Viktor Giacobbo

, 4. Juni 2004, von Peter Müller

Viktor Giacobbos rettende Atemnot

Fast wie im wirklichen Leben: «Abdankung» im Casinotheater Winterthur kommt gegen Schluss in Schuss.Gewöhnlich siegen die Lebensgeister beim Leichenmahl. Im Casinotheater braucht es 100 Minuten und eine Pause, damit die Totenfeier animiert wird. Der Winterthurer Lebensgeist heisst Viktor Giacobbo. Still mischt er sich unter die Trauergäste und ist gleich die wahre Hoffnung, von der Patrick Freys Pfarrer predigt.

Mit roter Mähne, blendend weissen Hauern im Maul und straffen Hosenträgern über dem Bierbauch kreiert Giacobbo die Figur des Herrn Boppeler, Boss der Agentur Freshmeat. Mädchen aller Gattung vermietet dieser Stiefbruder des unvergessenen Harry Hasler, SVP-Frauen in Reizschürzen, auch züchtige Cheerleader für die Winterthurer Abdankung. Doch jetzt ist genug gelogen, jetzt muss die Wahrheit über den toten Kumpel raus, jetzt legt Herr Boppeler richtig los.

Wein, Weib und Rassepferde

Bis dahin bewegt die Abdankung nicht übermässig. Das Ambiente ist vertraut: ein aufgebahrter Sarg, vier Kränze, eine Kanzel. Über dem Sarg hängt ewig lächelnd das Konterfei des Schauspielers Mike Müller alias Blacky Haberthür selig. Dieser Haberthür ist aus nichts versprechenden Anfängen zum Paten der helvetischen Unterhaltungsmafia aufgestiegen, hat Kleinkünstler kreuz und quer durch die Ostschweiz gejagt und im Übrigen Wein, Weib und Rassepferde geliebt. Jetzt gilt es, Abschied zu nehmen, im Casinotheater, wie es der grosse Sohn Wülflingens gewünscht hat.

Redner reiht sich an Redner, Nummer an Nummer. Ueli Becks greiser Primarlehrer verwechselt seine ehemaligen Schüler, Walter Andreas Müller als Geschäftsfreund Muggli rezitiert in Globi-Maske unkorrekte Verslein («Globi im Irak») und verspricht dann: «Nie mehr». Senioren-Akrobatik gibt es zu bestaunen, Witwe Lola Haberthür (Bettina Dieterle) trägt Schlager des Verblichenen vor, nicht ohne wiederholt auf ihre neue CD zu verweisen, der Stallknecht (Peter Fischli) mischt Tränen- und Samenerguss, und Pfarrer Frey müht sich um pointensichere Eselsbrücken zwischen Nasenbluten und christlichem Glauben.

Ziemlich zäh wirkt der Abend (Autoren: Charles Lewinsky und Patrick Frey, Regie: Alexander Stoia). Immerhin sorgt Joachim Rittmeyer als besoffener Sohn vor der Pause für einen komisch leisen, fast schon poetischen Höhepunkt. Und die (unterforderte) Fabienne Hadorn schwärmt als letzte Geliebte von einem esoterischen Dreier und lässt ihr Talent aufblitzen. Die Hoffnung, Mike Müller werde sich aus dem Sarg erheben, bleibt leider unerfüllt.

So wird es erst richtig munter mit Herrn Boppelers Schlussfurioso. Bei Blitzauftritten gab der hemdsärmlige Kulturmanager zuvor schon rachitische Töne von sich. Jetzt steigert sich die Atemnot ins Gotterbärmliche. Giacobbo keucht und röchelt, der Atem rasselt, der Speichel gurgelt, weinrot laufen die Backen an . . . Bis sich endlich eine Steckdose für den Herzschrittmacher aus Schwermetall findet und Vera Kaa das Finale anstimmen kann. Herr Boppeler ist gerettet und mit ihm die «Abdankung».

2017