Viktor Giacobbo

Viktor Giacobbo hat die Deutschschweizer Satire-Kultur geprägt wie kein anderer. Im Interview spricht er über Komik im Zeichen der Cancel-Culture. Und über die Comedy-Krise bei SRF.

Viktor Giacobbo, sind Sie ein Fan von Otto Waalkes?

Das muss man als Komiker fast sein. Er ist einer der ersten deutschsprachigen Humor-Anarchisten und wirklich sehr lustig. Ein paar Otto-Witze kann ich immer noch auswendig.

Hat er Sie als Komiker geprägt?

Wenn mich einer direkt beeinflusst hat, dann war es eher der Kabarettist Dieter Hildebrandt. Die Mischung aus harten politischen Jokes und seinem Spass am Unsinn fand ich sehr überzeugend. Spass am Unsinn hat auch Otto, aber politisch war er nie.

Jetzt hat der WDR zum 75. Geburtstag von Otto Waalkes alte Otto-Fernsehshows im Online-Archiv der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – allerdings mit dem Hinweis, die Aufzeichnungen enthielten Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet würden. Wovor wollte man warnen?

Das müsste man die Leute fragen, die sich durch Otto-Witze diskriminiert fühlen oder vor Diskriminierung warnen. Möglicherweise würden sich dann Ostfriesen melden oder Jungfrauen, die beide zu den Opfern berühmter Otto-Witze zählen. Otto selbst hat aber gut reagiert und erklärt, dass man vor Komik gar nie genug warnen könne, denn sie habe immer etwas Anstössiges, weil sie alltägliche Regeln verletze.

Ist es mit Trigger-Warnungen in der Comedy-Szene schon ähnlich wie bei Warnungs-Klebern auf Pop-CD: Gehört es zum guten Ton, dass man mit Warnungen bedacht wird?

Wenn jemand die Trigger-Warnung als Kompliment verstehen will – okay, das gönne ich ihm. Allzu stolz sollte man aber nicht sein. Gute Komiker sind meist Kindsköpfe geblieben. Und ein Kindskopf sagt manchmal etwas, das nur im Moment lustig ist, ohne weiter darüber nachzudenken. Manchmal kann aber etwas rausrutschen, das man selbst im Nachhinein auch nicht mehr so toll findet.

Gibt es bisweilen gute Gründe für Trigger-Warnungen?

Ich finde die Trigger-Warnung des WDR irritierend. Aber immerhin wurde nichts zensuriert. Die mediale Aufregung scheint mir auch wiederum etwas unverhältnismässig. Am meisten stört mich an Trigger-Warnungen, dass Fragen der Diskriminierung eher überspielt als diskutiert werden. Man setzt sich mit der allfälligen Problematik gar nicht auseinander.

Es gibt die Standard-Frage: Was darf Satire? Darauf folgt jeweils die Standard-Antwort: Satire darf alles, aber . . . Was wäre Ihr «Aber»?

Satire darf meiner Meinung nach tatsächlich alles. Aber der Satiriker hat einfach mit entsprechenden Reaktionen und allfälligen Missverständnissen zu rechnen. Um Satire zu verstehen, muss man manchmal um ein paar Ecken herumdenken können. Als meine Macho-Figur Harry Hasler frauenfeindlichen Blödsinn rausliess, war es nach einigen Diskussionen auch den Feministinnen klar, dass da nicht die Frauen, sondern der Mann ausgelacht wird.

Inhaltlich aber gibt es für Sie als Satiriker keine Grenzen?

Doch, es gibt eine Grenze, die mir sehr wichtig ist. Ich werde niemanden in der Öffentlichkeit ausstellen, der die Öffentlichkeit nicht schon selbst gesucht hat. Alle Leute, die ich karikiert habe, teilen in ihrem Job oder in ihrer Funktion selber aus oder stehen öffentlich für etwas, das man gut oder schlecht finden kann. Diese Leute müssen auch etwas aushalten können – so wie ich ja auch. Die einen werden trotzdem weinerlich, andere wiederum nehmen es cool.

Können Sie Beispiele nennen?

Einer, der eigentlich viel einstecken musste und trotzdem gelassen blieb, ist Ueli Maurer. Wenn wir uns begegnen, unterhalten wir uns freundlich. Er hat mir allerdings gesagt, dass er sich meine Fernsehsendung und meine Ueli-Maurer-Nummern nie angeschaut habe – aus einer gewissen Angst, sie könnten ihm was ausmachen. Das fand ich sehr ehrlich.

Und wer hat weniger cool reagiert?

Dass wir ihre Versuche als Schlagersängerin karikiert haben, beklagt Vreni Schneider bis heute. Dabei sind doch die meisten Schlager bereits gesungene Witze.

Sie haben berühmte Leute karikiert, aber Sie erfanden auch diverse Figuren. Sie haben sich als Mann mit Frauen wie Debbie Mötteli oder Donatella Versace identifiziert, Sie sind als weisser Europäer in die Rolle des Inders Rajiv geschlüpft, und Sie haben als gefeierter Promi den unterprivilegierten Junkie Fredi Hinz gespielt. Wurden Sie für all diese Übertretungen nie gecancelt, verurteilt und verdammt?

Man hat es einige Male versucht und einzelne Figuren kritisiert. Aber wenn die Kritiker die Inhalte der Sketche genauer studiert haben, mussten sie feststellen, dass sie nichts hergaben für einen Shitstorm. Es geht nicht darum, dass man sich über einen Junkie lustig macht. Es geht darum, dass sich ein Fredi Hinz, den ich live immer noch spiele, alles erlauben und die Welt aus seiner Sicht umkehren kann. Und je gehobener die Gesellschaft, desto besser funktioniert er als ungeladener Gast, der unabhängig Klartext redet.

Es gibt aber Figuren in Ihrem Repertoire, auf die Sie mittlerweile verzichten?

Ja, die gibt es. Aber ich verzichte nicht aus politischer Korrektheit, sondern weil ich den Eindruck habe, dass sie wie abgespielt sind, aus Gründen der Aktualität oder weil ich einfach – wie Ueli Maurer – keine Lust mehr darauf habe.

Den Inder Rajiv spielen Sie nicht mehr, weshalb?

Rajiv habe ich oft genug gespielt. Weil er Inder ist, habe ich die Haut jeweils etwas dunkler geschminkt. Es gab damals Kritiker, die mir «Blackfacing» vorwarfen. Ich habe den Kritikern dann erklärt, dass ich mich jeweils ähnlich schminken musste, um Harry Hasler und Roger Schawinski als Sonnengebräunte zu imitieren. Beim ursprünglichen Blackfacing war gar nicht die Gesichtsfarbe das Problem, sondern das rassistische Verbot für Schwarze, in den USA als Schauspieler zu arbeiten. Die Rollen wurden ihnen von Weissen weggenommen, die dann die Gesichter schwarz färbten. Bei Rajiv habe ich nie einen Inder getroffen, der die Rolle gerne übernommen hätte. In allen Sketchen war Rajiv zwar eine leicht ordinäre, aber gewitzte Figur, die am Schluss als Sieger alle spiessigen Schweizer um den Finger wickelte.

Diskriminiert wurden durch Rajiv eigentlich eher die Schweizer?

Ja, und durch Harry Hasler die Thurgauer, durch Fredi Hinz die Zürcher, durch Donatella Versace die Italienerinnen und durch mich die Winterthurer!

Die heutige Cancel-Culture scheint darauf hinzudeuten, dass die Gesellschaft sensibler oder intoleranter geworden ist. Gilt das auch für das Comedy-Publikum?

Die Cancel-Culture gab es schon immer, seitens der politischen Rechten ebenso wie seitens der Linken. Gepflegt wurde die Cancel-Culture jahrhundertelang auch von der katholischen Kirche. Aber ich glaube schon, dass die Empfindlichkeiten überall zugenommen haben. Es gibt immer mehr Leute, die es sofort in ihre Bubble tragen, wenn ihnen etwas unkorrekt erscheint. Es wird mehr verurteilt statt gestritten, und Fehler werden sofort geahndet statt diskutiert. Die SVP, die aggressiv zum Wahlkampf-Auftakt das Canceln aller übrigen Parteien gefordert hat, unterscheidet sich da nicht von super-woken Bubbles.

Mit «Giacobbo/Müller» haben Sie von 1990 bis 2002 am Sonntagabend jeweils fast die ganze Deutschschweiz vor den Fernseher gelockt. Was war Ihr Erfolgsrezept?

Entscheidend war der Live-Charakter der Late-Night-Show, der viel Spontaneität voraussetzte. Es geschahen Dinge, die man nicht in ein Script schreiben kann. Ausserdem wurde die Sendung als Show in einem Zug aufgenommen und nicht in einzelnen Teilen mit Unterbrüchen. Live-Publikumsreaktionen sind bei Late-Night-Sendungen für die Stimmung entscheidend.

Was hat Ihre eigene politische Position für eine Rolle gespielt?

Es war dem Publikum klar, dass Mike Müller und ich politisch eher links von der Mitte stehen. Es gab zwar Leute, die uns Unausgewogenheit vorwarfen, und wir waren auch für Konzessionsverletzungen verantwortlich. Aber gerade bei den rechten Parteien wusste man schon, dass wir auch SP und Grüne kritisierten. Und wir haben uns selber ja nicht so ernst genommen, wir haben uns selbst als der Alte und der Dicke in Szene gesetzt.

Ist Selbstironie wichtig in einer Comedy-Sendung?

Sie ist für alle sehr wichtig! Den Politikern, die ich in unsere Show einlud, habe ich jeweils zwei Dinge empfohlen: Bringt bitte kein Geschenk mit – das nimmt zu viel Sendezeit in Anspruch! Und: Macht vielleicht mal einen Witz über die eigene Partei. Wer sich daran hielt, hatte beim Publikum Erfolg.

Viktor Giacobbo: «Die Comedy-Krise beim Schweizer Fernsehen ist hausgemacht.»

Im Rahmen der SRF-Sendung «Sommerlacher» wurden kürzlich wieder alte Sketche von Giacobbo/Müller ausgestrahlt. Haben Sie diese selbst zusammengestellt?

Nein, wir wurden nicht darüber informiert, dass sie ausgestrahlt würden; übrigens bereits zum dritten Mal. Schön, dass unsere Nummern immer noch für Quoten sorgen. Aber es ist eine lieblose Zusammenstellung, die auf irgendeinem Algorithmus basiert. Es gäbe Nummern, die nicht so abgenudelt sind und viel besser in die Aktualität passen würden.

Warum haben Ihre Nachfolger bei SRF kaum mehr Erfolg mit Comedy?

«Deville» hat sehr wohl Erfolg gehabt. Ich persönlich habe seinen Verzicht auf direkten satirischen Schlagabtausch mit Politikerinnen und Politikern aber bedauert, und ein Teil seines Publikums vielleicht auch.

Wenn man sich heute langweilt bei Comedy-Sendungen, dann liegt das an den Komikern?

Nein, die Comedy-Krise beim Schweizer Fernsehen ist hausgemacht. Als Mike Müller und ich unseren Rückzug bekanntgaben, haben wir eine Reihe von Nachfolgerinnen und Nachfolgern vorgeschlagen. Aber SRF hat es mit vielen verspielt, weil sie sich nicht an die Grundregel von TV-Comedy gehalten haben: Die Komiker müssen die Sendung gestalten und nicht die Redaktion. Es wird den Künstlerinnen und Künstlern aber pausenlos dreingeredet – häufig mit Verweis auf das fehlende Budget.

Für Aufregung sorgte SRF kürzlich dadurch, dass man für eine neue Late-Night-Show keine einzige Komikerin in Betracht zog. Wie ist das zu erklären?

Dass man keine einzige Frau zu einer Probesendung eingeladen hat, ist nicht zu entschuldigen. Und es hätte Kandidatinnen gegeben, die infrage gekommen wären. Allerdings braucht es für eine Late-Night-Show gewisse Voraussetzungen, Risikobereitschaft und einen langen Atem – für Frauen wie für Männer.

Sie selber sind immer noch sehr populär, das zeigt der anhaltende Erfolg Ihrer Sketche auf SRF. Hat man Ihnen nie eine neue Sendung vorgeschlagen?

Doch, öfter. Aber wir wollten nicht mehr; wir haben unterdessen neue Projekte und Pläne. Mike Müller spielt mit grossem Erfolg seine Solostücke. Und ich plane ab Oktober im Casinotheater Winterthur eine monatliche Talk-Show: «Late Giacobbo. Viktor Giacobbos letztes Aufgebot». Achtung: kein Comeback!

«Gute Komiker sind meist Kindsköpfe geblieben. Und ein Kindskopf sagt manchmal etwas, das nur im Moment lustig ist»

2. September 2023, Neue Zürcher Zeitung, von Ueli Bernays

Viktor Giacobbo hat die Deutschschweizer Satire-Kultur geprägt wie kein anderer. Im Interview spricht er über Komik im Zeichen der Cancel-Culture. Und […]

Das bekannteste Comedy-Duo des Landes ist eine der Hauptattraktionen der Jubiläumstournee des Zirkus Knie

Ein Feuerwehrmann auf einem roten Gabelstapler und zwei Stadtpolizisten stellen wassergefüllte Kunststoff-Kuben zum Schutz gegen allfällige Amokfahrer auf die Sonnenstrasse. Das Chapiteau steht bereits in seiner ganzen rot-weiss-blauen Pracht da, und ein paar Arbeiter richten die Manege für die erste abendliche Vorstellung her: Der Zirkus Knie ist an diesem sonnigen Dienstag zu seinem neuntägigen Gastspiel auf dem Spelteriniplatz in St. Gallen eingetroffen.

Auch Viktor Giacobbo und Mike Müller, die Gastkünstler aus der nationalen Comedy-Szene und langjährigen Quotenstars des Schweizer Fernsehens, sind schon da. Heuer feiert die Familie Knie das 100-Jahr-Jubiläum ihres offiziell eingetragenen Schweizer Nationalzirkus, und für ein solches Jubiläum sind schliesslich nur die Besten und Bekanntesten gut genug.

Lob auf beiden Seiten
Dass die beiden Politkabarettisten und Schauspieler nach dem Ende ihrer Satire-Serie «Giacobbo/Müller» eine Saison mit dem Zirkus Knie auf Tournee gehen und dabei jeweils in den Abendvorstellungen auftreten würden, habe schon länger festgestanden, erzählt Fredy Knie jun. Der Zirkusdirektor ist seit 2006 mit Giacobbo befreundet. Damals reiste der Winterthurer Bühnen-Allrounder ein erstes Mal mit dem Zirkus Knie durch die Deutschschweiz.

Weil Viktor Giacobbo und Mike Müller ihre TV-Sendung rechtzeitig vor dem 100. Geburtstag des Schweizer Nationalzirkus einstellten, ging es mit ihrer Verpflichtung schliesslich zack, zack. «Sie sind phantastisch», lobt Knie. «Die Leute grölen und lachen wie wild.» Die beiden seien trotz ihrer Berühmtheit ganz normal und bodenständig geblieben, und sie seien nicht nur bei den anderen Artisten, sondern auch beim Zirkuspersonal beliebt.

Die Begeisterung ist gegenseitig. Auch Mike Müller und Victor Giacobbo schwärmen bei unserem Gespräch im noblen Konferenz-Wagen mit dunklen Holzmöbeln und gesteppten grünen Lederpolstern von den Mitgliedern der Familie Knie, ebenso wie von den anderen Artisten und den Angestellten im rund 250-köpfigen Zirkustross. Sie seien allesamt seriös arbeitende, ernstzunehmende Leute, und der Umgang untereinander sei sehr angenehm und von grosser gegenseitiger Hilfsbereitschaft geprägt.

Bühne von mehr als 300 Grad
Und was ist einfacher, die Arbeit auf der Bühne oder in der Manege? Müller kann und Giacobbo möchte diese Frage nicht beantworten: «Ich will es nicht sagen, es sind unterschiedliche Medien, andere Prozesse.» Es sei anfangs auf jeden Fall eine gewaltige Umstellung gewesen auf ein derart grosses Publikum in einem Kreis von mehr als 300 Grad, sagt Müller. Viktor habe ihm schon im Voraus gesagt, dass man sich da anders als auf der Theaterbühne orientieren, permanent in Bewegung bleiben und auch alle Leute anschauen müsse.

Diese Vorgaben erfüllen die Figuren, die das Duo im Zirkus spielt. Es sind – zur Freude des Publikums – alles liebgewonnene Bekannte, allen voran natürlich Giacobbos stets leicht verhängter Schnorrer Fredi «häsch mer nöd zwei Stutz?» Hinz. Müllers dauerschwafelnder Hanspeter «Bujujui» Burri hat ebenso seinen Auftritt wie der linkische Mittfünfziger Armin Grütter und dessen keifende Mutter, das halbseidene Mischler-Paar Sonny Boppeler & Benno Stark, der Dampfplauderi Roger «find i guet» Schawinski und der pomadige TV-Hellseher Mike Shiva auf einem elektrischen Raupentraktor: ein zum Schreien komischer Anblick.

Bei der Gestaltung ihrer Nummern liess ihnen die Direktion alle Freiheit. «Wir machen schliesslich nicht neun Jahre lang eine Sendung, in der einem niemand diktiert, was wir tun dürfen und was nicht, und gehen dann in den Zirkus und lassen uns alles vorschreiben», hält Giacobbo fest. Das Ergebnis spricht für sie. Die beiden wissen sehr wohl, wie man ein breites, nicht unbedingt politisch interessiertes Zirkuspublikum für sich gewinnen kann.

Selbstverständlich treten Giacobbo und Müller auch mit Tieren auf. Fredi Hinz’ Kameldame Suleika aus der Tournee von 2006 bleibt diesmal allerdings im Stall. «Ich will ja nicht die alten Nummern noch einmal bringen», sagt Giacobbo. Dafür sind im Jubiläumsprogramm die fürs After-Show-Catering zuständigen Herren Boppeler & Stark mit den zwei Zwergschweinchen «Godeli» und «Stupsi» unterwegs. Dressurtricks gibt es mit den kleinen Paarhufern keine, sie sind aber so putzig, dass das grosse Buffet schliesslich vegetarisch bleiben muss.

Staunen und lachen
Weil in der Jubiläumstournee die ohnehin zur Familientradition der Knies gehörenden Pferde eine ganz besondere Rolle spielen, wird der unbeholfene Armin Grütter von seinem Mutterdrachen auf den Rücken eines Pferdes gehetzt. Der bedauernswerte Braune «Campo» bietet mit seinem übergewichtigen Jockey ein geradezu mitleiderregendes Bild, verglichen mit Fredy Knies Pferdekarussell mit 30 eleganten Hengsten, Geraldine Knies Manegen-Comeback als elegante Zirkusreiterin oder der wilden doppelten Ungarischen Post von Ivan Frédéric Knie und Wioris Errani. Bei ihnen staunt das Publikum, bei Frau Grütter und ihrem Armin lacht es Tränen.

Die Starkomiker Giacobbo und Müller sind die Aushängeschilder des Programms zum 100-Jahr-Jubiläum des Zirkus Knie, und sie tragen ihren Teil dazu bei, dass sich die Leute regelrecht auf die Tickets stürzen. Die Vorstellungen sind jeweils schon früh ausverkauft. In Zürich, wo der Zirkus vom 4. Mai bis 2. Juni auf dem Sechseläutenplatz gastiert, sind bereits jetzt an drei Montagabenden Zusatzvorstellungen anberaumt.

Alle wollen sie zum« jubileo»
Der Publikumsandrang sei phantastisch, bilanziert Fredy Knie. Die Quotenstars vom Bildschirm seien grosse Publikumsmagneten, aber die Leute kämen auch wegen des Jubiläums in grosser Zahl in den Zirkus. Die Nachmittagsvorstellungen, an denen die drei renommierten Clowns Yann Rossi, Davis Vasallo und Francesco Fratellini anstelle von Giacobbo und Müller für kinderfreundliche Lachnummern zuständig sind, seien gleichfalls regelmässig ausverkauft. Und auch im Tessin, wo der Zirkus Knie im November mit den Westschweizern Vincent Kucholl und Vincent Veillon auftrete, laufe der Vorverkauf schon jetzt super, sagt Fredy Knie. «Alle wollen sie beim ‹jubileo› dabei sein.»

Giacobbo/Müller mischen die Manege auf

29. April 2019, Neue Zürcher Zeitung, von Alois Feusi

Das bekannteste Comedy-Duo des Landes ist eine der Hauptattraktionen der Jubiläumstournee des Zirkus Knie Ein Feuerwehrmann auf einem roten Gabelstapler […]

Interview

Der bekannteste Satiriker der Schweiz steigt wieder ins Sägemehl und gastiert ab März im Zirkus Knie. Viktor Giacobbo über die Unterschiede zwischen Nationalzirkus und Nationalfernsehen, Fernsehstudio und Zirkusmanege – und über etwas, worüber er lieber schweigen würde: das Alter.

Herr Giacobbo, ich möchte über ein unattraktives Thema reden: das Alter. Sie treten zum 100-Jahr-Jubiläum nochmals im Zirkus Knie auf, dieses Mal mit Mike Müller. Ist das die Narrenfreiheit des Alters?

Beginnen wir mit einem attraktiveren Thema als dem Alter: Ich wurde seit meinem letzten Engagement 2006 von der Familie Knie immer wieder gefragt, ob ich wieder einmal eine Saison bei ihr gastieren würde. Doch solange unsere Sendung «Giacobbo/Müller» lief, war das kein Thema.

Sie sind 66 Jahre alt, wie stehen Sie zu Ihrem Alter?

«Alter» ist für mich ein eher abstrakter Begriff. Ausser in den Momenten, in denen ich mich im Spiegel sehe. Dann sehe ich nicht nur, was mir gefällt.

Und was missfällt Ihnen an Ihrem Spiegelbild?

Wenn ich nicht in den Spiegel sehe, denke ich, ich sähe aus wie Leonardo DiCaprio. Wenn ich in den Spiegel sehe, sehe ich aus wie Viktor Giacobbo!

Ist das nun eitel oder alterskokett? Etwas an Ihnen wird Ihnen wohl gefallen.

Viel ist es tatsächlich nicht. Aber manchmal, wenn ich Gleichaltrige treffe, denke ich: Das kann nicht sein, dass ich mit denen zur Schule ging, das müssen meine Eltern sein!

Ist ein Mann im Alter von 66 Jahren eigentlich ein älterer Herr oder ein Senior?

Er ist ein Mann in den Sechzigern, ein älterer Herr, wenn Sie so wollen. Aber mein Alter interessiert mich nicht wirklich. Man muss verdammt aufpassen, dass man nicht in die Banalitätenfalle gerät, wenn man darüber spricht. Ich meine, es gibt ein paar Banalitäten, die stimmen: Man kann zum Beispiel als biologisch älterer Mann geistig jung sein. Im Gegensatz dazu gibt es Dreissigjährige, die bereits aufgehört haben, neugierig zu sein. Und das ist tragischer, als 66 Jahre alt zu sein.

Die Philosophie kennt die Theorie der Alterskunst, man spricht von einem Know-how, einem Kennen und Können des Altwerdens. Mussten Sie lernen, älter zu sein?

Wieso sollte ich etwas lernen, das sowieso auf mich zukommt? Da halte ich es mit einer anderen Philosophie, und zwar mit jener von Yuval Noah Harari, dessen Buch «Homo Deus» ich gerade gelesen habe. Nachdem Harari mit der Seele und teilweise auch mit dem Geist abgerechnet hat, wagt er es, den Menschen als einen Algorithmus zu definieren. Wie dieser im Alter seine Aufgaben wahrnehmen wird, kann ich nicht beeinflussen. Auch wenn ich mich bemühe, im Alter neugierig zu bleiben – wenn wir denn ein Algorithmus sind, ist auch mein Wunsch, neugierig zu sein, letztlich vom Algorithmus gesteuert.

Der Mensch ist ein Algorithmus, ohne Seele, ohne freien Willen?

Also ohne ein Ich. Was dem Liberalismus den Garaus macht . . .

Dieses satirische Menschenbild spricht Sie als Berufssatiriker natürlich an . . .

. . . nein, hier spricht höchstens der Satiriker, der das Buch von Harari nicht ganz verstanden hat, das kann sein. Deshalb schlage ich vor, dass wir das Gebiet der Philosophie verlassen.

Gibt es Vorteile, 66 Jahre alt zu sein, verglichen mit, sagen wir, 44 Jahren?

Wenn man etwas auf sich hält und geistig noch ein bisschen fit ist, lernt man dazu, nicht jedes Jahr, aber vielleicht im Rhythmus von zehn Jahren. Aber nochmals: Ich habe über das Alter nicht viel zu sagen, es interessiert mich zu wenig.

Was interessiert Sie denn?

Das Leben, die Politik, Freundschaft, die Kultur, Sex!

Grossartig, reden wir über Sex. Hat sich Ihr Sexleben im Alter verändert?

Sicher, es ist vielfältiger geworden, man hat ja mehr Erfahrung (lacht). Dieser Satz wird mir von den Boulevardmedien sicher einmal um die Ohren gehauen.

Nächster Versuch: Gibt es in Ihrer Biografie ein Erlebnis, auf das Sie im Rückblick gerne verzichtet hätten?

Ja, das Frühaufstehen! Auf jedes frühe Aufstehen hätte ich gerne verzichtet. Übrigens, wenn Sie über das Alter reden möchten, ich kann doch etwas zum Thema beisteuern: Senile Bettflucht kenne ich nicht. Bis zehn Uhr vormittags kann ich gut liegen bleiben.

Welches Lebensalter war Ihr schwierigstes?

Ich habe in jedem Alter etwas für mich entdeckt. Als ich beispielsweise sechzehn war, 1968, war der linke Aufbruch toll, man konnte kreative und lustige Aktionen starten. Erst ein paar Jahre später kamen die Ideologie, das Denkverbot und die Neigung zum Sektierertum dazu. Damit war diese Zeit für mich abgeschlossen. Aber das Gute am Alter ist ja, dass man Dinge sein lassen kann. Lieber als in die Vergangenheit sehe ich nämlich in die Zukunft.

In der Zukunft, nächsten März bereits, stehen Sie mit Mike Müller wieder in der Manege. Was ist es an dieser Zirkusliebe, dass man nicht von ihr lassen kann?

Langsam, zuerst spielen wir von Herbst bis Januar das Stück «Giacobbo/Müller in Therapie» – eine Thematisierung unserer TV-Show auf einer Metaebene. Für die Zeit nach der Zirkustournee habe ich Ideen für einen Spielfilm; gleichzeitig aber habe ich keine Lust, bei den Filmförderungskommissionen Klinken zu putzen und um Unterstützung anzufragen. Lieber realisiere ich eine neue Mockumentary im Stil von «Der grosse Kanton», die könnte ich wieder privat finanzieren.

Machen Sie es doch wie Andreas Thiel. Für seinen Spielfilm sucht er keine staatlichen Fördergelder, sondern will ihn mit privaten Sponsoren finanzieren.

Das sehen wir dann, wenn wir es dann sehen.

Was reizt Sie denn daran, wieder ins Sägemehl zu steigen? Zirkustourneen gelten als äusserst strapaziös.

Weil das die tollste Live-Tournee ist, die in der Schweiz möglich ist! Der Zirkus Knie ist weltweit die Nummer eins unter den Zirkussen. Das wird Ihnen jeder Zirkusmensch bestätigen. Viele weltberühmte Zirkusse zeigen heute nur noch Werbeshows für Kinder. Eine traurige Entwicklung. Das private Unternehmen Knie präsentiert weiterhin ein anspruchsvolles Programm mit internationalen Top-Acts, aber als Stargäste werden Schweizer Komikerinnen und Komiker engagiert.

Es gibt also Ähnlichkeiten zwischen einem Studio des nationalen Fernsehens und der Manege des Nationalzirkus?

Die Manege ist viel mehr als ein Fernsehstudio! Man riecht, man improvisiert, man kann die Menschen mit einbeziehen, es kann einiges schiefgehen, Tiere treten auf, und zwar mittlerweile solche, bei denen man kein schlechtes Gewissen haben muss, dass sie auftreten, sondern solche, die in der Manege beschäftigt werden und Freude daran haben. Mike Müller und ich sind wie Fredy Knie junior grosse Tierfreunde, und wir engagieren uns auch dafür. Ich beispielsweise für das Orang-Utan-Programm der Stiftung PanEco.

Sind Sie der ältere Herr, der Sie einmal werden wollten?

Nein, ich hoffe nicht! Als Jugendlicher hat man ja ganz andere Vorstellungen davon, wie man im Alter einmal sein wird. Man transportiert sich, so, wie man ist, ganz einfach fünfzig Jahre in die Zukunft. Meine Generation hat zum Beispiel immer geglaubt, dass wir später einmal in tollen, verrückten Alters-WG leben und Rockkonzerte veranstalten würden. Inzwischen merken wir alle: Na ja, man wird ein bisschen älter . . .

. . . und erkennt heute: Auch klassische Musik hat ihr Gutes?

Überhaupt nicht! Heute sitze ich hier und gebe wider Willen ein Interview über das Alter, obwohl ich eigentlich gar nicht darüber sprechen wollte.

«Wir haben geglaubt, dass wir später in verrückten Alters-WG leben würden»

4. Oktober 2018, Neue Zürcher Zeitung, von Daniele Muscionico

Interview Der bekannteste Satiriker der Schweiz steigt wieder ins Sägemehl und gastiert ab März im Zirkus Knie. Viktor Giacobbo über […]

Mit «Alonso», einem von Viktor Giacobbo eingeschweizerten Stück des österreichischen Kabarettisten Stefan Vögel, startet das umgebaute Casinotheater Winterthur in die neue Spielsaison.

Der Hund sei des Menschen bester Freund, sagt der Volksmund. Das mag zutreffen. Wenn er aber so klug und instinktsicher ist wie der mexikanische Nackthund Alonso, kann er durchaus auch Freundschaften beenden. – Das heisst, so richtig beste Freunde, wie sie einander mit penetranter Regelmässigkeit bestätigen, sind die Ehepaare Schultheiss und Walk eigentlich nicht. Anfangs ahnen sie dies höchstens, aber im Verlauf der eineinhalbstündigen Beziehungskomödie «Alonso» im frisch umgebauten Casinotheater Winterthur werden Gewissheiten demontiert, bröckeln Fassaden und brechen Abgründe auf, dass es ein Graus ist.

Das Personal des von Viktor Giacobbo inszenierten und eingeschweizerten Stücks des österreichischen Kabarettisten Stefan Vögel setzt sich zusammen aus einem Professoren-Geck kurz vor dem Aufstieg zum Chef des Instituts für vergleichende Sprachwissenschaften (Max Gertsch) samt auf spiritueller Sinnsuche befindlicher Ehefrau (Tamara Cantieni) sowie einem etwas schusseligen mittleren Angestellten und Hobbykoch (Dominique Müller) und dessen gleichfalls gelangweilten Ehefrau (Anne Hodler) und heimlichen Geliebten des Institutsleiters in Spe.

Max Gertschs aufgeblasener Intellektueller schreit von der ersten Minute an nach einer saftigen Ohrfeige. Einen Narzissten wie ihn kennt praktisch jeder, genauso wie Anne Hodels ach so brave Hausfrau, die einen ganz fürchterlichen Terror aufziehen kann. Tamara Cantienis leicht trashige Provinzschönheit, die um jeden Preis einen Professor haben wollte und einen Frosch kriegte, mutiert erschreckend heftig zum furiosen Racheengel mit Domina-Touch. Wenn diese Blicke tatsächlich töten könnten, wäre es schlimm bestellt um die Zuschauer in den vorderen Reihen. Dominique Müller schliesslich gibt den behäbigen, selbst beim Schimpfen und Poltern durch und durch harmlosen Biedermann. So eine Figur braucht’s bei so viel Falschheit, auch wenn er es gleichfalls faustdick hinter den Ohren hat.

Das Quartett trifft sich regelmässig bei den Walks zum Nachtessen und lässt sich vom Gehörnten bekochen. Dabei spritzen kleine Gifteleien hin und her, die Paare gehen sich gegenseitig auf den Wecker, und viel zu sagen hat man einander auch nicht. Aber irgendwie sind diese Abende zu Viert doch recht angenehm – bis dann Alonso ins Spiel kommt, ein kastrierter Rüde der 3500 Jahre alten Rasse Xoloitzcuintle . Die gibt es tatsächlich; ausgesprochen wird ihr Name Scholoitz-kuint-li.

In der Mythologie der Azteken begleiten diese Tiere mit dunkler ledriger Haut die Seelen der Toten auf dem Weg ins Jenseits. «Höllenhunde» nennt sie der Professor und beweist damit einmal mehr sein ach so bewundernswürdiges Allgemeinwissen. Als ein solcher entpuppt sich Alonso in einem gnadenlos bösen Showdown mit überraschenden Wendungen tatsächlich. Der Xoloitzcuintle führt die beiden Ehepaare gewissermassen als tierischer Lügendetektor in eine emotionale Hölle und das Publikum durch ein starkes Stück klamaukfreies Boulevard-Theater: Ein schöner Start in die neue Spielsaison des «neuen» Casinotheaters.

Casinotheater Winterthur, 3. September. Weitere Aufführungen bis 3. Oktober.

Beste Freunde und ein Höllenhund

6. September 2015, Neue Zürcher Zeitung, von Alois Feusi

Mit «Alonso», einem von Viktor Giacobbo eingeschweizerten Stück des österreichischen Kabarettisten Stefan Vögel, startet das umgebaute Casinotheater Winterthur in die […]

Uraufführung der «Nepotistan-Affäre» im Casinotheater Winterthur: Ein Unheilbarer findet zur Realität zurück und treibt ein Irrenhaus zum Wahnsinn. In Annäherung an ein Stück jüngere Schweizer Geschichte ist dem Casino mit der «Nepotistan- Affäre» ein politischer Schwank mit Witz und Tempo gelungen.Die Vorgeschichte ist bekannt, die Details sind fiktiv. Im Alleingang und erfolglos hatte Bundespräsident Paul Jenni (Hanspeter Müller-Drossaart) versucht, zwei Schweizer Ornithologen aus der Geiselhaft in «Nepotistan» zu befreien. Der Bundesrats-Jet flog heim mit zwei leeren Vogelkäfigen. Jenni wurde abgewählt, als Einziger hat er es nicht realisiert. Also residiert er in einer Anstalt am Zürichberg und treibt gemeinsam mit seinen Mitbewohnern Jesus und Henri Guisan die Chefärztin (hinreissend gespielt von Esther Gemsch) beharrlich an den Rand des Wahnsinns. Regie führt Stefan Huber.
Gefangener Befreier

Es beginnt harmlos. Mit landesväterlicher Attitüde residiert der Abgewählte in der noblen Klinik, mit den Gedanken stets «in Bern oben». Er erteilt Weisungen zur Geiselaffäre und merkt nicht, dass er selbst zum Gefangenen einer ehrgeizigen Anstaltsleitung geworden ist. Im Gefühl der Überlegenheit versucht er auch, «Jesus» (László I. Kish) von seiner Wahnvorstellung zu befreien. Doch die Heilung durch Gegenüberstellung mit einem zweiten Sohn Gottes (Daniel Ludwig) scheitert, die beiden verbrüdern sich in penetranter Sanftmut und können alles erklären. Selbst die mitunter derbe Ausdrucksweise der Heiligen sei nicht neu; schliesslich hätten nicht all ihre Worte Eingang gefunden in die Bibel.

Zwischendurch überwacht Guisan (Rolf Sommer) mit dem Feldstecher den Zürichsee und entdeckt immer wieder Verdächtiges. Bald hält er die Fähre Meilen–Horgen für einen getarnten Flugzeugträger, bald wittert er am Ufer süddeutsche Taliban. Der stramme General in kurzen Hosen will alles sofort dem Bundesrat weitermelden, am liebsten direkt an Pilet-Golaz.

Im richtigen Bundeshaus werden derweil Pläne geschmiedet. Die Vorsteherin des EDA – auch im Stück trägt sie einen welschen Doppelnamen – entsendet einen Unterhändler (David Bröckelmann) in die Klinik am Zürichberg, um Jenni Erkenntnisse aus seiner gescheiterten Mission beim Geiselnehmer zu entlocken. Doch dieser gibt nichts preis, und weil in der Not selbst ernste Menschen erfinderisch werden, arrangiert der Unterhändler kurzentschlossen am Zürichberg ein Geheimtreffen mit dem unberechenbaren Diktator aus Nepotistan.

Dem Alt-Bundespräsidenten wird aufgetischt, seine Abwahl sei ein Täuschungsmanöver gewesen und der Aufenthalt in der Anstalt diene dem persönlichen Schutz. Er lässt sich überzeugen und spielt mit, aber die Tarnung der Klinik als Nobelresidenz hat ihre Tücken. Wertvolle Gemälde sollen ein staatstragendes Ambiente schaffen. Die Direktorin weiss, dass ein ebenfalls Abgewählter dem Haus nach seinem Aufenthalt Anker-Bilder vermacht hatte, aber die seien ein für alle Mal «politisch besetzt». Die Wegweiser zur Klinik werden verhüllt, doch ein findiger Journalist wird aufmerksam. Man erfindet ein Kunstprojekt von Christo und legt den Neugierigen mit kiloweise Fachliteratur und Erklärungen lahm.
Störfall Realitätssinn

Eine dramatische Wendung nimmt das Stück, als Jenni spontan seinen Realitätssinn wieder findet. Der geniale Plan des Abgesandten aus dem EDA droht zu platzen, der psychische Stress übermannt jetzt die Gesunden. Doch als bekennender Alt-Bundesrat und jetzt freier Bürger beschliesst Jenni im Interesse des Landes, die List nicht zu torpedieren. Er mimt den noch Amtierenden und bringt es schliesslich fertig, den wirren Auftritt des Diktators (Daniel Ludwig) für einen Verhandlungserfolg zu nutzen. Der Durchbruch hat aber seinen Preis, dem Diktator muss erlaubt werden, auf dem Rütli zu zelten.

Die Kombination aus Anstalt und Politik ist in der Satire bewährt und könnte zu Plattitüden verleiten. Die Autoren (Domenico Blass und Viktor Giacobbo) haben der Versuchung widerstanden und lassen es nicht auf Teufel komm raus krachen. Mit dosierten Respektlosigkeiten lassen sie auch Raum für feine Töne, nicht alles muss mit Hintersinn erschlagen werden. Gewitzte Unterhaltung, gespickt mit putzmunteren Anspielungen auf Prominenz aus Politik und Gesellschaft.

Nach zwei kurzen Stunden das Schlussbild: Blick aus dem Zelt des Diktators, auf dem Rütli tauchen Jesus und Guisan auf. Respektlos, frech und auch heimelig.

Casinotheater Winterthur, 1. September. Weitere Aufführungen: jeweils Dienstag bis Samstag, 20 Uhr. Bis 1. Oktober.

Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG

Staatskrise in der Anstalt

3. September 2011, Neue Zürcher Zeitung, von Florian Sorg

Uraufführung der «Nepotistan-Affäre» im Casinotheater Winterthur: Ein Unheilbarer findet zur Realität zurück und treibt ein Irrenhaus zum Wahnsinn. In Annäherung […]

«Ein Teil der Gans» – Premiere und Schweizer Erstaufführung im Casinotheater Winterthur

Mit der Schweizer Erstaufführung von Martin Heckmanns «Ein Teil der Gans» hat das Casinotheater Winterthur am Donnerstag die Herbstsaison eröffnet. Das Stück vermochte nicht durchwegs zu überzeugen, im Gegensatz zur Inszenierung.Es beginnt harmlos. Zwar herrscht häuslicher Ausnahmezustand, aber das Unheil kündigt sich nicht an. Ein rechtschaffenes Paar pendelt zwischen sterilem Esszimmer und dampfender Küche, es erwartet Gäste. Die zwei treten sich dezent auf die Zehen, die Nervosität wird von Bettina (Sabina Schneebeli) gelebt und von Pascal (Viktor Giacobbo) überspielt. Die Eingeladenen, Bettinas möglicher neuer Arbeitgeber und dessen Gattin, werfen ihre Schatten voraus.

Das Mahl wird zum Gericht

Martin Heckmanns «Ein Teil der Gans» wurde von Viktor Giacobbo für die Schweizer Erstaufführung in Dialekt übertragen und mit weiteren Eigenheiten des helvetischen Alltags ergänzt.

Die Vorbereitung auf Gäste hat im Theater ihre Tücken auch für Paare, die sich sonst einem unaufgeregten Leben verschrieben haben. Sie kocht, und er vergisst Wein heimzubringen; er macht hilflose Spässchen, und sie kriegt alles in den falschen Hals. Zunächst noch eine gute Handbreit von Gemeinheiten entfernt, entwickelt der Dialog bald kleine Giftpfeile, die sitzen. Eigentlich wären jetzt Gäste durchaus willkommen. Angenehme, weil sie ablenken, und unangenehme, weil ihre Anwesenheit die Marotten des eigenen Partners wieder in einem milderen Lichte erscheinen lassen. Aber es kommt anders.

Ein suspekter Überraschungsgast (Laszlo I. Kish) kommt den Eingeladenen zuvor. So eskaliert die Lage bereits, bevor die erwarteten Hoffnungsträger (Mike Müller und Norina Nobashari) endlich an der Tür klingeln. Der Fremde sucht nach einer angeblichen Autopanne in dieser gewittrigen Nacht Schutz und Telefon. Er wird wechselweise vor die Tür gestellt und dann wieder eingeladen.

Ist dann die ganze Gesellschaft einmal beisammen, geht das gnadenlose Spiel erst richtig los. Mit überheblichen Bemerkungen und falscher Freundlichkeit entfachen die Gäste eine giftige Mischung, deren Opfer sich jede kleine Panne als Verschulden ankreiden lassen. Keine Rettung bringt das Essen: Das Soufflé bleibt flach, und die Gans ist verbraten. Die Küche bietet Angriffsflächen, und diese werden leidlich ausgenutzt, hart, aber unfair. Das Mahl wird zum Gericht über die Gastgeberin und deren Partner, der seinen Seelenfrieden allein schon durch Vorspeisen mit französischen Namen bedroht sieht.

Das Tischgespräch wird in gnädigeren Momenten deftig und in ungnädigeren heuchlerisch. Hier beginnt Heckmanns trockene Komödie aus Lügen und Intrigen ein erstes Mal zu schwächeln, doch die Darsteller zeigen sich den Tücken des Stücks unter der Regie von Katja Früh vollauf gewachsen. So meistern sie auch ohne störende Längen für die Zuschauer den nicht gerade brillanten Einfall des Autors, die gelangweilte Atmosphäre der Tischgesellschaft durch lustlose Gesprächsansätze wieder und wieder zu verdeutlichen.

Stilsichere Gratwanderungen

Viktor Giacobbo verleiht seiner Rolle als Pantoffelheld durch gekonnt unpassend placierte Bemerkungen ihren Glanz. Er widersteht dabei der Versuchung zu übertreiben und schafft es so, die Grenzen zum billigen Humor stilsicher zu meiden. Auf dünnem Eis muss sich an seiner Seite Gastgeberin Sabine Schneebeli bewegen. Als liebende Partnerin eines liebenswerten Versagers pariert sie persönliche Angriffe und Nadelstiche mit glaubhafter Verletztheit, ohne ihre Würde hysterischer Überspanntheit zu opfern.

Heisse Gans und kalte Fische

Mike Müller gaukelt als jovialer Kleinformat-Patron mit halbseidener Schlagseite eine geschliffene Sensibilität vor, die Gastgeber auf der Bühne und Publikum in gleichem Masse immer wieder über die harten Seite seiner Rolle hinwegtäuscht. Und wo es härter zugeht, überzeugt er ebenfalls – mit derselben Stimme und derselben Mimik.

Seine konsequent humorlose Gattin mit einer Vorliebe für harte Drinks – die Gastgeber bevorzugen zur gebratenen Gans Elmer Citro – wird von Norina Nobashari gut getroffen. Mit lasziver Haltung und spitzen Bemerkungen stolziert sie durch den Abend, als ob Sinnlichkeit nur Mittel zum Zweck sei. Ihre Arroganz teilt sie mit dem unheimlichen Eindringling, zwei kalte Fische im Kampf um Herrschaft und Gänsebraten. Laszlo I. Kish gelingt die Balance zwischen impertinenter Besserwisserei und stilisierter Opferrolle.

Ratloser Schluss

Das Ende kommt unvermittelt. Heucheleien brechen auf, die Gäste geisseln die Wohlstands-genährte Gleichgültigkeit ihrer Gastgeber und reissen nach ihrer Moralpredigt an sich, was im Haus nicht niet- und nagelfest ist. Mahner, dreiste Diebe oder einfach nur Schmarotzer? Denkbar sind Anlehnungen an Friedrich Dürrenmatt und John Boynton Priestley. «Die Panne» mit einem Rollentausch für die Harmlosen und die Unheimlichen? Oder eine Prise Moral aus «An Inspector calls»? Wir wissen es nicht. In diesem Schluss liegt die wirkliche Schwäche des Stückes. Wenn die Zuschauer schon allein weiterdenken sollen, dann brauchen sie dazu gewiss keine Anleitung im Stil von «alles ist möglich».

Und dennoch: Die Premiere bot trotz Mängeln des Stückes einen guten Abend. Dazu beigetragen haben nebst den schauspielerischen Leistungen und der feinsinnigen Regie (Katja Früh) das schlichte Bühnenbild, ein Glücksfall für das Theater. Es widerspiegelt den unpersönlichen Charme des Möbelkatalogs, aus dem es stammen könnte. Mit seiner gepflegten Eleganz ab Stange trifft der Raum punktgenau den Nerv seiner Bewohner, die verkrampft nach Anerkennung suchen und dabei keine Fallgrube auslassen.

«Ein Teil der Gans» im Casinotheater Winterthur. Premiere (Schweizer Erstaufführung): 26. 8.

Weitere Aufführungen vom 28. August bis 30. September, jeweils Dienstag bis Samstag (ausser 8. und 10. September), Beginn um 20 Uhr.

Gänsefleisch und Giftpfeile

28. August 2010, Neue Zürcher Zeitung, von Florian Sorg

«Ein Teil der Gans» – Premiere und Schweizer Erstaufführung im Casinotheater Winterthur Mit der Schweizer Erstaufführung von Martin Heckmanns «Ein […]

Saisonpremiere des Zirkus Knie mit Viktor Giacobbo in Rapperswil

Wo steckt bloss dieser blöde Zweifränkler? Die Vorstellung hat bereits begonnen, als ein belämmerter Althippie mit zotteliger Vorne-kurz- hinten-lang-Matte auf dem Kopf auftaucht und unbeeindruckt von Stallmeister und Publikum im Sägemehl herumscharrt. Denn Fredi Hinz, dieses Kamel, hat im letzten Sommer beim Grillieren exakt auf diesem Parkplatz eine Münze vergraben. «Muesch de Schtutz zerscht verloche, bevor d en wieder useholsch. Das han i vom Martin Ebner glehrt», verkündet Hinz alias Viktor Giacobbo mit treuherzigem Hundeblick in die Runde, ehe ihm dämmert, dass er im Zirkus gelandet ist und dass hier gearbeitet wird.

Blowin‘ in the Wind

Arbeiten beim Zirkus, das wäre eigentlich auch etwas für Fredi Hinz. Eine Tierdressur schwebt ihm vor, eine mit einem Walfisch, galoppierenden Zebras und einem Ritt auf einem Tiger. Ganz so ausgefallen wird die Nummer dann zwar nicht, aber am Schluss des neuen Programms des Zirkus Knie, das am Freitag in Rapperswil die Saisonpremiere erlebt hat, darf Hinz immerhin eine Art Kameldressur zeigen und, rücklings aus der Manege reitend, auf der Blockflöte ein krächzendes «Blowin‘ in the Wind» spielen.

Bis es so weit ist, gibt es eine Menge zu lachen mit Giacobbos Fredi Hinz, seinem schlitzohrigen Inder Rajiv und seinem Dumpfblondie Debbie Mötteli. Und obschon die eine oder andere Textpassage noch einen letzten Feinschliff vertragen kann, ist schon nach der Generalprobe vom Freitagnachmittag klar, dass die Familie Knie mit ihrer schon traditionellen Verpflichtung eines Grossen der Schweizer Kleinkunst einmal mehr ein glückliches Händchen gehabt hat. – Noch viel mehr Tradition als die Komiker-Gastspiele haben Knies Tiernummern. Géraldine Knie präsentiert eine sehr harmonische Freiheitsdressur mit Friesen und Palominos, ihr Vater Fredy Knie beweist augenzwinkernden Humor und galoppiert im Kreis um einen auf den Hinterbeinen tänzelnden Araberschimmel, und als sich der kecke Ivan Frédéric mit seinem Shetland-Pony dazugesellt, stehen gleich drei Generationen in der Manege. Ivans Grossmutter Marie-José zeigt fünf Lamas und fünf Guanakos, und Franco Knie senior und Franco junior begeistern mit einer ausserordentlich spielerischen, leichtfüssigen Dressur ihrer sechs Elefantendamen.

Zum wiederholten Mal dabei sind die jungen Frauen der Compagnie aus Kasachstan. Sie führen zusammen mit Giacobbo/Hinz durch ein Programm mit einer phantastischen siebenköpfigen Diabolo-Truppe sowie einem gelenkigen Ikarier- Paar aus China, einer kraftvollen Schleudernummer am russischen Barren und einem athletisch- sinnlichen Tango an der vertikalen Stange, vorgeführt von der in Freienbach am Zürichsee aufgewachsenen Sandra Feusi und ihrem amerikanischen Gatten Sam Payne.

Wagemutige Messerwerfer

Gleichsam die Klammer um das Programm schliessen ein italienisches Armbrust- und Messerwerfer-Duo sowie ein Brüderpaar aus Ecuador auf dem Todesrad. Wenn der Italiener seiner Frau einen Apfel vom Kopf schiesst oder mit Messern auf die an einer Scheibe rotierende Partnerin wirft, stockt dem Publikum der Atem ebenso, wie wenn die waghalsigen Südamerikaner todesmutig auf und in ihren Gitterrädern wirbeln: Das ist Nervenkitzel allererster Güte.

Nervenkitzel und ein Kamel auf dem Kamel

25. März 2006, Neue Zürcher Zeitung, von Alois Feusi

Saisonpremiere des Zirkus Knie mit Viktor Giacobbo in Rapperswil Wo steckt bloss dieser blöde Zweifränkler? Die Vorstellung hat bereits begonnen, […]

Viktor Giacobbo als «Zugkamel» des neuen Knie-Programms

Nach Kabarett, Theater, Fernsehshows und Film nun eine Saison im Zirkus: Ab dem 24. März ist Viktor Giacobbo alias Fredi Hinz, Debbie Mötteli oder Rajiv mit dem Zirkus Knie auf Tournee. Politische Satire sei in der Manege nicht zu erwarten, sagt der Winterthurer Komiker und Autor. Dafür eine schwergewichtige vierbeinige Partnerin. Sooo guet! Fredi Hinz, der Schweizer liebster Sozialfall und Kampfkiffer, will arbeiten. Die Zeiten für Schnorrer – «häsch mer nöd zwee Schtutz?» – sind schlecht und werden nicht besser. Also versucht Hinz sein Glück halt beim Zirkus. Aber natürlich nicht bei irgendeinem Zirkus, sondern bei der Nummer eins. Doch das ist nicht ganz einfach, denn wer hier einen Job ergattern möchte, muss erst einmal Direktor Fredy Knie von seinen Qualitäten überzeugen.
«Ich kann nicht alles proben»

Fredi Hinz will dies mit Hilfe des Publikums tun und die Zuschauer – Prominente, Unbekannte und auch Kinder – ganz persönlich um Referenzen angehen. «Das ist im Zirkus nicht üblich, und ich kann es auch nicht proben», sagt Hinzens Schöpfer und Darsteller, der Komiker, Schauspieler und Autor Viktor Giacobbo. Hinz ist ein ausgesprochen leutseliger, stets gut gelaunter Typ, der niemanden wirklich verletzen kann oder will und gerade deshalb bedenkenlos den Satire- Finger auch auf empfindliche Stellen legen darf. «Wir müssen jetzt halt schauen, was daraus wird», gibt sich Giacobbo vorsichtig. Ab dem nächsten Freitag wird man mehr wissen. Dann nämlich feiert der Zirkus Knie in Rapperswil mit seinem Programm «Knie – sooo guet!» in Rapperswil Saisonpremiere.

Für Giacobbo ist klar, dass er in der Manege gelegentlich über Themen improvisieren wird, die am jeweiligen Gastspielort gerade aktuell sind. Politsatire indes darf man nicht erwarten. «Witze über Politiker und Parteien funktionieren beim Publikum des Spätabendprogramms im Fernsehen. Aber der Zirkus ist dafür der falsche Ort; da gehen Leute aus allen Gesellschaftsschichten hin.» Giacobbos köstlichen Ueli Maurer werden wir also nicht sehen, dafür aber das Kamel Suleika sowie kurze Zwischenspiele des kurligen Inders Rajiv und der schrillen Debbie Mötteli als Kontrast zum schmuddeligen Randständigen mit Plasticsack. Mehr Figuren liegen nur schon aus technischen Gründen nicht drin: Giacobbo muss die Maske nämlich selber besorgen.

Seine vierbeinige Partnerin Suleika hat es dem Winterthurer Komiker besonders angetan. Er schwärmt vom bequemen Reiten zwischen den Höckern des Trampeltiers. Der Umgang mit Tieren sei hier vorbildlich, lobt er beim Gespräch im «Knie-Stübli», einem an die grosse Tierhalle beim Kinderzoo in Rapperswil angebauten Raum mit Fensterfront zur Übungsmanege. Dort trainieren Fredy und Géraldine Knie sowie der Stallmeister und seine Crew gerade die neue Freiheitsdressur mit den Palominos und den Friesen. Keine Peitsche knallt und kein lautes Wort ist zu hören, dafür werden die Pferde viel getätschelt und gestreichelt und auch mit kleinen Happen belohnt.
Ausser Zirkus schon alles ausprobiert

Mit Fredy Knie ist Giacobbo schon lange befreundet. Dieser hatte ihn seit Jahren zu einem Gastspiel zu überreden versucht. Jetzt sei die Zeit reif dafür, sagt Giacobbo. Er habe mittlerweile schon fast alles ausprobiert – Radio, Fernsehen, Kabarett, Theater, Film, Kolumnenschreiben, aber noch nie eine ganze Saison lang im Zirkus gearbeitet. Bei der Vorbereitung seines Programms hilft ihm Urs Wehrli alias Ursus als Coach. Mit seiner Bühnenpartnerin Nadeschkin hat Ursus bereits Zirkuserfahrung gesammelt.

Giacobbo schätzt Wehrli als kritischen und anregenden Gesprächspartner und Begleiter – genauso wie Fredy Knie. Dieser habe ihm als Programmverantwortlicher nicht die geringsten Vorgaben zum Inhalt seiner Nummern gemacht, sei ihm aber stets ein guter und humorvoller Ratgeber. Überhaupt verfüge die Familie Knie über viel Humor und auch eine gute Portion Selbstironie.

Künstlerische Freiheit, Selbstironie und Witz: Das sind beste Voraussetzungen für ein weiteres Erfolgskapitel in der Geschichte der Zusammenarbeit zwischen dem Zirkus Knie und Grössen der Schweizer Kleinkunstszene.

Am Freitag, 24. März, hat das neue Programm des Zirkus Knie, «Knie – sooo guet!», in Rapperswil Premiere. Die erste Station der anschliessenden Tournee ist Wetzikon (28./29. März).

Fredi Hinz geht zum Zirkus

20. März 2006, Neue Zürcher Zeitung, von fsi

Viktor Giacobbo als «Zugkamel» des neuen Knie-Programms Nach Kabarett, Theater, Fernsehshows und Film nun eine Saison im Zirkus: Ab dem […]

«Undercover» – eine Deutschschweizer Kriminalkomödie von Sabine Boss mit Viktor Giacobbo

 

Der Vergleich von «Undercover» mit «Ernstfall in Havanna» (2002) ist nicht nur naheliegend – er wird von der jüngsten Produktion der Zürcher Vega-Film geradezu ultimativ eingefordert. Zwar heisst die Hauptdarstellerin nicht mehr Sabina Schneebeli (die wir übrigens gern einmal in einer etwas ordinäreren Rolle gesehen hätten), doch das erscheint angesichts des Barrique-Ausbaus von Viktor Giacobbo zum Superstar sekundär: Giacobbo, der nicht nur als Drehbuchautor, zusammen mit Domenico Blass, sich die Hauptrolle auf den hageren Leib geschneidert hat, sondern, als Koproduzent neben Ruth Waldburger, auch finanziell beteiligt ist. Erneut spielt er einen Bundesbeamten, nach dem trotteligen Botschaftsangestellten nun aber als der Mann für alle Fälle einen verdeckten Ermittler der Bundeskriminalpolizei. Anders als «Ernstfall in Havanna» mit seinem argen Durchhänger in der Mitte, aus dem er sich nur mit Mühe, in einem überraschenden Finale dann aber umso glanzvoller herausarbeitete, ist «Undercover» gleichmässiger gestrickt, fällt dafür zum Ende hin vielleicht etwas ab.

Sprachwitz

Was an «Ernstfall in Havanna» gefiel und ihn über die gängige Deutschschweizer Dialektkomödie hinaushob, war nicht nur der beständige ironische Seitenblick aufs Politische, sondern auch die einfallsreiche Verwendung der Sprache mit Dialekt, Hochsprache, Spanisch und Englisch. Dasselbe findet sich in «Undercover» wieder, der mit Arabisch als Einmaleinlage anhebt und in der Folge neben Dialekt und Hochsprache vor allem Italienisch zu hören gibt. (Die nächste Herausforderung für die Produzentin von Godard und Resnais wäre wohl das Französische, mit dem sich vielleicht sogar der Sprung in die Romandie schaffen liesse . . .) Die vergnügliche anagrammatische Verfremdung von Filmtitel («Con verdure»), Funktionen («Geier» – Regie) und Namen im Vorspann reflektiert schliesslich neben der witzigen Sprachspielerei auch das Prinzip der Verwechslung, wie es den (hier parodierten) Agentenfilm charakterisiert.

Bis zur Schmerzgrenze karikiert erscheint die ihr «ithaliano» radebrechende Deutsche (eine genüsslich nachsynchronisierte Gabi Bär-Richner). Und für ungetrübtes Vergnügen sorgt Hanns Zischler (den wir in durchaus guter, wenngleich etwas uniformer Erinnerung hatten) in seiner möglicherweise besten, zweifellos aber bisher komischsten Rolle als deutscher V-Mann der Schweizer Bundeskriminalpolizei, wenn sein Landsbichler, auf die Anrichte zeigend, die sich unter der Last der Köstlichkeiten nur so biegt, die «traditionelle sardische Küche» als «Armeleuteküche» bezeichnet oder sein auffälliges Spesengebaren mit «vergänglichen Repräsentationsrequisiten aus dem Piemont» begründet. Wie denn der Anteil der Gastronomie an der Verbrechensbekämpfung nicht unerheblich ist.

Rund ein Dutzend spielfreudige italienische Darsteller sorgen für Lokalkolorit in Porto Maggiore (gedreht wurde in Porto Santo Stefano und Orbetello): so der Operetten-Mafioso, der pomadige Bürgermeister (David Pietroni), der dekorative Carabiniere. Sabine Boss holt mit den Schauspielern aus den Figuren heraus, was ihnen das Drehbuch zugesteht. Aber letztlich geht es nicht um Entwicklung, wo bloss Typen angelegt sind, nicht einmal bei der Hauptfigur. Boss lässt Giacobbo schön zwischen linkisch und lässig agieren, bald als frisch geschiedenen Ex-Ehemann, bald als strapazierten Liebhaber und ausgefallenen Lover (der «undercover» eine neue Bedeutungsvariante hinzugewinnt), als überforderten Vater oder kampfsporttechnisch versierten Supercop.

Kabarett statt Satire

Der Film besitzt zwar eine durchgehende Erzählhandlung, die, nach einem Prolog in «Afghanistan», von Bern über Porto Maggiore zurück nach Zürich führt. Im Mittelpunkt die «mannstolle», «karrieregeile» Chefin der Bundeskriminalpolizei (Nana Krüger), deren Aspirationen auf den Posten der Bundesanwältin durch die Entwicklung der Dinge in Italien bedroht werden, wo Kokain und Geldwäscherei nach kreativen Lösungen rufen. Wenn sich dabei der Eindruck eines gewissen Nummerncharakters einstellt, dann wesentlich wegen einer Parallelhandlung, die durch beständige Zwischenschnitte den Gang der Dinge bremst. Darin hat sich die besorgte Mutter (Sylvie Rohrer) laufend beim genervten Ex nach dem Wohlergehen der Tochter (Anna Schinz) zu erkundigen, während im Übrigen vermittelt wird, dass Harley-Davidson-Fahrer Deppen sind.

Trotzdem will der Film den Schritt zur wirklich bissigen Satire nicht tun. In der Figurenzeichnung wie in der Episodenstruktur der Erzählung bleibt er bei der Nummernfolge des Kabaretts. Was uns Fans von «Viktors Spätprogramm» zum Finale noch etwas Blocher (Walter Andreas Müller) und Del Ponte (Birgit Steinegger) beschert. Was aber vielleicht auch aus dem Stoff hätte werden können, das suggerieren die wenigen Momente, in denen Teco Celio im Bild ist. Sein Tessiner Grottowirt Fumasoli, der aus einem betrügerischen Geschäft aussteigen will und nun von bösen Buben Kooperation eingebläut erhält, zeigt mit knappsten mimischen und gestischen Mitteln, was ein wirklicher Schauspieler ist. Das ist dann kein Kabarett mehr.

Christoph Egger

«Undercover» startet am Donnerstag, 3. November, mit 50 Kopien in den Deutschschweizer Kinos.

Con verdure oder Ernstfall in Porto Maggiore

2. November 2005, Neue Zürcher Zeitung, von Christoph Egger

«Undercover» – eine Deutschschweizer Kriminalkomödie von Sabine Boss mit Viktor Giacobbo   Der Vergleich von «Undercover» mit «Ernstfall in Havanna» […]

Die neuste Eigenproduktion des Casinotheaters ist eine gerissene Sache: VR- Präsident Viktor Giacobbo hat die amerikanische Filmkomödie «The odd couple» («Ein seltsames Paar») auf Schweizer Verhältnisse übertragen und Talente um sich geschart, die den Abend zu einem Höhepunkt in der Geschichte dieser Bühne machen.

 

Lachen mit Walter Matthau war schön, lachen mit Mike Müller ist schöner. Weil mit Erkenntnis verbunden. Vergessen ist alles, was wir bisher im Videogeschäft unter «Autor: Neil Simon; Titel: «The odd couple; Cast: Walter Matthau (Oskar), Jack Lemmon (Felix) u. a.» ausliehen, um Männer zu verstehen – in Winterthur steht eine Beziehungskrise auf der Bühne, die unsere relativiert.

Das Erfolgsrezept dieses Abends ist so einfach wie raffiniert. Man nehme eine Komödie, die Filmgeschichte schrieb, gewinne für die Hauptrollen zwei der landesweit beliebtesten Komiker (Mike Müller und Viktor Giacobbo) und besetze die Nebenrollen ebenso gefühlvoll mit Publikumslieblingen mit dem Profil einer Katharina von Bock, eines Peter Fischli oder Marcus Fritsche. Dann gebe man das Ganze in die Hände und den szenischen Ofen eines erfahrenen Regisseurs mit dem Talent, aus unterschiedlichsten Schauspielerpersönlichkeiten das Beste zu filetieren – und fertig ist: «Ein seltsames Paar», inszeniert von Stefan Huber, die Geschichte des Niederganges einer Pokerrunde, eines Männerhaushaltes und der Freundschaft eines gefühlvollen Neurotikers (Giacobbo: Felix, ein Nachrichtenredaktor) mit einem liebenswerten Ekel (Müller: Oskar, ein Sportreporter).

Und fertig ist? Nein, hier beginnt es erst. Entscheidend sind zwei Punkte. Der erste mag im Grunde zweitrangig sein, doch beteiligt am Erfolg ist auch sie, die Adaption amerikanischer Grossstadtverhältnisse in den sechziger Jahren auf städtische Zürcher Verhältnisse von heute. Viktor Giacobbo hat, vielleicht nicht immer unaufdringlich, die New Yorker Chiffren eines Junggesellenlebens nach Zürich West transponiert (in ein weisses Loft von Christoph Schubiger) und spielt mit Bezügen zu Zeit und Ort. Die Dialektübertragung setzt auf Figuren heutigen Zuschnittes – die, let’s say: einen Lifestyle verkörpern -, und das ist nicht nur eine Extravaganz. Auf der Bühne stehen die Archetypen zweier Lebensmuster, wie man sie von Gault- Millau lernt oder aber in therapeutischen Selbsthilfegruppen trifft: der verrauchte, verschwitzte, versoffene Oskar contra den bis zur Zahnlosigkeit gezähmten neuen Mann in der Figur des Putz- und Jammerlappens Felix.

Sie beide spielen dem zweiten Punkt des Erfolgs in die Hand und verantworten, dass die Komödie in ihren besten Momenten nicht in Klamauk, sondern in eine Tragödie kippt. Mike Müller und Viktor Giacobbo haben sich entschieden, jenseits von Jack Lemmon und Walter Matthau ihren eigenen, ambivalenten Charakter zu finden. Giacobbo gibt seinem vermeintlichen Opferlamm Felix das Bewusstsein über seine Macht und eine Boshaftigkeit mit, die ihn lebensecht macht. Und Müller, ja Mike Müller entdeckt uns im vermeintlichen Misanthropen Oskar eine Vielschichtigkeit, wie man sie in dieser Generation Schweizer Bühnendarsteller selten sieht. Lachen mit Matthau war grossartig, lachen mit Müller ist besser. Weil wir vom Dilemma des modernen Mannes selten so viel verstehen wie hier auf einer Bühne.

Winterthur, Casinotheater, 1. September bis 1. Oktober.

Felix (in) Winterthur – Ein Theater schenkt der Stadt ein seltsames Paar

2. September 2005, Neue Zürcher Zeitung, von Daniele Muscionico

Die neuste Eigenproduktion des Casinotheaters ist eine gerissene Sache: VR- Präsident Viktor Giacobbo hat die amerikanische Filmkomödie «The odd couple» […]

Fredi Hinz ist zurück, «unstoned» (fast) – ein Hörbuch

 

Zwei Jahre mussten wir auf ihn warten, und es hat sich gelohnt. Ob er sein Time-out als Proband einer Studie über die Cannabis-Behandlung bei Migräne genutzt oder in Nepal den Hausbau mit Thermo-Hanf evaluiert hat, bleibt wohl ewig ein Gerücht. Fredi Hinz jedenfalls, nach Polo Hofer der Schweiz liebster Kiffer, meldet sich zurück, frisch zugedröhnt, mit einem Hörbuch von bewusstseinserweiternder Wirkung. Man darf hier also durchaus von einem Integrationserfolg eines kreativen Randständigen berichten; die CD ist ein Geschenk für alle, die sich nicht nur zur Weihnachtszeit als Christenmenschen fühlen wollen.

«Fredi Hinz unstoned» nennt sich der Diskussionsbeitrag aus einer Welt, die wir Nüchternen nur zu gerne marginalisieren: die Existenz jener, die an der Hand ihres Gassenarbeiters auf den Strassen des Lebens unterwegs sind. Dass sie, die Sozialarbeiter, im Grund eine Schweizer Erfindung sind und Tellensöhne allesamt («Aus dieser hohlen Gasse . . .»), lernen wir bei Hinz. Und wenn bereits im ersten Kapitel ein solches Exemplar zu Wort kommt – in den Worten von Viktor Giacobbo -, begreifen wir zudem, dass «Sozialarbeitergesülz» (Fredi Hinz) die rezeptfreie Alternative zu Valium ist. Das ist, nach lediglich fünf Minuten Genuss, unser erster Erkenntnis-Flash. – Der zweite folgt dem ersten auf dem Fuss, der naturgemäss ein schlecht durchbluteter ist: Fredi Hinz enttäuscht uns auch nach seinem temporären Rückzug ins Private nicht und tritt Hinz-gemäss «stoned» vor sein Publikum. Sein Manager Giacobbo freilich will das Leitmotiv der CD – «stoned» beziehungsweise das Gegenteil – mit einem ethischen Imperativ verbunden wissen, nämlich Hinz nicht zu «steinigen», ihn nicht auf seinen Haschkonsum reduzieren zu wollen. Das wäre in der Tat ein Missverständnis, genehmigt er sich doch bekannterweise vom Meerschweinchenheu bis zum Fliegenpilz die vielfältigsten Stimmungsaufheller.

Hinz hat sich für seine Wortmeldungen auf kompakter Disc viel, vielleicht zu viel vorgenommen. Er politisiert zu aktuellen Themen, unterhält sich mit Jean Ziegler (Walter Andreas Müller) und Peter Bichsel (Mike Müller) oder hält eine bildungsbürgerliche Totenwache – während deren er das bekannte Öko-Gedicht «Gefunden» von Goethe selig fleddert. Dass Hinz das Blümchen des Weimarer Geheimrats indes vertrocknen lässt, hat gewiss mit dem pathologischen Selbsthass der Randständigen zu tun. Doch glücklich ist, wer sich selbst dafür hält: Hinz weiss sich zu helfen, er wird den welken Lyrismus in seine Pfeife stopfen und rauchen . . .

Es ist hier nicht der Protagonist, der uns nachdenklich stimmen muss. Bedenklich ist die Verfassung von Peter Bichsel mit der Stimme von Mike Müller, der vor seiner eigenen Sprachlosigkeit kapituliert. Mag er uns zwar mit unerwarteten musikhistorischen Einsichten überraschen («Mick Jagger ist der Willi Ritschard des Rock’n‘ Roll . . .»), Bichsels Nihilismus besitzt mittlerweile eine Nietzschesche Dimension. Wenn Fredi Hinz ihm für den Fortsetzungsband nicht ein, zwei Magic Mushrooms über den Tisch schieben wird, ist für den Freund des Rebensaftes mit dem Schlimmsten zu rechnen.

Viktor Giacobbo: Fredi Hinz unstoned. Verlag Kein & Aber, Zürich 2005. Fr. 22.-.

Blowing in the wind – Choralkantate für Cannabis

5. Juli 2005, Neue Zürcher Zeitung, von Daniele Muscionico

Fredi Hinz ist zurück, «unstoned» (fast) – ein Hörbuch   Zwei Jahre mussten wir auf ihn warten, und es hat […]

Drei Jahre nach Eröffnung, ein Jahr nach Antritt des neuen künstlerischen Leiters Paul Burkhalter hat sich das privat finanzierte Casinotheater Winterthur zum Kompetenzzentrum für die Kunst der Unterhaltung entwickelt. VR-Präsident Viktor Giacobbo konstatiert gar eine neue Aufbruchstimmung. Mit einer glamourösen Benefizgala wird am Wochenende für Goodwill geworben – und Geld gesucht.

 

Winterthur ist gemeinhin so glamourös wie Schinznach Bad bei Wassermangel. Diesen Samstag aber mag Zürich erbleichen: Alles, was Rang und Namen hat in der Schweizer Kabarettszene, gibt sich im Winterthurer Casinotheater ein Stelldichein – und wer es wagt, für die Gäste wurstige Umschreibungen zu wählen, lässt ausser acht, dass jedes Land die Prominenz hat, die es verdient. Paola & Kurt Felix, Franz Hohler, Joachim Rittmeyer, Lorenz Keiser, Beni Turnheer, Vera Kaa, Patrick Frey zum Beispiel – und als heimlicher MC, Master of Ceremony, Viktor Giacobbo – sind die Künstler, die an der ersten Benefizgala des Casinotheaters für das Casinotheater einem illustren Publikum aus Finanz und Wirtschaft die Nacht unvergessen machen wollen.

Warum eine Benefizgala in eigener Sache? Hat man sich an der Stadthausstrasse vor drei Jahren mit der Gründung eines Hauses von Künstlern für Künstler finanziell übernommen? Zumal absehbar war, dass man – für Theater gemeinhin ein selbstmörderischer Gedanke – ohne Subventionen auskommen müsste? Die Zahlen der Auslastung 2004 für die insgesamt 277 öffentlichen Veranstaltungen (2003: 272) strafen solche Spekulation Lügen: Sie betrug 2004 durchschnittlich 73,2 Prozent (68 276 Besucher) und hat, verglichen mit 2003, sogar eine leichte Zunahme erfahren (65,8 Prozent, 65 537 Besucher). 2004 belief sich das Gesamtbudget auf 6,7 Millionen Franken; dieses Umsatzziel wurde erreicht, weshalb 2005 das Budget auf 6,8 Millionen Franken erhöht werden konnte. Als Sponsor ist 2004 neu die Zürcher Kantonalbank eingestiegen.

Natürlich sind Zahlen das eine und oft zu geschönt, um wahr zu sein. Doch die Stimmung am Haus ist tatsächlich so frühlingshaft, dass man billig von einem zweiten Aufbruch durch eine neue Casino-Generation sprechen kann. VR-Präsident Viktor Giacobbo jedenfalls konstatiert für sein Theater eine «interne Kreativität auf einem Höhepunkt», die in allen Bereichen Neues möglich mache. Durch «eine inhaltliche Beteiligung der Küche» etwa können neu thematische Lesungen angeboten werden. Als nächste steht etwa ein Muttertagsmenu an, bei dem alle Mütter glücklich gekocht werden sollen, während der satirische Psychoanalytiker Peter Schneider dem Mutterglück zusätzliche Hilfestellung leisten wird. Die Leitung der Küche, des Restaurants und des Event-Betriebs liegt nach Abgang Thomas Keels bei der internen Nachwuchskraft Tamara Cortese.

Das Profil des Theaters – von vielen Künstlern baulich und atmosphärisch als das schönste in der Schweiz gerühmt – hat sich in der Amtszeit von Paul Burkhalter noch einmal geschärft: Es darf sich im Jahr vier seines Bestehens als führendes Komödienhaus des Landes bezeichnen. Sein Leistungsauftrag wird breit, das heisst unprogrammatisch definiert, so dass unter ein und demselben Dach die schärfste real existierende Politsatire (Mathias Deutschmann) ebenso ihr Publikum findet wie der Flachwitz des beliebten Chaos-Theaters Oropax. Der Wermutstropfen: Der Profilierung des Casinotheaters ist möglicherweise das kulturpolitisch unentschuldbare Ende des Zürcher Bernhard-Theaters zupass gekommen. So wird man in Winterthur allein im Monat April vom einzigen Schweizer Gastspiel Alfred Bioleks profitieren, der den «Ring des Nibelungen» vor Gericht stellt; von einer Lesung des «Titanic»-Kolumnisten Max Gold oder der Schweizer Premiere einer Märchenstunde von und mit der schamlosen Hella von Sinnen. Aus Zürcher Optik muss gesagt sein: Man findet das Vergnügen nur selten dort, wo man es sucht.

Glamour-Faktor positiv: Das Casinotheater hat sich zum Komödienhaus entwickelt

19. März 2005, Neue Zürcher Zeitung, von Daniele Muscionico

Drei Jahre nach Eröffnung, ein Jahr nach Antritt des neuen künstlerischen Leiters Paul Burkhalter hat sich das privat finanzierte Casinotheater […]

«Women – Women: Chicks in Concert» im Casinotheater Winterthur

Nach der mit Schmelz und Schmiss vorgetragenen Ouverture naht Ungemach. Die pummelige Gabi Muff (Fabienne Hadorn) und ihre nicht mehr ganz taufrische Gotte Debbie Mötteli (Viktor Giacobbo) verirren sich ins Casinotheater Winterthur, wo das Orchester Musikkollegium Winterthur ein Konzert gibt. Das Duo infernal stösst beim hübschen Dirigenten (Marc Kissoczky) zunächst auf wenig Begeisterung. Dafür erhält das Publikum Einblick in die Gefühlslage eines weiblichen Teenies im postfeministischen Zeitalter. Mit jugendlicher Unbekümmertheit erklärt Gabi ihrer Gotte die heutige Welt, während Debbie in gewohnter Manier für den Bereich jenseits der Gürtellinie zuständig ist.

Dennoch gelingt es dem Dirigenten, das angekündigte Musikprogramm durchzuziehen. Fein abgestuft erklingt die Suite aus «The Fairy Queen» von Henry Purcell, mit kräftigem spanischem Kolorit die Carmen-Suite von Georges Bizet, die ja bekanntlich zu Ehren des «Music Star» Carmen Fenk komponiert wurde. Und genau dahin wollen die beiden Frauen: Gabi soll die nächste Staffel der Casting-Show gewinnen.

Nachdem die Gotte in Leopold Mozarts Kindersinfonie mutig vorangegangen ist, erweist sich auch der Teenie an der Ratsche als ausreichend begabt, um zum grossen Finale antreten zu dürfen. Noch ein schmissiger Strauss-Walzer, und dann greift Gabi zum Mikrofon und gibt mit tatkräftiger Unterstützung des Orchesters, das auch diese Streicherseligkeit glänzend zu bewältigen weiss, den «Titanic»-Song zum Besten. Die Vermählung von U- und E-Musik glückt. Ob bald eine Kuschelrock-CD dieses neuen Dream-Teams zu erwarten ist?

Ü-Musik

27. Februar 2004, Neue Zürcher Zeitung, von j.h.

«Women – Women: Chicks in Concert» im Casinotheater Winterthur Nach der mit Schmelz und Schmiss vorgetragenen Ouverture naht Ungemach. Die […]

Viktor Giacobbo über dreizehn Jahre Fernsehunterhaltung

Am kommenden Mittwoch ist «Viktors Spätprogramm» zum letzten Mal zu sehen. Dreizehn Jahre lang prägte diese Sendung die Deutschschweizer Vorstellung von Fernsehsatire. Gerda Wurzenberger hat sich mit Viktor Giacobbo darüber unterhalten.
Viktor Giacobbo, Sie haben dreizehn Jahre lang eine Satiresendung für SF DRS gemacht. Sie sind so etwas wie die personifizierte Satire dieses Senders. Was waren die Bedingungen?
Giacobbo: Sie meinen, ob wir eine spezielle Art von Programm machen mussten? Das war überhaupt nicht so. Wir sind angetreten mit unserer Art von Humor, mit unserer Vorstellung von Unterhaltung. Die Sendung hat mit mir bzw. mit unserem Team zu tun und nicht mit dem Schweizer Fernsehen. Uns hat niemand dreingeredet.
Das Programm von SF DRS hat eine ganz bestimmte Ausstrahlung. Gewisse Dinge sind möglich, andere nicht. «Viktors Spätprogramm» hat stattgefunden. Was heisst das?
Ich habe es immer bedauert, dass es nicht mehr Fernsehsatire gibt. Aber ich bin verantwortlich für diese eine Sendung und sonst nichts. Wir waren einfach die Ersten, die die Chance einer satirischen Sendung im Hauptabendprogramm bekamen. Und diese haben wir genutzt. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Nun ist aber Schluss mit «Viktors Spätprogramm». Das hat sich ja schon länger abgezeichnet. Was sind die Gründe?
Ich finde, dreizehn Jahre sind eine wahnsinnig lange Zeit im Fernsehen. Ich habe gemerkt, dass es für mich zur Routine wird. Und zum Stress: Während der Dreharbeiten zu «Ernstfall in Havanna» musste ich fürs «Spätprogramm» extra aus Santo Domingo anreisen. Den nächsten Film möchte ich nicht mehr unter diesem Zeitdruck machen.
Hat das Ende von «Viktors Spätprogramm» auch damit zu tun, dass Sie an Grenzen gestossen sind? So quasi: Wir haben alles, was wir wollten, ausprobiert?
Das spielt auch eine Rolle, natürlich. Man ist halt von gewissen formalen Bedingungen abhängig. Wir hatten beispielsweise die besten Imitatoren, die es zurzeit in der Schweiz gibt. Aber auch sie können nicht alle Figuren spielen. Darum hatten wir oft keine Wahl, konnten z. B. keine Couchepin-Nummer machen, wenn Couchepin aktuell war, oder wir haben dafür andere Formen finden müssen. Sonst haben wir in unserem Rahmen durchaus Experimente gewagt. Etwa mein Entschluss, als Kunstfigur zu moderieren – als Debbie Mötteli oder Rajiv. Das ist extrem absturzgefährdet in einer Live-Sendung.
Trotz den vielen Figuren, die Sie gespielt haben, hat man das Gefühl, Viktor Giacobbo sei doch immer derselbe. Hatten Sie nie den Wunsch, einmal ein ganz anderer zu sein?
Eine originelle Frage insofern, als ich meistens das Gegenteil höre. Ich war Redaktor, Autor, Moderator, Schauspieler, Imitator. Ich habe Theater gemacht, Live-Komik, versteckte Komik . . . mehr kann ich nicht. Man hat halt einfach seinen Stil. Dieser Stil bindet ja auch das Publikum. Christoph Marthaler hat seinen Stil, ein Musiker wie Polo Hofer hat seinen Stil, und so haben auch alle Kabarettisten ihren Stil.
Politiker und Politikerinnen waren die wichtigsten Protagonisten Ihrer Sendung. Sind Sie ein politischer Mensch?
Ja, natürlich, ich war immer schon politisch engagiert – persönlich. In letzter Zeit vor allem in Sachfragen, weniger parteipolitisch. Ich muss mich jeden Tag informieren. Ich brauche das. Politik ist ja auch ein Grundstoff der Satire – ein Grundstoff, der uns zur Unterhaltung dient, da muss man sich keine Illusionen machen. Satire ist eine Unterhaltungsform, die die Realität mit einbezieht und in der man den eigenen Standpunkt darlegen kann.
Wenn Sie Politiker als Gäste einladen, bieten Sie diesen dann nicht eine günstige Plattform?
Na und? Wenn es unterhaltsam ist, warum nicht? Auf dieser Plattform zeigt ein Politiker oft mehr von sich, als wenn man ihm die ultimativ kritische Frage stellt. Man kann einem Blocher oder einem Bodenmann keine neue Frage stellen. Wenn sie aber versuchen, lustig zu sein, oder wenn sie über etwas anderes reden als ihr Kernthema, dann ist das häufig aufschlussreicher.
Christoph Blocher war für mich ein Gegenbeispiel. Er hat es in Ihrer Sendung geschafft, immer wieder auf seine Themen zu kommen.
Ja, natürlich. Aber das ist doch auch eine Erkenntnis. Ich habe Blocher beispielsweise auf seine Methode angesprochen, immer dann, wenn er etwas nicht wahrhaben will, «vo dem weiss i nüt!» zu sagen. Und gleich darauf hat er es wieder gesagt! Das muss man dann eben heraushören. Ich wurde jahrelang gefragt: Warum ladet ihr nicht den Blocher ein? Und ich habe geantwortet: Weil ich weiss, wie es ist, wenn der Blocher kommt. Das kann man im Voraus sagen.
Warum haben Sie ihn trotzdem eingeladen?
Ich wollte es einfach versuchen. Ganz spontan.
Wie lautet Ihr Fazit? Waren Sie zufrieden?
Ja, es war ein schnelles und amüsantes Gespräch. Aber es war von vornherein klar: Die Linken werden es schlimm finden, dass der jetzt wieder ein Forum bekommt. Aber diese Leute überlegen sich nicht, dass sie halt einmal selber dieses Forum besetzen müssten. Ich wünschte mir, es gäbe auf der linken Seite jemanden, der so zu fighten versteht wie ein Blocher.
Warum wollten Sie überhaupt Politiker in Ihrer Sendung haben?
Aus Unterhaltungsgründen. Weil wir politische Unterhaltung machen. Ich bin übrigens der Ansicht, dass ich nicht immer das letzte Wort haben muss. Ich lade die Leute nicht ein, um zu zeigen, wie schlagfertig ich bin. Ich hoffe, dass meine Gäste punkten, dass sie Applaus holen. Ich will nicht der Hauptakteur sein.
Ist es schwerer, linke Politiker zu provozieren?
Nein, im Gegenteil, leichter. Weil eben viele Linke oder Progressive das Gefühl haben, sie hätten ein Recht auf Satireverschonung. Sie glauben, Satire sei immer nur gegen die Rechten. Wir haben nie Rücksicht genommen auf politische Vorgaben.
Wie waren die Reaktionen auf die Verkündigung des Endes von «Viktors Spätprogramm»?
Viele Leute bedauern es. Aber das muss man alles auch relativieren. Es ist einfach eine Sendung, die zu Ende geht. Und wir hören auf, obwohl wir sehr erfolgreich sind. Aber: Wir haben nie auf Quoten gesetzt. Als Harry Hasler richtig bekannt wurde, hab ich ihn praktisch nicht mehr gespielt. Dabei hätten wir damit billig Quoten machen können. Ganz billig.
Das wäre halt eher kurzfristig gedacht gewesen.
Ja, natürlich. Aber Fernsehen wird nun mal nicht für die Ewigkeit gemacht. Im Gegensatz zur gehobenen E-Kultur, wo Ewigkeit schon im Exposé lauert.

Kein linkes Recht auf Satire-Verschonung

6. Dezember 2002, Neue Zürcher Zeitung, von Gerda Wurzenberger

Viktor Giacobbo über dreizehn Jahre Fernsehunterhaltung Am kommenden Mittwoch ist «Viktors Spätprogramm» zum letzten Mal zu sehen. Dreizehn Jahre lang […]

Liegt’s an der Brille? Am etwas biederen Aussehen? Oder am schüchternen Auftreten, das nur scheinbar den hinterlistigen Witz verbirgt? Der Vergleich mit Woody Allen mag Viktor Giacobbo, dem Deutschschweizer Satiriker vom Dienst, wohl selber etwas hoch gegriffen erscheinen, eine Ähnlichkeit ist aber tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Selbst die Eigenheit, sich unter Verleugnung jeder Intelligenz gerne als trotteligen Versager hinzustellen, teilen der weltberühmte Komiker aus New York und seine Taschenausgabe aus Winterthur. Womit Giacobbo den illustren Amerikaner aber mühelos in den Schatten stellt, ist seine Verwandlungskunst. Seine zahlreichen Alter Ego sind schon beinahe beliebter als er selber. Oder mindestens bekannter, denn wer dieser Viktor Giacobbo wirklich ist, wissen wohl nur wenige.

Rosmarie Pfluger hat den Wandelbaren für die 3sat-Reihe „Zeitgenossen“ porträtiert. „Viktor Giacobbo: Die Schweizer Lachnummer eins“ heisst ihre halbstündige Dokumentation, die den empfindsamen Komiker auch über unsere Landesgrenzen hinaus bekannter machen wird. Der Titel lässt erahnen, dass es hier weniger um den Privatmann, seine Biographie oder gar seine Überzeugungen geht als um die öffentliche Figur, jenen sehr bewusst gestalteten Charakter, der seit nunmehr zwölf Jahren mit „Viktors Spätprogramm“ seine Bewunderer vor den Bildschirmen vereint.

Giacobbos Medienpräsenz ist gerade jetzt stärker denn je: Erst kürzlich hat er ja als Drehbuch-Co-Autor und Hauptdarsteller von „Ernstfall in Havanna“ erstmals Filmluft geschnuppert, und rund um die Eröffnung des Casinotheaters Winterthur sorgte er auch als Kulturunternehmer für viel Publicity. Fast machte es den Eindruck, als laufe der routinierte Vielarbeiter Gefahr, im Stress seine Kreativität zu verlieren. In diversen Publikationen wussten die Kritiker jedenfalls plötzlich an seinen Sendungen herumzumäkeln. Es fehle der Biss, hiess es, und die jahrelange Bildschirmpräsenz habe den Satiriker ausgelaugt. Ein Urteil, das sich allerdings (noch) nicht in den Einschaltquoten niederschlägt. Eine gewisse Ermüdung wäre aber verständlich, wenn man bedenkt, dass Giacobbo nicht nur Fernsehen, Film und Theaterbau unter einen Hut bringen musste, sondern gleichzeitig auch Objekt von Pflugers Dreharbeiten war.

Sie gibt einen sehr kurzweiligen Einblick in Giacobbos Schaffen. In fast zu knapp gehaltenen Einspielungen passieren Teile seines Werks Revue: Die Parodierungen von Ueli Maurer und Roger Schawinski, der rasend radebrechende Rajiv, die trottelige Debbie Mötteli und der stets sedierte Freddy Hinz zeigen den Imitator (und seine Maskenbildnerin Hedvika Salzmann) in Höchstform. Wer Viktors Witz noch nicht kennt, dem wird hier der Mund wässrig gemacht. Die raschen Schnitte vermitteln Spannung und steigern die (unbefriedigte) Lust auf mehr.

Deutlich wird dann die starke Position des Entertainers anhand seiner illustren Gästeliste: Moritz Leuenberger und Ruth Dreifuss sind da ebenso anzutreffen wie Thomas Borer oder die immerzu lächelnde Uriella. Natürlich hat Pfluger den „Jungschauspieler“ auch während der Dreharbeiten zu „Ernstfall in Havanna“ besucht und Crewmitglieder über den prominenten Protagonisten befragt. Sie bestätigen, was bereits über den Künstler bekannt ist: dass er überaus freundlich, sehr bescheiden und dabei doch ein durchaus geltungsbewusster Bühnenprofi sei. Ernsthafte Konflikte scheint es bei der Arbeit mit ihm kaum je zu geben. Wer auch immer über den beliebten Parodisten Auskunft gibt, beschreibt ihn als „Everybody’s Darling“.

Dass auch ein Viktor Giacobbo ab und zu an seine Grenzen stösst, formuliert schliesslich der Porträtierte selber, wenn er kurz nach der Eröffnung des Casinotheaters gesteht, in den vergangenen Monaten mitunter wohl unausstehlich gewesen zu sein. So viel Privates ist sonst selten aus ihm herauszukitzeln, und auch die Bilder von seinem Wohnort – steht er da vor seiner Bleibe? – sind in diesem Fall fast schon „Homestory“-tauglich. Natürlich schafft es der Satiriker auch hier mühelos, nichts allzu Persönliches von sich preiszugeben. Seine zuvorkommende Höflichkeit lässt keinen Raum für angriffige Fragen. Wie bei so viel Friedfertigkeit der satirische Witz seiner Sketches gedeihen kann, bleibt im Dunkeln. Da und dort wäre es angezeigt gewesen, etwas provokativer nachzuhaken, die Toleranzgrenzen dieses immer so überlegen wirkenden Mannes abzustecken. Dazu bedarf es ja keiner Schnüffeleien in der Privatsphäre. Pflugers Porträt verbleibt etwas zu respektvoll an der glatten Oberfläche, aber immerhin: Diese wird auf äusserst unterhaltsame Weise zum Glänzen gebracht.

Respektvolle Annäherung an Viktor Giacobbo

3. Juni 2002, Neue Zürcher Zeitung, von ns

Liegt’s an der Brille? Am etwas biederen Aussehen? Oder am schüchternen Auftreten, das nur scheinbar den hinterlistigen Witz verbirgt? Der […]

Komik ist eine ernste Angelegenheit mit strengen Gesetzen. Ob es etwas mit der langen Tradition der direkten Demokratie zu tun hat, dass in der Schweiz immer sehr viel über Komik debattiert wird? Jedenfalls gehören Komödien auch hierzulande zu den erfolgreichsten Filmen im Kino. Doch so grundsätzlich wie etwa in «Die Schweizermacher» oder in «Beresina oder Die letzten Tage der Schweiz» gehen die deutschsprachigen Nachbarn höchstens literarisch mit ihrem Land ins Gericht. Existiert die Schweiz vielleicht doch sehr viel mehr, als wir glauben?

In der neusten Schweizer Filmkomödie geht es unter anderem auch darum, «wie in der Schweiz Politik gemacht wird». Der das sagt, ist nicht nur einer der erfolgreichsten Satiriker (und Komiker) der Schweiz, sondern auch Drehbuchautor und Hauptdarsteller von «Ernstfall in Havanna»: Viktor Giacobbo. Als ihm vor einigen Jahren ein Bekannter erzählte, dass die Schweizer Botschaft in Kuba auch die Interessen der USA vertrete (da die USA bekanntlich keine diplomatischen Kontakte mit Kuba pflegen), da begann es im Satirezentrum von Giacobbos Gehirn zu rumoren. Er setzte die Zürcher Produzentin Ruth Waldburger davon in Kenntnis, die sowieso schon lange einen Film mit Giacobbo machen wollte. – Gemeinsam mit Domenico Blass wurde ein Drehbuch geschrieben und dieses Sabine Boss zum Lesen gegeben, die ihr Talent in der Schauspielerführung mit ihrem ersten Langspielfilm unter Beweis gestellt hatte, der Fernsehproduktion «Studers erster Fall». Sie bestand darauf, das Casting selbst vorzunehmen, da für sie von Anfang an ausgeschlossen war, dass irgendjemand aus dem Umfeld von «Viktors Spätprogramm» mit dabei sein sollte, mit Ausnahme von Giacobbo – und am Ende auch von Mike Müller.

Gedreht wurde dann mehrheitlich in Santo Domingo in der Dominikanischen Republik, wo man laut Sabine Boss bestens auf Filmcrews eingerichtet ist, die keine Dreherlaubnis in Kuba bekommen. Nur Panoramaaufnahmen konnten im wirklichen Havanna gemacht werden. Natürlich wurde dort auch eifrig recherchiert – in der echten Schweizer Botschaft oder im Villenviertel, wo die Botschaftsangehörigen wohnen. Schliesslich sollte eine realistische Komödie gedreht werden, ganz nach dem Motto: «Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind unbeabsichtigt, aber erwünscht.» Ähnlichkeit mit einem typischen Schweizer Bundesrat (gespielt von Jean-Pierre Cornu) beispielsweise, einem amerikanischen Senator, einem US-Präsidenten oder einer CNN-Reporterin. So ist es auch die sehr gelungene Darstellung dieses internationalen politischen Personals, welche dem Film über einzelne schauspielerische Schwächen im «privaten» Teil der Geschichte hinweghilft.

Wie bei einem Krimi soll man auch bei einer guten Filmkomödie die Story niemandem erzählen, der vorhat, sich das Ganze selber zu Gemüte zu führen. Und «Ernstfall in Havanna» ist eine solche gute Komödie. Sie beginnt langsam, fast behäbig. Die Figuren werden vorgestellt, die Fäden ausgelegt, an denen später gezogen werden wird, um jenen Dominoeffekt an komischen Verwicklungen auszulösen, die um ein Haar die weltpolitische Lage aus den Fugen gehoben hätten: Der Schweizer Botschafter in Kuba (Jürg Löw) muss an die jährliche Botschafterkonferenz nach Bern. Nur ungern überlässt er die Amtsgeschäfte seinem mässig begabten Mitarbeiter Stefan Balsiger (Viktor Giacobbo), der sich gern in der Bar der Kubanerin Miranda (Carla Sanchez) herumtreibt.

Kaum «en charge», wird Balsiger auch schon mit einer äusserst heiklen Mission betraut: Er soll sich um US-Senator Russell (Stephen Lack) kümmern, der früher als erwartet zu Geheimgesprächen mit der kubanischen Regierung in Sachen US-Embargo anreist. Eine Kleinigkeit, glaubt Balsiger. Und kein Grund, den Botschafter bei seinem Heimatbesuch zu stören. Doch der Senator tut nicht, was ein braver Schweizer Botschaftsangestellter tun würde, und so ergeben sich alsbald Verwicklungen, die internationales Format annehmen, hat doch eine kritische Schweizer Photographin (Sabina Schneebeli) inzwischen den amerikanischen Nachrichtensender CNC informiert. Und mittendrin steht der kleine Schweizer Balsiger und versucht mit Hilfe seines Natels, seiner schweizerdeutschen «Geheimsprache» und seines etwas trotteligen Sicherheitsbeamten (Mike Müller) die Sache in den Griff zu bekommen.

Es gehört zu den Stärken des Films, dass er die Verwicklungen so weit treibt, dass eine einfache «Ent-Wicklung» nicht mehr vorstellbar scheint. Natürlich geht am Ende doch noch alles gut aus, und zwar ohne massiven Pointen-Einsatz. So wie der Film generell nicht zum Klamauk neigt. Die Pointen sind dezent und gut gesetzt und wirken nur hin und wieder wegen darstellerischer Zaghaftigkeiten (zum Beispiel Viktor Giacobbos) ein bisschen flau. Aber das ändert nichts daran, dass «Ernstfall in Havanna» beste Unterhaltung bietet – unterstützt (auch musikalisch) vom sowieso populären kubanischen Flair – und einen dazu bringt, sich über gewisse Absurditäten der schweizerischen und der Weltpolitik sehr gepflegt zu amüsieren. (Kinos ABC, Corso, Plaza in Zürich)

Kleiner Mann in grosser Mission

13. März 2002, Neue Zürcher Zeitung, von Gerda Wurzenberger

Komik ist eine ernste Angelegenheit mit strengen Gesetzen. Ob es etwas mit der langen Tradition der direkten Demokratie zu tun […]

2017