Viktor Giacobbo

, 29. Mai 2003, von Pia Seiler

Viktors neues Programm

Die neue Rolle ist für Viktor Giacobbo ein Segen. Statt sich in stundenlanger Prozedur in Harry Hasler oder Debbie Mötteli zu verwandeln, genügt dieses Mal ein schlichtes Leinenhemd, das ihm bis zu den Knien reicht. Und wenn er dann noch in die klobigen Älpler-Sandalen schlüpft, gehört er definitiv zur wichtigsten Familie der Schweiz: Viktor Giacobbo ist in der neuen Produktion des Casinotheaters Winterthur Walter Tell – der mittlerweile etwas ältliche Sohn des Heldenvaters.

Im Gegensatz zum Vater aber hat es Walter nicht weit gebracht. Er wohnt noch immer bei der Mutter, löffelt Apfelmus und kreist um die immer gleiche traumatische Frage: Warum nur hat der Vater geschossen? Wo er doch vor dem Apfelschuss laut und deutlich sagte: «Mir schwimmt es vor den Augen.»

«So jedenfalls steht es bei Schiller», sagt Giacobbo in der Probenpause und schmunzelt. Denn viel ist sonst von Schillers Original nicht übrig geblieben: Die Autoren Hannes Glarner und Patrick Frey haben den Schweizer Nationalmythos gehörig entstaubt und schicken den armen Tellensohn in die Psychotherapie.

Begleitet wird er dabei von einer illustren Schar: Komiker Mike Müller ist Wilhelm Tell und TV-Moderatorin Sandra Studer die Helvetia, Schauspieler Walter Andreas Müller mimt Attinghausen, und die Acapickels sorgen für Musik. Allesamt Freunde oder langjährige Bühnenpartner von Viktor Giacobbo, die erst noch ein Heimspiel veranstalten: Die insgesamt 26 Mitwirkenden sind Aktionäre und Mitbesitzer des Casinotheaters.

Wendepunkt im vergangenen Jahr

Trotz der Premiere am 3. Juni wirkt Viktor Giacobbo entspannt wie schon lange nicht mehr. Er hat das letzte Jahr unbeschadet überstanden – eines der stressigsten Jahre seines Lebens: Der Komiker spielte die Hauptrolle im Kinofilm «Ernstfall in Havanna» und eröffnete mit seinen Mitstreitern das Casinotheater in Winterthur, für das er jahrelang gekämpft hatte. Gleichzeitig arbeitete er für «Viktors Spätprogramm», der Satire-Sendung, die er Ende 2002 nach 65 Folgen auslaufen liess. Irgendwann dazwischen feierte Giacobbo seinen 50. Geburtstag und trennte sich von seiner Freundin Nadja Sieger, 35, der Komikerin des Duos Ursus & Nadeschkin.

Wie verkraftet man ein solches Jahr? Viktor Giacobbo, der sonst nie um einen Kommentar verlegen ist, wird wortkarg, wenn es um seine eigene Befindlichkeit geht, und sagt lediglich: «Es war ein Wendepunkt, ein Abschied und ein Aufbruch zugleich.»

Sandra Studer, die seit langer Zeit mit dem Komiker befreundet ist, geht einen Schritt weiter: «Viktor ist ein Mensch mit einer sehr weichen Seite, bei ihm kann man sein Herz ausschütten. Seit der Druck des letzten Jahres von ihm gewichen ist, kommt diese Seite auch wieder zum Vorschein. Heute ist er der gesündere, entspanntere Viktor als früher.»

Urkomisch und todtraurig zugleich

Anmerken jedoch liess er sich damals nichts, im Gegenteil: Als seine Beziehung mit Nadja Sieger vor lauter Projekten und Terminen bereits am Ende war, trat er mit Ursus & Nadeschkin noch im Fernsehen auf – zur besten Sendezeit am Samstagabend. Und er imitierte Nadeschkin in der Lotto-Show «Benissimo». Zog sich ihren gelben, viel zu kurzen Overall an, montierte sich zottelige Rasta-Locken aufs Haupt, schminkte sich die Augen – und wirkte urkomisch und todtraurig zugleich. «Es war mitten in unserer Krise», sagt Giacobbo. «Aber die Komik hatten wir immer noch gemeinsam.»

Nadja Sieger ging nach ihrem Knie-Engagement auf Weltreise – allein. Und Viktor Giacobbo stürzte sich ins Abenteuer Casinotheater, dessen Verwaltungsrats-Präsident er ist – ausgerechnet er, der stets über die Abzocker-Methoden solch erlauchter Amtsinhaber hergezogen ist.

Giacobbo ist die Ironie des Schicksals nicht entgangen und sagt: «Ich bin wohl der katastrophalste VR-Präsident des Landes. Ich habe bis Ende letzten Jahres zum Nulltarif gearbeitet.» Trotzdem oder gerade deswegen sei das Theater auf gutem Kurs – ohne einen einzigen Franken der öffentlichen Hand notabene. «Wir haben sogar eine Dividende an die Aktionäre auszahlen können. Wenn auch bisher nur in Form von Theatertickets, betrug sie doch umgerechnet 6 Prozent.» Eine respektable Leistung angesichts des Jahresumsatzes von 7 Millionen und Umbaukosten von 15 Millionen Franken.

Und wie sieht der Tagesablauf eines solch erfolgreichen Verwaltungsrats-Präsidenten aus? Der Komiker wird ernst. Schliesslich geht es ums Geld und Vertrauen seiner Aktionäre. «Ich habe in dieser Funktion weder Büro noch Tagesablauf, nichts dergleichen, ausser ein paar Sitzungen pro Jahr. Im Tagesgeschäft sind andere am Drücker – allesamt Spezialisten und kein einziger Komiker.»

Neue Bühnen- und Filmpläne

Viel wichtiger sei ihm, zum Theater in enger Verbindung zu stehen. «Wenn ich als Künstler auftrete, merke ich genau, ob das Haus funktioniert oder nicht und ob die Richtung noch stimmt.»

So könne er sich «relativ unbekümmert» an neue Projekte wagen. Im Herbst will er mit Patrick Frey und Mike Müller zusammen als «Sickmen», als kranke Männer, auftreten, die nichts anderes interessiert als ihre Wehwehchen und Anfälle, die man vor der Segnung des Zeitlichen noch durchleiden könnte.

Im nächsten Jahr dann soll Drehbeginn des zweiten Kinofilms sein – wiederum unter Regie von Sabine Boss und mit Mike Müller an seiner Seite. «Es geht dabei ums Berlusconi-Italien, um die Geldwäscherei, den Schweizer Geheimdienst und verdeckte Ermittlungen», verrät Giacobbo.

Woher nur nimmt der Mann all seine Ideen – dies seit über 30 Jahren? Viktor Giacobbo wehrt ab. Häufig schreibe er zu zweit, neuerdings sogar zu dritt. «Ich brauche Menschen – ich brauche die Auseinandersetzung.»

«Viktor kann dominant sein»

Das bestätigt auch Mike Müller, langjähriger Bühnenpartner und Mitautor des neuen Bühnenstücks «Kranke Männer». «Mit Viktor kann man gut arbeiten und streiten, auch gut essen, wandern – und unheimlich gut blödeln.» Dabei komme es durchaus auch mal vor, dass er dominant werde, zuweilen sogar harsch. «Viktor merkt jedoch genau, wenn er in dieser Stimmung ist», sagt Mike Müller, «dann nimmt er sich jeweils wohltuend zurück.»

Ohne stilles Kämmerlein allerdings würden seine Ideen nicht sprudeln. «Ich muss mich zu Hause vergraben können», sagt der Komiker, «in diesem lauten und hektischen Beruf brauche ich manchmal das Alleinsein.» Dann feilt der gelernte Schriftsetzer an seinen Stücken und liest – für ihn ein wahrer Luxus. «Als es im letzten Jahr ganz strub zu- und herging, versuchte ich, meine Leseabende im Terminkalender einzutragen. Das hat leider nicht funktioniert.»

Gelassene Eltern

Seine unbändige Lust, andere zu karikieren, habe er schon als Bub entdeckt. «Und auch damals schon wurde mir schlagartig klar, wie brisant Satire sein kann», sagt Giacobbo und erzählt, wie er einst vor der Tante so sprach wie die Mutter, wenn sie über die Tante lästerte.

Im Allgemeinen aber nahmen es Mutter und Vater Giacobbo gelassen. «Sie liessen mich machen, förderten mich zwar nicht speziell, verhinderten aber auch nichts. Die besten Voraussetzungen für ein Kind.»

Der Vater war Arbeiter, die Mutter Angestellte in einem Damenmode-Geschäft und – welch Zufall: Der Laden befand sich gleich hinter dem Casinotheater. So wartete Klein Viktor Samstag für Samstag nur einen Steinwurf von seinem Lebenstraum entfernt, bis die Mutter jeweils fertig war mit der Arbeit.

Heute ist sie es, die auf den Sohn wartet, bis er von der Bühne kommt. «Sie ist 84 und erscheint immer noch im Deux-Pièces und mit tadelloser Frisur wie stets», erzählt der Komiker und fügt an: «Mit ihrem Sohn nimmt sie es dabei so gelassen wie eh und je. Und das finde ich cool.»

***

Walters Vaterkomplex

«Walter Tell», das neue Stück des Casinotheaters Winterthur, feiert am 3. Juni Premiere. Viktor Giacobbo spielt darin den in die Jahre gekommenen Tellensohn, der an einem schweren Vaterkomplex leidet. Begleitet wird er dabei von der Crème de la Crème der Schweizer Unterhaltungsszene: unter anderem von Bernard Thurnheer, Patrick Frey, Sandra Studer, Walter Andreas Müller, Mike Müller, Ueli Beck und den Acapickels. Bis 28. Juni.

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