Viktor Giacobbo

Interview

Der bekannteste Satiriker der Schweiz steigt wieder ins Sägemehl und gastiert ab März im Zirkus Knie. Viktor Giacobbo über die Unterschiede zwischen Nationalzirkus und Nationalfernsehen, Fernsehstudio und Zirkusmanege – und über etwas, worüber er lieber schweigen würde: das Alter.

Herr Giacobbo, ich möchte über ein unattraktives Thema reden: das Alter. Sie treten zum 100-Jahr-Jubiläum nochmals im Zirkus Knie auf, dieses Mal mit Mike Müller. Ist das die Narrenfreiheit des Alters?

Beginnen wir mit einem attraktiveren Thema als dem Alter: Ich wurde seit meinem letzten Engagement 2006 von der Familie Knie immer wieder gefragt, ob ich wieder einmal eine Saison bei ihr gastieren würde. Doch solange unsere Sendung «Giacobbo/Müller» lief, war das kein Thema.

Sie sind 66 Jahre alt, wie stehen Sie zu Ihrem Alter?

«Alter» ist für mich ein eher abstrakter Begriff. Ausser in den Momenten, in denen ich mich im Spiegel sehe. Dann sehe ich nicht nur, was mir gefällt.

Und was missfällt Ihnen an Ihrem Spiegelbild?

Wenn ich nicht in den Spiegel sehe, denke ich, ich sähe aus wie Leonardo DiCaprio. Wenn ich in den Spiegel sehe, sehe ich aus wie Viktor Giacobbo!

Ist das nun eitel oder alterskokett? Etwas an Ihnen wird Ihnen wohl gefallen.

Viel ist es tatsächlich nicht. Aber manchmal, wenn ich Gleichaltrige treffe, denke ich: Das kann nicht sein, dass ich mit denen zur Schule ging, das müssen meine Eltern sein!

Ist ein Mann im Alter von 66 Jahren eigentlich ein älterer Herr oder ein Senior?

Er ist ein Mann in den Sechzigern, ein älterer Herr, wenn Sie so wollen. Aber mein Alter interessiert mich nicht wirklich. Man muss verdammt aufpassen, dass man nicht in die Banalitätenfalle gerät, wenn man darüber spricht. Ich meine, es gibt ein paar Banalitäten, die stimmen: Man kann zum Beispiel als biologisch älterer Mann geistig jung sein. Im Gegensatz dazu gibt es Dreissigjährige, die bereits aufgehört haben, neugierig zu sein. Und das ist tragischer, als 66 Jahre alt zu sein.

Die Philosophie kennt die Theorie der Alterskunst, man spricht von einem Know-how, einem Kennen und Können des Altwerdens. Mussten Sie lernen, älter zu sein?

Wieso sollte ich etwas lernen, das sowieso auf mich zukommt? Da halte ich es mit einer anderen Philosophie, und zwar mit jener von Yuval Noah Harari, dessen Buch «Homo Deus» ich gerade gelesen habe. Nachdem Harari mit der Seele und teilweise auch mit dem Geist abgerechnet hat, wagt er es, den Menschen als einen Algorithmus zu definieren. Wie dieser im Alter seine Aufgaben wahrnehmen wird, kann ich nicht beeinflussen. Auch wenn ich mich bemühe, im Alter neugierig zu bleiben – wenn wir denn ein Algorithmus sind, ist auch mein Wunsch, neugierig zu sein, letztlich vom Algorithmus gesteuert.

Der Mensch ist ein Algorithmus, ohne Seele, ohne freien Willen?

Also ohne ein Ich. Was dem Liberalismus den Garaus macht . . .

Dieses satirische Menschenbild spricht Sie als Berufssatiriker natürlich an . . .

. . . nein, hier spricht höchstens der Satiriker, der das Buch von Harari nicht ganz verstanden hat, das kann sein. Deshalb schlage ich vor, dass wir das Gebiet der Philosophie verlassen.

Gibt es Vorteile, 66 Jahre alt zu sein, verglichen mit, sagen wir, 44 Jahren?

Wenn man etwas auf sich hält und geistig noch ein bisschen fit ist, lernt man dazu, nicht jedes Jahr, aber vielleicht im Rhythmus von zehn Jahren. Aber nochmals: Ich habe über das Alter nicht viel zu sagen, es interessiert mich zu wenig.

Was interessiert Sie denn?

Das Leben, die Politik, Freundschaft, die Kultur, Sex!

Grossartig, reden wir über Sex. Hat sich Ihr Sexleben im Alter verändert?

Sicher, es ist vielfältiger geworden, man hat ja mehr Erfahrung (lacht). Dieser Satz wird mir von den Boulevardmedien sicher einmal um die Ohren gehauen.

Nächster Versuch: Gibt es in Ihrer Biografie ein Erlebnis, auf das Sie im Rückblick gerne verzichtet hätten?

Ja, das Frühaufstehen! Auf jedes frühe Aufstehen hätte ich gerne verzichtet. Übrigens, wenn Sie über das Alter reden möchten, ich kann doch etwas zum Thema beisteuern: Senile Bettflucht kenne ich nicht. Bis zehn Uhr vormittags kann ich gut liegen bleiben.

Welches Lebensalter war Ihr schwierigstes?

Ich habe in jedem Alter etwas für mich entdeckt. Als ich beispielsweise sechzehn war, 1968, war der linke Aufbruch toll, man konnte kreative und lustige Aktionen starten. Erst ein paar Jahre später kamen die Ideologie, das Denkverbot und die Neigung zum Sektierertum dazu. Damit war diese Zeit für mich abgeschlossen. Aber das Gute am Alter ist ja, dass man Dinge sein lassen kann. Lieber als in die Vergangenheit sehe ich nämlich in die Zukunft.

In der Zukunft, nächsten März bereits, stehen Sie mit Mike Müller wieder in der Manege. Was ist es an dieser Zirkusliebe, dass man nicht von ihr lassen kann?

Langsam, zuerst spielen wir von Herbst bis Januar das Stück «Giacobbo/Müller in Therapie» – eine Thematisierung unserer TV-Show auf einer Metaebene. Für die Zeit nach der Zirkustournee habe ich Ideen für einen Spielfilm; gleichzeitig aber habe ich keine Lust, bei den Filmförderungskommissionen Klinken zu putzen und um Unterstützung anzufragen. Lieber realisiere ich eine neue Mockumentary im Stil von «Der grosse Kanton», die könnte ich wieder privat finanzieren.

Machen Sie es doch wie Andreas Thiel. Für seinen Spielfilm sucht er keine staatlichen Fördergelder, sondern will ihn mit privaten Sponsoren finanzieren.

Das sehen wir dann, wenn wir es dann sehen.

Was reizt Sie denn daran, wieder ins Sägemehl zu steigen? Zirkustourneen gelten als äusserst strapaziös.

Weil das die tollste Live-Tournee ist, die in der Schweiz möglich ist! Der Zirkus Knie ist weltweit die Nummer eins unter den Zirkussen. Das wird Ihnen jeder Zirkusmensch bestätigen. Viele weltberühmte Zirkusse zeigen heute nur noch Werbeshows für Kinder. Eine traurige Entwicklung. Das private Unternehmen Knie präsentiert weiterhin ein anspruchsvolles Programm mit internationalen Top-Acts, aber als Stargäste werden Schweizer Komikerinnen und Komiker engagiert.

Es gibt also Ähnlichkeiten zwischen einem Studio des nationalen Fernsehens und der Manege des Nationalzirkus?

Die Manege ist viel mehr als ein Fernsehstudio! Man riecht, man improvisiert, man kann die Menschen mit einbeziehen, es kann einiges schiefgehen, Tiere treten auf, und zwar mittlerweile solche, bei denen man kein schlechtes Gewissen haben muss, dass sie auftreten, sondern solche, die in der Manege beschäftigt werden und Freude daran haben. Mike Müller und ich sind wie Fredy Knie junior grosse Tierfreunde, und wir engagieren uns auch dafür. Ich beispielsweise für das Orang-Utan-Programm der Stiftung PanEco.

Sind Sie der ältere Herr, der Sie einmal werden wollten?

Nein, ich hoffe nicht! Als Jugendlicher hat man ja ganz andere Vorstellungen davon, wie man im Alter einmal sein wird. Man transportiert sich, so, wie man ist, ganz einfach fünfzig Jahre in die Zukunft. Meine Generation hat zum Beispiel immer geglaubt, dass wir später einmal in tollen, verrückten Alters-WG leben und Rockkonzerte veranstalten würden. Inzwischen merken wir alle: Na ja, man wird ein bisschen älter . . .

. . . und erkennt heute: Auch klassische Musik hat ihr Gutes?

Überhaupt nicht! Heute sitze ich hier und gebe wider Willen ein Interview über das Alter, obwohl ich eigentlich gar nicht darüber sprechen wollte.

«Wir haben geglaubt, dass wir später in verrückten Alters-WG leben würden»

4. Oktober 2018, Neue Zürcher Zeitung, von Daniele Muscionico

Interview Der bekannteste Satiriker der Schweiz steigt wieder ins Sägemehl und gastiert ab März im Zirkus Knie. Viktor Giacobbo über […]

Walter Andreas Müller und Birgit Steinegger sind abgetreten, jetzt haben die jungen Polit-Parodisten das Sagen. Sie sind unverfrorener und haben ihren Mäzen in Viktor Giacobbo.Papst gibt zu: Wir stammen vom Affen ab.» So lautete die Schlagzeile in den Boulevardmedien, die Viktor Giacobbo auf eine Idee brachte. Im Trailer für seine Satiresendung «Viktors Spätprogramm» spielte er einen ­Pfarrer, der Affen Oblaten verteilt. Die Überlegung: Wenn der oberste Hirte die Evolutionstheorie anerkennt, werden auch Primaten für kirchliche Dienste diensttauglich. Eine pragmatische Sicht, ein programmatischer Schluss. Mit ­Folgen: Für die «Lächerlichmachung der ­Hostie» verurteilte ihn die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) mit Entscheid vom 7. März 1997 wegen Konzessionsverletzung.

«Lächerlichmachung der Hostie» also – nein. Lächerlichmachung von Politikern hingegen – ja. Man nennt diese Art der Verlachung politische Parodie, und der Parodisten-Quo­tient ist landauf, landab so hoch, dass man daraus schliessen muss: Die Schweiz, ein Volk von Untertanen, ist vernarrt in das Genre, das den Mächtigen ans Eingemachte geht. Die dienstälteste Satiresendung der Schweiz, «Zweierleier» mit Walter Andreas Müller und Birgit Steinegger, wurde zwar abgesetzt – nach 28 langen Jahren – und ihre Bundesrat-Parodie «Telefon ins Bundeshaus» aus «Benissimo» gekippt, doch die Talente, die sie ersetzen werden, sind bereits da.

Unheilige Dreifaltigkeit

Aber was ist das denn, politische Parodie? Politische Parodisten wollen Führungspersönlichkeiten und Artverwandtem den Spiegel vorhalten und sie im Kern ihres Widerspruchs treffen. Die versteckte Botschaft, die in Moritz Leuenbergers hängenden Mundwinkeln wie eine Nudel klebt; die unausgesprochene Feindseligkeit einer schweren Ueli-Maurer-Lippe; die sandige Banalität, die ein gut imitierter Roger Federer verbreitet – das Lachen bricht aus, wenn uns die Erkenntnis überfällt. Der Parodist als Spiessgeselle des Publikums dreht den Spiess um, er macht die Verführer zu Vorgeführten. Er befreit uns von unserer Ohnmacht. Und von unserer Verführbarkeit für Führungsfiguren.

Doch ist pure Parodie bereits das Ziel? Wenn Parodie nur Imitation ist, bleibt der Parodist auf halber Strecke stehen. Inhaltlich abendfüllend ist gute Parodie nur, wenn sich Handwerk und Intellekt auf Augenhöhe treffen.

Fabian Unteregger zum Beispiel, auch er bereits strafrechtlich aufgefallen wegen rele­vanten Sauglattismus. Unteregger ist das naturgetreueste «Mörgeli»-Plagiat seit der Er-   findung des besagten Leiters eines Medizinhistorischen Museums. Oder David Bröckelmann. Als «Dr. Klapp» ist er der kabarettis­tische Forschungsreisende in die verquere Psyche der politischen Chorführer. Und Michael Elsener, der jüngste Hoffnungsträger des Genres. Elsener, engelsgesichtig, er ist der Sven Epiney unter den Stimmparodisten. Unteregger, ­Bröckel-   mann und Elsener verkörpern die unheilige Dreifaltigkeit der Parodie, das breite Spektrum der Gattung, drei Namen, drei Typen, jeder für sich mit eigenen Stärken und Schwächen.

Eine Gemeinsamkeit indessen haben sie, sie sind feste Grössen in der Sendung «Giacob-   bo/Müller – Late Service Public», und das mit Grund. Giacobbo ist der Schweizer Parodistenmacher. Wie viele andere Jungtalente auch sind Unteregger, Bröckelmann und Elsener von ihm persönlich, oder von der Redaktion der Sendung, entdeckt worden. So auch die hinreissende Frau mit der Tuba, Irene Brügger alias «Frölein Da Capo». Die Sendung ­«Giacob-   bo/Müller» war deren erste grosse Bühne, hier fanden sie ihr erstes grosses Publikum.

Was führt einen ehrenwerten Satiriker wie Giacobbo dazu, die böse Saat der Parodie in ­alle Winde zu streuen? Ist es seine Lust an subversiver Politarbeit? Das Gegenteil ist wahr. Es sind, so sagt er, kapitalistische Gesichtspunkte. Es ist das Gesetz von Angebot und Nach-   frage. Konkurrenz belebt das Geschäft. «Je mehr Satiresendungen es gibt, umso besser ist es für uns.» Giacobbo begeistert sich also nicht ganz selbstlos für junge Talente; doch er versteht es als sein persönliches Anliegen, Newcomern ein Podium zu verschaffen. Sei’s in seinem ­satirischen Wochenrückblick, dort handfest sogar als Regisseur der Sketche, der den Jungen das schauspielerische Handwerk beibringt, sei’s auf der Theaterbühne.

Er und sein Koautor Markus Köbeli, Partner von Birgit Steinegger, schrieben im Übrigen auch zehn Jahre lang die Texte für Walter ­Andreas Müller. Giacobbo und Köbeli waren die Ersten, die den Schauspieler als Parodisten vor eine Fernsehkamera holten, 1990 in «Viktors Programm». Doch im flüchtigen Medienzeitalter kann nicht Vergangenheit, sondern muss Zukunft interessieren. Und diesbezüglich steht fest: Giacobbos Casinotheater in Winterthur ist eine Talentschmiede und das einzige Haus dieser Grösse, das Nachwuchsförderung als Programm betreibt. Regelmäs-   sige Gefässe wie die «Frischlingsparade», die Weihnachtsvorstellung «Stille kracht», der satirische Jahresrückblick «Bundesordner» oder der «Casino-Slam» sind die Spielplätze junger Parodisten-Hunde; «Frölein Da Capo» zum Beispiel fiel Giacobbo bei einem «Casino-Slam» auf, David Bröckelmanns Entdeckung geschah indirekter, er schickte ihm eine Arbeitsprobe auf DVD.

Dass das Publikum für Neues offener ist, als manche Experten mutmassen, hat Giacobbo am eigenen Leib erfahren. Seiner Pionier­sendung «Viktors Programm» (1990 bis 1994), dem Mix aus Polit-Parodie und Talk mit den Parodierten, gaben Medienspezialisten anfänglich wenig Chance. Erst seit die Neuauflage «Viktors Spätprogramm» (1995 bis 2002) und, ab 2008, «Giacobbo/Müller», wofür die Fernsehverantwortlichen fünf Jahre lang an Giacobbos Tür bettelten, in Spitzenzeiten ­einen Marktanteil von bis zu 57 Prozent haben, sind seine Kritiker ohne Argumente. Unbestritten dabei ist: Die Parodien sind das Kernstück der Sendung, sie sind ausschlaggebend für ihren Erfolg. Und Erfolg hat, was sofort unterhält und unmittelbar belustigt. Ob der portierte Nachwuchs dereinst die Klasse eines Klassikers hat, wird er noch beweisen müssen. ›››

Immerhin, die Konzessionsverletzung von 1997 ist bis heute die einzige ge­blieben. Politische Parodie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist salonfähig geworden. Unverändert aber blieb offenbar die Kritikunverträglichkeit zweier gewiss wesensver­wandter Berufsgruppen. Viktor Giacobbo: «Die Empfindlichsten sind Kirchenleute und Journalisten.»

Der Schöne _ Eine Sketch-Show für seine Mitschüler, der Deutschlehrer gab ihm regelmässig frei, um das Programm auszuarbeiten – Michael Elseners Karriere war früh auf der Spur, auf der er heute ist. Der Zuger, der später Politikwissenschaft studierte und sein Lizenziat über Comedy schrieb, hat drei Stärken, alle hilfreich, um sich ins Herz der Zuschauer zu spielen. Zwei der drei Talente sind allerdings nicht erarbeitet, sondern geerbt: seine blauen Augen und sein blonder Lockenschopf.

Michael Elsener ist der beste Parodist von Kurt Aeschbacher, denn der jugendliche Kabarettist hat mit dem dauerjugendlichen Moderator eine Gemeinsamkeit – beide sind der Traum aller Schwiegermütter. Die höheren Weihen in «Giacobbo/Müller» erhielt Elsener bereits mit 22 Jahren, mit einem Hanf-Medley im November 2008. Im selben Jahr und mit seinem ersten Programm «Schlaraffenland» gewann er den «Kleinen Prix Walo», als ­jüngster Nominierter in der Sparte Kunst. Nach dem Programm «Copy & Paste», einer ­Innenschau ins Handwerk der Parodisten, sprich Politiker, hat er nun sein drittes geschrieben, «Stimmbruch». Figuren im blitzschnellen Rollenwechsel, klassisches Nummernkabarett und als Highlight die Karikatur eines furiosen Langweilers: Didier Burkhalter, wie man ihn kennt und schätzt. Zumindest als Parodierten.

Der Schönböse _ David Bröckelmann ist kein Autodidakt wie die meisten seiner Kollegen, er hat das Theaterhandwerk von der Pike auf gelernt. Er besitzt ein eigenes Ensemble, «Das Theater am Weg», arbeitet seit mehr als fünfzehn Jahren als Darsteller und Regisseur im In- und Ausland, im Theater, in Film und Fernsehen und ist in Basel ein beliebter Charivari-Schauspier. Neben seinen Auftritten als Imitator und Kabarettist entwirft er szenische Stadtrundgänge für Basel Tourismus und schreibt eigene Texte.

Seine Komik ist genial-skurril, besteht aus der Beherrschtheit seiner Figuren – und seine beste ist Matthias Hüppi. Bei ihm nimmt der Sportreporter shakespearesche Züge an, beziehungsweise eine klassische Schwundform: Hüppi wird zu einem Ostschweizer Malvolio. Bröckelmanns überraschendstes Meisterstück ist kein Kabarettprogramm, sondern ein satirisches Hörspiel. Es heisst «Promis auf Achse» und verschneidet Plattitüden mit Cerve-   lat (-Prominenz) und mit der Suche nach dem Heiligen Gral. Das ist ein Ohrwurm, dem man einen idealen Förderer – und uns mehr davon wünscht.

Der Böse _ Er ist der Wahnsinnige unter den Verrückten, der Champion in der Liga der Imitatoren, der Zürcher Fabian Unteregger. Er ist unser Stück Monty Python diesseits des Kanals. Hintersinnig, schwarzhumorig, absurd. Er ist der begabteste Autodidakt seiner Zunft. Hier wird Parodie zu Politsatire und damit zur Kunstform.

Fabian Unteregger, 34 Jahre alt, hat drei Studienabschlüsse in der Tasche, und sein letztes Fach, Medizin, schärft seinen Blick für die ­Physiognomie potenzieller Neuzugänge in ­seinem Parodisten-Repertoire. Der Theatersport-Europameister 2008 besitzt die internationale Privatpilotenlizenz und beherrscht mindestens fünf Fremdsprachen. Als letzte kam Schwedisch dazu, da dieses wie Deutsch ­klinge, «wenn man Wein im Mund hat».

Präzise in Mimik, Gestik und genialisch in der Stimmführung, hat dieser Neue das Potenzial, dereinst in die Liga von Giacobbo auf­zusteigen. Das hat auch das Radio entdeckt. ­Jeden Freitagmorgen zwischen 6.30 und 8.30 Uhr präsentiert Unteregger auf DRS 3 live ­seinen Comedy-Aufwisch der Woche «Zum Glück ist Freitag».

Weniger Glück hatte er letzten Sommer auf Giacobbos Heimterritorium, Winterthur. Kostümiert mit einer echten Polizeiuniform, kontrollierte er vor versteckter Kamera (des Schweizer Fern­sehens) ahnungslose Velofahrer. Bussen ­drohte er den Verängstigten an, und dies offenbar so überzeugend, dass der VCS gut und   gerne Klage hätte erheben können wegen ­«Lächerlichmachung der Pedalisten». Unter­eggers martialische Parodie beschäftigte zwar das Winterthurer Parlament, aber sie führte zu keiner Klage wegen Konzessions­verletzung. Doch was nicht ist, kann ja noch werden.

Plagiat ohne Pardon

26. Januar 2012, Weltwoche, von Daniele Muscionico

Walter Andreas Müller und Birgit Steinegger sind abgetreten, jetzt haben die jungen Polit-Parodisten das Sagen. Sie sind unverfrorener und haben […]

Die neuste Eigenproduktion des Casinotheaters ist eine gerissene Sache: VR- Präsident Viktor Giacobbo hat die amerikanische Filmkomödie «The odd couple» («Ein seltsames Paar») auf Schweizer Verhältnisse übertragen und Talente um sich geschart, die den Abend zu einem Höhepunkt in der Geschichte dieser Bühne machen.

 

Lachen mit Walter Matthau war schön, lachen mit Mike Müller ist schöner. Weil mit Erkenntnis verbunden. Vergessen ist alles, was wir bisher im Videogeschäft unter «Autor: Neil Simon; Titel: «The odd couple; Cast: Walter Matthau (Oskar), Jack Lemmon (Felix) u. a.» ausliehen, um Männer zu verstehen – in Winterthur steht eine Beziehungskrise auf der Bühne, die unsere relativiert.

Das Erfolgsrezept dieses Abends ist so einfach wie raffiniert. Man nehme eine Komödie, die Filmgeschichte schrieb, gewinne für die Hauptrollen zwei der landesweit beliebtesten Komiker (Mike Müller und Viktor Giacobbo) und besetze die Nebenrollen ebenso gefühlvoll mit Publikumslieblingen mit dem Profil einer Katharina von Bock, eines Peter Fischli oder Marcus Fritsche. Dann gebe man das Ganze in die Hände und den szenischen Ofen eines erfahrenen Regisseurs mit dem Talent, aus unterschiedlichsten Schauspielerpersönlichkeiten das Beste zu filetieren – und fertig ist: «Ein seltsames Paar», inszeniert von Stefan Huber, die Geschichte des Niederganges einer Pokerrunde, eines Männerhaushaltes und der Freundschaft eines gefühlvollen Neurotikers (Giacobbo: Felix, ein Nachrichtenredaktor) mit einem liebenswerten Ekel (Müller: Oskar, ein Sportreporter).

Und fertig ist? Nein, hier beginnt es erst. Entscheidend sind zwei Punkte. Der erste mag im Grunde zweitrangig sein, doch beteiligt am Erfolg ist auch sie, die Adaption amerikanischer Grossstadtverhältnisse in den sechziger Jahren auf städtische Zürcher Verhältnisse von heute. Viktor Giacobbo hat, vielleicht nicht immer unaufdringlich, die New Yorker Chiffren eines Junggesellenlebens nach Zürich West transponiert (in ein weisses Loft von Christoph Schubiger) und spielt mit Bezügen zu Zeit und Ort. Die Dialektübertragung setzt auf Figuren heutigen Zuschnittes – die, let’s say: einen Lifestyle verkörpern -, und das ist nicht nur eine Extravaganz. Auf der Bühne stehen die Archetypen zweier Lebensmuster, wie man sie von Gault- Millau lernt oder aber in therapeutischen Selbsthilfegruppen trifft: der verrauchte, verschwitzte, versoffene Oskar contra den bis zur Zahnlosigkeit gezähmten neuen Mann in der Figur des Putz- und Jammerlappens Felix.

Sie beide spielen dem zweiten Punkt des Erfolgs in die Hand und verantworten, dass die Komödie in ihren besten Momenten nicht in Klamauk, sondern in eine Tragödie kippt. Mike Müller und Viktor Giacobbo haben sich entschieden, jenseits von Jack Lemmon und Walter Matthau ihren eigenen, ambivalenten Charakter zu finden. Giacobbo gibt seinem vermeintlichen Opferlamm Felix das Bewusstsein über seine Macht und eine Boshaftigkeit mit, die ihn lebensecht macht. Und Müller, ja Mike Müller entdeckt uns im vermeintlichen Misanthropen Oskar eine Vielschichtigkeit, wie man sie in dieser Generation Schweizer Bühnendarsteller selten sieht. Lachen mit Matthau war grossartig, lachen mit Müller ist besser. Weil wir vom Dilemma des modernen Mannes selten so viel verstehen wie hier auf einer Bühne.

Winterthur, Casinotheater, 1. September bis 1. Oktober.

Felix (in) Winterthur – Ein Theater schenkt der Stadt ein seltsames Paar

2. September 2005, Neue Zürcher Zeitung, von Daniele Muscionico

Die neuste Eigenproduktion des Casinotheaters ist eine gerissene Sache: VR- Präsident Viktor Giacobbo hat die amerikanische Filmkomödie «The odd couple» […]

Fredi Hinz ist zurück, «unstoned» (fast) – ein Hörbuch

 

Zwei Jahre mussten wir auf ihn warten, und es hat sich gelohnt. Ob er sein Time-out als Proband einer Studie über die Cannabis-Behandlung bei Migräne genutzt oder in Nepal den Hausbau mit Thermo-Hanf evaluiert hat, bleibt wohl ewig ein Gerücht. Fredi Hinz jedenfalls, nach Polo Hofer der Schweiz liebster Kiffer, meldet sich zurück, frisch zugedröhnt, mit einem Hörbuch von bewusstseinserweiternder Wirkung. Man darf hier also durchaus von einem Integrationserfolg eines kreativen Randständigen berichten; die CD ist ein Geschenk für alle, die sich nicht nur zur Weihnachtszeit als Christenmenschen fühlen wollen.

«Fredi Hinz unstoned» nennt sich der Diskussionsbeitrag aus einer Welt, die wir Nüchternen nur zu gerne marginalisieren: die Existenz jener, die an der Hand ihres Gassenarbeiters auf den Strassen des Lebens unterwegs sind. Dass sie, die Sozialarbeiter, im Grund eine Schweizer Erfindung sind und Tellensöhne allesamt («Aus dieser hohlen Gasse . . .»), lernen wir bei Hinz. Und wenn bereits im ersten Kapitel ein solches Exemplar zu Wort kommt – in den Worten von Viktor Giacobbo -, begreifen wir zudem, dass «Sozialarbeitergesülz» (Fredi Hinz) die rezeptfreie Alternative zu Valium ist. Das ist, nach lediglich fünf Minuten Genuss, unser erster Erkenntnis-Flash. – Der zweite folgt dem ersten auf dem Fuss, der naturgemäss ein schlecht durchbluteter ist: Fredi Hinz enttäuscht uns auch nach seinem temporären Rückzug ins Private nicht und tritt Hinz-gemäss «stoned» vor sein Publikum. Sein Manager Giacobbo freilich will das Leitmotiv der CD – «stoned» beziehungsweise das Gegenteil – mit einem ethischen Imperativ verbunden wissen, nämlich Hinz nicht zu «steinigen», ihn nicht auf seinen Haschkonsum reduzieren zu wollen. Das wäre in der Tat ein Missverständnis, genehmigt er sich doch bekannterweise vom Meerschweinchenheu bis zum Fliegenpilz die vielfältigsten Stimmungsaufheller.

Hinz hat sich für seine Wortmeldungen auf kompakter Disc viel, vielleicht zu viel vorgenommen. Er politisiert zu aktuellen Themen, unterhält sich mit Jean Ziegler (Walter Andreas Müller) und Peter Bichsel (Mike Müller) oder hält eine bildungsbürgerliche Totenwache – während deren er das bekannte Öko-Gedicht «Gefunden» von Goethe selig fleddert. Dass Hinz das Blümchen des Weimarer Geheimrats indes vertrocknen lässt, hat gewiss mit dem pathologischen Selbsthass der Randständigen zu tun. Doch glücklich ist, wer sich selbst dafür hält: Hinz weiss sich zu helfen, er wird den welken Lyrismus in seine Pfeife stopfen und rauchen . . .

Es ist hier nicht der Protagonist, der uns nachdenklich stimmen muss. Bedenklich ist die Verfassung von Peter Bichsel mit der Stimme von Mike Müller, der vor seiner eigenen Sprachlosigkeit kapituliert. Mag er uns zwar mit unerwarteten musikhistorischen Einsichten überraschen («Mick Jagger ist der Willi Ritschard des Rock’n‘ Roll . . .»), Bichsels Nihilismus besitzt mittlerweile eine Nietzschesche Dimension. Wenn Fredi Hinz ihm für den Fortsetzungsband nicht ein, zwei Magic Mushrooms über den Tisch schieben wird, ist für den Freund des Rebensaftes mit dem Schlimmsten zu rechnen.

Viktor Giacobbo: Fredi Hinz unstoned. Verlag Kein & Aber, Zürich 2005. Fr. 22.-.

Blowing in the wind – Choralkantate für Cannabis

5. Juli 2005, Neue Zürcher Zeitung, von Daniele Muscionico

Fredi Hinz ist zurück, «unstoned» (fast) – ein Hörbuch   Zwei Jahre mussten wir auf ihn warten, und es hat […]

Drei Jahre nach Eröffnung, ein Jahr nach Antritt des neuen künstlerischen Leiters Paul Burkhalter hat sich das privat finanzierte Casinotheater Winterthur zum Kompetenzzentrum für die Kunst der Unterhaltung entwickelt. VR-Präsident Viktor Giacobbo konstatiert gar eine neue Aufbruchstimmung. Mit einer glamourösen Benefizgala wird am Wochenende für Goodwill geworben – und Geld gesucht.

 

Winterthur ist gemeinhin so glamourös wie Schinznach Bad bei Wassermangel. Diesen Samstag aber mag Zürich erbleichen: Alles, was Rang und Namen hat in der Schweizer Kabarettszene, gibt sich im Winterthurer Casinotheater ein Stelldichein – und wer es wagt, für die Gäste wurstige Umschreibungen zu wählen, lässt ausser acht, dass jedes Land die Prominenz hat, die es verdient. Paola & Kurt Felix, Franz Hohler, Joachim Rittmeyer, Lorenz Keiser, Beni Turnheer, Vera Kaa, Patrick Frey zum Beispiel – und als heimlicher MC, Master of Ceremony, Viktor Giacobbo – sind die Künstler, die an der ersten Benefizgala des Casinotheaters für das Casinotheater einem illustren Publikum aus Finanz und Wirtschaft die Nacht unvergessen machen wollen.

Warum eine Benefizgala in eigener Sache? Hat man sich an der Stadthausstrasse vor drei Jahren mit der Gründung eines Hauses von Künstlern für Künstler finanziell übernommen? Zumal absehbar war, dass man – für Theater gemeinhin ein selbstmörderischer Gedanke – ohne Subventionen auskommen müsste? Die Zahlen der Auslastung 2004 für die insgesamt 277 öffentlichen Veranstaltungen (2003: 272) strafen solche Spekulation Lügen: Sie betrug 2004 durchschnittlich 73,2 Prozent (68 276 Besucher) und hat, verglichen mit 2003, sogar eine leichte Zunahme erfahren (65,8 Prozent, 65 537 Besucher). 2004 belief sich das Gesamtbudget auf 6,7 Millionen Franken; dieses Umsatzziel wurde erreicht, weshalb 2005 das Budget auf 6,8 Millionen Franken erhöht werden konnte. Als Sponsor ist 2004 neu die Zürcher Kantonalbank eingestiegen.

Natürlich sind Zahlen das eine und oft zu geschönt, um wahr zu sein. Doch die Stimmung am Haus ist tatsächlich so frühlingshaft, dass man billig von einem zweiten Aufbruch durch eine neue Casino-Generation sprechen kann. VR-Präsident Viktor Giacobbo jedenfalls konstatiert für sein Theater eine «interne Kreativität auf einem Höhepunkt», die in allen Bereichen Neues möglich mache. Durch «eine inhaltliche Beteiligung der Küche» etwa können neu thematische Lesungen angeboten werden. Als nächste steht etwa ein Muttertagsmenu an, bei dem alle Mütter glücklich gekocht werden sollen, während der satirische Psychoanalytiker Peter Schneider dem Mutterglück zusätzliche Hilfestellung leisten wird. Die Leitung der Küche, des Restaurants und des Event-Betriebs liegt nach Abgang Thomas Keels bei der internen Nachwuchskraft Tamara Cortese.

Das Profil des Theaters – von vielen Künstlern baulich und atmosphärisch als das schönste in der Schweiz gerühmt – hat sich in der Amtszeit von Paul Burkhalter noch einmal geschärft: Es darf sich im Jahr vier seines Bestehens als führendes Komödienhaus des Landes bezeichnen. Sein Leistungsauftrag wird breit, das heisst unprogrammatisch definiert, so dass unter ein und demselben Dach die schärfste real existierende Politsatire (Mathias Deutschmann) ebenso ihr Publikum findet wie der Flachwitz des beliebten Chaos-Theaters Oropax. Der Wermutstropfen: Der Profilierung des Casinotheaters ist möglicherweise das kulturpolitisch unentschuldbare Ende des Zürcher Bernhard-Theaters zupass gekommen. So wird man in Winterthur allein im Monat April vom einzigen Schweizer Gastspiel Alfred Bioleks profitieren, der den «Ring des Nibelungen» vor Gericht stellt; von einer Lesung des «Titanic»-Kolumnisten Max Gold oder der Schweizer Premiere einer Märchenstunde von und mit der schamlosen Hella von Sinnen. Aus Zürcher Optik muss gesagt sein: Man findet das Vergnügen nur selten dort, wo man es sucht.

Glamour-Faktor positiv: Das Casinotheater hat sich zum Komödienhaus entwickelt

19. März 2005, Neue Zürcher Zeitung, von Daniele Muscionico

Drei Jahre nach Eröffnung, ein Jahr nach Antritt des neuen künstlerischen Leiters Paul Burkhalter hat sich das privat finanzierte Casinotheater […]

2017