Viktor Giacobbo

, 16. Mai 2013, von Bruno Bötschi

«Mein Favorit ist Kanton Tütschino»

Deutschland als 27 . Kanton der Schweiz? Satiriker Viktor giacobbo befragt in seinem neuen Film Persönlichkeiten beidseits der Grenze, was sie von der Idee halten. Und entlockt ihnen erstaunliche Aussagen.

Viktor Giacobbo, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit dem politischen Geschehen in der Schweiz. Warum gehen Sie nicht in die Politik?

Politik zu machen oder ein politisch inte­r­essierter Mensch zu sein, sind zwei Paar Hosen. Ich bin sicher, ich wäre kein guter Politiker.

Warum nicht?

Ich hätte schlicht zu wenig Geduld für die langwierigen demokratischen Prozesse. Und für eine Kollegialbehörde könnte ich meine Schnauze nicht halten.

In Ihrem neuen Kinofilm spielen Sie mit der Idee, Deutschland als 27 . Kanton der Schweiz aufzu­nehmen. Ist das nicht etwas absurd?

Natürlich ist es das. Doch die Absurdität ermöglicht erst die Satire. Deutschland wird der Schweiz nicht beitreten.

«Der grosse Kanton» ist ein satirischer Dokumentarfilm. Sie befragen darin Politiker, Wissenschaftler und Künstler, was sie von einem Beitritt Deutschlands zur Schweiz halten. Wie wählten Sie Ihre Gesprächspartner aus?

Ich fragte alle, deren Meinung mich interessierte.

Sie gründeten keine Kommission, um demokratisch auszuwählen?

Nein. Bei den Politikern schaute ich aber, dass unterschiedliche politische Lager ver­treten sind.

Warum kommen nur wenige Frauen zu Wort?

Ich hätte gerne Angela Merkel interviewt. Die Bundeskanzlerin und der CSU-Chef Horst Seehofer sind übrigens die einzigen deutschen Politiker, die auf meine Anfrage nicht antworteten.

Welche Schweizer reagierten nicht?

Ein einziger.

Wer?

Luca Hänni, der Sieger von «Deutschland sucht den Superstar 2012 ». Ein schmerzlicher Verlust für den Film.

Ist das Ihr Ernst?

Aber sicher. Er wird offenbar von seiner deutschen Agentur scharf bewacht.

FDP-Präsident Philipp Müller ist begeistert von der Idee, Deutschland aufzunehmen. Er sagt: «Die Schweiz hat immer und für jedes Problem eine Lösung, selbst für die Deutschen.»

Philipp Müller ist ein dankbarer Interviewpartner. Er fürchtet sich nicht, Pointiertes zu sagen. Im Film übertreibt er es absichtlich. Etwa wenn er sagt, mit den Deutschen müsse man vorsichtig sein: Gebe man ihnen zu viel, nähmen sie alles.

Wer Ihren Film anschaut, staunt, wie gut die Deutschen über unser Land informiert sind.

Das stimmt. Joschka Fischer, der ehemalige deutsche Aussenminister, und Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linken, sind beeindruckt von der direkten Demokratie. Obwohl Gysi polemisch fragt: «Wann habt ihr schon wieder das Frauenstimmrecht eingeführt?»

Unser Land agiere zuweilen langsam, findet selbst ein hochrangiger Schweizer, der SBB-Chef Andreas Meyer.

Aber er ergänzt sofort: Wenn wir über etwas abgestimmt haben, wird es gemacht. Im Nachhinein gibt es keine Demos, weil ein Volksentscheid dahintersteht. Das imponiert den Deutschen, vor allem, wenn sie an Stuttgart 21 denken (Anm. d. Red.: ein teures Verkehrsprojekt, das seit Jahren umstritten ist und in Stuttgart zu heftigen Protesten führte).

Weniger Freude werden unsere Nachbarn an Natalie Rickli haben. Die SVP-Nationalrätin fordert, die Deutschen müssten nach einem Beitritt Züritüütsch lernen.

Ich bin gespannt, was Ricklis Parteikol­lege, der Walliser National- und Regierungsrat Oskar Freysinger, dazu sagen wird.

Er müsste einsehen, dass Züri­tüütsch vermutlich leichter zu lernen ist als Wallisertitsch. Apropos Sprache: Der Röstigraben wird nur kurz angesprochen.

Er wäre eines der grossen Probleme. Wir müssten den Welschen neue Rechte geben, ihnen einen Sitz im Bundesrat garantieren. Aber ich gebe zu: Im Film drücke ich mich vor dieser Schwierigkeit.

Sie lassen immerhin SP-Präsident Christian Levrat zu Wort kommen. Er sagt, wenn Deutschland der Schweiz beitrete, würden die Westschweiz und das Tessin erdrückt.

Und darum wäre ein Beitritt nur möglich, wenn Frankreich und die Lombardei ebenfalls zur Schweiz kämen.

Das wäre interessant, zumal die Stärke eines Landes sich daran misst, wie es mit seinen Minder­heiten umgeht.

Das sehe ich auch so. Deshalb müsste man nach dem Beitritt von Deutschland aus der Welschschweiz und dem Tessin geschützte Parks machen. Die Welschen und die Tessiner könnten sich zurücklehnen und sagen: «Hey, wir sind etwas Spezielles. Wir pflegen unsere Eigenart. Wir werden entsprechend subventioniert.»

Was können die Deutschen von uns lernen?

Beeindruckt sind sie von der direkten Demokratie und der wirtschaftlichen Stärke. Früher waren sie das auch von den Banken, in jüngerer Zeit lässt das aber nach.

Sprechen Sie das Schwarzgeld an, das Schweizer Banken horten?

Dass die Schweiz jahrelang als Hehler von Steuerflüchtlingen auftrat, ist fatal. Ich ver stehe nicht, warum Bundesrat und Banken nicht längst den grossen Befreiungsschlag lanciert haben. Der automatische Informationsaustausch wird so­wieso eingeführt. Je länger wir warten, desto mehr leidet unser Ansehen.

Und was können wir Schweizer lernen?

Ich schätze die klare politische Auseinander setzung in Deutschland. Auch im Alltag funktionieren die Deutschen direkter. Sie sagen: «Ich krieg nen Kaffee» und nicht: «Kann ich bitte einen Kaffee haben?»

Daran stören sich viele Schweizer.

Diese Direktheit kann zu Missverständ­nissen führen. Ich amüsierte mich, als SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Kampf gegen Steuerhinterzieher mit der Kavallerie drohte. Natürlich kann man sich fragen, ob es geschickt war, diese ­Redensart zu wählen. Aber die Schweizer sind immer schnell beleidigt: «Hu, der böse Deutsche droht uns. Hu, so brutal.»

FDP-Präsident Philipp Müller sagt: «Die Deutschen funktionieren wie Roboter.» Finden Sie das auch?

Die Deutschen haben etwas Korrektes, Zackiges. Das kann an einen Roboter erinnern. Es sind aber Äusserlichkeiten. Ich würde diese Bezeichnung nicht verwenden, aber wenn es der FDP-Präsident so sieht …

Wie würden Sie die Deutschen charakterisieren?

Sie sind fleissig, lösungsorientiert und ­haben auch kulturell viel zu bieten.

Wo gibt es Unterschiede?

Deutschland ist bürokratischer als die Schweiz, ihr Steuersystem ist eine bürgerfeindliche Zumutung. Probleme gehen unsere nördlichen Nachbarn korrekt-strategisch an. Was sie manchmal daran hindert, Probleme zu lösen.

Was nervt Sie an den Deutschen?

Fast nichts. Höchstens, wenn einer dauernd von Leckerli und Fränkli spricht.

Angenommen, Deutschland würde der Schweiz tatsächlich beitreten – wie hiesse das neue Land?

Der Name Schweiz bliebe bestehen. Einzig der neue Kanton bekäme einen anderen Namen.

Welchen?

Mein Favorit ist Tütschino. Oder Prolo- thurn.

Wenn Sie wählen müssten: lieber Berlin oder Bern?

Zwei extreme Gegensätze, aber beide sind toll. Ich nehme beide.

Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Bundespräsident Ueli Maurer?

Angela Merkel imponiert mir. Allerdings sähe auch Ueli Maurer in ihren Hosen­anzügen toll aus.

Curry- oder Bratwurst?

Currywurst. Weil ich mir von einem Kanton nicht vorschreiben lasse, ob ich zu meiner Wurst Senf nehme.

Boris Becker oder Roger Federer?

Roger Federer.

Zugspitze oder Matterhorn?

Matterhorn. Aber ohne Beleuchtung.

Heidi Klum oder Nadine Strittmatter?

Nadine Strittmatter. Sie ist schweizerisch bescheidener.

Schloss Neuschwanstein oder Schloss Chillon?

Neuschwanstein. Es ist absurder, kitschiger.

Dieter Hildebrandt oder Emil?

Beide Komiker kenne ich persönlich. Dieter Hildebrandt war mein Jugend­- idol, aber Emil ist der perfekte Schweizer Komiker.

Loreley oder Rütli?

Die Loreley ist sexyer.

Xherdan Shaqiri oder Miroslav Klose?

Beide. Schliesslich werden beide für unsere Nati spie­len.

Sie sagen: «Mein Film ist nicht ganz ernst gemeint.» Trotzdem: Was wollen Sie mit «Der grosse Kanton» erreichen?

Ich habe erreicht, was ich wollte. Die Filmarbeiten machten Spass. Geht nun der eine oder andere ins Kino, freut mich das.

Es geht Ihnen nicht um Völkerverständigung?

Nein, um Unterhaltung. Für Leute, die gerne spannenden Talking Heads zuhören. Wenn der Film dann zur Entspannung im nachbarschaftlichen Streit beiträgt, umso besser.

Würden Sie das Amt des Präsidenten für eine neue Schweiz annehmen?

Ich bin Verwaltungsratspräsident im Casinotheater Winterthur und bereits hier heillos überfordert. Ich hüte mich davor, mich je nochmals irgendwo als Präsident zu bewerben.

2017