Viktor Giacobbo

, 11. Februar 1999, von Constantin Seibt

Ist er eine menschliche Teflonpfanne?

KLUG, Clever, Komisch: Viktor Giacobbo
1 TV-Sendung, 1 Kolumne, 1 Buch, 1 Casino-Theater. Er ist die Nummer 1 seiner Branche. 1 Viktor-Giacobbo-Porträt.“Viktor ist ein Mensch mit überdurchschnittlicher Intelligenz. Ich habe mir seine Sendung auf Video angeschaut. Ich bin beeindruckt von seinem Ideenreichtum. Guter Humor braucht Weisheit. Und die hat Viktor. Humor ist der Regenschirm der Weisen.“
Uriella auf die Frage, warum sie in „Viktors Spätprogramm“ auftrete.

Kultur ist eine Melkmaschine. Ihre Produkte sind dann erfolgreich, wenn Flüssigkeiten fliessen: Tränen bei der Romanze, Adrenalin beim Drama, Sperma beim Porno, Rezensionstinte bei Schweizer Literatur. Auch der Erfolg von Komik wird physisch gemessen: in Dezibel Lachstärke, Zentimeter Mundwinkelverschiebung oder – im Idealfall – in Milliliter unfreiwillig abgegebenen Urins.
Zu den Paradoxen des Kulturbetriebs gehört, dass das, was Augen, Ohren, Münder, Herzen und Hosenläden öffnet, nicht selten kalten Herzens und kühlen Kopfes konstruiert ist. Hollywoodträume, Schönheitsideale, Sexfantasien, Gespenster, Lieblingswitze und -argumentationen, kurz: 99 Prozent unseres intellektuellen und emotionalen Repertoires ist eingekaufte Ware, fabriziert von Profis. Kein Wunder, dass Kunst von Laien oft hartnäckig für Berufung statt Beruf gehalten wird: Was bei Bekleidung und Innenarchitektur selbstverständlich ist, gilt beim seelischen Interieur als Skandal. „Bei wem kaufen Sie Ihre Anzüge?“ ist ein Kompliment, „Bei wem lassen Sie denken?“, „Bei wem beziehen Sie ihre Gefühle?“ eine Attacke.
Die spieluhrenhafte Mechanik bestimmt auch das subtile wie populäre Produkt Komik & Humor. Wie das Schlager-Schleimtier oder der fesselnde Krimi-Octopus ist auch die fröhliche, anarchistische Sau der Komik ein Cyborg: zu grossen Teilen ein Automat. Die mechanischen Anteile sind seit Generationen dieselben: etwa das Unterlaufen einer Erwartung („Ja, wir haben oft über Scheidung gesprochen. Aber die Kinder haben uns zusammengehalten. Ich wollte sie nicht und sie auch nicht“), des Vergleichs („Nationalrat Mühlemann sah von vorne aus wie ein Elefant von hinten“), der Übertreibung („Constantin redete so viel, dass seine Zunge Sonnenbrand hatte“), der Rollenumkehrung (Männer im Fummel) oder des Zeitsprungs: (Erster Helvetier: „Noch eine Strasse! Diese Römer verschandeln die Gegend.“ Zweiter Helvetier: „Also, wer will schon von Zürich nach Winterthur in zwei Tagen laufen?“)
Kein dummer Satz

Die Frage, wie gut oder wie schlecht ein Produkt wie Komik ist, ist eine Frage des Stils: Wie kann dasselbe wieder frisch serviert werden? Ausschlaggebend ist hier das Tempo (etwa bei Otto, der unzählige Arztwitze auf vier Worte bringt: „Schwester! Zange – Tupfer – Sterbeurkunde!“), die möglichst reibungslosen Übergänge (am genialsten bei Monty Python: „Und jetzt zu etwas ganz anderem!“) und der persönliche Touch: das Tempo, der Rhythmus, die Eleganz.
Die Nummer eins in der Schweiz, Viktor Giacobbo, ist eine erstaunlich harte Nuss für die Wie-hat-er-das-eigentlich-gemacht-Analyse. Dabei liegt Material zuhauf vor: Giacobbo existiert als echte Produktepalette (von Live-Auftritten über den Kolumnensammelband „Der Spargel der Vergeltung“ bis zu 57 Prozent Marktanteil seiner Sendung „Viktors Spätprogramm“), spaltet sich in ein schizophrenes Figurenarsenal (vom Kiffer Freddy Hinz bis zum SVP-Parteichef Ueli Maurer) und ist einer der meistinterviewten Menschen des Landes. Trotzdem bleibt er öffentliche Figur und unbekanntes Wesen zugleich: Wie bei einem Kraken sieht man vor lauter Armen den Kopf nicht mehr.
Ein erster Grund dafür ist, dass er ein Genie des Medienauftritts ist: Er gibt den Affen kräftig Zucker, aber nicht den geringsten Einblick. Obwohl er von „Blick“ bis „Schweizer Illustrierte“ Stoff und Statements liefert – („Ich bin keine Zicke“, sagte er zur WoZ), findet sich keine einzige Homestory, keine einzige private Bemerkung. („SonntagsZeitung“: „Sie und Nadeschkin sind ein Paar.“ Giacobbo: „So. So.“ – „Alles, was die Öffentlichkeit über Ihr Privatleben erfährt, sind die Namen Ihrer Katzen.“ – „Ja, das mögen die Leute.“ – „Das müssen wir in dem Fall nicht mehr bringen.“ – „Ich rede nicht gern über mein Privatleben.“)
So weit, so klar. Unklar bleibt, wie es Giacobbo schafft, in einer Jahre zurückreichenden, faustdicken Pressemappe keinen einzigen dummen Satz zu sagen: „Warum? Ich gebe immer dasselbe Interview“, begründete er es der WoZ gegenüber und gab auch ihr dasselbe Interview: „Nein, ich bin keine meiner Figuren. Ich spiele Harry Hasler nur, wenn ich ihn für einen Sketch brauche“, sagte er, oder: „Frechsein ist noch nicht lustig. Du kannst zwar den Osterhasen ans Kreuz nageln, das ist frech, aber lustig ist das noch nicht“; oder: „Komik ist vielleicht nicht so wertvoll wie E-Literatur: Sie geht nicht ganz in die Tiefe des Lebens. Dafür ist Scharlatanerie im U-Bereich nicht möglich. Im E-Bereich ist doch fünfzig Prozent geschummelt. Aber verquaste E-Sosse gilt erstmal a priori als wertvoll. Es ist schön, dass sich jemand damit beschäftigt.“ Oder: „Nein, ich bin nicht davon angewandelt, ernste Rollen für die Nachwelt zu spielen. Ich muss auch nicht immer auf der Bühne stehen. Mein Traum ist, auf den Cook-Islands gute Bücher zu lesen und von Zeit zu Zeit einen Artikel zu schreiben.“
So weit, so vernünftig, so unspektakulär. Giacobbos Antidot gegen Medien ist der Cocktail Vernunft und Höflichkeit – es lässt sich nichts daraus machen. Die Zusammenfassung sämtlicher Interviews liefert die Internet-Suchmaschine des schweizerischen Mediendienstes, die auf das Stichwort „Giacobbo“ wegen zu vielen Treffern den trockenen Kommentar liefert: „Ihre Sucheingabe war nicht so gut“. Spektakulär hingegen ist, dass dasselbe Resultat wie für den Privatmann auch für den Satiriker und Komiker gilt: Sein Werk gibt keinen Stoff für psychoanalytische Spekulationen, seine Witze erzählen nichts von seinen Obsessionen, in seiner reichen Produktion an Blödsinn findet sich kein wirklich dummer Satz. Seine Blamagenlosigkeit ist für jeden Rechercheur peinlich. Viktor Giacobbo ist wie das Nebenprodukt der Raumfahrt: die Teflonpfanne. Er verbrät die politischen Quarktaschen und das Fastfood des Tages, aber nichts bleibt an ihm hängen.
Wie das? Er hat alle Gelegenheiten für Ausrutscher. Das Team ist klein (die Sketche werden zu viert gebrainstormt und dann zu zwei mit dem Berner Markus Köbeli geschrieben), es gibt keine herummarodierende Redaktion, die Produktionszeiten sind horrend, mit den Promigästen wird live getalkt: viele Möglichkeiten, Katastrophen zu bauen – no way. Das Gefühl, dass Giacobbo ein kastriertes Weichei ohne Schärfe oder ohne Stil ist, stellt sich ebenfalls nicht ein. Vom Schiff aus lässt sich nur feststellen, dass da ein kleiner Mann mit Brille und Segelohren sitzt, der verdammt intelligent, verteufelt schnell (etwa bei der Zuschauerfrage: „Was machst du bei Haarausfall?“ – „Kommt darauf an, wo sie ausfallen. In der Achselhöhle gehts noch.“) und bei aller Höflichkeit ein echtes Bühnentier ist: Er lässt sich nicht in den Schatten stellen, nicht durch seine Schauspieler und schon gar nicht durch seine Gäste.
Giacobbos Komik ist wie der Mann: clever, vif, professionell, obsessionslos, dabei mit einem erstaunlichen, ebenso bedauerns- wie bewundernswerten Gespür für Takt. Basis des Ganzen ist, so Götterspass-Komiker Patrick Frey, dass „Giacobbo nicht nur einen Kanal hat, sondern viele Tasten“. Giacobbo, gelernter Schriftsetzer, Korrektor, dann Fernseharchivar, laut Frey „von seinen Figuren am ehesten die graue Maus, der Funktionär, der nie den Boden unter den Füssen verloren hat, aber sehr, sehr flexibel und unverfroren“ machte den Kabarett-Weg von der Pike auf: Stuzzicadenti, Zampanoo’s Variété, Haruls Topservice, Medienkritik-Sketches am TV, „Satiramisu“ am Radio, seit 1990 mit „Viktors Programm“. Damit hat er genügend Saiten auf der Fiedel, um zu mixen: Blödeln, Slapstick, Intellogags, Stimmenimitation, Stand-Up und dank seines „weichen, fast zarten Gesichts“ (Frey) und den Kunsthaaren und Gummigebissen seiner Maskenbildnerin Hedvika Salzmann die Möglichkeit, im Fummel aufzutreten. Viktors Repertoire ist crashfest. Da bei einem Publikum von bis zu 600 000 Leuten nicht jeder Gag bei jedem zünden kann, ausserdem natürlich nicht jeder der grosse Kracher ist, muss nicht nur der Komikgehalt hoch, sondern auch die Performance gut und der Scheissdetektor sicher sein. „Bei Opern“, zitiert Giacobbo Loriot, „sagen die Leute, wenn es ihnen nicht gefallen hat: Ich verstehe nichts davon. Bei Humor sind sie sauer.“ Giacobbos Rezept ist das Aufteilen des Gewichtes auf verschiedene Komikformen und -figuren: den Spiesser Erwin Bischofsberger, die hasenzähnigen Priester und Nonnen (mit einer schönen Konzessionsklage für einen Sketch, als die katholische Kirche gerade Darwin anerkannt hatte und Viktor einen Schimpansen mit einer modifizierten Hostie in Bananenform zu missionieren versuchte), die Legasthenikerin Debbie Mötteli, den Inder Rajiv („Gilbert Gress? Your name is Marihuanna?“), den Hascher Freddy Hinz, den Vollidioten Ueli Maurer oder Harry „Saletti“ Hasler.
Diese Figuren erleichtern a) das Textschreiben, profitieren b) vom Runninggag-Effekt von Sendung zu Sendung – je öfter, desto komischer – und sind auch c) Programm. „Ich kann doch nicht mehr den zerstreuten Professor spielen“, wehrte sich Giacobbo gegen den Vorwurf der Drögeler-Verspottung. Dabei schwang ungesagt mit: „Ich kann nicht weiter die rechten Spiesser, Immobilienhaie, Block- und Abwärte“ spielen – also die Klischeefiguren sowohl des vorgestrigen Nummern- als auch des gestrigen Zeigefingerkabaretts.
Klamauk & Politik

Beim Start von „Viktors Programm“ 1990 lieferte Giacobbo in der WoZ folgende Beschreibung seines Tagesablaufs:
Nach der scherzfreien morgendlichen Begrüssung und einem frisch geschroteten Eichelkaffee beginnen wir uns im Satire-Laden die neuesten Witze zu erzählen. Zusammengetragen werden ausschliesslich Gags, die unsern strengen Richtlinien entsprechen. Sie werden eingehend nach Sexismus, bürgerlicher Kleinkariertheit und unverbindlicher Blödelei durchforstet, bevor wir sie für unsere regelmässig erscheinende Publikation „Der kämpferische Scherzkeks“ freigeben. Natürlich entstehen mitunter recht heftige Debatten. Häufig geht es dabei um die Frage, ob ein Witz im Zweifelsfall vorwiegend lustig oder mehrheitlich standpunktorientiert sein soll.
Diese Diskussionen sind vorbei. Danke, Gott. Wer je schlechte linke Kabarettisten auf der Bühne gesehen hat, weiss, dass diese (etwa mit den üblichen Managerschurken-Performances oder der Waldsterbennummer: „Dä Wald isch tot! Dä Wald isch tot!“) nur zwei Möglichkeiten lassen: Entweder uriellahaft lächelnd der Gemeinde beizutreten oder brüllend Bäume zu fällen, Angestellte zu geisseln oder der Autopartei beizutreten. Dass Giacobbo, Ex-ML-Mitglied und heute „politischer Eklektiker“, weder zur Besinnung noch zur Revolution aufruft, kann man ihm nicht vorwerfen: nicht, solange das Linksradikalste hierzulande pastorale Grüne und pasteurisierte Sozialdemokraten sind. Vernünftig – wie scheinbar alles an Viktor G. – ist auch die Konzeption, dass „Satire eine Unterhaltungsform, nicht eine Message darstellt. Unsere Komik ist: Klamauk wahllos mit Politik gemischt.“ Vernünftig deshalb, weil der Klamauk zerstörerischer wirkt, als die plane Agression: Was Giacobbo/Köbeli dem SVP-Präsidenten Ueli Maurer angetan haben, ist ungeheuer grausam und grausam komisch: Die alberne Kopie ist besser als das alberne Original. Bei jedem seiner Interviews sieht man Giacobbos Parodie. Als er sich die Haare schnitt, um nicht mehr ganz dem bösartigen glatzköpfigen Clown zu gleichen, der er ist, lachte bei Sessionsbeginn das ganze Parlament.
Natürlich sind nicht alle Gags gut, aber Giacobbos Sendung hat genügend Schwung, um über eventuelle Löcher zu hopsen: physisch gemessen bleibt zwar die Unterhose frisch, aber die Mundwinkel lassen einige Luft an die Zähne. Ausserdem erhält das grosse, graue Organ zwischen den Ohren angenehme Vibrationen – und was gewisse Schlüpfrigkeiten betrifft, bemerkte der Komikkritiker Robert Gernhardt zu Recht: „Es gibt kein niveauvolles Lachen, wie es keinen niveauvollen Orgasmus gibt.“ Ein Zeichen von Disziplin war auch Giacobbos Dreh, von der Inflation seiner Erfolgsfigur Harry Hasler wieder herunterzukommen, nachdem man bereits fürchtete, Giacobbo müsse nur noch „Saletti“, „Chatze“ oder „Bruschthaar“ sagen, um die Lacher ab jetzt gratis abzukassieren. Er wurde in Versuchung geführt, und er widerstand.
Nicht zuletzt ist „Viktors Programm“ die Leistung eines Teams: Die Truppe ist hervorragend – und eine von Giacobbos herausragendsten Eigenschaften muss die Fähigkeit zu Freundschaft oder zumindest zum Burgfrieden sein: Die uneitle Koproduktion von Texten mit dem Regisseur Markus Köbeli spricht für sich, ebenso wie die (wahrscheinlich erfolgreiche) Übernahme des Casino-Theaters Winterthur zusammen mit Patrik Frey, Gardi Hutter, dem Duo Fischbach, Ursus und Nadeschkin plus Haruls Top-Service. Als Star und einzigem TV-Satiriker, als Liebling des Publikums, Günstling des „Blicks“ und der Illustrierten sollte ihm eigentlich giftgrüner Neid entgegenschlagen.
Kurz: Giacobbos Karriere scheint geprägt zu sein von Hartnäckigkeit, Disziplin, Takt, Handwerk, Vernunft, Intelligenz, Zeitungslektüre, Neugier, Freundlichkeit und Stilgefühl – die Sonntagsschulkarriere einer menschlichen Teflonpfanne. In tausend Teufel Namen, das wird, das kann, das darf nicht die Wirklichkeit sein. Irgendwo darunter muss ein kleines Höllenfeuer brennen.

2017