Viktor Giacobbo

, 22. April 2006, von Michael Hug

«Soooooo guet….!» aus 2500 Kehlen

Für den Zirkus gibt der Cannabis-Freak Fredi Hinz sogar das Kiffen auf! Was muss wohl im der Schweiz liebsten Sozialfall vorgegangen sein, dass der liebenswürdige Chaot aus Viktors ehemaligem Spätprogramm so plötzlich clean wird? Ein Engagement im Zirkus wars, wo der bleiche Alt-68er eine längst vergessene Leidenschaft wiederentdeckt und sich dank Hartnäckigkeit und kreativer Ideen zum festen Programmpunkt emporarbeitet. Schliesslich – welch zynischer Lohn für einen überzeugten Randständigen – wird er vom Zirkusdirektor adoptiert, weil der clevere Chef bald gemerkt hat, welch publikumswirksame Nummer er da engagierte.

Harte Arbeit an der Basis

Fredis Engagement beginnt an der Basis der Angestelltenhierarchie, der Pferdeäpfel-Stufe. Aber wie gesagt, seine Hartnäckigkeit und sein Kampf für eine eigene Nummer beschert ihm schliesslich diese. Zwar ists statt eines zu dressierenden Walfischs ein Kamel, das er zu domestizieren versteht. Suleika, der Holden, wächst der leicht vertrottelte Pausenclown schnell ans Herz und sie lässt ihn auf ihrem Rücken, anbetrachts ihres teilnahmslos gleichgültigen Gesichtsausdrucks, ohne innere Regung «Blowing in the Wind» flöten, zur Belustigung des Publikums verkehrt herum sitzend.

Lachen hie, staunen dort

Doch es geht ja in Knies neuem Programm nicht nur um Fredi Hinz alias Viktor Giacobbo. Selbstverständlich wird bei seinen Auftritten am meisten gelacht, aber am meisten gestaunt wird bei den Artisten. Seien es zum Schluss die wahrlich todesmutigen Brüder Rudy und Ray Navas aus Ecuador auf dem drehenden Todesrad, oder die ebenso hoch oben unter dem Zirkusdach nach etlichen Salti den freien Fall suchende russische Barrenartistin Svetlana Gvozdetskaya, die unterstützt wird durch zwei kraftstrotzende Barrenhalter mit Oberschenkeln, so umfangreich wie anderer Leute Brustkörbe.

Gefährlich wird es auch für die Partnerin des italienischen Messerwerfers Gicomo Sterza, der eigentlich nur die Hoffnung bleibt, dass ihrem Ehemann nicht schlecht wird anbetrachts der drehenden Zielscheibe, auf der sie liegt und die – und nicht sie – er zu treffen trachtet, und zwar möglichst körpernah. Mit etwas weniger Nervenkitzel, aber dafür umso farbenfroher kostümiert und sympathischer lächelnd zeigt sich die China National Acrobatic Troupe mit Diabolo-Kreiseln, sowie die aus dem gleichen Land stammende Zhenjiang Acrobatic Troupe mit Sonnenschirm-Equilibragen.

Genauso wichtig wie zirzensische Akrobatik ist die Dressur. In diesem Bereich gibt es Lamas und Guanakos, Pferde, weisse und schwarze, sowie graue Elefanten zu sehen. Hier ist die Familie in ihrem Metier, hier werken Mary-José, Franco, Franco jun. und Linna Knie, sowie Fredy jun., Géraldine Katharina und Ivan Frédéric Knie (achte Generation). Doch zurück zur Akrobatik: Da tanzen doch zwei eine senkrechte Stange hoch, als gäbs nichts Leichteres auf der Welt. Da bezirzt einer seine Angebetete sprachlos, aber muskulär-katzenhaft. Und sie, ebenso elegant, schlüpft ihm immer wieder davon, zwischen Armen und Beinen hindurch, hinauf und hinunter und dies, wohlbemerkt, an einer senkrechten Stange.

Sprach- und bewegungslos

Diesmal bleibt das Publikum sprach- und bewegungslos. Eben noch ist das Mädchen, Sandra Feusi, Schweizerin, mit Händen und Füssen die Stange hochgegangen – nicht geklettert – da tut es ihr der Charmeur, Sam Payne, US-Amerikaner, gleich – nur mit den beiden Händen. Seine Beine braucht er erst, als er ihr, oben angelangt, den Hof macht. Doch vorläufig bleibt das Mädchen unbeeindruckt von seinem Werben, verlegt sich aufs Spielen mit dem verliebten Kater. Was für eine gefühlsbeladene Choreografie, es läuft dem Publikum 2500-fach kalt und prickelnd den Rücken herunter, und zerrissen in den eigenen Emotionen, wünschte man sich noch mehr zu sehen vom katzenhaften Geplänkel an der Stange, aber ersehnt sich ebenso die baldige gewiss wundervolle Vereinigung dieses Romeo und seiner Julia. Die dann auch eintrifft, wunderschön romantisch im ausgehenden Scheinwerferlicht kurz vor der Pause.

2017