Viktor Giacobbo

, 19. März 2005, von Daniele Muscionico

Glamour-Faktor positiv: Das Casinotheater hat sich zum Komödienhaus entwickelt

Drei Jahre nach Eröffnung, ein Jahr nach Antritt des neuen künstlerischen Leiters Paul Burkhalter hat sich das privat finanzierte Casinotheater Winterthur zum Kompetenzzentrum für die Kunst der Unterhaltung entwickelt. VR-Präsident Viktor Giacobbo konstatiert gar eine neue Aufbruchstimmung. Mit einer glamourösen Benefizgala wird am Wochenende für Goodwill geworben – und Geld gesucht.

 

Winterthur ist gemeinhin so glamourös wie Schinznach Bad bei Wassermangel. Diesen Samstag aber mag Zürich erbleichen: Alles, was Rang und Namen hat in der Schweizer Kabarettszene, gibt sich im Winterthurer Casinotheater ein Stelldichein – und wer es wagt, für die Gäste wurstige Umschreibungen zu wählen, lässt ausser acht, dass jedes Land die Prominenz hat, die es verdient. Paola & Kurt Felix, Franz Hohler, Joachim Rittmeyer, Lorenz Keiser, Beni Turnheer, Vera Kaa, Patrick Frey zum Beispiel – und als heimlicher MC, Master of Ceremony, Viktor Giacobbo – sind die Künstler, die an der ersten Benefizgala des Casinotheaters für das Casinotheater einem illustren Publikum aus Finanz und Wirtschaft die Nacht unvergessen machen wollen.

Warum eine Benefizgala in eigener Sache? Hat man sich an der Stadthausstrasse vor drei Jahren mit der Gründung eines Hauses von Künstlern für Künstler finanziell übernommen? Zumal absehbar war, dass man – für Theater gemeinhin ein selbstmörderischer Gedanke – ohne Subventionen auskommen müsste? Die Zahlen der Auslastung 2004 für die insgesamt 277 öffentlichen Veranstaltungen (2003: 272) strafen solche Spekulation Lügen: Sie betrug 2004 durchschnittlich 73,2 Prozent (68 276 Besucher) und hat, verglichen mit 2003, sogar eine leichte Zunahme erfahren (65,8 Prozent, 65 537 Besucher). 2004 belief sich das Gesamtbudget auf 6,7 Millionen Franken; dieses Umsatzziel wurde erreicht, weshalb 2005 das Budget auf 6,8 Millionen Franken erhöht werden konnte. Als Sponsor ist 2004 neu die Zürcher Kantonalbank eingestiegen.

Natürlich sind Zahlen das eine und oft zu geschönt, um wahr zu sein. Doch die Stimmung am Haus ist tatsächlich so frühlingshaft, dass man billig von einem zweiten Aufbruch durch eine neue Casino-Generation sprechen kann. VR-Präsident Viktor Giacobbo jedenfalls konstatiert für sein Theater eine «interne Kreativität auf einem Höhepunkt», die in allen Bereichen Neues möglich mache. Durch «eine inhaltliche Beteiligung der Küche» etwa können neu thematische Lesungen angeboten werden. Als nächste steht etwa ein Muttertagsmenu an, bei dem alle Mütter glücklich gekocht werden sollen, während der satirische Psychoanalytiker Peter Schneider dem Mutterglück zusätzliche Hilfestellung leisten wird. Die Leitung der Küche, des Restaurants und des Event-Betriebs liegt nach Abgang Thomas Keels bei der internen Nachwuchskraft Tamara Cortese.

Das Profil des Theaters – von vielen Künstlern baulich und atmosphärisch als das schönste in der Schweiz gerühmt – hat sich in der Amtszeit von Paul Burkhalter noch einmal geschärft: Es darf sich im Jahr vier seines Bestehens als führendes Komödienhaus des Landes bezeichnen. Sein Leistungsauftrag wird breit, das heisst unprogrammatisch definiert, so dass unter ein und demselben Dach die schärfste real existierende Politsatire (Mathias Deutschmann) ebenso ihr Publikum findet wie der Flachwitz des beliebten Chaos-Theaters Oropax. Der Wermutstropfen: Der Profilierung des Casinotheaters ist möglicherweise das kulturpolitisch unentschuldbare Ende des Zürcher Bernhard-Theaters zupass gekommen. So wird man in Winterthur allein im Monat April vom einzigen Schweizer Gastspiel Alfred Bioleks profitieren, der den «Ring des Nibelungen» vor Gericht stellt; von einer Lesung des «Titanic»-Kolumnisten Max Gold oder der Schweizer Premiere einer Märchenstunde von und mit der schamlosen Hella von Sinnen. Aus Zürcher Optik muss gesagt sein: Man findet das Vergnügen nur selten dort, wo man es sucht.

2017