Viktor Giacobbo

, 25. Januar 2008, von Rolf App

Im Zentrum des Humors

Viktor Giacobbos schräge Figuren sind legendär, sein Sinn für satirische Zuspitzung ist ungebrochen: Am Sonntag startet Viktor Giacobbo neu. Eine Begegnung im Casinotheater Winterthur.

Draussen ist das Programm des Casinotheaters vom Januar angeschlagen. Ferruccio Cainero wird angekündigt, Reto Zeller, Dieter Hildebrandt und Roger Willemsen, Joachim Rittmeyer, Hanspeter Müller-Drossaart mit seinem ersten Soloprogramm. Marco Fritsche bewirtet Comedy-Newcomer in seiner Künstler-Kantine. An der Türe hängt ein Zettel: Gerhard Polt ist ausverkauft, Hildebrandt und Willemsen ebenfalls. Drinnen im Foyer lebhafte Kinderstimmen. Um 14 Uhr ist Kinderkonzert mit Ueli Schmezer.

700 Veranstaltungen im Jahr

Als er hereinkommt, mustert Viktor Giacobbo das Gewimmel nicht ohne Stolz. «Wir haben hier im Jahr siebenhundert Veranstaltungen, davon 270 öffentliche Vorstellungen», sagt der Mann, dem das Casinotheater seine Existenz verdankt. «Das letzte Jahr war das beste seit der Eröffnung im Jahre 2002.» Wieder etwas, das er zum Erfolg geführt hat. Wobei er nicht nur als Verwaltungsratspräsident das Ganze mitsamt dem Geschäftlichen im Auge hat, sondern am liebsten hier selber auf der Bühne steht.

Zugetraut haben Viktor Giacobbo und seinen Mitstreitern so etwas viele nicht. «Die Stadtzürcher meinen ja immer, wenn etwas nicht auf ihrem Boden wachse, könne es nicht gelingen», sagt er, Spott in der Stimme. «Mittlerweile strömen sie in Scharen hierher. Sie haben gemerkt, dass es mit der Bahn nur ein paar Minuten sind, und dass man weder Pass noch Visum braucht.»

Humor und Geschäft

Der Stolz des Winterthurers steckt in diesen Worten. Und die alte Rivalität dieser sechstgrössten Stadt der Schweiz gegenüber Zürich. Winterthur hat sich auf unauffällige Weise immer wieder neu erfunden, und so ist es auch hier gegangen. Giacobbo kam, sah im Vorübergehen ein zerfallendes, aber für ein Theater sehr geeignetes Haus, und siegte – im Verein mit anderen und in geschickter Abstimmung mit der Politik. So ist der Mann, der hier einst die Weltrevolution probte, zum Vorzeige-Winterthurer geworden. «Dabei wohne ich nicht einmal in der Stadt.»

Ja, Humor und Geschäftstüchtigkeit schliessen sich gegenseitig nicht aus. Der Schöpfer schon beinahe unsterblicher Figuren wie Rajiv Prasad, Erwin Bischofberger, Debbie Mötteli oder Fredi Hinz (siehe Text unten) kann gut mit Geld umgehen. Er muss es können. «Wir sind ja alles Kleinunternehmer», sagt er mit Blick auf die Comedyszene, die in seinem Haus ein- und ausgeht. Niemand kann da einfach die Hände in den Schoss legen, jeder muss unablässig an neuen Projekten werkeln. Er selber gerade an «Giacobbo/Müller – Late Service Public»*, mit dem er am Sonntag nach sieben Jahren selbst gewählter Abstinenz auf die Fernsehbildschirme zurückkehrt. Sehnlich erwartet vom einstigen Publikum von «Viktors Spätprogramm».

Die Winterthurer Weltrevolution

Das mit der Weltrevolution ist allerdings so wild nicht gewesen. Aber es hat ihn geprägt. «1968 war ich gerade sechzehn und Schriftsetzer-Stift», erzählt Giacobbo. «Am Anfang ist die Bewegung noch spontan und kreativ gewesen, mit der Zeit aber wurde sie immer dogmatischer.» Das passt dem jungen Mann bald nicht mehr, er wird zum Abweichler – was für einen Satiriker keine schlechte Rolle ist. 1978 spediert ihn die «Kommunistische Organisation Arbeiterpolitik» an die frische Luft – mit einem Flugblatt, das Giacobbo mit Genuss auf seiner Homepage präsentiert, als «Rarität».

«VG hat objektiv gegen die Kommunisten Stellung bezogen und muss deshalb als Antikommunist bezeichnet werden!», heisst es da mit geradezu tödlichem Ernst. «VG war in seiner Jugendzeit ein fortschrittlicher Mensch», dann sei er «immer mehr ein kleinbürgerlich-individualistischer Intellektueller» geworden, habe sich, welch ein Graus, sogar vom Schriftsetzer zum Korrektor hochgearbeitet («er wollte keine schmutzigen Hände mehr») – und schliesslich den Sprung zum Fernsehen geschafft. «Jetzt weht ihm etwas vom Duft der grossen weiten Welt um den Kopf.»

Zu diesem Zeitpunkt steckt die Satiriker-Laufbahn schon in ihren Anfängen. Erwacht ist der Sinn fürs Schräge aber sehr viel früher, «schleichend», wie Giacobbo erzählt. «Ich habe schon früh in der Familie eine freche Schnorre gehabt, und in der Schule habe ich mich erst von der grauen Masse abgehoben, als das Wort wichtig wurde.» Mit besonderen sportlichen Leistungen oder kräftigen Fäusten kann der jugendliche Giacobbo nicht aufwarten, dafür mit Schlagfertigkeit und einem Gesicht, das allein schon die Lachmuskeln zucken lässt.

«Es geht um etwas»

Er schaut fern, sieht Programme der Münchner «Lach- und Schiessgesellschaft» mit Dieter Hildebrandt – und spürt: «Da geht einer hin und bringt die Leute zum Lachen. Und es geht um etwas.» Es geht um etwas: Er meint damit die Politik und das Gesellschaftliche. «Es gibt gute Klamauk-Komiker, die ich sehr lustig finde», sagt Giacobbo. «Aber meine Sache wäre es nicht – jeder muss da seinen Stil finden.» Der Stil muss dem Menschen entsprechen, deshalb kann Giacobbo auch kein Vorbild benennen.

Mit Gerhard Polt ist er befreundet, doch der ist schon vom Dialekt her ein Unikat. Doch Unikate sind sie im Grunde alle, und die Schweiz, die sich selber für nicht überaus humorvoll hält, produziert sie in grosser Zahl. Seit Jahrzehnten. Da sind in der Vorkriegs- und Kriegszeit die Cabarets «Pfeffermühle» und «Cornichon», da ist später das «Cabaret Fédéral». Da sind Margrit Rainer und Ruedi Walter, Voli Geiler und Walter Morath, César Keiser und Margrit Läubli, das Duo Fischbach. Da sind Alfred Rasser, Emil, Franz Hohler, Joachim Rittmeyer, Lorenz Keiser, Simon Enzler, Ursus und Nadeschkin. Es ist eine Aufzählung, die noch lange weitergehen könnte.

«Das hält uns vif»

Und die den enormen Reichtum gerade unserer Zeit zutage fördert. Und «das Schöne ist, keiner ist auf den andern neidisch», sagt Giacobbo. Sie alle empfänden Respekt füreinander auch, weil sich jeder in der freien Szene durchsetzen muss. «Keiner bekommt Subventionen, deshalb nimmt auch keiner dem andern etwas weg.» Freie Szene, das heisst auch: viel Ungewissheit, was die berufliche Zukunft angeht. Macht das nicht auch Angst? Viktor Giacobbo reagiert mit ungläubigem Blick. «Als Künstler lebt man so», sagt er. «Aber das hält uns vif.»

Von «Viktors Spätprogramm»…

Auch in seinem Leben reiht sich Projekt an Projekt. Es fängt mit satirischen Texten an, die er für die Zeitschrift «Tell» schreibt, setzt sich 1979 bei den Comedy-Theatertruppen «Stuzzicadenti» und «Zampanoo’s Variété» fort. 1985 folgt «Harul’s Top Service», eine komische Truppe falscher Kellner – mit Giacobbo als speckige Putzfrau oder spiessigen Securitas. 1987 bekommt der beim Fernsehen als Dokumentalist Angestellte die Gelegenheit, in Ueli Heinigers Sendung «Medienkritik» die Schlussnummer zu gestalten, in der er als «Herr Wolf» auftritt und sein Imitationstalent unter Beweis stellt. Drei Jahre darauf bekommt er mit «Viktors Programm» eine eigene Sendung, aus der 1995 «Viktors Spätprogramm» wird.

Daneben macht er Theater, schreibt Texte, gestaltet Filme mit wie «Ernstfall in Havanna», geht mit dem Circus Knie auf Tournée. Aber das Fernsehen bleibt der ideale Ort für ihn. «Nirgends sonst hat man für die Satire solche Mittel zur Verfügung», sagt er. Im «Spätprogramm» kostet er sie alle aus, und in «Giacobbo/Müller» wird er zum Teil auf die dort kreierten Figuren zurückgreifen.

…zu «Giacobbo/Müller»

Im Wochenrhythmus werden er und Mike Müller einander Stichworte an den Kopf werfen und spontan aktuelles Geschehen kommentieren. Sie werden Gäste empfangen und andere Kabarettisten auftreten lassen. Die Sendung wird am frühen Sonntagabend vor Livepublikum im Zürcher «Kaufleuten» aufgezeichnet. «Für mich gehört Livepublikum ganz wesentlich zur Satire», sagt Giacobbo. «Es gibt keine andere Kunstform, bei der man so rasch ein Feedback bekommt.»

2017