Viktor Giacobbo

Im Casinotheater Winterthur pokert Viktor Giacobbo hoch mit der teuren Eigenproduktion von Neil Simons «Ein seltsames Paar» – und gewinnt.Wer sich von Oskar ein Sandwich wünscht, darf zwischen Grün (das heisst sehr jungem Käse oder sehr altem Fleisch) und Braun wählen. Das Bier ist warm, die Pommes Chips schmecken ranzig, dicker Zigarrenrauch durchzieht den schicken Loft, unter dem Christoph Schubiger das verschnörkelte Gold der kleinen Bühne verschwinden lässt. Der Qualm legt sich sanft über die pokernde Männerrunde und vernebelt die Sicht auf den ungemütlichen Alltag. Auf kapriziöse und anspruchsvolle (Ex-)Ehefrauen, auf Paartherapien, offene Alimentenzahlungen und drohende Ferienreisen.

Doch zeichnet sich nervöse Anspannung in den fünf konzentrierten Pokerfaces ab. Es braucht bloss einen einzigen leicht verspäteten und derangierten Felix, um das labile Gleichgewicht zu kippen und den Männerbund in einen hysterischen Kriseninterventionsstab zu verwandeln. Felix, der von seiner Frau verlassen wurde, wird zur Suizidprävention bei Oskar einquartiert. Was zu saftigen Komplikationen führt.

Es sind vier starke Theaterakte, welche die Truppe um Viktor Giacobbo und Mike Müller aus Neil Simons Komödie «Ein seltsames Paar» («The Odd Couple») schöpft. Die vierzig Jahre, die seit der Uraufführung des Stücks in New York und der kurz darauf folgenden Verfilmung mit Jack Lemmon und Walter Matthau vergangen sind, scheinen am Stoff abzuperlen. Dies ist einerseits Giacobbos Textadaption zu verdanken, die effizient knappe Dialoge und süffige Mundart mischt. Dann aber auch der sorgfältigen Arbeit von Stefan Huber.

Der Regisseur setzt nicht auf Knalleffekte, sondern auf Nuancen. In nur vier intensiven Probewochen hat er mit einem überzeugenden Ensemble geduldig die unzähligen psychologischen Knoten und Verwicklungen des Stücks aufgedröselt und die latenten Ängste der Männer freigelegt: das drohende Versagen, die Konkurrenz, die Eifersucht und die ewige Suche nach Geborgenheit. So flüchtet sich Giacobbo in der Rolle des zerbrechlichen Felix vor seinen Minderwertigkeitsgefühlen wechselnd in vorwurfsvolle Hypochondrie und aufsässige Putzorgien, während Mike Müllers Oskar als geschiedener Single und Sportreporter seine Depressionen vergeblich hinter bärbeissiger Gelassenheit zu verstecken sucht.

Leider verlässt Huber der künstlerische Röntgenblick, wenn es im dritten Akt um die Frauenfiguren geht. Katharina von Bock und Rebekka Burckhardt haben in den Rollen zweier verschwisterter Nachbarinnen einen schweren Stand. Zwar sehen die beiden Bühnen-Täubchen mit hochgestecktem Blondhaar und tief geschnittenen Décolletés blendend aus, doch hakt die Inszenierung sich da an der schrillen Oberfläche fest. Beide Frauen bleiben auf laszives Räkeln und deplatziertes Lachen reduziert. So wird das Spiel in ihrer Gegenwart absehbar, ohne dass die beiden Schauspielerinnen eine Chance bekommen, dagegenzuhalten. An diesem Abend bleiben die Männer besser unter sich.

Weitere Vorstellungen bis 1. 10.

Am grossen Vorbild nicht gescheitert

3. September 2005, Tages-Anzeiger, von Charlotte Staehelin

Im Casinotheater Winterthur pokert Viktor Giacobbo hoch mit der teuren Eigenproduktion von Neil Simons «Ein seltsames Paar» – und gewinnt.Wer […]

Die «Sickmen» von Patrick Frey, Viktor Giacobbo und Mike Müller bescheren dem Casinotheater in Winterthur immense Kosten durch Medikamente, Spitalaufenthalte und Spesen.Wie verhält sich das nun eigentlich genau mit diesen Viren? Die Aussentemperaturen sind markant gesunken, die Gemüter herbstlich unterkühlt. So sitzt man dicht gedrängt im Saal des Winterthurer Casinotheaters, und überall wird hemmungslos gelacht. Besteht da nicht eine akute Ansteckungsgefahr? Wenn ja, könnte das in Kombination mit einer Plüschallergie zu einer antizyklischen Überreaktion mit fatalen Folgen für den Solarplexus führen. Nicht auszudenken.

Aber viel gefährlicher als im Zuschauerraum ist es auf der Bühne. Ein abendfüllendes Stück zu schreiben, schädigt die Gesundheit. Die drei schwer geprüften Kabarettisten im Rampenlicht der Bühne sind der (nur dank ärztlicher Hilfe noch) lebendige Beweis dafür. Eine vorgefallene Bandscheibe, eine angeknackste Hüfte, ein Meniskus, Glutamat- und Katzenhaarallergien, diverse Melanome und Zeckenstiche und mindestens eine Alkoholvergiftung haben den kreativen Arbeitsprozess des hoch motivierten Trios empfindlich gestört. Und da ist es nur recht und billig, dass sich die Herren Giacobbo, Frey und Müller in der letzten, alles entscheidenden Phase zur Arbeitsklausur in den Quellenhof Bad Ragaz zurückgezogen haben, wo die körperlichen Gebresten durch flankierende Massnahmen wie Lomi-Lomi-Massagen, Bungee Jumping, Falun-Gong, Bordeaux und einer Andrea im selben Hotelkomplex kunstgerecht aufgefangen und ausgeglichen werden konnten. Zur Kostendeckung wird das Publikum nach knapp fünfzig Minuten zwecks ausgiebiger Konsumation in die Pause geschickt, zur Ausstattung genügen drei Stühle, und die Kostüme, drei gut sitzende Anzüge, können bei Bedarf privat wiederverwendet werden.

Prächtige Exemplare

Die Idee des Abends ist ebenso einfach wie bestechend: Zu sehen sind Patrick Frey als Patrick Frey, Viktor Giacobbo als Viktor Giacobbo und Mike Müller als Mike Müller, die über ein gemeinsames Stück sprechen, das bereits im Produktionsprozess gescheitert ist. Die Inszenierung wurzelt im autobiografischen Bereich des populären Trios und hätte leicht in eine narzisstische Nabelschau abrutschen können. Doch davon kann an diesem Abend nicht die Rede sein. Die Figuren auf der Bühne sind drei hochartifizielle, prächtig geschliffene Kabarettistenkarikaturen.

Gleichzeitig mit den Künstlern werden der Theaterbetrieb und sein Publikum mit träfem Sarkasmus zersetzt. «Sickmen» spielt mit Understatement, Versagen und Desillusionierung. Will einer zu hoch hinaus, fällt er auf die Nase, verstrickt sich in freudschen Versprechern, verirrt sich in komplizierten Argumentationsschlaufen, wird durch Schadenfreude, Mitleid oder ein Machtwort seiner Bühnenpartner auf den Boden der Realität zurückgeholt.

Diese fortwährende Abgleichung und Einmittung birgt allerdings auch die Problemzone des Abends (Regie Tom Ryser). In «Sickmen», das im Untertitel als Konversationsstück bezeichnet wird, herrscht ein (selbst)ironisch unterfütterter, maliziöser Erzählton vor. Und der ermüdet stellenweise etwas, lässt einen im Publikum passiv werden und träge auf die nächste Pointe warten. Besonders bestechend sind daher die Stellen, wo Unmittelbarkeit das Geschehen kräftig durchschüttelt, etwa wenn die drei Herren im Balgrist nächtigen und Viktor wegen Versicherungsfragen in Rage gerät, wenn Patrick einen durch Glutamat ausgelösten Anfall erleidet oder Mike sich über Pulposalat erst in Ekstase und dann in Rührung redet.

Weitere Vorstellungen bis zum 11. 10.

Kreative Kranke

26. September 2003, Tages-Anzeiger, von Charlotte Staehelin

Die «Sickmen» von Patrick Frey, Viktor Giacobbo und Mike Müller bescheren dem Casinotheater in Winterthur immense Kosten durch Medikamente, Spitalaufenthalte […]

2017