Viktor Giacobbo

, 26. September 2003, von Charlotte Staehelin

Kreative Kranke

Die «Sickmen» von Patrick Frey, Viktor Giacobbo und Mike Müller bescheren dem Casinotheater in Winterthur immense Kosten durch Medikamente, Spitalaufenthalte und Spesen.Wie verhält sich das nun eigentlich genau mit diesen Viren? Die Aussentemperaturen sind markant gesunken, die Gemüter herbstlich unterkühlt. So sitzt man dicht gedrängt im Saal des Winterthurer Casinotheaters, und überall wird hemmungslos gelacht. Besteht da nicht eine akute Ansteckungsgefahr? Wenn ja, könnte das in Kombination mit einer Plüschallergie zu einer antizyklischen Überreaktion mit fatalen Folgen für den Solarplexus führen. Nicht auszudenken.

Aber viel gefährlicher als im Zuschauerraum ist es auf der Bühne. Ein abendfüllendes Stück zu schreiben, schädigt die Gesundheit. Die drei schwer geprüften Kabarettisten im Rampenlicht der Bühne sind der (nur dank ärztlicher Hilfe noch) lebendige Beweis dafür. Eine vorgefallene Bandscheibe, eine angeknackste Hüfte, ein Meniskus, Glutamat- und Katzenhaarallergien, diverse Melanome und Zeckenstiche und mindestens eine Alkoholvergiftung haben den kreativen Arbeitsprozess des hoch motivierten Trios empfindlich gestört. Und da ist es nur recht und billig, dass sich die Herren Giacobbo, Frey und Müller in der letzten, alles entscheidenden Phase zur Arbeitsklausur in den Quellenhof Bad Ragaz zurückgezogen haben, wo die körperlichen Gebresten durch flankierende Massnahmen wie Lomi-Lomi-Massagen, Bungee Jumping, Falun-Gong, Bordeaux und einer Andrea im selben Hotelkomplex kunstgerecht aufgefangen und ausgeglichen werden konnten. Zur Kostendeckung wird das Publikum nach knapp fünfzig Minuten zwecks ausgiebiger Konsumation in die Pause geschickt, zur Ausstattung genügen drei Stühle, und die Kostüme, drei gut sitzende Anzüge, können bei Bedarf privat wiederverwendet werden.

Prächtige Exemplare

Die Idee des Abends ist ebenso einfach wie bestechend: Zu sehen sind Patrick Frey als Patrick Frey, Viktor Giacobbo als Viktor Giacobbo und Mike Müller als Mike Müller, die über ein gemeinsames Stück sprechen, das bereits im Produktionsprozess gescheitert ist. Die Inszenierung wurzelt im autobiografischen Bereich des populären Trios und hätte leicht in eine narzisstische Nabelschau abrutschen können. Doch davon kann an diesem Abend nicht die Rede sein. Die Figuren auf der Bühne sind drei hochartifizielle, prächtig geschliffene Kabarettistenkarikaturen.

Gleichzeitig mit den Künstlern werden der Theaterbetrieb und sein Publikum mit träfem Sarkasmus zersetzt. «Sickmen» spielt mit Understatement, Versagen und Desillusionierung. Will einer zu hoch hinaus, fällt er auf die Nase, verstrickt sich in freudschen Versprechern, verirrt sich in komplizierten Argumentationsschlaufen, wird durch Schadenfreude, Mitleid oder ein Machtwort seiner Bühnenpartner auf den Boden der Realität zurückgeholt.

Diese fortwährende Abgleichung und Einmittung birgt allerdings auch die Problemzone des Abends (Regie Tom Ryser). In «Sickmen», das im Untertitel als Konversationsstück bezeichnet wird, herrscht ein (selbst)ironisch unterfütterter, maliziöser Erzählton vor. Und der ermüdet stellenweise etwas, lässt einen im Publikum passiv werden und träge auf die nächste Pointe warten. Besonders bestechend sind daher die Stellen, wo Unmittelbarkeit das Geschehen kräftig durchschüttelt, etwa wenn die drei Herren im Balgrist nächtigen und Viktor wegen Versicherungsfragen in Rage gerät, wenn Patrick einen durch Glutamat ausgelösten Anfall erleidet oder Mike sich über Pulposalat erst in Ekstase und dann in Rührung redet.

Weitere Vorstellungen bis zum 11. 10.

2017