Viktor Giacobbo

, 3. September 2005, von Felix Reich

Sehnsucht nach dem Ehekrach

Das Casino ist jetzt ein Theater und kein Prominentenkarussell mehr. Mike Müller und Viktor Giacobbo hasslieben sich innig.

 

«Es ist der achte Stock, nicht der siebte.» Licht aus. Die Schlusspointe sitzt in jedem Akt. «Ein seltsames Paar» aus der Feder von Neil Simon ist kein plumpes Zotenfeuerwerk, sondern eine geschickt konstruierte Boulevardkomödie. Und sie funktioniert. Viktor Giacobbo hat es verstanden, den amerikanischen Stoff in die schicke Loft im Zürcher Industriequartier (Bühnenbild: Christoph Schubiger) zu übertragen. Jetzt werden halt Suizid-SMS in die Welt gesetzt, und wenn der Lammrücken brennt, hilft der Pizzakurier aus der Haushaltpatsche.

Eukalyptus verdrängt Zigarrenrauch

Die Story ist – wie es sich gehört – denkbar einfach: Felix Unger (logischerweise von Giacobbo gespielt) fehlt an der traditionellen Pokerrunde. Das kümmert niemanden, bis durchsickert, dass Felix von seiner Frau aus der Wohnung geschmissen wurde. Der putzende Jammerlappen hat sich mit der Drohung verabschiedet, sich umzubringen. Einigermassen lebendig taucht er dann trotzdem im Kreise seiner Zockerkumpels auf. Sportjournalist Oskar Mäder (brillant: Mike Müller), der seit dem Auszug seiner Familie Abfall ablagernd durch seine Loft mäandert, bietet ein Dach über dem Kopf. Und damit beginnt die wundersame Verwandlung des Chaos. Hiess die Frage zuvor: «Was ist das Grüne im Sandwich, sehr junger Käse oder altes Fleisch?», so heisst sie nun: «Frittierte Steinpilze auf Toast oder Roquefortsoufflé?» Am desinfizierten Tisch fällt die Pokerrunde auseinander. Der Polizist Mario (souverän: Peter Fischli), der die Runde sowieso längst hätte auffliegen lassen können, verabschiedet sich ebenso wie der Fettnäpfchenliebhaber Wini (Marcus Fritsche). Auch Speed (Thomas Mathys) und Rolf (Peter Zimmermann) haben die Nase gestrichen voll von der eukalyptusgeschwängerten Luft. Da war ihr die Mischung aus Kompost und abgestandenem Zigarrenrauch noch lieber. Zurück bleibt das ungleiche Paar Oskar und Felix. Um sich zu trösten, spielen sie «Wer war der schlechtere Ehemann?»; und um sich zu unterhalten, liefern sie sich erbitterte Wortgefechte.

Schlagfertig sind sie beide. Langatmig wird der Hahnenkampf nur kurz nach der Pause. Ansonsten führt Stefan Huber wunderbar gradlinig Regie, hält das Tempo hoch und lässt zugleich Zwischentöne und Rhythmuswechsel zu. Giacobbo stattet seinen Felix mit einer gehörigen Portion Durchtriebenheit aus: Der pingelige Hausmann richtet die Waffen sofort gegen sich selbst, wenn er sie strecken müsste. Er ist sich der Macht, über die der Schuldgefühle weckende Selbstzerstörer verfügt, sehr wohl bewusst.

Müller reduziert Oskar nicht auf den Dreitakt geschieden, pleite, schlampig, sondern pendelt zwischen Hilflosigkeit und Herzlichkeit, fährt fluchend auf, um sogleich verloren in die Ferne zu blicken, weil der Sohn anruft, dessen Goldfisch in Vaters Obhut längst vertrocknet ist.

Diese Momente verleihen dem ausgezeichnet adaptierten Stück Tiefgang. Zusehends spiegelt sich im Männerstreit die Sehnsucht nach der zerrütteten, schmerzlich vermissten Ehe wider. Platt wird die Inszenierung nicht einmal, als die aufgetakelten Gudrun und Carola Taube (Katharina von Bock und Rebekka Burckhardt) auf dem Sofa wiehernd die eigenen Witze belachen. Eigentlich schluchzen sie aber viel lieber. Und auf dem Gebiet hat Felix den Doktor.

Der Aufwand hat sich gelohnt

Erstmals hat das Casino ein Kammerspiel produziert, statt ein locker zusammenhängendes Comedypotpourri zu zeigen, das in erster Linie von der Namenliste der Mitwitzelnden lebt. Der Aufwand hat sich gelohnt. Die Handschrift des Regisseurs ist deutlich zu erkennen, Müller zeigt schauspielerisch eine grosse Leistung. Beim Schlussapplaus wird Huber von seinen Hauptdarstellern in die Zange genommen und bekommt zwei dicke Küsse. Er hat sie redlich verdient.

«Ein seltsames Paar» wird bis 1.Oktober gespielt.

2017