Viktor Giacobbo

, 28. Dezember 2007, von Constantin Seibt und Jean-Martin Büttner

«Soll ich jetzt etwas Vaginales sagen?» – «Ja, bitte.»

Zehn Jahre lang haben Viktor Giacobbo und Lorenz Keiser für den TA Satiren geschrieben. Jetzt gehen auch sie in die Opposition. Ein Werkstattgespräch zum Abschied.

 

Christoph Blocher ist nicht mehr, jedenfalls nicht mehr Bundesrat. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von seiner Abwahl erfuhren?

Viktor Giacobbo: Ich war verblüfft. Ich hatte immer gedacht, in diesem Land bewegt sich sowieso nichts, jedenfalls nicht politisch. Freudensprünge habe ich deswegen keine gemacht – auch wenn der Messias gegangen ist, bevor er, gemäss seinem Bruder, den ganzen Berner Sauladen ausgemistet hat.

Droht den Satirikern jetzt Konkurrenz, weil alle sich ihre Blocherwitze selber basteln?

Lorenz Keiser: Ich habe da keine Angst. Von der Abwahl war ich ebenso überrascht wie Viktor. Ich hätte das diesem Land gar nicht zugetraut. Das sind die Früchte von «Big Brother» und «MusicStar»: Abwählen statt Wählen. Mein zweiter Gedanke war ziemlich egoistisch: Mist, jetzt muss ich mein Programm für den Abend umschreiben. Man sieht also: Blochers Abwahl ist für Satiriker weit dramatischer als für ihn selber.

Giacobbo: Und noch dramatischer für seine Frau Silvia.

Keiser: Klar, weil ihr Mann jetzt immer daheim ist!?

Alle sind auf Blocher fixiert, allen voran wir Journalisten. Soll das jetzt vier Jahre so weitergehen? Viele Leser schreiben uns, sie könnten es nicht mehr hören.

Giacobbo: Das geht mir genau so, aber er hat eben viel zu bieten. Es gibt keinen Politiker in der Schweiz, der so gut unterhält, und nur wenige, die beim Ärgern der Gegner so echt wirken. Es macht immer Spass, mit ihm zu streiten.

Keiser: Er bringt eben viel zu Stande. Er ist zum Beispiel der Erste, der von der Ausländerkriminalität geredet hat, während die Ausländer sie immer nur begingen.

Ist ein Regierungssystem mit Opposition lustiger als eine Konkordanzregierung?

Giacobbo: Klar, keine Frage. Ich bin gespannt, wie zum Beispiel Christoph Mörgeli und Ulrich Giezendanner jetzt über Anstand debattieren werden.

Keiser: Vielleicht zieht sich die SVP zu einer Mediation zurück wie damals die SP unter Ursula Koch, um die eigenen Bäuche wieder zu spüren. Als sie noch einen Bundesrat hatten, sagte die SVP, Samuel Schmid sei nur ein halber SVP-Bundesrat. Jetzt haben sie zwei Bundesräte und sagen, sie haben gar keinen. In vier Jahre werden sie vier Bundesräte haben und sagen, sie hätten minus zwei. Ich frage mich, was die für Drogen nehmen.

Da sich so viele über Blochers Abwahl freuen, müssten Sie ihn jetzt in den Bundesrat zurückreden.

Giacobbo: Was mich viel mehr irritiert: Niemand stellt die Konkordanz in Frage, nicht einmal die SVP. Offenbar ist die über alle Gräben und Jahrzehnte hinweg immer noch heilig.

Keiser: Auch jetzt ist im Grunde etwas sehr Konkordantes passiert: Wenn einer in der Schweiz den Grind zu sehr heraushält, ist es aus mit ihm.

Wer ist der beste Witzlieferant der Schweizer Politik?

Giacobbo: Das bleibt trotz allem eben wieder Blocher; schon weil er selber hin und wieder einen erzählt.

Keiser: Nein, nicht deshalb, sondern weil er hinsteht und sagt, ich mache das und stehe dazu – auch wenn er mit dem, was er behauptet, völlig danebenliegt. Was Satiriker mit Politikern verbindet: dass sie beide offenen Auges in den Abgrund laufen. Der Unterschied liegt darin, dass Satiriker daran noch verdienen.

Giacobbo: Wobei mir immer etwas unwohl wird, wenn ich über den Politiker als Gattung Witze mache – gerade weil ich weiss, dass ich damit einen Lacher auf sicher habe.

Was ist mit den neu gewählten Jungpolitikern: Besteht da Hoffnung auf Ersatz?

Giacobbo: Im Gegenteil. Ich habe die Eröffnungsrede von SVP-Nationalrat Lukas Reimann, dem jüngsten Parlamentarier, ein paar Leuten vorgespielt. Die dachten beim Anhören alle, da habe der Alterspräsident über den Aktivdienst geredet.

Um über jemanden herzuziehen, muss er also etwas hergeben?

Keiser: Das Problem ist, dass die Schweizer nicht mehr als zehn bekannte Figuren im Kopf haben, von denen sie einigermassen wissen, wofür sie stehen. Deshalb ist hier zu Lande auch nie jemand an etwas schuld. Das war das Schöne am Grounding der Swissair, da konnte man wunderbar über die Freisinnigen herziehen.

Giacobbo: Dafür geben heute die Wirtschaftsführer einiges her, da muss man dankbar sein.

Christoph Blocher hört nach vier Jahren auf, Sie nach acht beziehungsweise zehn Jahren, zumindest als Kolumnenschreiber für unsere Zeitung. Warum?

Keiser: Man kann das nicht ewig machen. Ich habe gemerkt, dass ich mich zu wiederholen begann. Immerhin habe ich viele Gratulationsschreiben erhalten, weil ich aufhöre. Es gibt Leser, die mir schrieben: «Nachdem ich die Kolumne zehn Jahre lesen musste, haben Sie endlich eingesehen, dass Sie es nicht können.»

Man ist also begeistert, dass Sie nach zehn Jahren voller Fehler etwas richtig gemacht haben?

Giacobbo: Es gibt in unserem Beruf immer die gleichen Reaktionen – egal ob man aufhört oder anfängt.

Keiser: Ja, wenn du anfängst, etwas machst oder aufhörst: Es gibt immer Gratulationsschreiben!

Giacobbo: Ein schöner Beruf!

Für Ihr Honorar mussten Sie lange Jahre auf Befehl lustig sein. Wie funktioniert das eigentlich, wenn man gerade eine Krise hat, Fieber oder Liebeskummer?

Giacobbo: Manchmal entkommst du deinem Tief gerade dadurch. Am Anfang denkst du, du schaffst es nie. Doch dann geht es dir gerade dadurch besser.

Frage an Lorenz Keiser: Stimmt das für Sie auch? Es muss doch sehr schwierig gewesen sein, als Ihr Vater starb.

Keiser: Ja, da hab ich keine Kolumne geschrieben. Ich hab nicht von Anfang an gesagt, jetzt mache ichs nicht. Ich habe mich hingesetzt, habe es probiert und gemerkt: Jetzt will ich wirklich nicht. Das war aber das einzige Mal. In anderen schwierigen Momenten ging es mir gleich wie Viktor.

Giacobbo: Ich habe ein paar meiner besten Sketches gemacht, als ich mich in einem Tief befand. Ich erinnere mich an eine Szene, wo mir hundsmies zu Mute war – und ich gerade als Ueli Maurer geschminkt war. Als ich in den Spiegel schaute, ging es mir besser, weil die Aussicht aufs Abschminken etwas Tröstliches hatte.

Keiser: Ha! Der weinende Clown.

Giacobbo: Nein, der weinende Clown trennt das nicht, der zelebriert es. Und das geht mir unglaublich auf den Wecker.

Zurück zur Politik. Bis in die Neunzigerjahre hinein hatte die Linke die Lufthoheit über die Satire. Jetzt dominiert die Rechte die Agenda, die Kameras und sogar den Witz – wenigstens zum Teil, und meistens auf die höhnische Art.

Giacobbo: Die Linke war früher genauso höhnisch. Dass das nun auch die Rechte macht, ist für die Linke einfach ungewohnt.

Keiser: Ja, zu Anfang meiner Karriere wurde ich noch beinahe gelyncht, weil ich auch über Linke Witze machte. Die nannte mich damals «das schlimmste Arschloch». Natürlich ist es etwas anderes, wenn du von rechts oben Witze machst als von links unten. Aber höhnisch sind wir bei Gelegenheit alle; ich auch.

Die Erfahrung im Parlament lehrt, dass linke Parlamentarier weniger Kritik ertragen und auch weniger Humor haben als rechte.

Giacobbo: Leider ist das so. Es betrifft nicht alle, aber doch einige. Dabei könnte die Linke statt Dauerempörung etwas mehr Witz und Gelassenheit brauchen. Und damit viel mehr Wirkung erzielen.

Gibt es einen Unterschied zwischen linkem und rechtem Humor?

Keiser: Nein. Eine Pointe ist lustig oder eben nicht.

Ist Humor wirklich eine so grossartige Eigenschaft? Warum erwähnt man ihn in jedem zweiten Heiratsinserat?

Giacobbo: Mit Humor räumt man grausam bei den Frauen ab.

Stimmt das? Ist es nicht eher so, dass die Frau lacht und dann allein nach Haus geht?

Keiser: Genau so ist es.

Giacobbo: Ja. Sie lachen selbst dann noch, wenn man sie gar nicht mehr zum Lachen bringen will.

Keiser: Entweder man hat Muskeln – oder Humor. Das gilt bei Prügeleien auf dem Pausenhof oder bei der Verführung von Angelina Jolie.

Verhaltensforscher sagen, das Lachen sei eine stilisierte Zubeissbewegung. Bei Mörgeli kann man das gut studieren.

Giacobbo: Eine gewisse Aggressivität braucht es schon, um Witze zu machen. Es muss dir etwas auf die Nerven gehen.

Mörgeli behauptet, Satire müsse verletzen.

Giacobbo: Sie kann, muss aber nicht. Wer mit seinen Pointen nur verletzen will, bewirkt unweigerlich, dass die Stimmung umschlägt und die Leute Mitleid haben.

Der deutsche Satiriker Robert Gernhardt schrieb, dass alle populäre Kunst eigentlich auf der Jagd sei nach Körperflüssigkeiten: Beim Liebesroman flös-sen Tränen, beim Krimi Schweiss, beim Porno Sperma und beim Humor der unfreiwillig abgegebener Urin. Waren Sie dabei erfolgreich?

Giacobbo: Also bei einer früheren Show, damals mit «Harul’s Top Service», ist sogar jemand gestorben. Die Leute haben so gelacht, dass ein Mann einen Schwächeanfall erlitt. Man trug ihn raus, und er starb.

Wäre das auch für Sie ein guter Tod?

Giacobbo: Kein schlechter Tod, denke ich . . .

Keiser: . . . vor allem, wenn du vorher noch den Witz verstanden hast.

Giacobbo: Das gilt auch für das Ende von Fernsehsendungen. Bei «Viktors Spätprogramm» habe ich aufgehört, als wir auf dem Höhepunkt waren – von der Beliebtheit her, der Einschaltquote und so.

Hatten Sie nie ein schlechtes Gewissen, zu weit gegangen zu sein?

Giacobbo: Nicht wirklich. Vielleicht damals, als ich hörte, dass man die Kinder von Ueli Maurer angepöbelt hat – obwohl ich wusste, das das nicht direkt meine Verantwortung war. Eigentlich bin ich ein sehr versöhnungsbedürftiger Mensch, ich bekomme schnell Mitleid mit jemandem. Und bei Politikern lasse ich gerne von ihnen ab, bevor die dritte und vierte Liga Gratiswitze über sie macht.

Ist nicht die beste politische Satire gerade jene, die missverstanden wird?

Keiser: Das klingt ein wenig nach der Forderung, ein Satiriker müsse die wahren Abgründe erkennen lassen. Ich kenne diese wahren Abgründe, weil ich sie auf der Bühne erlebe. Ich mache einen kritischen Text über die Idiotie, Wehrmännern Sturmgewehre heimzugeben, und dann wird an der Bushaltestelle ein 16-jähriges Mädchen erschossen. Ich kann nur sagen: Das ist gar nicht lustig.

Wir dachten eher an echte Scherze, die dermassen hinterhältig sind, dass sie das Publikum schockieren.

Keiser: Du darfst dir keine Illusionen machen, dass es auch nur fünf Leute im Publikum gibt, die das dann verstehen.

Giacobbo: Dazu kommt, dass man solche Schocks relativ leicht erzeugen kann – den Weihnachtsmann ans Kreuz nageln und so weiter. Da kommt grosse Empörung auf, sicher. Aber das ist nicht wirklich lustig. Mir gefallen Dinge, die einfach passieren. Etwa als Patrick Frey im Fernsehen eine ironische Nationalhymne auf Ogi sang, Armeechef Christoph Keckeis aufstand und salutierte – und mit ihm das ganze Publikum.

Kollegen von Ihnen wie Emil Steinberger oder Frank Baumann behaupten, es gäbe in der Schweiz keine Satire, weil die Political Correctness alles ersticke.

Giacobbo: So ein Seich. Heute weiss jeder Provinzkabarettist, dass er gegen die Political Correctness verstossen muss.

Also gibt es gar keine politische Korrektheit mehr, gegen die man antreten kann?

Keiser: Das ist doch eine endlose Zeit her. Das war am Ende der Achtzigerjahre, als die Frauen permanent ihre Doppelnamen vorführten. Nussbaum-Gandolfi.

Giacobbo: Oder Gämperli-Rodriguez.

Es gibt das Wort von Mel Brooks, der sagte, dass man auch die Schwarzen, die Juden, die Männer, die Frauen und die Blinden verspotten müsse. Seine Begründung war, dass sie leiden würden wie alle anderen Menschen.

Keiser: Ja. Es darf keine Schonung von Minderheiten geben, keinen Opferschutz. Vor allem wenn sie keine Minderheiten mehr sind. Etwa die Ausländer in der Schweiz – die sind bald die Mehrheit. Erst wenn man über jemanden Witze macht, nimmt man ihn für voll.

Gibt es so etwas wie einen Schweizer Humor? Laut einer Untersuchung neigen Franzosen zum Genitalen, während Deutsche den analen Humor bevorzugen. Liegen die Schweizer irgendwo in der Mitte?

Giacobbo: Gewiss eine interessante Position: die genital-anale Mitte. Aber Humor hat eher soziale und weniger nationale Grenzen.

Keiser: Soll ich jetzt etwas Vaginales sagen?

Giacobbo: Ja, bitte.

Keiser: Also –

Wir danken für dieses Gespräch.

2017