Viktor Giacobbo

Zehn Jahre lang haben Viktor Giacobbo und Lorenz Keiser für den TA Satiren geschrieben. Jetzt gehen auch sie in die Opposition. Ein Werkstattgespräch zum Abschied.

 

Christoph Blocher ist nicht mehr, jedenfalls nicht mehr Bundesrat. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von seiner Abwahl erfuhren?

Viktor Giacobbo: Ich war verblüfft. Ich hatte immer gedacht, in diesem Land bewegt sich sowieso nichts, jedenfalls nicht politisch. Freudensprünge habe ich deswegen keine gemacht – auch wenn der Messias gegangen ist, bevor er, gemäss seinem Bruder, den ganzen Berner Sauladen ausgemistet hat.

Droht den Satirikern jetzt Konkurrenz, weil alle sich ihre Blocherwitze selber basteln?

Lorenz Keiser: Ich habe da keine Angst. Von der Abwahl war ich ebenso überrascht wie Viktor. Ich hätte das diesem Land gar nicht zugetraut. Das sind die Früchte von «Big Brother» und «MusicStar»: Abwählen statt Wählen. Mein zweiter Gedanke war ziemlich egoistisch: Mist, jetzt muss ich mein Programm für den Abend umschreiben. Man sieht also: Blochers Abwahl ist für Satiriker weit dramatischer als für ihn selber.

Giacobbo: Und noch dramatischer für seine Frau Silvia.

Keiser: Klar, weil ihr Mann jetzt immer daheim ist!?

Alle sind auf Blocher fixiert, allen voran wir Journalisten. Soll das jetzt vier Jahre so weitergehen? Viele Leser schreiben uns, sie könnten es nicht mehr hören.

Giacobbo: Das geht mir genau so, aber er hat eben viel zu bieten. Es gibt keinen Politiker in der Schweiz, der so gut unterhält, und nur wenige, die beim Ärgern der Gegner so echt wirken. Es macht immer Spass, mit ihm zu streiten.

Keiser: Er bringt eben viel zu Stande. Er ist zum Beispiel der Erste, der von der Ausländerkriminalität geredet hat, während die Ausländer sie immer nur begingen.

Ist ein Regierungssystem mit Opposition lustiger als eine Konkordanzregierung?

Giacobbo: Klar, keine Frage. Ich bin gespannt, wie zum Beispiel Christoph Mörgeli und Ulrich Giezendanner jetzt über Anstand debattieren werden.

Keiser: Vielleicht zieht sich die SVP zu einer Mediation zurück wie damals die SP unter Ursula Koch, um die eigenen Bäuche wieder zu spüren. Als sie noch einen Bundesrat hatten, sagte die SVP, Samuel Schmid sei nur ein halber SVP-Bundesrat. Jetzt haben sie zwei Bundesräte und sagen, sie haben gar keinen. In vier Jahre werden sie vier Bundesräte haben und sagen, sie hätten minus zwei. Ich frage mich, was die für Drogen nehmen.

Da sich so viele über Blochers Abwahl freuen, müssten Sie ihn jetzt in den Bundesrat zurückreden.

Giacobbo: Was mich viel mehr irritiert: Niemand stellt die Konkordanz in Frage, nicht einmal die SVP. Offenbar ist die über alle Gräben und Jahrzehnte hinweg immer noch heilig.

Keiser: Auch jetzt ist im Grunde etwas sehr Konkordantes passiert: Wenn einer in der Schweiz den Grind zu sehr heraushält, ist es aus mit ihm.

Wer ist der beste Witzlieferant der Schweizer Politik?

Giacobbo: Das bleibt trotz allem eben wieder Blocher; schon weil er selber hin und wieder einen erzählt.

Keiser: Nein, nicht deshalb, sondern weil er hinsteht und sagt, ich mache das und stehe dazu – auch wenn er mit dem, was er behauptet, völlig danebenliegt. Was Satiriker mit Politikern verbindet: dass sie beide offenen Auges in den Abgrund laufen. Der Unterschied liegt darin, dass Satiriker daran noch verdienen.

Giacobbo: Wobei mir immer etwas unwohl wird, wenn ich über den Politiker als Gattung Witze mache – gerade weil ich weiss, dass ich damit einen Lacher auf sicher habe.

Was ist mit den neu gewählten Jungpolitikern: Besteht da Hoffnung auf Ersatz?

Giacobbo: Im Gegenteil. Ich habe die Eröffnungsrede von SVP-Nationalrat Lukas Reimann, dem jüngsten Parlamentarier, ein paar Leuten vorgespielt. Die dachten beim Anhören alle, da habe der Alterspräsident über den Aktivdienst geredet.

Um über jemanden herzuziehen, muss er also etwas hergeben?

Keiser: Das Problem ist, dass die Schweizer nicht mehr als zehn bekannte Figuren im Kopf haben, von denen sie einigermassen wissen, wofür sie stehen. Deshalb ist hier zu Lande auch nie jemand an etwas schuld. Das war das Schöne am Grounding der Swissair, da konnte man wunderbar über die Freisinnigen herziehen.

Giacobbo: Dafür geben heute die Wirtschaftsführer einiges her, da muss man dankbar sein.

Christoph Blocher hört nach vier Jahren auf, Sie nach acht beziehungsweise zehn Jahren, zumindest als Kolumnenschreiber für unsere Zeitung. Warum?

Keiser: Man kann das nicht ewig machen. Ich habe gemerkt, dass ich mich zu wiederholen begann. Immerhin habe ich viele Gratulationsschreiben erhalten, weil ich aufhöre. Es gibt Leser, die mir schrieben: «Nachdem ich die Kolumne zehn Jahre lesen musste, haben Sie endlich eingesehen, dass Sie es nicht können.»

Man ist also begeistert, dass Sie nach zehn Jahren voller Fehler etwas richtig gemacht haben?

Giacobbo: Es gibt in unserem Beruf immer die gleichen Reaktionen – egal ob man aufhört oder anfängt.

Keiser: Ja, wenn du anfängst, etwas machst oder aufhörst: Es gibt immer Gratulationsschreiben!

Giacobbo: Ein schöner Beruf!

Für Ihr Honorar mussten Sie lange Jahre auf Befehl lustig sein. Wie funktioniert das eigentlich, wenn man gerade eine Krise hat, Fieber oder Liebeskummer?

Giacobbo: Manchmal entkommst du deinem Tief gerade dadurch. Am Anfang denkst du, du schaffst es nie. Doch dann geht es dir gerade dadurch besser.

Frage an Lorenz Keiser: Stimmt das für Sie auch? Es muss doch sehr schwierig gewesen sein, als Ihr Vater starb.

Keiser: Ja, da hab ich keine Kolumne geschrieben. Ich hab nicht von Anfang an gesagt, jetzt mache ichs nicht. Ich habe mich hingesetzt, habe es probiert und gemerkt: Jetzt will ich wirklich nicht. Das war aber das einzige Mal. In anderen schwierigen Momenten ging es mir gleich wie Viktor.

Giacobbo: Ich habe ein paar meiner besten Sketches gemacht, als ich mich in einem Tief befand. Ich erinnere mich an eine Szene, wo mir hundsmies zu Mute war – und ich gerade als Ueli Maurer geschminkt war. Als ich in den Spiegel schaute, ging es mir besser, weil die Aussicht aufs Abschminken etwas Tröstliches hatte.

Keiser: Ha! Der weinende Clown.

Giacobbo: Nein, der weinende Clown trennt das nicht, der zelebriert es. Und das geht mir unglaublich auf den Wecker.

Zurück zur Politik. Bis in die Neunzigerjahre hinein hatte die Linke die Lufthoheit über die Satire. Jetzt dominiert die Rechte die Agenda, die Kameras und sogar den Witz – wenigstens zum Teil, und meistens auf die höhnische Art.

Giacobbo: Die Linke war früher genauso höhnisch. Dass das nun auch die Rechte macht, ist für die Linke einfach ungewohnt.

Keiser: Ja, zu Anfang meiner Karriere wurde ich noch beinahe gelyncht, weil ich auch über Linke Witze machte. Die nannte mich damals «das schlimmste Arschloch». Natürlich ist es etwas anderes, wenn du von rechts oben Witze machst als von links unten. Aber höhnisch sind wir bei Gelegenheit alle; ich auch.

Die Erfahrung im Parlament lehrt, dass linke Parlamentarier weniger Kritik ertragen und auch weniger Humor haben als rechte.

Giacobbo: Leider ist das so. Es betrifft nicht alle, aber doch einige. Dabei könnte die Linke statt Dauerempörung etwas mehr Witz und Gelassenheit brauchen. Und damit viel mehr Wirkung erzielen.

Gibt es einen Unterschied zwischen linkem und rechtem Humor?

Keiser: Nein. Eine Pointe ist lustig oder eben nicht.

Ist Humor wirklich eine so grossartige Eigenschaft? Warum erwähnt man ihn in jedem zweiten Heiratsinserat?

Giacobbo: Mit Humor räumt man grausam bei den Frauen ab.

Stimmt das? Ist es nicht eher so, dass die Frau lacht und dann allein nach Haus geht?

Keiser: Genau so ist es.

Giacobbo: Ja. Sie lachen selbst dann noch, wenn man sie gar nicht mehr zum Lachen bringen will.

Keiser: Entweder man hat Muskeln – oder Humor. Das gilt bei Prügeleien auf dem Pausenhof oder bei der Verführung von Angelina Jolie.

Verhaltensforscher sagen, das Lachen sei eine stilisierte Zubeissbewegung. Bei Mörgeli kann man das gut studieren.

Giacobbo: Eine gewisse Aggressivität braucht es schon, um Witze zu machen. Es muss dir etwas auf die Nerven gehen.

Mörgeli behauptet, Satire müsse verletzen.

Giacobbo: Sie kann, muss aber nicht. Wer mit seinen Pointen nur verletzen will, bewirkt unweigerlich, dass die Stimmung umschlägt und die Leute Mitleid haben.

Der deutsche Satiriker Robert Gernhardt schrieb, dass alle populäre Kunst eigentlich auf der Jagd sei nach Körperflüssigkeiten: Beim Liebesroman flös-sen Tränen, beim Krimi Schweiss, beim Porno Sperma und beim Humor der unfreiwillig abgegebener Urin. Waren Sie dabei erfolgreich?

Giacobbo: Also bei einer früheren Show, damals mit «Harul’s Top Service», ist sogar jemand gestorben. Die Leute haben so gelacht, dass ein Mann einen Schwächeanfall erlitt. Man trug ihn raus, und er starb.

Wäre das auch für Sie ein guter Tod?

Giacobbo: Kein schlechter Tod, denke ich . . .

Keiser: . . . vor allem, wenn du vorher noch den Witz verstanden hast.

Giacobbo: Das gilt auch für das Ende von Fernsehsendungen. Bei «Viktors Spätprogramm» habe ich aufgehört, als wir auf dem Höhepunkt waren – von der Beliebtheit her, der Einschaltquote und so.

Hatten Sie nie ein schlechtes Gewissen, zu weit gegangen zu sein?

Giacobbo: Nicht wirklich. Vielleicht damals, als ich hörte, dass man die Kinder von Ueli Maurer angepöbelt hat – obwohl ich wusste, das das nicht direkt meine Verantwortung war. Eigentlich bin ich ein sehr versöhnungsbedürftiger Mensch, ich bekomme schnell Mitleid mit jemandem. Und bei Politikern lasse ich gerne von ihnen ab, bevor die dritte und vierte Liga Gratiswitze über sie macht.

Ist nicht die beste politische Satire gerade jene, die missverstanden wird?

Keiser: Das klingt ein wenig nach der Forderung, ein Satiriker müsse die wahren Abgründe erkennen lassen. Ich kenne diese wahren Abgründe, weil ich sie auf der Bühne erlebe. Ich mache einen kritischen Text über die Idiotie, Wehrmännern Sturmgewehre heimzugeben, und dann wird an der Bushaltestelle ein 16-jähriges Mädchen erschossen. Ich kann nur sagen: Das ist gar nicht lustig.

Wir dachten eher an echte Scherze, die dermassen hinterhältig sind, dass sie das Publikum schockieren.

Keiser: Du darfst dir keine Illusionen machen, dass es auch nur fünf Leute im Publikum gibt, die das dann verstehen.

Giacobbo: Dazu kommt, dass man solche Schocks relativ leicht erzeugen kann – den Weihnachtsmann ans Kreuz nageln und so weiter. Da kommt grosse Empörung auf, sicher. Aber das ist nicht wirklich lustig. Mir gefallen Dinge, die einfach passieren. Etwa als Patrick Frey im Fernsehen eine ironische Nationalhymne auf Ogi sang, Armeechef Christoph Keckeis aufstand und salutierte – und mit ihm das ganze Publikum.

Kollegen von Ihnen wie Emil Steinberger oder Frank Baumann behaupten, es gäbe in der Schweiz keine Satire, weil die Political Correctness alles ersticke.

Giacobbo: So ein Seich. Heute weiss jeder Provinzkabarettist, dass er gegen die Political Correctness verstossen muss.

Also gibt es gar keine politische Korrektheit mehr, gegen die man antreten kann?

Keiser: Das ist doch eine endlose Zeit her. Das war am Ende der Achtzigerjahre, als die Frauen permanent ihre Doppelnamen vorführten. Nussbaum-Gandolfi.

Giacobbo: Oder Gämperli-Rodriguez.

Es gibt das Wort von Mel Brooks, der sagte, dass man auch die Schwarzen, die Juden, die Männer, die Frauen und die Blinden verspotten müsse. Seine Begründung war, dass sie leiden würden wie alle anderen Menschen.

Keiser: Ja. Es darf keine Schonung von Minderheiten geben, keinen Opferschutz. Vor allem wenn sie keine Minderheiten mehr sind. Etwa die Ausländer in der Schweiz – die sind bald die Mehrheit. Erst wenn man über jemanden Witze macht, nimmt man ihn für voll.

Gibt es so etwas wie einen Schweizer Humor? Laut einer Untersuchung neigen Franzosen zum Genitalen, während Deutsche den analen Humor bevorzugen. Liegen die Schweizer irgendwo in der Mitte?

Giacobbo: Gewiss eine interessante Position: die genital-anale Mitte. Aber Humor hat eher soziale und weniger nationale Grenzen.

Keiser: Soll ich jetzt etwas Vaginales sagen?

Giacobbo: Ja, bitte.

Keiser: Also –

Wir danken für dieses Gespräch.

«Soll ich jetzt etwas Vaginales sagen?» – «Ja, bitte.»

28. Dezember 2007, Tages-Anzeiger, von Constantin Seibt, von Jean-Martin Büttner

Zehn Jahre lang haben Viktor Giacobbo und Lorenz Keiser für den TA Satiren geschrieben. Jetzt gehen auch sie in die […]

KLUG, Clever, Komisch: Viktor Giacobbo
1 TV-Sendung, 1 Kolumne, 1 Buch, 1 Casino-Theater. Er ist die Nummer 1 seiner Branche. 1 Viktor-Giacobbo-Porträt.“Viktor ist ein Mensch mit überdurchschnittlicher Intelligenz. Ich habe mir seine Sendung auf Video angeschaut. Ich bin beeindruckt von seinem Ideenreichtum. Guter Humor braucht Weisheit. Und die hat Viktor. Humor ist der Regenschirm der Weisen.“
Uriella auf die Frage, warum sie in „Viktors Spätprogramm“ auftrete.

Kultur ist eine Melkmaschine. Ihre Produkte sind dann erfolgreich, wenn Flüssigkeiten fliessen: Tränen bei der Romanze, Adrenalin beim Drama, Sperma beim Porno, Rezensionstinte bei Schweizer Literatur. Auch der Erfolg von Komik wird physisch gemessen: in Dezibel Lachstärke, Zentimeter Mundwinkelverschiebung oder – im Idealfall – in Milliliter unfreiwillig abgegebenen Urins.
Zu den Paradoxen des Kulturbetriebs gehört, dass das, was Augen, Ohren, Münder, Herzen und Hosenläden öffnet, nicht selten kalten Herzens und kühlen Kopfes konstruiert ist. Hollywoodträume, Schönheitsideale, Sexfantasien, Gespenster, Lieblingswitze und -argumentationen, kurz: 99 Prozent unseres intellektuellen und emotionalen Repertoires ist eingekaufte Ware, fabriziert von Profis. Kein Wunder, dass Kunst von Laien oft hartnäckig für Berufung statt Beruf gehalten wird: Was bei Bekleidung und Innenarchitektur selbstverständlich ist, gilt beim seelischen Interieur als Skandal. „Bei wem kaufen Sie Ihre Anzüge?“ ist ein Kompliment, „Bei wem lassen Sie denken?“, „Bei wem beziehen Sie ihre Gefühle?“ eine Attacke.
Die spieluhrenhafte Mechanik bestimmt auch das subtile wie populäre Produkt Komik & Humor. Wie das Schlager-Schleimtier oder der fesselnde Krimi-Octopus ist auch die fröhliche, anarchistische Sau der Komik ein Cyborg: zu grossen Teilen ein Automat. Die mechanischen Anteile sind seit Generationen dieselben: etwa das Unterlaufen einer Erwartung („Ja, wir haben oft über Scheidung gesprochen. Aber die Kinder haben uns zusammengehalten. Ich wollte sie nicht und sie auch nicht“), des Vergleichs („Nationalrat Mühlemann sah von vorne aus wie ein Elefant von hinten“), der Übertreibung („Constantin redete so viel, dass seine Zunge Sonnenbrand hatte“), der Rollenumkehrung (Männer im Fummel) oder des Zeitsprungs: (Erster Helvetier: „Noch eine Strasse! Diese Römer verschandeln die Gegend.“ Zweiter Helvetier: „Also, wer will schon von Zürich nach Winterthur in zwei Tagen laufen?“)
Kein dummer Satz

Die Frage, wie gut oder wie schlecht ein Produkt wie Komik ist, ist eine Frage des Stils: Wie kann dasselbe wieder frisch serviert werden? Ausschlaggebend ist hier das Tempo (etwa bei Otto, der unzählige Arztwitze auf vier Worte bringt: „Schwester! Zange – Tupfer – Sterbeurkunde!“), die möglichst reibungslosen Übergänge (am genialsten bei Monty Python: „Und jetzt zu etwas ganz anderem!“) und der persönliche Touch: das Tempo, der Rhythmus, die Eleganz.
Die Nummer eins in der Schweiz, Viktor Giacobbo, ist eine erstaunlich harte Nuss für die Wie-hat-er-das-eigentlich-gemacht-Analyse. Dabei liegt Material zuhauf vor: Giacobbo existiert als echte Produktepalette (von Live-Auftritten über den Kolumnensammelband „Der Spargel der Vergeltung“ bis zu 57 Prozent Marktanteil seiner Sendung „Viktors Spätprogramm“), spaltet sich in ein schizophrenes Figurenarsenal (vom Kiffer Freddy Hinz bis zum SVP-Parteichef Ueli Maurer) und ist einer der meistinterviewten Menschen des Landes. Trotzdem bleibt er öffentliche Figur und unbekanntes Wesen zugleich: Wie bei einem Kraken sieht man vor lauter Armen den Kopf nicht mehr.
Ein erster Grund dafür ist, dass er ein Genie des Medienauftritts ist: Er gibt den Affen kräftig Zucker, aber nicht den geringsten Einblick. Obwohl er von „Blick“ bis „Schweizer Illustrierte“ Stoff und Statements liefert – („Ich bin keine Zicke“, sagte er zur WoZ), findet sich keine einzige Homestory, keine einzige private Bemerkung. („SonntagsZeitung“: „Sie und Nadeschkin sind ein Paar.“ Giacobbo: „So. So.“ – „Alles, was die Öffentlichkeit über Ihr Privatleben erfährt, sind die Namen Ihrer Katzen.“ – „Ja, das mögen die Leute.“ – „Das müssen wir in dem Fall nicht mehr bringen.“ – „Ich rede nicht gern über mein Privatleben.“)
So weit, so klar. Unklar bleibt, wie es Giacobbo schafft, in einer Jahre zurückreichenden, faustdicken Pressemappe keinen einzigen dummen Satz zu sagen: „Warum? Ich gebe immer dasselbe Interview“, begründete er es der WoZ gegenüber und gab auch ihr dasselbe Interview: „Nein, ich bin keine meiner Figuren. Ich spiele Harry Hasler nur, wenn ich ihn für einen Sketch brauche“, sagte er, oder: „Frechsein ist noch nicht lustig. Du kannst zwar den Osterhasen ans Kreuz nageln, das ist frech, aber lustig ist das noch nicht“; oder: „Komik ist vielleicht nicht so wertvoll wie E-Literatur: Sie geht nicht ganz in die Tiefe des Lebens. Dafür ist Scharlatanerie im U-Bereich nicht möglich. Im E-Bereich ist doch fünfzig Prozent geschummelt. Aber verquaste E-Sosse gilt erstmal a priori als wertvoll. Es ist schön, dass sich jemand damit beschäftigt.“ Oder: „Nein, ich bin nicht davon angewandelt, ernste Rollen für die Nachwelt zu spielen. Ich muss auch nicht immer auf der Bühne stehen. Mein Traum ist, auf den Cook-Islands gute Bücher zu lesen und von Zeit zu Zeit einen Artikel zu schreiben.“
So weit, so vernünftig, so unspektakulär. Giacobbos Antidot gegen Medien ist der Cocktail Vernunft und Höflichkeit – es lässt sich nichts daraus machen. Die Zusammenfassung sämtlicher Interviews liefert die Internet-Suchmaschine des schweizerischen Mediendienstes, die auf das Stichwort „Giacobbo“ wegen zu vielen Treffern den trockenen Kommentar liefert: „Ihre Sucheingabe war nicht so gut“. Spektakulär hingegen ist, dass dasselbe Resultat wie für den Privatmann auch für den Satiriker und Komiker gilt: Sein Werk gibt keinen Stoff für psychoanalytische Spekulationen, seine Witze erzählen nichts von seinen Obsessionen, in seiner reichen Produktion an Blödsinn findet sich kein wirklich dummer Satz. Seine Blamagenlosigkeit ist für jeden Rechercheur peinlich. Viktor Giacobbo ist wie das Nebenprodukt der Raumfahrt: die Teflonpfanne. Er verbrät die politischen Quarktaschen und das Fastfood des Tages, aber nichts bleibt an ihm hängen.
Wie das? Er hat alle Gelegenheiten für Ausrutscher. Das Team ist klein (die Sketche werden zu viert gebrainstormt und dann zu zwei mit dem Berner Markus Köbeli geschrieben), es gibt keine herummarodierende Redaktion, die Produktionszeiten sind horrend, mit den Promigästen wird live getalkt: viele Möglichkeiten, Katastrophen zu bauen – no way. Das Gefühl, dass Giacobbo ein kastriertes Weichei ohne Schärfe oder ohne Stil ist, stellt sich ebenfalls nicht ein. Vom Schiff aus lässt sich nur feststellen, dass da ein kleiner Mann mit Brille und Segelohren sitzt, der verdammt intelligent, verteufelt schnell (etwa bei der Zuschauerfrage: „Was machst du bei Haarausfall?“ – „Kommt darauf an, wo sie ausfallen. In der Achselhöhle gehts noch.“) und bei aller Höflichkeit ein echtes Bühnentier ist: Er lässt sich nicht in den Schatten stellen, nicht durch seine Schauspieler und schon gar nicht durch seine Gäste.
Giacobbos Komik ist wie der Mann: clever, vif, professionell, obsessionslos, dabei mit einem erstaunlichen, ebenso bedauerns- wie bewundernswerten Gespür für Takt. Basis des Ganzen ist, so Götterspass-Komiker Patrick Frey, dass „Giacobbo nicht nur einen Kanal hat, sondern viele Tasten“. Giacobbo, gelernter Schriftsetzer, Korrektor, dann Fernseharchivar, laut Frey „von seinen Figuren am ehesten die graue Maus, der Funktionär, der nie den Boden unter den Füssen verloren hat, aber sehr, sehr flexibel und unverfroren“ machte den Kabarett-Weg von der Pike auf: Stuzzicadenti, Zampanoo’s Variété, Haruls Topservice, Medienkritik-Sketches am TV, „Satiramisu“ am Radio, seit 1990 mit „Viktors Programm“. Damit hat er genügend Saiten auf der Fiedel, um zu mixen: Blödeln, Slapstick, Intellogags, Stimmenimitation, Stand-Up und dank seines „weichen, fast zarten Gesichts“ (Frey) und den Kunsthaaren und Gummigebissen seiner Maskenbildnerin Hedvika Salzmann die Möglichkeit, im Fummel aufzutreten. Viktors Repertoire ist crashfest. Da bei einem Publikum von bis zu 600 000 Leuten nicht jeder Gag bei jedem zünden kann, ausserdem natürlich nicht jeder der grosse Kracher ist, muss nicht nur der Komikgehalt hoch, sondern auch die Performance gut und der Scheissdetektor sicher sein. „Bei Opern“, zitiert Giacobbo Loriot, „sagen die Leute, wenn es ihnen nicht gefallen hat: Ich verstehe nichts davon. Bei Humor sind sie sauer.“ Giacobbos Rezept ist das Aufteilen des Gewichtes auf verschiedene Komikformen und -figuren: den Spiesser Erwin Bischofsberger, die hasenzähnigen Priester und Nonnen (mit einer schönen Konzessionsklage für einen Sketch, als die katholische Kirche gerade Darwin anerkannt hatte und Viktor einen Schimpansen mit einer modifizierten Hostie in Bananenform zu missionieren versuchte), die Legasthenikerin Debbie Mötteli, den Inder Rajiv („Gilbert Gress? Your name is Marihuanna?“), den Hascher Freddy Hinz, den Vollidioten Ueli Maurer oder Harry „Saletti“ Hasler.
Diese Figuren erleichtern a) das Textschreiben, profitieren b) vom Runninggag-Effekt von Sendung zu Sendung – je öfter, desto komischer – und sind auch c) Programm. „Ich kann doch nicht mehr den zerstreuten Professor spielen“, wehrte sich Giacobbo gegen den Vorwurf der Drögeler-Verspottung. Dabei schwang ungesagt mit: „Ich kann nicht weiter die rechten Spiesser, Immobilienhaie, Block- und Abwärte“ spielen – also die Klischeefiguren sowohl des vorgestrigen Nummern- als auch des gestrigen Zeigefingerkabaretts.
Klamauk & Politik

Beim Start von „Viktors Programm“ 1990 lieferte Giacobbo in der WoZ folgende Beschreibung seines Tagesablaufs:
Nach der scherzfreien morgendlichen Begrüssung und einem frisch geschroteten Eichelkaffee beginnen wir uns im Satire-Laden die neuesten Witze zu erzählen. Zusammengetragen werden ausschliesslich Gags, die unsern strengen Richtlinien entsprechen. Sie werden eingehend nach Sexismus, bürgerlicher Kleinkariertheit und unverbindlicher Blödelei durchforstet, bevor wir sie für unsere regelmässig erscheinende Publikation „Der kämpferische Scherzkeks“ freigeben. Natürlich entstehen mitunter recht heftige Debatten. Häufig geht es dabei um die Frage, ob ein Witz im Zweifelsfall vorwiegend lustig oder mehrheitlich standpunktorientiert sein soll.
Diese Diskussionen sind vorbei. Danke, Gott. Wer je schlechte linke Kabarettisten auf der Bühne gesehen hat, weiss, dass diese (etwa mit den üblichen Managerschurken-Performances oder der Waldsterbennummer: „Dä Wald isch tot! Dä Wald isch tot!“) nur zwei Möglichkeiten lassen: Entweder uriellahaft lächelnd der Gemeinde beizutreten oder brüllend Bäume zu fällen, Angestellte zu geisseln oder der Autopartei beizutreten. Dass Giacobbo, Ex-ML-Mitglied und heute „politischer Eklektiker“, weder zur Besinnung noch zur Revolution aufruft, kann man ihm nicht vorwerfen: nicht, solange das Linksradikalste hierzulande pastorale Grüne und pasteurisierte Sozialdemokraten sind. Vernünftig – wie scheinbar alles an Viktor G. – ist auch die Konzeption, dass „Satire eine Unterhaltungsform, nicht eine Message darstellt. Unsere Komik ist: Klamauk wahllos mit Politik gemischt.“ Vernünftig deshalb, weil der Klamauk zerstörerischer wirkt, als die plane Agression: Was Giacobbo/Köbeli dem SVP-Präsidenten Ueli Maurer angetan haben, ist ungeheuer grausam und grausam komisch: Die alberne Kopie ist besser als das alberne Original. Bei jedem seiner Interviews sieht man Giacobbos Parodie. Als er sich die Haare schnitt, um nicht mehr ganz dem bösartigen glatzköpfigen Clown zu gleichen, der er ist, lachte bei Sessionsbeginn das ganze Parlament.
Natürlich sind nicht alle Gags gut, aber Giacobbos Sendung hat genügend Schwung, um über eventuelle Löcher zu hopsen: physisch gemessen bleibt zwar die Unterhose frisch, aber die Mundwinkel lassen einige Luft an die Zähne. Ausserdem erhält das grosse, graue Organ zwischen den Ohren angenehme Vibrationen – und was gewisse Schlüpfrigkeiten betrifft, bemerkte der Komikkritiker Robert Gernhardt zu Recht: „Es gibt kein niveauvolles Lachen, wie es keinen niveauvollen Orgasmus gibt.“ Ein Zeichen von Disziplin war auch Giacobbos Dreh, von der Inflation seiner Erfolgsfigur Harry Hasler wieder herunterzukommen, nachdem man bereits fürchtete, Giacobbo müsse nur noch „Saletti“, „Chatze“ oder „Bruschthaar“ sagen, um die Lacher ab jetzt gratis abzukassieren. Er wurde in Versuchung geführt, und er widerstand.
Nicht zuletzt ist „Viktors Programm“ die Leistung eines Teams: Die Truppe ist hervorragend – und eine von Giacobbos herausragendsten Eigenschaften muss die Fähigkeit zu Freundschaft oder zumindest zum Burgfrieden sein: Die uneitle Koproduktion von Texten mit dem Regisseur Markus Köbeli spricht für sich, ebenso wie die (wahrscheinlich erfolgreiche) Übernahme des Casino-Theaters Winterthur zusammen mit Patrik Frey, Gardi Hutter, dem Duo Fischbach, Ursus und Nadeschkin plus Haruls Top-Service. Als Star und einzigem TV-Satiriker, als Liebling des Publikums, Günstling des „Blicks“ und der Illustrierten sollte ihm eigentlich giftgrüner Neid entgegenschlagen.
Kurz: Giacobbos Karriere scheint geprägt zu sein von Hartnäckigkeit, Disziplin, Takt, Handwerk, Vernunft, Intelligenz, Zeitungslektüre, Neugier, Freundlichkeit und Stilgefühl – die Sonntagsschulkarriere einer menschlichen Teflonpfanne. In tausend Teufel Namen, das wird, das kann, das darf nicht die Wirklichkeit sein. Irgendwo darunter muss ein kleines Höllenfeuer brennen.

Ist er eine menschliche Teflonpfanne?

11. Februar 1999, Wochen-Zeitung, von Constantin Seibt

KLUG, Clever, Komisch: Viktor Giacobbo 1 TV-Sendung, 1 Kolumne, 1 Buch, 1 Casino-Theater. Er ist die Nummer 1 seiner Branche. […]

2017