktor Felix (Viktor Giacobbo) Gastrecht in seinem grossen Loft. Felix hats bitter nötig, ist am Boden zerstört, will seinem Leben ein Ende machen. Denn: Seine Frau ist ihm davongelaufen. Jetzt zeigt sich wahre Männerfreundschaft!

Nur, Felix machts einem nicht einfach: Er ist pingelig, neurotisch, hypochondrisch. Wischt Staub, kocht und verwandelt Oskars chaotische Junggesellenbude in einen soignierten Haushalt, was hüben wie drüben Stich- und Gifteleien provoziert. Selbst die wöchentliche Pokerrunde mit vier weiteren Kollegen (Marcus Fritsche, Peter Fischli, Thomas Mathys, Peter Zimmermann) im weissen, neuerdings klinisch sauberen Wohnzimmer (Bühne: Christoph Schubiger), wo man die Schuhe gefälligst auszuziehen hat, kommt arg ins Schlingern. Vielleicht fehlt Felix einfach eine Frau; mit den Nachbarinnen, den Schwestern Gudrun (Katharina von Bock) und Carola (Rebekka Burckhardt), ist ein feuchtfröhlicher Abend anberaumt, doch Felix . . . – Sie werden es nicht glauben!

G’s geständnis

Plot bekannt? Neil Simon hat ihn 1965 auf die Bühne gebracht, drei Jahre später Gene Sacks mit Jack Lemmon und Walter Matthau auf die Leinwand. Jetzt hat Viktor Giacobbo den Knüller ins Schweizerdeutsche übertragen, wobei er feststellte, «dass die Direktheit und die Schnoddrigkeit der Mundart mitunter fast näher am englischen Original sind als die hochdeutsche Fassung». Klar, dass Aktualisierungen vorgenommen werden mussten – Handys zum Beispiel gabs in den 60ern noch nicht. Nein, den Film habe man bewusst nicht zum Vorbild genommen. Ja, er habe selbst etwas Pingeliges, gibt Giacobbo alias Felix zu, und Oskar-Mike zwinkert lautstark. Er seinerseits muss bisweilen die typisch «soledurnisch» geprägte Lautfärbung etwas zurücknehmen, damit der spritzige Dialog und das Tempo durchkommen. Dass Timing und Pointen sitzen, dafür sorgt Regisseur Stefan Huber, der es nach der grossen «Heidi»-Kiste geniesst, kammermusikalisch und mit feinerem Pinsel zu zeichnen.

Winterthur, Casinotheater: Do 1.9. (Premiere) bis Sa 3.9. und Di/Mi 6./7.9., jeweils 20 Uhr. Weitere Vorst. Di-Sa, bis 1.10.

Staubwedel-Blues in Züri West

1. September 2005, Züritipp, von Bruno Rauch

Giacobbo / Müller: «Ein seltsames Paar» Manhattan-Transfer: Viktor Giacobbo verlegt Neil Simons Boulevardkomödie «The Odd Couple» aus New York 1965 […]

2017