Viktor Giacobbo

Die Bühne, die man ihnen einst im Fernsehen für die Late-Night-Show bereitete, gibt es nicht mehr: Weg sind die Sessel, weg das Pult, weg ist auch die Kaffeemaschine, weg das ganze Glanz-und-Gloria der TV-Unterhaltung. Im leeren Raum stehen Viktor Giacobbo und Mike Müller jetzt im Theater, der Auftritt bedeutet die Rückkehr der TV-Komiker. Da gibt es nichts, an das sie sich halten könnten, ausser natürlich: an sich selber. Ein Schrägstrich scheint aber zwischen ihnen zu stehen, der alles trennt, was sie vorher verbunden hat. Und da können sie noch so ihre alte Show abziehen.

«Giacobbo/Müller in Therapie» heisst ihr Stück, das am Donnerstag im Casinotheater Winterthur Premiere hatte. Der Titel steht für den Bruch der Wahrnehmung. Wer zu lange Fernsehen gemacht hat, hat keine Ahnung mehr vom Publikum, das ist zumindest die These. Dominique Müller, der Schauspieler und Regisseur, gibt hier den Therapeuten. Er sagt, wir bekämen einen intimen Einblick in zwei Karrieren, die neu justiert werden müssten. TV-Komiker gelten im Theater noch immer als Parias. Dominique Müller arbeitet an ihrer Reintegration.

Aufstand der Komparsen

Das ist natürlich Quatsch, es geht um etwas anderes. Dominique Müller hat in ein paar Sketches für «Giacobbo/Müller» mitgemacht, an seiner Seite ist im Stück der Bassist Daniel Ziegler, ebenfalls ein «Giacobbo/Müller»-Hintergrund-Mann. Die beiden proben den Aufstand der Komparsen: Sie blasen sich auf vor Wichtigkeit und versuchen, die Fäden in die Hand zu bekommen. Viktor Giacobbo und Mike Müller sollen hier dastehen als recht traurige Figuren, die nichts anderes können, als Giacobbo/Müller in Pension zu sein.

Die beiden machen das traurige Spiel am Anfang mit, es heisst: Sehnsucht nach Vergangenheit. Und wenn Giacobbo und Müller behaupten, ohne ihre Show glücklich sein zu können, sehen sie immer noch in jedem Rotlicht das Zeichen für die laufende Kamera, auch mitten auf der Strasse. Sie sind völlig weg vom TV-Fenster.

Das allerbeste Theater

Schritt für Schritt erobern Mike Müller und Viktor Giacobbo ihre Bühne zurück. Klar, die beiden haben ja das Stück selber geschrieben. Bald stehen zwei Sessel aus dem «Giacobbo/Müller»-Studio auf der Bühne, die Kaffeemaschine kommt auch hinzu. Und schon sind die alten Figuren wieder da. Perücken auf, und ab gehts in die Vergangenheit. Das Publikum bekommt noch einmal Fredi Hinz und Hanspeter Burri.

Doch die Figuren werden auf einmal zu anderen, sie spielen sich in das Leben von Giacobbo und Müller hinein, als hätten sie von ihnen Besitz ergriffen. Jetzt könnte es theoretisch kompliziert werden. Die Frage lautete: Wer bin ich, und, wenn ja: in wie vielen Rollen? Aber da können Giacobbo und Müller noch so kompliziert in ihrem Stück tun: Es ist eigentlich ganz einfach Theater. Und so ziemlich das beste, das die beiden je gemacht haben. Regisseurin Brigitt Maag trägt das ihre dazu bei, sie kennt sich mit dem Mechanismus von Komödien aus.

Drinnen und draussen

Das Schönste an diesem Theater ist die Pause. Denn sie verändert alles. Da läuten Dominique Müller und Daniel Ziegler nach einer Stunde die Pause ein, ihr Theater geht ohne Pause nicht. «Wir bleiben auf der Bühne», sagen aber Viktor Giacobbo und Mike Müller, das Publikum solle doch bitte nach draussen gehen, es gebe Glace und so. Natürlich bleibt das Publikum noch ein bisschen im Saal, schliesslich könnte auf der Bühne noch etwas passieren.

Aber da passiert gar nichts. Giacobbo und Müller stehen einfach da und sagen dies und das. Nach fünf Minuten steht der erste Promi auf, die anderen Promis folgen samt einem grossen Teil des Nicht-Promi-Publikums Richtung Cüpli, Zigis und Toiletten. Giacobbo und Müller stehen dann immer noch auf der Bühne, sie machen sich einen Kaffee, trinken Wasser, schauen in die leeren Ränge. Sie schauen auch zu, wie das Publikum wieder in den Saal kommt.

Auch die Zuschauer sind in Therapie

So bespielen Viktor Giacobbo und Mike Müller nach der Pause, die für sie keine war, den ganzen Raum und zeigen, wie gross ihr Theater sein kann: Es geht über die Zeit hinaus und hält sich an keine Regeln. Von nun an wird gepowert. Mike Müller ist in Hochform, Viktor Giacobbo spielt über sich hinaus. Die beiden zeigen jetzt eine grosse Leichtigkeit in diesem Spiel, dass es eine grosse Freude ist: für uns und für sie. Denn sie stehen wieder im Zentrum: «Wir haben am liebsten, wenn es um uns geht.»

Bald merkt das Publikum, dass es in diesem Theater eigentlich auch in Therapie ist. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sehen: Da können auf der leeren Bühne zwei Menschen stehen, der eine schaut zu, was der andere macht – und schon ist das Theater. Auf einmal geht eine Welt auf, die grösser ist als die von «Giacobbo/Müller». Und die von der Möglichkeitsform erzählt, die TV-Komiker auf der Bühne haben. Viktor Giacobbo und Mike Müller haben ihre Chance genutzt. Ihre Rückkehr ist ein Triumph.

Das Schönste ist die Pause

7. April 2018, Landbote, Tages-Anzeiger, von Stefan Busz

Die Bühne, die man ihnen einst im Fernsehen für die Late-Night-Show bereitete, gibt es nicht mehr: Weg sind die Sessel, […]

Casinotheater: Die Komödie «Alonso» führt vor, wie zwei mittelständische Ehepaare buchstäblich auf den Hund kommen. Bei der Premiere am Donnerstag erntete das Stück viele Lacher. Aber es ist auch eine Tragödie.

Zu Saisonbeginn präsentiert sich das Casinotheater mit aufgefrischten Räumen. Man ist daher umso gespannter, mit welchem Stück das Haus sein Premierenpublikum empfängt. Immerhin gilt es den Ruf zu verteidigen, eine der führenden Komödienbühnen der Schweiz zu sein. Das Theater tritt mit einem Stück von Stefan Vögel an. Der österreichische Autor verfasste bereits das erfolgreiche Premierenstück vom letzten Jahr, «Achtung Schwiiz!». Ein Wagnis ist bei der Premiere trotzdem dabei.

Es beginnt mit einer gewöhnlichen, allen bekannten Si­tua­tion. Zwei befreundete Ehepaare treffen sich zum Abendessen. Das Bühnenbild ordnet die vier Figuren dem modernen Mittelstand zu. Ihr Gespräch verweist auf gebildete, weit gereiste Personen. Sie sind alte, fast zu alte Freunde. Der Ton ist zänkisch, sogar giftig. Jeder weiss um die Schwächen des anderen und reitet gnadenlos dar­auf herum.

Etwas Fundamentales jedoch bleibt Rebecca (Tamara Cantieni) und Leo (Dominique Müller), dem Mann ihrer Freundin Trix (Anne Hodler), verborgen: Trix hat nämlich ein heimliches Verhältnis mit Rainer (Max Gertsch), Rebeccas Mann.

Hypersensibler Hund

Diese Ausgangslage führt zu Dialogen voller Pointen, die wie warmer Regen auf das Publikum niedergehen. Trotzdem bleibt zunächst unklar, wohin das Stück führt. Es nimmt sich Zeit, die Figuren zu etablieren. Viktor Giacobbos Regie unterstützt eine klare Charakterisierung der Personen. So bleibt man lange gespannt, was mit so unterschied- lichen Figuren noch geschehen wird.

Den Kristallisationspunkt des Stücks bildet eine fünfte Figur: ein Mexikanischer Nackthund mit dem Namen Alonso. Er soll Trix’ leerem Dasein einen neuen Inhalt verschaffen. Alonso ist hypersensibel. Er beisst zu, wenn man ihn nicht liebt. Vor allem aber bellt der Hund, sobald er Lug und Betrug wittert. Und in der gegebenen Konstellation hört er gar nicht mehr auf zu kläffen. Lügen haben jetzt im wörtlichen Sinn kurze Beine.

Dies wird zunächst Rainer zum Verhängnis. Alonso bringt seine Betrügereien an den Tag. Rainer hat weit mehr auf dem Kerbholz, als es den Anschein macht. Die sorgfältig aufgebauten Spannungen entladen sich nun in einem Donnerwetter. Alles fliegt auseinander, alles geht flöten, begleitet von Lachern und Szenenapplaus aus dem Publikum. Bald sind Ehen und Karrieren im Eimer. Schuld daran sind nicht etwas die Figuren mit ihren Lügen und ihrem Selbstmitleid. Nein. Es ist Alonso, das Hundsvieh! Eigentlich müsste man es abschlachten … Dieser Gedanke führt zu einer Wendung im Stück und zu seinem fulminanten Ende, das hier nicht verraten sei. Abendessen reiht sich an Abendessen, das Stück flitzt flott über die Bühne und kommt mit einem einzigen Bühnenbild aus. Das Schauspiel und die Schauspielführung zeichnen die Konflikte mit dem dicken Pinsel. Zwischendurch scheint Viktor Giacobbos Handschrift durch. Vor allem bei den Frauenfiguren. Rebecca wirkt schrill, Trix wahnsinnig nervös. So verleiht die Regie dem Stück ein paar knallige Farbtöne. Die Komödie «Alonso» ist ein Bonbon. Das Publikum nimmt es mit grossem Applaus entgegen.

In Wahrheit eine Tragödie

Erst beim Hinausgehen dämmert es einem, dass «Alonso» in Wahrheit ein ernstes Lehrstück ist. Es zeigt die Tragödie von Menschen gegen fünfzig. Ihre Kinder sind ausgeflogen, Schönheit und Potenz welken dahin, die Karrieren erleiden einen Knick. Weil man an den eigenen Lebenslügen festhält, gehen auch die Beziehungen zu Ehepartnern und alten Freunden in die Brüche. Zurück bleibt – der Hund.

Eine hohe Kunst ist es, einen tieferen Inhalt in eine witzige und geistreiche Komödie zu verpacken. So gesehen ist «Alonso» ein starkes Stück. Es ist dem Ruf des Casinotheaters als einer führenden Schweizer Komödienbühne mehr als angemessen.

Alonso wittert Betrug

5. September 2015, Landbote, von Christian Felix

Casinotheater: Die Komödie «Alonso» führt vor, wie zwei mittelständische Ehepaare buchstäblich auf den Hund kommen. Bei der Premiere am Donnerstag […]

Was macht gute Boulevardkomödien aus? Ein Gespräch mit dem Satiriker Viktor Giacobbo, der in der ­Komödie «Alonso» des Casinotheaters Regie führt.

In der Komödie «Alonso», die am Donnerstag im Casinotheater Premiere feiert, geht es um zwei Paare und Untreue. Und um einen Hund, der Betrug und Unwahrheit wittert. Was reizt Sie an diesem Thema?

Viktor Giacobbo: Es ist eine Boulevardkomödie, zwei der Part- ner gehen diagonal miteinander fremd. Der Haushalt, in dem sich das abspielt, ist bieder. Die Ehefrau ist etwas ratlos, weil der Sohn gerade von zu Hause ausgezogen ist. Diese Frau hat mit dem Mann ihrer besten Freundin ein Verhältnis, und zwar seit Jahren. Nun besitzt ihre vermeintlich beste Freundin eine Tierhandlung und schenkt ihr dann, weil sie ja wieder eine Aufgabe braucht, einen Hund. Das ist ein mexikanischer Nackthund, ein Xoloitzcuintle.

Den gibt es also wirklich?

Den gibt es. Es handelt sich um eine mit Mythen beladene Rasse, die jahrhunderte- oder sogar jahrtausendealt ist und mit den Azteken in Verbindung gebracht wird. Der Nackthund hat eine ledrige Haut und keine Haare. Mit der Zeit merkt das beschenkte Paar, dass der Hund auf die Bewohner unterschiedlich reagiert. Und die beiden, die betrügen, finden heraus, dass der Hund immer dann angibt, wenn sie lügen oder sich berühren. Die Freundschaft und mindestens eine Ehe gehen dabei zu Bruch. Das Ganze endet explosiv und mit einer Überraschung.

Braucht es bei Seitensprüngen Wahrheit?

Ich weiss nicht, ob es das braucht, ich weiss nur, dass Betrug und So-tun-als-ob eine gute Grundlage für Komik sind. Die Handlung ist im Alltag angesiedelt, andererseits kommt dieser exotische Hund vor. Dieser Mix gefällt mir, trotz der im Grunde genommen sehr biederen Anlage. Aber die Rollen sind ein gefundenes Fressen für gute Schauspieler. Von Stefan Vögel stammte bereits «Achtung Schwiiz», das Erfolgsstück vom letzten Jahr. Er ist selbst Kabarettist und zurzeit einer der erfolgreichsten Autoren von Boulevardkomödien.

Und über ihn sind Sie auf das neue Stück gekommen.

Ja, er selbst meinte, sein neues Stück sei sein interessantestes. Daraufhin haben wir es gelesen, nebst anderen Stücken, und gefunden, dass es passt. Für unsere Eigenproduktion brauchen wir jeweils ein Mainstream-Stück, bei dem man das Hirn nicht abschalten muss. Mit einem Wort, eine intelligente Boulevardko­mödie.

Wer wählt die Stücke aus?

Wir haben eine Stückauswahlgruppe mit Mike Müller, Patrick Frey, Domenico Blass und ein paar weiteren, wenn sie Zeit haben. Und dem künstlerischen Leiter Nik Leuenberger natürlich.

Der Seitensprung und die Frage, ob und wie er auffliegt, ist das Kernthema des Boulevardtheaters. Was macht eine gute Boulevardkomödie aus?

Sie ist dann gut, wenn man sie nicht boulevardesk spielt. Das heisst, die Schauspieler treten nicht an die Rampe und werfen die Pointen fast mit einem Zwinkern ins Publikum. Selbst relativ bescheidene Boulevardkomödien lassen sich so inszenieren, dass sie glaubwürdig wirken. Natürlich gibt es in «Alonso» Pointen. Aber streckenweise wird das Stück zum reinen Drama.

Auf Ihrer Bücherliste, die Sie auf Ihrer Website veröffent­lichen, finden sich so intellektuelle Autoren wie Marlene Streeruwitz und Thomas Pynchon. Gehen Sie mit dem Boulevard nicht unter Ihr Niveau?

Nein, denn in meiner Kunst gibt es den Begriff Niveau eigentlich nicht, ich bevorzuge den Begriff des Genre. In Niveauunterschieden wird vor allem in Mitteleuropa gedacht, Deutschland und die Schweiz sind besonders gefährdet, hier sind E-Kunst und U-Kunst streng getrennt. Die Angelsachsen machen das viel eleganter. Ein Filmregisseur wie Martin Scorsese ist sich nicht zu schade, auch mal einen Werbefilm zu ­machen. Selbst die berühmtesten Schauspieler machen ab und zu am Broadway in einer ruppigen Komödie mit. Robert Gernhardt hat es auf den Punkt gebracht, es ist eines meiner Lieblingszitate: «Es gibt so wenig niveauvolle Komik, wie es einen niveauvollen Orgasmus gibt.»

Man muss den Punkt finden, an dem es funktioniert.

Ja. Schliesslich mache ich Unterhaltung. Gut, Satire hat immer ein wenig mit Niveau zu tun, wenn man das Wort verwenden will. Aber wenn ich Komik mache, lese ich zum Beispiel selten komische Bücher.

Nach welchen Kriterien lesen Sie Ihre Bücher aus?

Da gibt es keine Kriterien. Es gibt Autoren wie Ian McEwan, von denen ich jedes Buch lese. Von anderen, deren Namen man oft hört, nimmt es mich dann einmal wunder, wie sie schreiben. So kam ich auf Hilary Mantel, von der lese ich seither auch alles. Die Literatur liegt mir auch deshalb am Herzen, weil ich beim Zürcher Verlag Kein & Aber im Verwaltungsrat bin.

Sie waren früher einmal Korrektor beim «Landboten». Wie kamen Sie zum Theater?

Ich hatte Schriftsetzer gelernt, und vor einer grossen Reise jobbte ich beim «Landboten» und setzte die Todesanzeigen. Später ar­bei­te­te ich hier auch als Korrektor. Ich hatte die Sprache immer gern. Zur Satire und zum Kabarett wollte ich von Anfang an, ich machte bereits Schulaufführungen und imitierte meine Lehrer. Ich wusste aber, dass ich eine Lehre machen musste, um später das machen zu können, was ich wollte. Zuerst dachte ich an eine Schauspielschule, merkte aber bald, dass das klassische Theater nicht mein Ding war. Ich wollte selber Texte schreiben, was ich dann mit verschiedenen Gruppen auch tat, von amateurhaften bis zu professionellen. So etwa bei den Stuzzicadenti. Wir machten Rock-Kabarett, wenn man so will.

Kommt es vor, dass Ihnen ­langweilig ist?

Nein, das kenne ich nicht. Es gibt gute Zeiten, wenn ich nichts zu tun habe, zum Beispiel wenn ich auf Reisen bin. Ich kann sehr gut faul sein und ausspannen. Das hat aber nichts mit Langeweile zu tun.

Keine Frage des Niveaus

29. August 2015, Landbote, von Helmut Dworschak

Was macht gute Boulevardkomödien aus? Ein Gespräch mit dem Satiriker Viktor Giacobbo, der in der ­Komödie «Alonso» des Casinotheaters Regie […]

Crowdtalking im Casinotheater: Viktor Giacobbo befragt im Auftrag des Publikums Roger Schawinski. Und Hazel Brugger macht aus dem Gast einen Buchstabensalat.

Es gibt das Jesus-Experiment. Das Stanford-Gefängnis-Experiment. Das Himalaja-Experiment. Das Experiment Selbstversorgung. Und es gibt auch das Ein-Mann-wagt-ein-Experiment-Experiment. Heute ist alles ein Experiment, was Versuch, Beweis, Prüfung oder Comedy ist.

Ein Experiment ist auch das neue Format im Casinotheater, es heisst Crowdtalking: Hier werden, wie das Casinotheater selber sagt, «die Fragen an eine interessante öffentliche Person nicht einfach nur vom Moderator gestellt. Dieser bespricht und verbündet sich vor dem eigentlichen Gespräch mit dem Publikum und plant mit diesem, in Gegenwart des vorerst zum Schweigen verurteilten Gastes, die Gesprächsführung.»

Ein Labor in Sachen Blabla ist also das Casinotheater mit diesem neuen Format. Die Versuchsanlage am Dienstagabend: Viktor Giacobbo befragt im Auftrag des Publikums Roger Schawinski. Und auf einmal war alles viel weniger kompliziert. Es war einfach: ein recht interessanter Abend. Und zwar für alle.

Mehr als ein Doppel-Solo

Die beiden Männer waren einmal nicht allein unter sich, wie sie es sonst immer in wechselnden TV-Formaten sind, sei es Giacobbo bei Schawinski oder Schawinski bei Giacobbo. Crowdtalking ist eben keine Doppel-Soloperformance. Denn das Publikum im Saal darf hier mitspielen. Allein der Casinotheater-Techniker, der aus Ostdeutschland kommt und Viktor Giacobbo am Anfang des Abends das Mikrofon richten sollte, machte hier nicht crowdmässig mit. Er hatte keine erste Frage an Schawinski: «Ich kenne den Mann nicht so.» Man hätte den Mann erfinden sollen.

Zweite Fragen gibt es dann zuhauf. Eine Auswahl: Welcher Schauspieler könnte die Rolle von Schawinski spielen, zum Beispiel in einem Biopic nach seiner Autobiografie? War­um hat Schawinski in Italien nicht einen anderen Hoger als den Pizzo Groppera gesucht, damit Radio 24 auch in Winterthur zu hören gewesen wäre? Was hat Schawinski zum Marathonlaufen gebracht? Wie würde er die Welt neu gestalten? Was ist sein Verhältnis zu Roger Köppel? Und so weiter und so fort, bis zum Haar und zur Farbe des Gesichts. Who cares?

Hazel Brugger, die den ganzen Abend am Rand der Bühne sass, macht dazu die Schnute. Denn sooo interessant sind für die Slam-Poetin die Fragen an Schawinski aus dem Publikum auch nicht: «Es zeigen sich eher ausserkörperliche Erfahrungen.» Hazel Brugger selber macht dann aus Schawinski einen Buchstabensalat – und setzte Vor- und Nachname ganz für sich neu zu risikoschwanger zusammen.

Für das Publikum bleibt aber Schawinski Schawinski: Radiomann, Fernsehmann. Marathonmann. The good looking man. So wie man ihn eben kennt.

Mit Format

Im Gespräch Giacobbo/Schawinski aber erweiterte sich zunehmend das Gebiet. Und da kann Hazel Brugger noch so die Schnute machen: Der Talk hatte Format – eben auch mit den Einwürfen des Publikums. Es war ein sehr lockeres Gespräch, mit kleinen Frotzeleien, natürlich – aber auch mit Momenten, die sehr persönlich sind. Ein Experiment unter Freunden.

Im Gespräch

27. März 2014, Landbote, von Stefan Busz

Crowdtalking im Casinotheater: Viktor Giacobbo befragt im Auftrag des Publikums Roger Schawinski. Und Hazel Brugger macht aus dem Gast einen […]

Heute wird Viktor Giacobbo sechzig. Und noch immer ist vollkommen unklar, wer dieser Mann eigentlich ist.Lieber rede er über Themen, die ihn wenigstens ein bisschen interessieren, sagte er kürzlich in einem Interview auf die Frage, weshalb er selten über sich Auskunft gebe. Befragen wir deshalb Viktor Giacobbos Musik- und Literaturgeschmack. Der lässt sich anhand der «CD-Playlist» und der Bücherliste auf seiner Website ermitteln.

Beginnen wir mit den Büchern. Giacobbo mag es voluminös, er ist folglich ein ausdauernder Leser. Ganz zuoberst steht «2666» des chilenischen Autors Roberto Bolaño. Der über tausend Seiten starke, erst posthum erschienene Roman setzt mit einer Mordserie ein, die sich an der mexikanisch-amerikanischen Grenze ereignet und dann immer weitere Kreise zieht, um schliesslich ein rabenschwarzes Bild des 20. Jahrhunderts zu zeichnen.

Aufs Ganze geht auch Haruki Murakami in seiner Romanserie «1Q84», die inzwischen bei «Buch 3» angelangt ist. Ähnlich wie Bolaño schickt sich der japanische Autor an, den inneren Kern der Gesellschaft zu ergründen, dabei stösst er auf ein dunkles Konglomerat aus geheimen Machtzentren, skrupel- loser Gewalt und fixen Ideen.

Daraus schliessen wir messerscharf: Wie weiland Faust möchte Giacobbo wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die faustische Frage trieb auch Friedrich Dürrenmatt um, der im Verbrechen eine zentrale Antriebskraft vermutete; die umfangreiche Dürrenmatt-Biografie von Peter Rüedi («Dürrenmatt oder Die Ahnung vom Ganzen») steht ebenfalls auf der Liste.

Dicke Post ist das, die man nicht so einfach aus der Hand legt mit dem beruhigenden Gedanken: «Es kommt schon gut.» Eher wird man zum Denken angeregt. Ganz besonders ist das bei Philip Roth der Fall. Von ihm hat Giacobbo «Nemesis» auf der Liste, ein Werk von archaischer Kraft, das Sigmund Freuds Einsicht bestätigt, dass das Glück von der Natur nicht vorgesehen sei. Unterhaltsamer, wobei man seinen Tiefgang nicht unterschätzen sollte, ist der Wiener Schriftsteller Wolf Haas («Auferstehung der Toten»).

Ein Intellektueller

Um die Übersicht zu erleichtern, blenden wir nun das Zwischenergebnis ein. Es mag all jene überraschen, die in Viktor Giacobbo vor allem einen harmlosen Spassmacher sehen: In ihm steckt ein intellektueller Mensch, der sich fürs grosse Ganze interessiert.

Auch in der Musik schätzt Giacobbo Dinge mit geschärftem Profil. Seine Liste umfasst ausschliesslich Rock, mit Ausfahrten in Richtung Folk (zum Beispiel Emmylou Harris) und Country («The Lost Notebooks of Hank Williams»). Fast ganz oben steht zweimal Jack White, zum einen mit den (inzwischen aufgelösten) White Stripes, zum andern mit der genialischen Band The Dead Weather; von den Ersteren das überragende «De Stijl», ein Album voll roher und ergreifender Musik.

Für eine würzig-männliche Note sorgt der unvermeidliche Aufbruch ohne Rückkehr, der in keinem guten Western fehlen darf und etwa von den Avett Brothers im feinen Folk-Album «I and Love and You» vorgetragen wird: «Load? the car and write the note / Grab your bag and grab your coat / Tell the ones that need to know / We are headed north …» beginnt der Titelsong. Auf der Liste ferner die dunkel-euphorischen Kanadier Arcade Fire («The Suburbs»), die Country-Rocker Wilco («The Whole Love») und die vielseitigen Cake aus Kalifornien («Showroom of Compassion»).

Giacobbo schätzt in der Musik edlere Fabrikate der höheren Preisklasse, die sich schon etwas bewährt haben, er ist aber durchaus bereit, Jüngeren eine Chance zu geben – solange sie aus Übersee stammen wie Manchester Orchestra aus Atlanta («Simple Math») und Okkervil River aus Austin, Texas («Im Am Very Far») – oder zumindest eine Verbindung dahin nachweisen können wie das schwedische Folk-Duo First Aid Kit («The Lion’s Roar»), das sage und schreibe auf Platz eins rangiert: zwei blutjunge Sängerinnen um die zwanzig, die mit einem Coversong der Fleet Foxes bekannt wurden.

Ein Zug ins Weite

Hinweise auf heimatgeschützte Produkte aus Switzerland, wie sie Fernsehprominente gerne geben, sucht man vergebens, auch finden sich keine Liedermacher, Panflöten und Streichquartette, ja nicht einmal Britpop. Erdverbunden muss es sein statt kopflastig, rockig im weitesten Sinn, einen Zug ins Weite soll es haben – der ferne Horizont leistet hier dasselbe wie bei den dicken Büchern der Tiefgang: Das Ende darf so schnell nicht abzusehen sein.

Zum Interesse an der Welt als Ganzes, soweit sie in Form von Geschichten präsentiert wird, treten somit die in der amerikanischen Musik gegenwärtigen Mythen; zur Freude am Auffinden verborgener Zusammenhänge tritt der Wunsch, aufzubrechen und alte Illu­sionen hinter sich zu lassen.

Was ist das also für ein Mensch? Wir vermuten, ein neugieriger, unternehmerischer Geist – er wird heute, das erwähnten wir bereits, sechzig Jahre alt. Herzliche Gratulation.

Herr Giacobbo, wer sind Sie eigentlich?

6. Februar 2012, Landbote, von Helmut Dworschak

Heute wird Viktor Giacobbo sechzig. Und noch immer ist vollkommen unklar, wer dieser Mann eigentlich ist.Lieber rede er über Themen, […]

Sie sind die Staatenbildner unter den Satirikern. Viktor Giacobbo und Domenico Blass haben die Komödie «Die Nepotistan-Affäre» geschrieben. Im September kommt dieses Stück Schweiz im Casinotheater zur Premiere.Es ist ein Ernstfall. Zwei Schweizer werden in einem Land, das eine Trallala-Diktatur ist, zur Geisel genommen. Der Grund: Die Schweizer Behörden haben den Sohn des Despoten hopsnehmen lassen, dafür soll das ganze Land nun büssen. Der Bundespräsident düst schnell hin, um die Sache zu bereinigen, allein: Die Aktion scheitert grandios. Die Konsequenz: Der Bundespräsident wird vom Parlament abgewählt, das akzeptiert er nicht und hält sich weiter für den Präsidenten. Aus diesem Grund wird der in die Psychi eingewiesen – ex und hop geht auch in einer Demokratie. In Sachen Geiseln will der Despot aus Nepotistan dann aber nur mit seinem Pendant in der psychiatrischen Klinik verhandeln, das Bedürfnis nach Grösse verbindet. So wird der Wahnsinn zum Sonderfall der Konkordanz. Gebraucht wird aber: der gesunde Verstand. Erinnert das uns nicht an eine andere Geschichte?

Hollywood hätte aus dieser Affäre, die grösser als das Leben in Wirklichkeit ist, schon längst einen Film gemacht. Der Titel hiesse vielleicht «The Mission», und zu sehen wäre der Zusammenstoss zweier Systeme in einer Art Operetten-Manier.

Unterbreitete man aber der Schweizer Filmkommission eine solche Geschichte, sie würde sagen: Erstens: zu oberflächlich. Zweitens: Frauenanteil zu gering. Drittens: Ausländerpro- blem nicht so richtig abgehandelt. Alles in allem: Gesuch abgelehnt.

Innenpolitischer Schwank

Die Pointe von der Filmkommission ist von Viktor Giacobbo und Domenico Blass. Sie sitzen im Casinotheater und erzählen von ihrem neuen Projekt. Die beiden kennen sich eben auch in Schweizer Filmpolitik light aus. Von ihnen stammen die Drehbücher für «Ernstfall in Havanna» und auch «Undercover». Jetzt haben Giacobbo/Blass die Geschichte der Nepotistan-Affäre geschrieben. Es ist wieder ein Versuch, die Schweizer Geschichte in der Möglichkeitsform zu zeigen. Diesmal als einen innenpolitischen Schwank, nach Vorlage Libyen/Merz.

Der Schweizer Film hat aber mit Querstrichen Mühe. Es ist eigentlich schon eigenartig, sagt Viktor Giacobbo, dass von der jüngsten Vergangenheit der Schweiz im Kino nichts zu sehen ist. Keine Rede von der Nähe der Politiker zur Presse, sprich Boulevard. Nichts von den grossen Schweizer Plänen und Abläufen, Stichwort Nagra und das Atomendlager. Nichts von der Konkordanz, die ein spannendes Thema ist. Nichts vom heute so grassierenden Bilderbuchpatriotismus. Nichts auch von der Armee, fügt Domenico Blass an. Nichts auch von Filippo Leutenegger, sagt Viktor Giacobbo. Und so sitzt man in der Schweiz auch meist im falschen Film.

Ein Heimspiel

Aber dafür gibt es ja zum Glück immer noch das Theater. Im September kommt «Die Nepotistan-Affäre» im Casinotheater Winterthur zur Premiere, Untertitel: Ein Diktator, ein Bundesrat und eine Geiselnahme. Da ist viel Schweiz drin. Und auch die grosse Welt. Also ein Heimspiel, im besten Sinn.

Ein Schwank. Eine Groteske. Man muss die Sachen ein bisschen verdrehen, damit sie deutlicher zu sehen sind, sagt Domenico Blass zur Anlage der «Nepotistan-Affäre». Zusammen mit Viktor Giacobbo hat er für die Satiresendung des Schweizer Fernsehens «Giacobbo/Müller» den Handel und Wandel im Figurenkabinett von «Schweiz aktuell» in den Texten plastisch gemacht – der Querstrich ist auch hier Programm. Die «Nepotistan-Affäre» bringt nun alles an einem Stück – das ist mehr als Fernsehen, Satire quasi in 3-D. Und in einem Stück können die Details viel besser ausgearbeitet werden.

Giacobbo/Blass sind eigentliche Landvermesser, sie «verändern politische Ereignisse aus jüngster Zeit bis zur Kenntlichkeit». Die «Nepotistan-Affäre» ist auch in anderer Hinsicht ein Modellfall.

Denn eine solche Produktion kann nur im Casinotheater gemacht werden. Die «Nepotistan-Affäre» zeitigt auch die Besonderheiten dieses Hauses: Was für andere nur eine Möglichkeitsform bleibt, wird hier Wirklichkeit. Die Voraussetzung: Alle verstehen sich auf die Sache. So ist es mit den Autoren. Wer ist im Schreibprozess der Diktator? Wer der Demokrat? Gibt es Geiseln? Domenico Blass und Viktor Giacobbo lachen. Es geht nur zusammen. Parallel haben sie das Stück geschrieben. Und die beste Idee gewinnt. Es gibt hier keine grosse Neigung zur Konkordanz. Und auch nicht zur ewigen Basisdemokratie: «So kommt kein Stück zusammen.»

Glücksfall Casinotheater

So ist es auch mit der Technik des Hauses. «Wir haben hier fantastische Leute», sagt Giacobbo, und sie machen alles, dass jedes Theater gut über die Bühne geht. Am 1. August muss schon das Bühnenbild stehen, damit mit den Proben für die «Nepotistan-Affäre»begonnen werden kann. Es wird stehen. Alles ordnet sich der Produktion unter.

Und dazu kommen natürlich noch die Superschauspielerinnen und -schauspieler, die für dieses Stück Schweiz aufgeboten wurden. Alle sind mit dem Haus verbunden, und einige zeigen sich in einer ganz neuen Rolle. Zu sehen sind: Hanspeter Müller-Drossaart, Esther Gemsch, David Bröckelmann, Rolf Sommer, László I. Kish und Daniel Ludwig. Ein Figurenkabinett mit allen Möglichkeiten. Regie führt Stefan Huber.

Und noch ein Detail: Wo -istan steht, ist keine Demokratie drin. Das ist mehr oder weniger allen klar. Was macht aber ein Nepot? Da kann man Wikipedia fragen, und Wikipedia sagt, das ist so etwas wie ein Nevö. Am einfachsten ist, ins Casinotheater zu gehen, um zu sehen, wie das Wort die Welt regiert. Der Ernstfall hat schon begonnen.

***

Die Nepotistan-Affäre
Ein Diktator, ein Bundesrat und eine Geiselnahme. Casinotheater Winterthur, Premiere 1. September. Aufführungen bis 1. 10.

www.casinotheater.ch

Die Landvermesser

20. Juli 2011, Landbote, von Stefan Busz

Sie sind die Staatenbildner unter den Satirikern. Viktor Giacobbo und Domenico Blass haben die Komödie «Die Nepotistan-Affäre» geschrieben. Im September […]

«Schauermärchen sehr frei nach Schiller» nennt Carla Lia Monti «Räuberinnen – Director’s Cut» – so frei, dass der Verweis auf den Klassiker als erste Provokation zu deuten ist.

Es war einmal im Schweizer Land eine sadomasochistische Adlige (Alexandra Prusa), die wollte mit Hilfe eines pervers-bigotten Bischofs (Hans-Peter Ulli) eine ihrer Töchter verschachern. Doch die blonde Emily (Nina Bühlmann) floh vor der Zwangsheirat mit dem infantilen Grafensohn und gründete mit Bordellhuren eine Räuberinnenbande. Bald schlossen sich den Vogelfreien unbescholtene Frauen aus der Umgebung an, die genug von ihren Männern und Söhnen hatten.

Es ist leicht, über den Film «Räuberinnen» herzuziehen. Übertreibungen, Verfremdungen und karikierte Figuren ohne Eigenleben stempeln die Folge sketchartiger Szenen zwar zur surrealen Burleske ab. Doch die Gags und Pointen zünden nicht und die fetten Wänste, hängenden Busen oder erigierten Gummiglieder lassen einen kalt. Nonstop inszeniert, verlieren Schamlosigkeit, Hässlichkeit und Dummheit rasch ihre skandalträchtige Wirkung: Wer kann dieses Kasperletheater ernst nehmen? Eine solche Reaktion liegt nahe, und es gibt nur einen, allerdings gewichtigen Grund, sie zu hinterfragen: Monti scheint mit ihr gerechnet zu haben. Sie verweist nämlich auf einen Filmemacher, dessen Werke wie «Pink Flamingo», «Polyester» und zuletzt «A Dirty Shame» ähnlich grotesk, geschmacklos und in der Regel unlustig sind wie «Räuberinnen»: John Waters. Sein Bild trägt Emily im Amulett und sagt, es handle sich um den verstorbenen Vater.

Auf den berüchtigten amerikanischen Provokateur bezieht sich auch Samir in einer «Anmerkung des Produzenten». Monti stelle sich «quer zu allen Lehrmeinungen über den empathischen Film» und stehe damit in der Tradition «der künstlerischen Filmemacher der 70er-Jahre wie John Waters». Das ändert die Sicht auf «Räuberinnen» radikal. Offenbar will die Regisseurin nicht, dass das Publikum sich in die Charaktere einfühlt, im Bann einer dramatisch erzählten Geschichte steht oder sich gehörig entrüstet. Vielmehr soll das Spektakel die Zuschauer auf Distanz halten. Selbst das Obszöne und Unästhetische darf nicht naiv aufgefasst werden: Monti weiss, dass die Ära der Skandale wegen derartiger Harmlosigkeiten vorbei ist. Sie stellt, so Samir, «das Groteske, Unheimliche und Schreckliche in den psychologischen und sexuellen Beziehungen» dar, aus weiblicher Sicht, aber ohne «pseudokorrektes politisches Korsett». Tatsächlich setzt sich die Autorin ideologisch zwischen alle Stühle. Mit Emilys Hippie-Softie-Lover (Niels Althus), willfährigen Beamten, hirnlosen schwulen Bodyguards, dem ohnmächtigen verweiblichten Grafen und zwei notgeilen Räubern (Viktor Giacobbo gibt den primitiven Macho, Patrick Frey den fanatischen Vegetarier), mokiert sie sich über das «starke Geschlecht».

Auch Frauen keine Vorbilder

Doch das eigene kommt kaum besser davon: Nicht Patriarchen sind Schuld an der vorgeführten Tragödie, sondern zwei kontrollsüchtige omnipotente Mütter. Emily taugt bloss bedingt als Identifikationsfigur: Verwöhnt und blauäugig muss sie durch die Ereignisse aus ihrem geistig-emotionalen Dornröschenschlaf gerissen werden. Ihre Gesellinnen entpuppen sich mehrheitlich als egoistisch. Bruchlos mutieren sie von vermeintlichen Opfern zu Ausbeuterinnen und stehen Schlange, um einen Mann zu vergewaltigen. Nur eine linientreue Feministin verurteilt den Verrat der emanzipatorischen Idee.

Das signalisiert wie unzählige andere Anachronismen, dass Monti das Hier und Jetzt im Visier hat. Symbolisch beschreibt sie unbewusste Mechanismen, welche aus Menschen fremdbestimmte Marionetten machen, die gegenwärtige Spassgesellschaft bestimmen und die Konsumhaltung fördern. Folgerichtig versagt sie dem Publikum das erhoffte Gaudi und bestätigt keine wie auch immer geartete Ideologie. Wen wunderts, steht sie auf fast verlorenem Posten!

Aufstand der Weiber, unzensiert

3. Juni 2009, Landbote, von Tibor de Viragh

«Schauermärchen sehr frei nach Schiller» nennt Carla Lia Monti «Räuberinnen – Director’s Cut» – so frei, dass der Verweis auf […]

Was tun, wenn die Inspiration ausbleibt? Mike Müller, Viktor Giacobbo und Patrick Frey machten sich bei der Premiere von «Erfolg als Chance» auf eine kurzweilige, witzige und stellenweise sogar tiefgründige Suche nach einem neuen Stück.

 

WINTERTHUR – Zwei Männer sind der Verzweiflung nahe. Erstens ist die Premiere des neuen Stückes in fünf Wochen, zweitens fehlt dazu der nötige Stoff; ausserdem lässt der Dritte im Bunde auf sich warten. Wahrlich eher schlechte Voraussetzungen, um entspannt und kreativ Ideen zu einer neuen Theaterproduktion zu entwickeln, die den «Riesenerfolg» von «Sickmen» womöglich noch überflügeln soll. Die Frage ist allgegenwärtig und zieht sich zwei kurzweilige Stunden lang dahin: Fiktion oder Realität, gut erfunden oder einfach nur der Wirklichkeit abgeschaut, was Patrick Frey, Viktor Giacobbo und Mike Müller – die Reihenfolge ist übrigens absolut zufällig gewählt, um von vornherein Eifersüchteleien auszuschliessen – dem Publikum vorsetzen? Die drei Vorzeigekabarettisten des Casinotheaters spielen nicht nur mit Sein und Schein, sie kokettieren auch ganz bewusst mit ihren eigenen Biografien. Wenn es schon nicht stimmt, dass Mike Müllers Mutter jeden Text ihres Buben korrigieren lässt, Freys Erzeugerin aus grossbürgerlichen Kreisen eine Jagdflinte besitzt, mit der sie ihren Sohn jeweils mit zwei Schüssen weckte, oder Giacobbos Mama jeden künstlerischen Wurf ihres Filius mit dem lapidaren Spruch «Wenigstens einmal etwas anderes» quittiert, dann sind die Storys zumindest grossartig erfunden.

Worum geht es bei «Erfolg als Chance»? Gute Frage, die Antwort spielt eine eher untergeordnete Rolle. Am Anfang steht jedenfalls das Nichts. Oder besser gesagt ein Stück ohne Inhalt, ein Laptop mit blankem Display. Ein Konversationsstück ohne Requisiten muss dringendst her, wenn möglich in der Art von «Sickmen». Von wegen Erfolg, sie wissen schon. Unsere Helden sind zwar abgebrühte Routiniers, die schon manche Theaterschlacht ausgefochten haben. Aber wenn die Inspiration blockt und das Brainstorming höchstens ein müdes Windchen im Hirn auslöst, dann sind auch Cracks gefordert.

Leere Hirnwindungen

Drei Bühnenprofis ohne Sinn für Sinnvolles, ohne Lust auf Witz und tiefschürfende Abendunterhaltung: Die Katastrophe wartet nur darauf, sich voll entfalten zu dürfen. Giacobbo, Müller und Frey, die sich bei «Erfolg als Chance» in erster Linie selber spielen, wissen bloss, dass das Thema «Krankheit» tabu ist, weil es bei «Sickmen» schon zur Genüge abgegrast wurde. Sonst herrscht gähnende Leere in den Hirnwindungen und im Computer. Freys intellektueller Vorschlag, das Thema «Auto» auf einer soziohistorischen Metaebene abzuhandeln, wird schliesslich ebenso verworfen wie die oben erwähnte, nicht immer einfache Beziehung zur Mutter. Auch die so unterschiedliche Herkunft des Trios – Frey entstammt dem Grossbürgertum, Müller indifferenter mittelländischer Mittelschicht, Giacobbo der Arbeiterklasse – ergibt kein abendfüllendes Thema.

Blick hinter die Kulissen

Dass die drei eine harte Jugend als Casserolier, Verdingbub oder Schwimmer im 17 Grad kalten Internatspool gehabt haben, erregte beim Publikum zwar einen gewissen Mitleidbonus, ein taugliches Drehbuch liess sich damit aber auch nicht herbeizaubern. Dass Viktor Giacobbo dem «Tages-Anzeiger» aus Versehen verriet, dass das Stück «Chnuschperland» heissen würde, trug natürlich ebenso wenig zur Verbesserung des Arbeitsklimas bei wie die Geständnisse, dass Giacobbo lieber Weinbauer in Südafrika, Frey Schriftsteller und Müller süsser Nichtstuer sein möchte.

So kam es, wie es kommen musste: Es kam nichts. Das Trio steht in dieser vergnüglichen Ode an die unerträgliche Leichtigkeit des Scheiterns schliesslich ohne Inhalte da und muss frei von der Leber weg improvisieren. Die erstaunlich flüssige Handlung ohne eigentliche Handlung kam beim Premierenpublikum bestens an; unter der Regie von Tom Ryser ist ein Stück entstanden, das sich durch einen ebenso sensiblen wie selbstironischen Blick hinter die Kulissen auszeichnet, der bestens unterhält.

Ode an die Leichtigkeit des Scheiterns

8. September 2007, Landbote, von Rolf Wyss

Was tun, wenn die Inspiration ausbleibt? Mike Müller, Viktor Giacobbo und Patrick Frey machten sich bei der Premiere von «Erfolg […]

«Vorhang auf» hiess es vor genau fünf Jahren zum ersten Mal im Casinotheater. Dass die Eröffnung schon so lange her ist, wundert selbst Initiant und Verwaltungsratspräsident Viktor Giacobbo. Auf Subventionen will er weiterhin verzichten.

 

Herr Giacobbo, wie fühlten Sie sich 2002, kurz vor der Eröffnung?

Viktor Giacobbo: Es herrschte spannende Ungewissheit und kreative Aufbruchstimmung. Davon haben wir einiges bis heute retten können. Wir wundern uns selber, dass es schon fünf Jahre her ist.

Hatten Sie Angst vor der Eröffnung?

Angst nicht, aber Respekt. Wir wussten, dass es finanziell heikel werden kann. Wir fragten uns, ob Zuschauer und Gäste kommen werden oder ob einige Zürcher recht bekommen sollten, die sagten: «Gute Idee, aber in Winterthur wird das nicht klappen». Inzwischen funktionieren ähnliche Zürcher Projekte nicht und uns gibt es immer noch.

Welche Ihrer Befürchtungen haben sich bewahrheitet?

Gewisse Dinge haben wir unterschätzt, beispielsweise die Unkosten. Pro Jahr verbraucht das Haus Elektrizität für 100 000 Franken.

Haben Sie das Ziel erreicht, ein Haus mit «nationaler Ausstrahlung» zu sein?

Ich denke, das ist keine Frage. Sogar Werbefachleute staunen, dass das Wort «Casinotheater» so schnell zu einem nationalen «Brand» geworden ist. Auch in Deutschland kennt man in der Theaterszene unser Haus.

Und das Publikum? Eine Umfrage von 2004 hat ergeben, dass die meisten Besucherinnen und Besucher aus Winterthur und der Region stammen.

Das war eine etwas einfach gestrickte Umfrage. Unsere Zuschauer kommen aus der ganzen deutschen Schweiz. Ausserdem wird die Grösse Winterthurs immer unterschätzt. Im kleineren Luzern würde niemand fragen, woher das Publikum kommt.

Luzern steht aber nicht wie Winterthur im Schatten von Zürich.

Ja. Wobei Winterthur aus diesem Schatten herauskommt und immer mehr ein eigenes Profil entwickelt. Und die Stadtzürcher haben realisiert, dass man für Winterthur kein Visum braucht.

Was ist Ihr persönliches Casinotheater-Highlight der letzten fünf Jahre?

Persönlich denke ich an die Produktion «Sickmen». Mit dem einfach produzierten, aber sehr erfolgreichen Stück gingen Patrick Frey, Mike Müller und ich auf Tournee und machten in der ganzen Schweiz Werbung fürs Casinotheater. Aber viel anderes war auch toll, zahlreiche Eigenproduktio-nen, Konzerte, Lesungen etc. Neben Gastspielen von bekannten Künstlern, mit denen wir unser Theater füllen, versuchen wir auch jungen Künstlern eine Plattform zu bieten. Leider scheitert das oft an fehlender Neugier des Publikums und vor allem der Medien.

Für die Eigenproduktionen gab es auch negative Schlagzeilen. Wie gehen Sie damit um?

Damit muss man in dieser Branche leben. Ob man Theater, Fernsehen oder Kino macht – man bekommt sowohl ungerechte Verrisse wie ungerechte Lobpreisungen.

Nehmen Sie Kritik nie persönlich?

Ich ärgere mich nicht über persönliche Meinungen, aber über Falsches oder Thesenjournalismus. Kürzlich strahlte die Rundschau einen dummen Beitrag aus, in dem es hiess, das Haus werde von der SVP finanziert. Nur weil uns neben zahlreichen andern Gönnern auch Peter Spuhler unterstützt. Auch als es einen Direktorenwechsel gab, witterten die Journalisten «Lämpen».

Keine «Lämpen» gibt es aber nirgends.

Kreative «Lämpen» haben wir in der künstlerischen Arbeit – dort gehören sie dazu –, aber nicht bei der Führung des Unternehmens.

Trotzdem: Andrej Togni, der künstlerische Leiter, verliess das Haus nach nur einem Jahr. War das ein Rückschlag?

Nein, das war eine ganz normale Ablösung. Wir merkten, dass es einen Kommunikator braucht, der die verschiedensten Leute und Mitarbeiter zusammenbringen und motivieren kann. Ausserdem muss er sich für Belange interessieren, die übers Theater hinausgehen, beispielsweise Sponsoring. Paul Burkhalter ist der ideale Mann. Seit drei Jahren prägt er das Haus auf eine sehr gute Art. Er und Marc Bürge, der kaufmännische Leiter, sind ein ideales Team. In diesem Job muss man einiges aushalten können.

Was zum Beispiel?

Es finden jährlich 500 erfolgreiche Veranstaltungen in unserem Haus statt – trotzdem resultiert manchmal am Jahresende ein kleiner Verlust, weil Theatermachen teuer ist und wir keine Subventionen haben. Diesen Druck gilt es auszuhalten.

Sie betonen, dass das Casinotheater ohne Subventionen auskommt. Wann beantragen Sie welche?

Möglichst gar nie. Wir sind angetreten mit dem Anspruch, ohne öffentliche Gelder auszukommen. Wenn es weitergeht wie bisher, können wir auch ohne Subventionen überleben und es ist unser erklärter Wille.

Trotzdem vergleichen Sie oft mit subventionierten Häusern. Weshalb?

Ja, da rutsche ich manchmal etwas in die Polemik rein – der VR-Präsident ist eben nicht immer mit dem Satiriker kompatibel. Ich bin im Übrigen sehr wohl für subventionierte Kultur. Die Frage ist aber, wer wie viel bekommt und wofür. Eine ewige Diskussion.

Die Stadt Winterthur rühmt sich mit dem Casinotheater – stört Sie das?

Nein, gar nicht. Wir haben vom Stadtrat von Beginn weg Unterstützung bekommen. Die meisten Politiker freuten sich und waren für unser Projekt, mit Ausnahme von ein paar versprengten Exemplaren der ideenlosen Rechten, die im Übrigen nicht erkannt haben, dass hier nichts anderes als ein Kultur-KMU entsteht.

Gab es Zeiten, in denen Sie bereuten, das Casinotheater initiiert zu haben?

Nein, nicht ein einziges Mal. Es war und ist ein spannendes Projekt.

Ein Blick in die Zukunft: Wird das Casinotheater sich bald in Axa-Theater umbenennen müssen?

Nein – wir mussten das Haus nie nach einem Sponsor benennen. Wir hörten von der Axa, dass sie ihr Kulturengagement auch nach der Übernahme der «Winterthur» beibehalten möchte. Alle unsere Sponsoren wissen, dass wir nur durch ein grosses Mass an Unabhängigkeit funktionieren wollen und können. Gerade deshalb haben wir zu ihnen ein sehr gutes Verhältnis. Ohne Sponsoren und Gönner wären wir heute nicht da, wo wir sind.


 

«Das Casinotheater bringt Glamour in die Stadt»

Winterthur – Seit fünf Jahren gibt es das Casinotheater. Seit fünf Jahren sieht Winterthur anders aus. Tourismusdirektor Remo Rey sagt: «Das Casinotheater hat einen Glamour-Faktor in die Stadt gebracht, den es vorher nicht gab.» Das sieht auch Stadträtin Pearl Pedergnana so: «Früher war Winterthur eine graue Industriestadt, mit Polizeistunde um elf. Heute haben wir ein lebensfrohes Image – dazu hat das Casinotheater einiges beigetragen.»

Im Kulturleben sei das Casinotheater ein riesiger Farbtupfer, sagt Kultursekretär Walter Büchi. «Genau wie das Fotozentrum hat es nationale Ausstrahlung.» Und dass es ohne Subventionen läuft, findet er erfreulich. Für Peter Frei, Präsident der Kulturstiftung gehört das Casinotheater zu einem der Schwerpunkte, «die auch für Zürcher nicht zu umgehen sind». Nicht nur im Comedy-Bereich, sondern auch in Sachen Musik müssten nun viele nach Winterthur pilgern. «Dieses Haus fehlte.» (ea)

«Kreative Lämpen gehören dazu»

30. April 2007, Landbote, von Elisabetta Antonelli

«Vorhang auf» hiess es vor genau fünf Jahren zum ersten Mal im Casinotheater. Dass die Eröffnung schon so lange her […]

Der Circus Knie ist wieder auf Tournee. Dieses Jahr mit dabei: der vorlaute Kiffer Fredi alias Viktor Giacobbo.

RAPPERSWIL – Grosser Tag am Zürichsee. Mit der gestrigen Premiere ist für den Circus Knie der Startschuss zum acht Monate langen Gastspiel durch Helvetien gefallen. Aushängeschild in den Deutschschweizer Spielorten ist der Winterthurer Viktor Giacobbo. Dass aus seinem schrägen Figurenkabinett ausgerechnet Jointdreher Fredi Hinz zum Manegen-Handkuss kommt, hat seinen Grund: Der notorische Nichtstuer hat nämlich das «Grasrauchen» aufgegeben und will beim Zirkus anheuern. Statt mit Plastiktüte mit meist illegalem Inhalt und verwaschener Jeansjacke tritt er bald im adretten Zirkusgewand auf. Seine Attitüden kann er allerdings nicht verbergen und stellt den Zirkusalltag so ziemlich auf den Kopf. Wegen seiner revolutionären Ideen und des Auftritts mit Kameldame Suleika sind die Sympathien des Publikums aber auf Fredis Seite, und schliesslich wird er gar von der Zirkusfamilie adoptiert. «Sooo guet», sein heiserer Kommentar. Beigetragen zum definitiven Engagement haben sicherlich auch die Kurzauftritte der ebenfalls von Giacobbo verkörperten Ko-Stars: Gejohle im Zelt, als der Inder Rajiv Prasat dem Publikum allerlei Zirkusmaterial zu Spottpreisen verkaufen will und die Vorzeige-Tussi Debbie Mötteli mit Franco Knie anbandelt.

So fährt Zirkus richtig ein

Anders als Fredi hat sein Namensvetter und künstlerischer Direktor Fredy Knie jun. einen Job schon lange auf sicher. Mit seiner Pferdedressur weiss er ebenso zu begeistern wie Bruder Franco mit der Elefantenshow. Nichts für schwache Nerven sind hingegen die Einlagen der waghalsigen Akrobaten und Akrobatinnen; und wenn Giacomo Sterza ganz in Wilhelm-Tell-Manier mit Armbrust und Wurfmesser nur haarscharf an seiner Frau vorbeizielt – mit echten Waffen wohlgemerkt – stockt dem Publikum der Atem.

Warum der Zirkus aber unter dem Motto «Knie – sooo guet» durch die Schweiz tingelt, ist seit gestern klar: ein Viktor Giacobbo – Verzeihung, Fredi Hinz – in Höchstform. Es scheint, dass erst Sägemehl dem liebenswürdigen Kiffer den richtigen Kick verschafft.

Manege frei für Fredi Hinz

25. März 2006, Landbote, von Christian Schiller

Der Circus Knie ist wieder auf Tournee. Dieses Jahr mit dabei: der vorlaute Kiffer Fredi alias Viktor Giacobbo. RAPPERSWIL – […]

Das Casino ist jetzt ein Theater und kein Prominentenkarussell mehr. Mike Müller und Viktor Giacobbo hasslieben sich innig.

 

«Es ist der achte Stock, nicht der siebte.» Licht aus. Die Schlusspointe sitzt in jedem Akt. «Ein seltsames Paar» aus der Feder von Neil Simon ist kein plumpes Zotenfeuerwerk, sondern eine geschickt konstruierte Boulevardkomödie. Und sie funktioniert. Viktor Giacobbo hat es verstanden, den amerikanischen Stoff in die schicke Loft im Zürcher Industriequartier (Bühnenbild: Christoph Schubiger) zu übertragen. Jetzt werden halt Suizid-SMS in die Welt gesetzt, und wenn der Lammrücken brennt, hilft der Pizzakurier aus der Haushaltpatsche.

Eukalyptus verdrängt Zigarrenrauch

Die Story ist – wie es sich gehört – denkbar einfach: Felix Unger (logischerweise von Giacobbo gespielt) fehlt an der traditionellen Pokerrunde. Das kümmert niemanden, bis durchsickert, dass Felix von seiner Frau aus der Wohnung geschmissen wurde. Der putzende Jammerlappen hat sich mit der Drohung verabschiedet, sich umzubringen. Einigermassen lebendig taucht er dann trotzdem im Kreise seiner Zockerkumpels auf. Sportjournalist Oskar Mäder (brillant: Mike Müller), der seit dem Auszug seiner Familie Abfall ablagernd durch seine Loft mäandert, bietet ein Dach über dem Kopf. Und damit beginnt die wundersame Verwandlung des Chaos. Hiess die Frage zuvor: «Was ist das Grüne im Sandwich, sehr junger Käse oder altes Fleisch?», so heisst sie nun: «Frittierte Steinpilze auf Toast oder Roquefortsoufflé?» Am desinfizierten Tisch fällt die Pokerrunde auseinander. Der Polizist Mario (souverän: Peter Fischli), der die Runde sowieso längst hätte auffliegen lassen können, verabschiedet sich ebenso wie der Fettnäpfchenliebhaber Wini (Marcus Fritsche). Auch Speed (Thomas Mathys) und Rolf (Peter Zimmermann) haben die Nase gestrichen voll von der eukalyptusgeschwängerten Luft. Da war ihr die Mischung aus Kompost und abgestandenem Zigarrenrauch noch lieber. Zurück bleibt das ungleiche Paar Oskar und Felix. Um sich zu trösten, spielen sie «Wer war der schlechtere Ehemann?»; und um sich zu unterhalten, liefern sie sich erbitterte Wortgefechte.

Schlagfertig sind sie beide. Langatmig wird der Hahnenkampf nur kurz nach der Pause. Ansonsten führt Stefan Huber wunderbar gradlinig Regie, hält das Tempo hoch und lässt zugleich Zwischentöne und Rhythmuswechsel zu. Giacobbo stattet seinen Felix mit einer gehörigen Portion Durchtriebenheit aus: Der pingelige Hausmann richtet die Waffen sofort gegen sich selbst, wenn er sie strecken müsste. Er ist sich der Macht, über die der Schuldgefühle weckende Selbstzerstörer verfügt, sehr wohl bewusst.

Müller reduziert Oskar nicht auf den Dreitakt geschieden, pleite, schlampig, sondern pendelt zwischen Hilflosigkeit und Herzlichkeit, fährt fluchend auf, um sogleich verloren in die Ferne zu blicken, weil der Sohn anruft, dessen Goldfisch in Vaters Obhut längst vertrocknet ist.

Diese Momente verleihen dem ausgezeichnet adaptierten Stück Tiefgang. Zusehends spiegelt sich im Männerstreit die Sehnsucht nach der zerrütteten, schmerzlich vermissten Ehe wider. Platt wird die Inszenierung nicht einmal, als die aufgetakelten Gudrun und Carola Taube (Katharina von Bock und Rebekka Burckhardt) auf dem Sofa wiehernd die eigenen Witze belachen. Eigentlich schluchzen sie aber viel lieber. Und auf dem Gebiet hat Felix den Doktor.

Der Aufwand hat sich gelohnt

Erstmals hat das Casino ein Kammerspiel produziert, statt ein locker zusammenhängendes Comedypotpourri zu zeigen, das in erster Linie von der Namenliste der Mitwitzelnden lebt. Der Aufwand hat sich gelohnt. Die Handschrift des Regisseurs ist deutlich zu erkennen, Müller zeigt schauspielerisch eine grosse Leistung. Beim Schlussapplaus wird Huber von seinen Hauptdarstellern in die Zange genommen und bekommt zwei dicke Küsse. Er hat sie redlich verdient.

«Ein seltsames Paar» wird bis 1.Oktober gespielt.

Sehnsucht nach dem Ehekrach

3. September 2005, Landbote, von Felix Reich

Das Casino ist jetzt ein Theater und kein Prominentenkarussell mehr. Mike Müller und Viktor Giacobbo hasslieben sich innig.   «Es […]

«SICKMEN» – Mit einer vierzigminütigen Improvisation haben Viktor Giacobbo, Mike Müller und Patrick Frey ihre CD getauft.«So gesund, wie man sich fühlt, muss man noch lange nicht sein», eröffnet Peter Schneider die selbst ernannte Expertenrunde, die am Mittwochabend im Casino-Theater über echte und eingebildete Krankheiten debattierte. Psychoanalytiker Schneider leitete das vierzigminütige Wartezimmergespräch. Mit der ziemlich improvisierten Runde wurde die CD mit einer Live-Aufnahme des Stücks «Sick Men» getauft.

Die Runde hatte publikumsmässig gegen das schöne Wetter anzukämpfen, bot den etwa dreissig Anwesenden aber eine amüsante Plauderstunde zu unangenehmen Problemen. Ohne Drehbuch handelte sie etwa von Patrick Freys Augenoperation, nach der er auf dem linken Auge eine Sicht hat wie ein unterkühlter Videoclip. Mike Müller gesteht eine Essstörung, die er aber nur zur Hälfte praktiziert, weil er sich nach dem Essen nicht übergeben will. Viktor Giacobbo erzählt von seiner Schulterentzündung, die ihm seinen ersten Ultraschall einbrachte, und Moderator Schneider glaubt, seine chronische Entzündung des Enddarmes mit Zigarren und der Absenz von jeglicher sportlicher Betätigung behandeln zu können. Das Publikum wird auch nicht von den Details seiner Stuhlbeschaffenheit verschont. Die Frage nach dem «Urologen-Finger» artet schliesslich in einen Streit aus. Nur Mike Müller hält sich zurück: «Ich gehöre zu den Menschen, die solche Sachen noch aus Spass machen.» Die ersten beiden Käufer der CD erhalten das Kinderbuch «Mein erster Arztkoffer» und den Roman «Narkose-Mord».

Plaudern im Wartezimmer

20. August 2004, Landbote, von Monika Freund

«SICKMEN» – Mit einer vierzigminütigen Improvisation haben Viktor Giacobbo, Mike Müller und Patrick Frey ihre CD getauft.«So gesund, wie man […]

2017