Viktor Giacobbo

, 23. Oktober 2005, von Martin Walder

Italokaffee und anderes Pulver

«Undercover» heisst der neue Film mit Viktor Giacobbo. Er liegt im Trend der neuen Schweizer Erfolgsfilme.

 

Im Vorfeld waren Unkenrufe zu vernehmen: «Undercover», der neue Spielfilm von und mit Viktor Giacobbo, sei besser, aber weniger lustig als der Kinoerstling «Ernstfall in Havanna». «Das habe ich auch schon von zwei Seiten gehört», bestätigt der Comedy-Star. Wir können Entwarnung geben: «Undercover» ist mehrschichtiger und realitätsnaher als der Vorgänger, weniger komisch ist er nicht. Komik ist sowieso eine Frage der Definition: «Man kann noch viel weniger  sein, damit etwas lustig ist», findet die Regisseurin Sabine Boss: «Ich hätte den Film sogar noch ruhiger gemacht.» Aber natürlich weiss sie, dass eine Genre-Form ihre Gesetze für die Umsetzung auf der Leinwand einfordert.

Sabine Boss, Viktor Giacobbo und sein Co-Autor Domenico Blass sind ein  Erfolgsteam. 313 000 Eintritte hat «Ernstfall in Havanna» erreicht, ein Höhenflug für Schweizer Verhältnisse. Warum also das Rezept nicht wiederholen? Es habe schon anders werden sollen, bekräftigt die Produzentin Ruth Waldburger, «etwas einfach zu wiederholen, ist aus Erfahrung nie gut, aber die Handschrift der Autoren ist unübersehbar – ebenso das Gemeinsame der beiden Filme: Komödien, die auch politisch sind, über Politik sprechen, über etwas, das spezifisch schweizerisch ist, obwohl in Italien gedreht».

Stressiges Doppelleben

Fettnäpfchentrampel Balsiger von der Schweizer Botschaft in Havanna aus dem Erstlingsfilm hat hier einem tüchtigen Ermittler der Bundeskriminalpolizei namens Boris Ruf (Giacobbo) Platz gemacht. Die furchterregende Eröffnungssequenz in Afghanistan setzt den Ton, der aber bald Behäbigerem weicht. Ruf führt gleich zweifach ein Doppelleben – privat und beruflich, Komplikationen sind garantiert. «Undercover» ist eine sich auch selber geniessende Agentenkomödie über Berlusconi-Italien, Küche, Fussball, Kokain, Kaffee und «treuhänderische» Geldwäscherei mit Mafiamethoden (und mit Mike Müller als Bösewicht), eine augenzwinkernde Konfrontation schweizerischer, italienischer und ein bisschen bajuwarischer Mentalität – deren Klischierung inklusive. In den Thriller eingebaut ist die Farce einer stressigen Liebesaffäre zwischen dem Agenten und seiner Chefin in der Bundeskriminalpolizei (Nana Krüger); diese will Bundesanwältin werden und strauchelt beinah über die Aktionen ihres auch erotisch Untergebenen.

Ganz schön draufgängerisch die Dame, und Boris/Giacobbo, der sich eigentlich nach nichts mehr sehnt als nach Sex wieder einmal in einem schlichten Bett, guckt fast so verzweifelt wie Woody Allen. Schliesslich dekliniert der Film eine nicht unkomplizierte Vater-Tochter-Beziehung so durch, dass die 16-Jährige (Anna Schinz) am angeblichen italienischen Ferienort just in die falschen Hände gerät, während die Mama (Silvie Rohrer), mit dem Harley-Macker Nick auf dem Befreiungstrip weg vom Langweiler Boris, die neusten Verzückungen ins Handy quäkt. Die Selbstironie, mit der Giacobbo hier mit dem Image des Biedermanns spielt, ist von feiner Komik.

Es ist also einiges los in «Undercover», woher denn eigentlich die Unkenrufe in Sachen Lustigkeit? Vielleicht sind sie symptomatisch für eine Erwartungshaltung im gegenwärtigen Schweizer Spielfilm, um dessen Popularität in Öchslegrad an Pointen konkurriert wird. Neuere Kino-Kassenschlager wie «Ernstfall in Havanna», «Achtung, fertig, Charlie!» (560 000 Eintritte), «Mein Name ist Eugen» (253 000) oder auch «Sternenberg» (123 000) stehen dafür. Die Pointe oder zumindest die Pointierung, die formal effektvolle Zuspitzung in Bild und Dialog, ist der gemeinsame Nenner von Filmen, die sich in manchem durchaus unterscheiden, deren Figuren sich aber primär durch die Situation charakterisieren, in die sie geraten – gemäss der Drehbuchmaxime: An ihrem Verhalten sollst du sie erkennen. Je verschachtelter, je bunter die Dramaturgie, desto vielversprechender die Ausbeute an Attraktionen. Mit andern Worten: In der Tendenz eine Fortsetzung der Fernseh-Soap mit Kinomitteln.

Nichts dagegen einzuwenden. Das Engagement des Fernsehens mit den Sonntagabend-Dialektfilmen hat in der Szene Schubkraft entwickelt, ermöglicht Regie- und Schauspieltalenten Kontinuität und Spielräume, überhaupt hat eine von altväterischem Respekt gegenüber dem Film unberührte Generation die Kamera in die Hand genommen. Der Schweizer Film tritt frischer auf, was dem Klima zwischen ihm und dem Publikum nur förderlich sein kann. Ein Trend zu Standards hockt sich aber im Bewusstsein fest, und wenn da inzwischen – auch! – ein Überdenken angesagt wäre, ist dies nicht zuletzt eine Forderung nach den jeweils adäquaten Kanälen der Filmförderung. Nicht um «Sternenberg» oder «Undercover» zu Problemfilmen über Landflucht und Geldwäscherei umzukrempeln; auch weiss Giacobbo, dass politische Satire im TV-Format aktuell besser aufgehoben ist. Es geht um die Kräftigung und Promotion der ganzen schönen Vielfalt an Qualitäten und Handschriften im gegenwärtigen Schweizer Film.

Neue Herausforderungen

Viktor Giacobbo ist da nicht skeptisch. Falls ein Trend zur Standardisierung tatsächlich bestehe, meint er, «dann wahrscheinlich als Reaktion auf die Zeiten, als man das innerhalb der Schweizer Filmszene nicht durfte, als die Bezeichnung  das grösste Schimpfwort war. Ich sehe eher die Tendenz, dass in der Schweiz Filme in den unterschiedlichsten Genres entstehen und diese nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden, dass eine Komödie nicht mehr grundsätzlich weniger wert ist als ein Flüchtlingsdrama. Zum Glück sind jetzt viele neue junge Filmer aufgetaucht, die sich um Muster, Tendenzen und Tabus nicht kümmern, sondern sehr kreativ an ihre Filme herangehen.»

«Undercover» kann ein Erfolg prognostiziert werden. Fortsetzung folgt? Kaum. Sabine Boss freut sich auf ihren Fernsehkrimi, wo sie mehr mit Bildern arbeiten will und «einem Drittel weniger Dialog – ich setze mir da immer so Vorgaben!» Und Viktor Giacobbo, der sympathische Star, hat ein Filmprojekt im Kopf, bei dem er Regie führen möchte. Vorerst aber heisst es eine Saison lang Zirkus Knie. Mit Fredi Hinz!

«Undercover» startet am 3. 11. 05.

2017