Viktor Giacobbo

Er hat die Satire ins Schweizer Fernsehen gebracht und jahrelang gepflegt. Jetzt geht es auf zu neuen Ufern. VIKTOR GIACOBBO über seine Pläne, das Schweizer Fernsehen und seine angebliche Harmoniesucht.

Viktor Giacobbo, Ihr Vorname bedeutet im Lateinischen «Sieger». Fühlen Sie sich als solcher?

Kaum. Ich bin eher ein Macher. Würde ich meinen Vornamen wörtlich nehmen, wäre ich Donald Trump. Ich bin kein Mann der Superlative.

Sie sind seit 25 Jahren beim Schweizer Fernsehen zu sehen und dabei nie einer Quotenschere zum Opfer gefallen.

Ich hatte eben das Glück, dass ich immer ein gutes Team hatte. Ganz allein wäre mir das vermutlich nicht gelungen.

Das gehört zu den Aussagen, die kreative Prominente heutzutage offenbar ganz zwingend machen müssen.

Bei mir passt sie. Fernsehen kann man nun mal nicht als Einzelmaske machen. Zudem sage ich nie etwas, was man grundsätzlich müsste. Sondern immer das, was ich will und meine.

Am 11. Dezember ist Schluss für «Giacobbo/Müller», die Frechdachsereien, die Sie sonntäglich mit Mike Müller aushecken. Steht das Careteam für Zuschauer mit Entzugserscheinungen schon bereit?

Keine Ahnung, wie viele heulend den Fernseher zum Fenster rausschmeissen werden. Aber einige lassen uns wissen, das Ende nach neun Jahren habe Stil. Mike Müller und ich haben schon am Anfang unserer Zusammenarbeit beschlossen, aufzuhören, wenn die grosse Lust langsam nachlässt. Ende Jahr kommt jetzt für beide der stimmige Zeitpunkt.

Markieren Sie in Ihrer Agenda jeden noch verbleibenden Sendetermin mit Trauerschwarz?

Keineswegs. Wir arbeiten so gelassen wie bisher weiter. Und ohne jede Wehmut, denn die ist nicht mein Ding. Es wird auch keine grosse Abschiedssause zu sehen sein auf dem Bildschirm. Wir hören mit einer normalen Sendung auf. Es gibt nichts Peinlicheres als TV-Leute, die sich öffentlich selber abfeiern. Viele machen einen pompösen Abgang und wollen dann schon nach drei Monaten wieder ihren Kopf zeigen. Ich nicht.

Die «NZZ am Sonntag» meinte unlängst, die Pointen der Sendung seien etwas stumpf geworden.

Die Leute dort haben recht. Ich muss früher unglaublich gut gewesen sein! Vermutlich seit meiner zweiten TV-Sendung 1990 schreiben Kritiker: «Er war früher besser», aber – das erleben alle Komiker. Mike Müller und ich machen ein Programm für Leute, die nicht ganz die Dümmsten sind, und es ist nur logisch, dass wir für die mal besser, mal mieser sind. Was solls?

Der Kabarettist Patrick Frey sagte einmal, Sie hätten ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis.

Das ist seine Ansicht, die hat er mir gegenüber auch schon geäussert. Doch ich teile sie nicht. Ich streite sehr gerne, finde mich zum Schluss der Gespräche aber immer wieder mit meinen verbalen Duellpartnern. Das ist für mich politische Kultur. Bei meinem Freund Patrick ist es umgekehrt, er ist von ausgesuchter Höflichkeit und endet dann im Jähzorn.

In der Promi-Sendung «Glanz & Gloria» mäkelten Sie kürzlich, es sei schade, dass der Sonntagabend Kurt Aeschbacher überlassen werde und nicht länger ein Feld für Wagnisse bleibe.

Das ist nach wie vor meine Haltung. Unser Termin ist eine Marke, die wir etabliert haben und an dem man Komik und/ oder Satire erwartet, und jetzt fällt das plötzlich weg. Das ist kein Vorwurf an Aeschbi, sondern einer an das SRF. Man hätte dort einen frechen, frischen Entertainer wie zum Beispiel Dominic Deville ins kalte Wasser schubsen sollen. So, wie sie das vor 25 Jahren mit mir gemacht haben.

Wann kommt Ihre Bewerbung als Programmchef?

Um Gottes willen, diesen Job möchte ich nie im Leben. Ich würde kein Bewerbungsverfahren überstehen.

Hat man es Ihnen übel genommen, dass Sie in eine Hand bissen, die Sie füttert?

Mike Müller und ich haben niemandem in die Hand gebissen – höchstens einen aufmunternden Tritt in den Hintern gegeben. Wir konnten ja immer sagen und machen, was wir wollten, auch gegenüber dem eigenen Unternehmen. Wir bekamen Freiheit, wie sie kein anderes Medienhaus in der Schweiz zwei Satirikern gewährt – und dafür lieferten wir Quote und auch ein bisschen Prestige. Win-win nennt man das doch, oder?

Der plakative Müslüm, der schrille Dominic Deville, der eher bedächtige Michel Gammenthaler – sind das valable Nachfolger des Gespanns «Giacobbo/Müller»?

Bestimmt. Und es gäbe noch etliche mehr. Michael Elsener etwa, Hazel Brugger oder Fabian Unteregger. Liesse man die machen, käme bestimmt was Fetziges heraus dabei. Allerdings darf sich die Hierarchie nicht einmischen – die ist dazu da, die Rahmenbedingungen für die Kreativen zu sichern. Bei Mike und mir hat niemand reingeredet. Darum hat «Giacobbo/Müller» funktioniert.

Mut in Sachen Humor scheint beim Schweizer Fernsehen keine Kardinalstugend zu sein.

Ist Mut denn eine Kardinalstugend der andern grossen Pressehäuser? Die sind doch ziemlich unbehelligt von solchen Fragen. Nur gegenüber dem SRF glaubt jeder im Volk, einen Massstab zu kennen, der dringend angewendet werden müsste.Die Leute dort machen meiner Meinung nach sehr viel Tolles. Ich bin allerdings keiner, der die einzelnen Sendungen gut kennt. Ich gucke wenig Fernsehen und wenn, dann zeitversetzt. Die einzigen klassischen Printmedien, die ich abonniert habe, sind der «New Yorker» und das gepflegt gemachte «Transhelvetica». Die vielen übrigen Titel habe ich digital abonniert.

Mike Müller kredenzt Ihnen regelmässig einen Espresso in der Sendung. Haben Sie beide schon mal kalten Kaffee aufgetischt?

Sicher haben wir das. Wir haben jeden Fehler gemacht, den man machen kann. Aber auch machen dürfen soll. Es gibt keinen einzigen Künstler, der noch nie einen Flop geliefert hat. Aber enorm viele, die aus ihren Fehlleistungen gelernt haben.

Die Kirche, die SVP und neuerdings Gölä werden von euch am meisten bezündelt. Wertet man nicht auf, was man ständig angreift?

Das könnte man allen Medien vorwerfen. Wer am meisten Präsenz zeigt als Partei, Organisation oder Prominenter, ist halt einfach gesetzt als Thema. Um vieles und viele kommt man schlicht nicht rum. Auch wenn wir das oft möchten.

Gibt es satirische Grenzen, die noch ungesprengt sind?

Vermutlich schon. Die interessieren mich aber nicht. Ich wollte immer nur gute Unterhaltung machen und nie etwas in die Luft jagen.

Ist die Realpolitik nicht allmählich die einzig fulminante Satire?

Das war sie schon immer. Und TV-Zuschauer, die mit Humor behaftet sind, warten sicher nicht eine Woche lang auf Müller und mich, um etwas lustig zu finden. Die machen sich im Alltag ihre eigenen Sprüche auf alles.

Wie oft wurden Sie und Mike Müller TV-intern oder von moralischen Grenzwächtern gerüffelt?

Von aussen kamen einige Breitseiten, meistens von den üblichen Sofortbeleidigten oder Berufsmoralisten. Und intern gibt es Diskussionen, aber niemand macht uns Druck oder Vorschriften. Beides hätten wir nie akzeptiert.

Müller sagte einst, Sie würden mit dem erstbesten Tram abhauen, wenn Ihnen ein Chef quer käme. Wie oft hatten Sie das Billettmünz schon in der Hand?

Nie. Und zudem hätte ich nie das Tram genommen. Ein bisschen mehr Komfort muss sein.

Sie wären mit dem Rolls-Royce abgehauen. Oder ist kreatives Lästern am TV zu wenig lukrativ dafür?

Ich habe einen hundskommunen PW, mit dem ich allerdings vollelektrisch an meinen Arbeitsplatz Leutschenbach fahren kann. Und gemessen an Gagen in andern Ländern haben Müller und ich nicht mal den Hauch von Stargehältern.

Hofnarr des Schweizer Monopolsenders – ist das ein legitimes Etikett für Sie?

Es ist ein antiquierter Begriff. Ich bin Komiker, basta. Für wen, gegen wen, mit wem – das ist völlig unbedeutend. Meine Prädikate habe ich sowieso lieber andern überlassen. Jetzt zum Beispiel Ihnen.

Unverzichtbar fühlen Sie sich auch nicht?

Ach wo. Nie. Ich habe eine gewisse Bekanntheit, aber die ist auch nicht nur angenehm. Ich würde gerne wieder mal einkaufen gehen, ohne beim Anstehen an der Kasse in Konversationen über meine Arbeit verwickelt zu werden.

Hat das Zürcher Arbeitsamt schon zusätzliches Personal aufgeboten, um Harry Hasler, Debbie Mötteli und all Ihre andern Alter Egos zu platzieren?

Die sind allesamt schwer vermittelbar und werden darum als Gespenster in einem Kleiderschrank zwischengelagert. Und bei Bedarf werde ich sie reanimieren.

Was haben Sie mit den schrägen Gestalten ausgelebt, die zu Kultfiguren wurden?

Das fragt mich fast jeder Küchenpsychologe. Aber sie haben null und nichts mit mir als Person zu tun. Auch wenn ich gerne die Mötteli gebe, trage ich zu Hause keine Frauenunterwäsche. Zumindest hat mir das noch niemand nachweisen können.

Wissen Sie noch, was Sie als Knirps werden wollten?

Hotelconcierge. Ein gut angezogener Herr, der altmodisch dekorativ herumsteht und sich wichtig gibt. Diese Theatralik gefiel mir. So was mache ich heute als Verwaltungsratspräsident im Casinotheater in Winterthur. Man kann das auch Grüssaugust nennen.

Am 6. Februar des kommenden Jahres werden Sie 65. Eigentlich könnten Sie ab dann Rosen züchten oder Tauben füttern.

Die armen Tiere! Ich glaube nicht, dass ich auf so was verfallen werde. Momentan plane ich zwei Filme und mindestens eine Bühnenproduktion mit Mike Müller. Sämtliche Projekte sind aber noch zu unreif, um damit bereits hausieren zu können. Ich habe meine Karriere nie gross geplant. Alles, was ich tue, hat mich quasi angesprungen.

Sie bemänteln Ihre Pläne, als könnten sie Ihnen geklaut werden. Was macht Sie zum Geheimniskrämer?

Nichts. Ich rede ganz einfach ungern über ungelegte Eier. Danke übrigens, dass Sie mich nicht nach dem Zivilstand fragen.

Wie ist Ihr Zivilstand?

Weiterhin ungeklärt.

Jetzt noch eine Frage, auf die garantiert ein Nein kommt: Sind Sie eitel?

Ja. Jeder, der ein Publikum will, ist das. Und jeder, der das bestreitet, lügt sich was in die Tasche.

Giacobbo live erleben

Der Komiker tritt am 15. Dezember 2016 um 17.30 Uhr mit einer «Freestyle-Talkshow» am Arosa Humor-Festival auf. www.humorfestival.ch

«Ich sage das, was ich WILL UND MEINE»

10. November 2016, Schweizer Familie, von Roland Falk

Er hat die Satire ins Schweizer Fernsehen gebracht und jahrelang gepflegt. Jetzt geht es auf zu neuen Ufern. VIKTOR GIACOBBO […]

Deutschland als 27 . Kanton der Schweiz? Satiriker Viktor giacobbo befragt in seinem neuen Film Persönlichkeiten beidseits der Grenze, was sie von der Idee halten. Und entlockt ihnen erstaunliche Aussagen.

Viktor Giacobbo, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit dem politischen Geschehen in der Schweiz. Warum gehen Sie nicht in die Politik?

Politik zu machen oder ein politisch inte­r­essierter Mensch zu sein, sind zwei Paar Hosen. Ich bin sicher, ich wäre kein guter Politiker.

Warum nicht?

Ich hätte schlicht zu wenig Geduld für die langwierigen demokratischen Prozesse. Und für eine Kollegialbehörde könnte ich meine Schnauze nicht halten.

In Ihrem neuen Kinofilm spielen Sie mit der Idee, Deutschland als 27 . Kanton der Schweiz aufzu­nehmen. Ist das nicht etwas absurd?

Natürlich ist es das. Doch die Absurdität ermöglicht erst die Satire. Deutschland wird der Schweiz nicht beitreten.

«Der grosse Kanton» ist ein satirischer Dokumentarfilm. Sie befragen darin Politiker, Wissenschaftler und Künstler, was sie von einem Beitritt Deutschlands zur Schweiz halten. Wie wählten Sie Ihre Gesprächspartner aus?

Ich fragte alle, deren Meinung mich interessierte.

Sie gründeten keine Kommission, um demokratisch auszuwählen?

Nein. Bei den Politikern schaute ich aber, dass unterschiedliche politische Lager ver­treten sind.

Warum kommen nur wenige Frauen zu Wort?

Ich hätte gerne Angela Merkel interviewt. Die Bundeskanzlerin und der CSU-Chef Horst Seehofer sind übrigens die einzigen deutschen Politiker, die auf meine Anfrage nicht antworteten.

Welche Schweizer reagierten nicht?

Ein einziger.

Wer?

Luca Hänni, der Sieger von «Deutschland sucht den Superstar 2012 ». Ein schmerzlicher Verlust für den Film.

Ist das Ihr Ernst?

Aber sicher. Er wird offenbar von seiner deutschen Agentur scharf bewacht.

FDP-Präsident Philipp Müller ist begeistert von der Idee, Deutschland aufzunehmen. Er sagt: «Die Schweiz hat immer und für jedes Problem eine Lösung, selbst für die Deutschen.»

Philipp Müller ist ein dankbarer Interviewpartner. Er fürchtet sich nicht, Pointiertes zu sagen. Im Film übertreibt er es absichtlich. Etwa wenn er sagt, mit den Deutschen müsse man vorsichtig sein: Gebe man ihnen zu viel, nähmen sie alles.

Wer Ihren Film anschaut, staunt, wie gut die Deutschen über unser Land informiert sind.

Das stimmt. Joschka Fischer, der ehemalige deutsche Aussenminister, und Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linken, sind beeindruckt von der direkten Demokratie. Obwohl Gysi polemisch fragt: «Wann habt ihr schon wieder das Frauenstimmrecht eingeführt?»

Unser Land agiere zuweilen langsam, findet selbst ein hochrangiger Schweizer, der SBB-Chef Andreas Meyer.

Aber er ergänzt sofort: Wenn wir über etwas abgestimmt haben, wird es gemacht. Im Nachhinein gibt es keine Demos, weil ein Volksentscheid dahintersteht. Das imponiert den Deutschen, vor allem, wenn sie an Stuttgart 21 denken (Anm. d. Red.: ein teures Verkehrsprojekt, das seit Jahren umstritten ist und in Stuttgart zu heftigen Protesten führte).

Weniger Freude werden unsere Nachbarn an Natalie Rickli haben. Die SVP-Nationalrätin fordert, die Deutschen müssten nach einem Beitritt Züritüütsch lernen.

Ich bin gespannt, was Ricklis Parteikol­lege, der Walliser National- und Regierungsrat Oskar Freysinger, dazu sagen wird.

Er müsste einsehen, dass Züri­tüütsch vermutlich leichter zu lernen ist als Wallisertitsch. Apropos Sprache: Der Röstigraben wird nur kurz angesprochen.

Er wäre eines der grossen Probleme. Wir müssten den Welschen neue Rechte geben, ihnen einen Sitz im Bundesrat garantieren. Aber ich gebe zu: Im Film drücke ich mich vor dieser Schwierigkeit.

Sie lassen immerhin SP-Präsident Christian Levrat zu Wort kommen. Er sagt, wenn Deutschland der Schweiz beitrete, würden die Westschweiz und das Tessin erdrückt.

Und darum wäre ein Beitritt nur möglich, wenn Frankreich und die Lombardei ebenfalls zur Schweiz kämen.

Das wäre interessant, zumal die Stärke eines Landes sich daran misst, wie es mit seinen Minder­heiten umgeht.

Das sehe ich auch so. Deshalb müsste man nach dem Beitritt von Deutschland aus der Welschschweiz und dem Tessin geschützte Parks machen. Die Welschen und die Tessiner könnten sich zurücklehnen und sagen: «Hey, wir sind etwas Spezielles. Wir pflegen unsere Eigenart. Wir werden entsprechend subventioniert.»

Was können die Deutschen von uns lernen?

Beeindruckt sind sie von der direkten Demokratie und der wirtschaftlichen Stärke. Früher waren sie das auch von den Banken, in jüngerer Zeit lässt das aber nach.

Sprechen Sie das Schwarzgeld an, das Schweizer Banken horten?

Dass die Schweiz jahrelang als Hehler von Steuerflüchtlingen auftrat, ist fatal. Ich ver stehe nicht, warum Bundesrat und Banken nicht längst den grossen Befreiungsschlag lanciert haben. Der automatische Informationsaustausch wird so­wieso eingeführt. Je länger wir warten, desto mehr leidet unser Ansehen.

Und was können wir Schweizer lernen?

Ich schätze die klare politische Auseinander setzung in Deutschland. Auch im Alltag funktionieren die Deutschen direkter. Sie sagen: «Ich krieg nen Kaffee» und nicht: «Kann ich bitte einen Kaffee haben?»

Daran stören sich viele Schweizer.

Diese Direktheit kann zu Missverständ­nissen führen. Ich amüsierte mich, als SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Kampf gegen Steuerhinterzieher mit der Kavallerie drohte. Natürlich kann man sich fragen, ob es geschickt war, diese ­Redensart zu wählen. Aber die Schweizer sind immer schnell beleidigt: «Hu, der böse Deutsche droht uns. Hu, so brutal.»

FDP-Präsident Philipp Müller sagt: «Die Deutschen funktionieren wie Roboter.» Finden Sie das auch?

Die Deutschen haben etwas Korrektes, Zackiges. Das kann an einen Roboter erinnern. Es sind aber Äusserlichkeiten. Ich würde diese Bezeichnung nicht verwenden, aber wenn es der FDP-Präsident so sieht …

Wie würden Sie die Deutschen charakterisieren?

Sie sind fleissig, lösungsorientiert und ­haben auch kulturell viel zu bieten.

Wo gibt es Unterschiede?

Deutschland ist bürokratischer als die Schweiz, ihr Steuersystem ist eine bürgerfeindliche Zumutung. Probleme gehen unsere nördlichen Nachbarn korrekt-strategisch an. Was sie manchmal daran hindert, Probleme zu lösen.

Was nervt Sie an den Deutschen?

Fast nichts. Höchstens, wenn einer dauernd von Leckerli und Fränkli spricht.

Angenommen, Deutschland würde der Schweiz tatsächlich beitreten – wie hiesse das neue Land?

Der Name Schweiz bliebe bestehen. Einzig der neue Kanton bekäme einen anderen Namen.

Welchen?

Mein Favorit ist Tütschino. Oder Prolo- thurn.

Wenn Sie wählen müssten: lieber Berlin oder Bern?

Zwei extreme Gegensätze, aber beide sind toll. Ich nehme beide.

Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Bundespräsident Ueli Maurer?

Angela Merkel imponiert mir. Allerdings sähe auch Ueli Maurer in ihren Hosen­anzügen toll aus.

Curry- oder Bratwurst?

Currywurst. Weil ich mir von einem Kanton nicht vorschreiben lasse, ob ich zu meiner Wurst Senf nehme.

Boris Becker oder Roger Federer?

Roger Federer.

Zugspitze oder Matterhorn?

Matterhorn. Aber ohne Beleuchtung.

Heidi Klum oder Nadine Strittmatter?

Nadine Strittmatter. Sie ist schweizerisch bescheidener.

Schloss Neuschwanstein oder Schloss Chillon?

Neuschwanstein. Es ist absurder, kitschiger.

Dieter Hildebrandt oder Emil?

Beide Komiker kenne ich persönlich. Dieter Hildebrandt war mein Jugend­- idol, aber Emil ist der perfekte Schweizer Komiker.

Loreley oder Rütli?

Die Loreley ist sexyer.

Xherdan Shaqiri oder Miroslav Klose?

Beide. Schliesslich werden beide für unsere Nati spie­len.

Sie sagen: «Mein Film ist nicht ganz ernst gemeint.» Trotzdem: Was wollen Sie mit «Der grosse Kanton» erreichen?

Ich habe erreicht, was ich wollte. Die Filmarbeiten machten Spass. Geht nun der eine oder andere ins Kino, freut mich das.

Es geht Ihnen nicht um Völkerverständigung?

Nein, um Unterhaltung. Für Leute, die gerne spannenden Talking Heads zuhören. Wenn der Film dann zur Entspannung im nachbarschaftlichen Streit beiträgt, umso besser.

Würden Sie das Amt des Präsidenten für eine neue Schweiz annehmen?

Ich bin Verwaltungsratspräsident im Casinotheater Winterthur und bereits hier heillos überfordert. Ich hüte mich davor, mich je nochmals irgendwo als Präsident zu bewerben.

«Mein Favorit ist Kanton Tütschino»

16. Mai 2013, Schweizer Familie, von Bruno Bötschi

Deutschland als 27 . Kanton der Schweiz? Satiriker Viktor giacobbo befragt in seinem neuen Film Persönlichkeiten beidseits der Grenze, was […]

Die neue Rolle ist für Viktor Giacobbo ein Segen. Statt sich in stundenlanger Prozedur in Harry Hasler oder Debbie Mötteli zu verwandeln, genügt dieses Mal ein schlichtes Leinenhemd, das ihm bis zu den Knien reicht. Und wenn er dann noch in die klobigen Älpler-Sandalen schlüpft, gehört er definitiv zur wichtigsten Familie der Schweiz: Viktor Giacobbo ist in der neuen Produktion des Casinotheaters Winterthur Walter Tell – der mittlerweile etwas ältliche Sohn des Heldenvaters.

Im Gegensatz zum Vater aber hat es Walter nicht weit gebracht. Er wohnt noch immer bei der Mutter, löffelt Apfelmus und kreist um die immer gleiche traumatische Frage: Warum nur hat der Vater geschossen? Wo er doch vor dem Apfelschuss laut und deutlich sagte: «Mir schwimmt es vor den Augen.»

«So jedenfalls steht es bei Schiller», sagt Giacobbo in der Probenpause und schmunzelt. Denn viel ist sonst von Schillers Original nicht übrig geblieben: Die Autoren Hannes Glarner und Patrick Frey haben den Schweizer Nationalmythos gehörig entstaubt und schicken den armen Tellensohn in die Psychotherapie.

Begleitet wird er dabei von einer illustren Schar: Komiker Mike Müller ist Wilhelm Tell und TV-Moderatorin Sandra Studer die Helvetia, Schauspieler Walter Andreas Müller mimt Attinghausen, und die Acapickels sorgen für Musik. Allesamt Freunde oder langjährige Bühnenpartner von Viktor Giacobbo, die erst noch ein Heimspiel veranstalten: Die insgesamt 26 Mitwirkenden sind Aktionäre und Mitbesitzer des Casinotheaters.

Wendepunkt im vergangenen Jahr

Trotz der Premiere am 3. Juni wirkt Viktor Giacobbo entspannt wie schon lange nicht mehr. Er hat das letzte Jahr unbeschadet überstanden – eines der stressigsten Jahre seines Lebens: Der Komiker spielte die Hauptrolle im Kinofilm «Ernstfall in Havanna» und eröffnete mit seinen Mitstreitern das Casinotheater in Winterthur, für das er jahrelang gekämpft hatte. Gleichzeitig arbeitete er für «Viktors Spätprogramm», der Satire-Sendung, die er Ende 2002 nach 65 Folgen auslaufen liess. Irgendwann dazwischen feierte Giacobbo seinen 50. Geburtstag und trennte sich von seiner Freundin Nadja Sieger, 35, der Komikerin des Duos Ursus & Nadeschkin.

Wie verkraftet man ein solches Jahr? Viktor Giacobbo, der sonst nie um einen Kommentar verlegen ist, wird wortkarg, wenn es um seine eigene Befindlichkeit geht, und sagt lediglich: «Es war ein Wendepunkt, ein Abschied und ein Aufbruch zugleich.»

Sandra Studer, die seit langer Zeit mit dem Komiker befreundet ist, geht einen Schritt weiter: «Viktor ist ein Mensch mit einer sehr weichen Seite, bei ihm kann man sein Herz ausschütten. Seit der Druck des letzten Jahres von ihm gewichen ist, kommt diese Seite auch wieder zum Vorschein. Heute ist er der gesündere, entspanntere Viktor als früher.»

Urkomisch und todtraurig zugleich

Anmerken jedoch liess er sich damals nichts, im Gegenteil: Als seine Beziehung mit Nadja Sieger vor lauter Projekten und Terminen bereits am Ende war, trat er mit Ursus & Nadeschkin noch im Fernsehen auf – zur besten Sendezeit am Samstagabend. Und er imitierte Nadeschkin in der Lotto-Show «Benissimo». Zog sich ihren gelben, viel zu kurzen Overall an, montierte sich zottelige Rasta-Locken aufs Haupt, schminkte sich die Augen – und wirkte urkomisch und todtraurig zugleich. «Es war mitten in unserer Krise», sagt Giacobbo. «Aber die Komik hatten wir immer noch gemeinsam.»

Nadja Sieger ging nach ihrem Knie-Engagement auf Weltreise – allein. Und Viktor Giacobbo stürzte sich ins Abenteuer Casinotheater, dessen Verwaltungsrats-Präsident er ist – ausgerechnet er, der stets über die Abzocker-Methoden solch erlauchter Amtsinhaber hergezogen ist.

Giacobbo ist die Ironie des Schicksals nicht entgangen und sagt: «Ich bin wohl der katastrophalste VR-Präsident des Landes. Ich habe bis Ende letzten Jahres zum Nulltarif gearbeitet.» Trotzdem oder gerade deswegen sei das Theater auf gutem Kurs – ohne einen einzigen Franken der öffentlichen Hand notabene. «Wir haben sogar eine Dividende an die Aktionäre auszahlen können. Wenn auch bisher nur in Form von Theatertickets, betrug sie doch umgerechnet 6 Prozent.» Eine respektable Leistung angesichts des Jahresumsatzes von 7 Millionen und Umbaukosten von 15 Millionen Franken.

Und wie sieht der Tagesablauf eines solch erfolgreichen Verwaltungsrats-Präsidenten aus? Der Komiker wird ernst. Schliesslich geht es ums Geld und Vertrauen seiner Aktionäre. «Ich habe in dieser Funktion weder Büro noch Tagesablauf, nichts dergleichen, ausser ein paar Sitzungen pro Jahr. Im Tagesgeschäft sind andere am Drücker – allesamt Spezialisten und kein einziger Komiker.»

Neue Bühnen- und Filmpläne

Viel wichtiger sei ihm, zum Theater in enger Verbindung zu stehen. «Wenn ich als Künstler auftrete, merke ich genau, ob das Haus funktioniert oder nicht und ob die Richtung noch stimmt.»

So könne er sich «relativ unbekümmert» an neue Projekte wagen. Im Herbst will er mit Patrick Frey und Mike Müller zusammen als «Sickmen», als kranke Männer, auftreten, die nichts anderes interessiert als ihre Wehwehchen und Anfälle, die man vor der Segnung des Zeitlichen noch durchleiden könnte.

Im nächsten Jahr dann soll Drehbeginn des zweiten Kinofilms sein – wiederum unter Regie von Sabine Boss und mit Mike Müller an seiner Seite. «Es geht dabei ums Berlusconi-Italien, um die Geldwäscherei, den Schweizer Geheimdienst und verdeckte Ermittlungen», verrät Giacobbo.

Woher nur nimmt der Mann all seine Ideen – dies seit über 30 Jahren? Viktor Giacobbo wehrt ab. Häufig schreibe er zu zweit, neuerdings sogar zu dritt. «Ich brauche Menschen – ich brauche die Auseinandersetzung.»

«Viktor kann dominant sein»

Das bestätigt auch Mike Müller, langjähriger Bühnenpartner und Mitautor des neuen Bühnenstücks «Kranke Männer». «Mit Viktor kann man gut arbeiten und streiten, auch gut essen, wandern – und unheimlich gut blödeln.» Dabei komme es durchaus auch mal vor, dass er dominant werde, zuweilen sogar harsch. «Viktor merkt jedoch genau, wenn er in dieser Stimmung ist», sagt Mike Müller, «dann nimmt er sich jeweils wohltuend zurück.»

Ohne stilles Kämmerlein allerdings würden seine Ideen nicht sprudeln. «Ich muss mich zu Hause vergraben können», sagt der Komiker, «in diesem lauten und hektischen Beruf brauche ich manchmal das Alleinsein.» Dann feilt der gelernte Schriftsetzer an seinen Stücken und liest – für ihn ein wahrer Luxus. «Als es im letzten Jahr ganz strub zu- und herging, versuchte ich, meine Leseabende im Terminkalender einzutragen. Das hat leider nicht funktioniert.»

Gelassene Eltern

Seine unbändige Lust, andere zu karikieren, habe er schon als Bub entdeckt. «Und auch damals schon wurde mir schlagartig klar, wie brisant Satire sein kann», sagt Giacobbo und erzählt, wie er einst vor der Tante so sprach wie die Mutter, wenn sie über die Tante lästerte.

Im Allgemeinen aber nahmen es Mutter und Vater Giacobbo gelassen. «Sie liessen mich machen, förderten mich zwar nicht speziell, verhinderten aber auch nichts. Die besten Voraussetzungen für ein Kind.»

Der Vater war Arbeiter, die Mutter Angestellte in einem Damenmode-Geschäft und – welch Zufall: Der Laden befand sich gleich hinter dem Casinotheater. So wartete Klein Viktor Samstag für Samstag nur einen Steinwurf von seinem Lebenstraum entfernt, bis die Mutter jeweils fertig war mit der Arbeit.

Heute ist sie es, die auf den Sohn wartet, bis er von der Bühne kommt. «Sie ist 84 und erscheint immer noch im Deux-Pièces und mit tadelloser Frisur wie stets», erzählt der Komiker und fügt an: «Mit ihrem Sohn nimmt sie es dabei so gelassen wie eh und je. Und das finde ich cool.»

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Walters Vaterkomplex

«Walter Tell», das neue Stück des Casinotheaters Winterthur, feiert am 3. Juni Premiere. Viktor Giacobbo spielt darin den in die Jahre gekommenen Tellensohn, der an einem schweren Vaterkomplex leidet. Begleitet wird er dabei von der Crème de la Crème der Schweizer Unterhaltungsszene: unter anderem von Bernard Thurnheer, Patrick Frey, Sandra Studer, Walter Andreas Müller, Mike Müller, Ueli Beck und den Acapickels. Bis 28. Juni.

Viktors neues Programm

29. Mai 2003, Schweizer Familie, von Pia Seiler

Die neue Rolle ist für Viktor Giacobbo ein Segen. Statt sich in stundenlanger Prozedur in Harry Hasler oder Debbie Mötteli […]

2017