SonntagsZeitung, 29. Juli 2025, von Andreas Tobler
«Die Rechten sind die gemütlicheren Simpel»
Puffmutter und Mafiaboss der Schweizer Comedyszene wurde Viktor Giacobbo genannt. Ein Gespräch über Wokeness, hochhackige Schuhe, spontane Tränen – und die Einfallslosigkeit des Schweizer Fernsehens.
Viktor Giacobbo ist eine Legende: Mit seinen Late-Night-Sendungen prägte er den Schweizer Humor für Jahrzehnte. Figuren wie Harry Hasler, die Giacobbo noch immer spielt, gehören inzwischen zur Schweiz wie das Heidi und der Wilhelm Tell.
Nun ist der 73-Jährige aus dem Verwaltungsrat des Casinotheaters Winterthur ausgetreten, das er vor 25 Jahren zusammen mit anderen Künstlern gekauft und zum erfolgreichsten Privattheater der Schweiz gemacht hat. Doch kürzer tritt Giacobbo nicht, auch wenn zuletzt vom «Klaus-Schwab-Effekt» die Rede war: Giacobbo tourt weiterhin mit dem Circus Knie. Und im September bringt er ein Geburtstagsstück von und mit Walter Andreas Müller am Casinotheater zur Premiere.
Nach Ihrem Austritt aus dem Casinotheater-Verwaltungsrat war vom «Klaus-Schwab-Effekt» die Rede. Das weckte allerlei negative Assoziationen, da dem WEF-Gründer so einiges vorgeworfen wird.
Da habe ich mich gewundert. Wer das schrieb, hat wenig Ahnung von einem Theater-KMU. Es stimmt, dass ich nach 25 Jahren den Verwaltungsrat des Casinotheaters verlasse. Ich bleibe dem Haus aber als künstlerischer Berater erhalten, spiele weiter in Theaterproduktionen und moderiere meine Show «Late Giacobbo». Ich mache heute nur noch, worauf ich Lust habe. Ich weiss, das ist ein grosses Privileg.
Hatten Sie in Ihrem Leben mal Angst, dass es finanziell mal knapp werden könnte?
Nein. Auch nicht als ich eine Lehre als Schriftsetzer gemacht habe. Ich habe in meinem gesamten Leben nie weit in die Zukunft hinaus geplant. Für einen Verwaltungsrat ist diese Haltung natürlich falsch. Aber für mein Leben als Künstler stimmt sie: Alles, was ich machen konnte, hat sich ergeben. Teils durch Zufall. Ich wollte auch nicht unbedingt von Anfang an ins Fernsehen.
Eine Karriere ganz ohne Ehrgeiz?
Natürlich musste ich dranbleiben, gerade wenn es mal schwierig wurde. Aber eigentlich ergab sich bei mir immer das eine aus dem anderen, immer auf eine gute Art und meistens in einem Team. So war es bei «Viktors Programm», aber auch später beim Casinotheater Winterthur: Ich stand auf der anderen Strassenseite mit dem Schauspieler Rolf Corver und schaute auf das Haus, das in einem schlechten Zustand war. Ab dann hatten wir die anfänglich naive Idee, das Haus mit anderen Künstlern zu übernehmen.
«Nach den Zirkus-Vorstellungen erhalte ich regelmässig Komplimente von Frauen.»
Wie wichtig ist Ihnen Anerkennung?
Natürlich liebe ich es, wenn die Leute mögen, was ich mache. Ich mache das jedoch nicht für das Lob in den Medien. Sondern für den Moment. Es ist toll, wenn man merkt, etwas funktioniert und man kann noch einen draufsetzen. Zurzeit erlebe ich das einmal mehr auf der Tournee mit dem Circus Knie. Mike Müller und ich spielen da zwar geschriebene und geprobte Nummern, aber bei Livevorstellungen ergeben sich immer wieder Momente, wo wir improvisieren können. Diese direkte, spontane Komik zu machen, die das Publikum animiert, ist etwas vom Schönsten.
Sie werden dann durchspült von Glückshormonen?
Nennt man das so? Ja klar, wobei man sofort an den nächsten Moment denken muss. Und an die hochhackigen Schuhe, mit denen ich als Frau Giebler in die Manege hüpfe. Wegen der Schuhe erhalte ich nach der Vorstellung regelmässig Komplimente von Frauen. Erstens wegen der Schuhe, und zweitens wegen meiner Beine. Das ist etwas tragisch in meinem Alter, oder?
Viele junge Comedians sind heute im Internet sehr erfolgreich. Brauchen die noch den Live-Auftritt?
Ich finde ja. Cedric Schild zum Beispiel erreicht im Internet teils über eine Million Menschen. Dennoch habe ich ihm empfohlen, auch mal auf die Bühne zu gehen, was er ja nun gemacht hat. Mit Erfolg: Er erreicht im Theater sowohl ein junges wie ein altes Publikum.
Sie haben dabei Regie geführt.
Ja, wobei das im Wesentlichen sein Erfolg ist – und der seines tollen Teams. Cedi ist einer der wenigen, der noch Figuren spielt. Schade, dass es heute so wenige Stücke mit Dialog für Figuren gibt.
«Es sind nicht alle geeignet, eine Late-Night-Sendung zu moderieren, egal ob Frau oder Mann.»
Wann hat das begonnen, dass Comedians die Wahrheit verkünden wollen – mit dem Briten John Oliver?
Eigentlich finde ich das ja cool. Aber wer das machen will, muss auch so gut wie John Oliver sein. Das fand ich bei der Diskussion um die neue Late Night von SRF sehr einfallslos. Es sind nicht alle geeignet, eine Late-Night-Sendung zu moderieren, egal ob Frau oder Mann. Das ist auch nicht schlimm. Ärgerlich fand ich nur, wie einfallslos das SRF war. Sie wollten unbedingt eine neue Late Night, anstatt ein neues, ganz anderes Format zu erfinden, zum Beispiel um eine Künstlerin wie Frölein Da Capo, die einen neuen Mix aus Musik, Satire, Comics etc. bieten könnte.
Heute erwartet man, dass Comedians zu weltpolitischen Ereignissen eine Meinung haben. Ist das falsch?
Nein, das habe ich auch immer gemacht. Aber nur die politische Haltung alleine ist langweilig. Es gibt so viele künstlerische Möglichkeiten, eine politische Haltung auszudrücken, indem man zum Beispiel ein Arschloch spielt und auch mal eine gewisse Ironie oder Ambivalenz wirken lässt. Mein Harry Hasler im Zirkus ist zum Beispiel neuerdings Trump-Fan.
Der joviale Blöffer mit Brusthaartoupet und Corvette, dem man schon immer mehr durchgehen liess, obwohl er ja eigentlich ein Sexist ist?
Ja, ich muss doch als Komiker nicht immer alles ausformulieren, was ich selbst denke oder selber nicht bin. Aber ich will hier nicht nur mosern, denn dann wäre ich wirklich alt: Es gibt nach wie vor grossartige junge Komikerinnen, zum Beispiel Reena Krishnaraja. Oder Anaïs Decasper, eine Komikerin, der das SRF mal etwas Grosses geben sollte.
«Die Bubble-Heimeligkeit der Wokeness provoziert höchstens einen Backlash, den wir im Moment gerade erleben.»
Viele junge Comedians wollen heute möglichst alles richtig machen, niemanden ausschliessen – ausser die Rechten.
Ja, oder jene, die die falsche Frisur haben. Da sind Krishnaraja und Decasper zum Glück anders.
Verfolgt die Wokeness falsche Ideale?
Nein, die Ideale sind nicht falsch, nur deren Priester. Ich war als jugendlicher Aktivist selber ein arroganter Besserwisser. Daher verstehe ich bei den Jungen sehr vieles: Sie sind im Aufbruch, wollen die Welt verändern, und zwar sofort. Die Grundprinzipien der Wokeness sind toll. Aber wenn es zur Religion wird und es immer mehr Leute gibt, die zu Woke-Polizisten werden, dann kommt es zu einer Abgrenzung in Bubbles. Das beobachte ich auch bei einigen Comedians, die sehr talentiert sind. Aber diese Bubble-Heimeligkeit wird nie über die eigene Stube hinausdringen. Sie verhindert demokratische Auseinandersetzung und provoziert höchstens einen Backlash, den wir im Moment gerade erleben.
Sie sind noch auf Elon Musks X, wo dieser Backlash gerade vorangetrieben wird.
Viele verstehen mein Bleiben nicht. Ja, Elon Musk hat das ursprünglich bunte Twitter zerstört. Aber X ist immer noch eine grosse Plattform, die ich dort habe. Die verlasse ich nicht aus moralischen Gründen, ohne mich zu wehren. Es gibt da einige stramme Rechte, denen ich schon seit Jahren folge und sie mir auch. Aber es sind Leute, die nicht nur über Linke und Grüne fluchen, sondern ihre Sicht darlegen. Ich will mich weiter an ihnen abarbeiten, mich mit ihnen streiten. Das hört natürlich sofort auf, wenn sich einer rassistisch oder diskriminierend äussert. Dann blockiere ich.
Was ist das Ziel der Auseinandersetzung auf X?
Dass man argumentiert. Oder dass man auch mal einen Joke über jemand anderen macht und dann selbst bereit ist, einen einzustecken.
«Marco Rima und Andreas Thiel sind immer noch Kollegen.»
Sind Rechte wirklich humorvoller als Linke?
Das würde ich nicht sagen. Aber die Rechten sind manchmal etwas lockerer drauf. Zumindest wenn man direkt mit ihnen zu tun hat, wie wir das bei Giacobbo/Müller pflegten. Das ist eine Lockerheit, die für eine Demokratie förderlicher ist als die kategorische Haltung einiger Linken, die sagen: Mit dem rede ich ganz bestimmt nicht!
Die Rechten sind eher bereit, Ihre Verhärtung abzulegen?
Das weiss ich nicht. Aber wenn es um Humor geht, sind die Rechten manchmal einfach die gemütlicheren Simpel.
Warum gibt es dann weniger rechte Komiker?
Das frage ich mich auch immer wieder. In der Schweiz gibt es zwei Bekannte: Andreas Thiel und Marco Rima.
Beide sind während der Coronapandemie abgedriftet. Sprechen Sie noch mit den beiden?
Ja klar. Wenn ich sie seltenerweise treffe, reden wir einfach nicht über Politik, sondern über anderes. Es sind immer noch Kollegen, mit deren Arbeit ich früher mehr anfangen konnte als heute.
Sie sprechen mit allen?
Ja, ausser jemand will etwas Böses. Aber das ist weder bei Andreas Thiel noch bei Marco Rima der Fall.
«Schlägt eine grössere Eigenproduktion fehl, geht es sofort um die Existenz des ganzen Theaters.»
Würden Sie Marco Rima und Andreas Thiel im Casinotheater auftreten lassen, wenn die beiden dort spielen möchten?
Bei allen, die im Casinotheater auftreten wollen, sage nicht ich als Erster etwas, sondern die künstlerische Leitung. Das ist zurzeit Léa Spirig. Natürlich würden wir dann gemeinsam darüber diskutieren, wie wir das auch bei anderen Künstlerinnen und Künstlern tun, die im Casinotheater auftreten möchten.
Es hiess, Sie seien die Puffmutter oder der Mafiaboss der Schweizer Comedy-Szene.
Puffmutter gefällt mir. Der Begriff Mafiaboss hingegen funktioniert einfach nicht. Ich wäre der schlechteste Mafioso, den man sich vorstellen kann: Anstatt etwas für mich rauszuholen, habe ich Geld ins Casinotheater reingesteckt.
Wie viel?
Sehr viel. Und es steckt immer noch viel Geld von mir drin. Als das Casinotheater zu Beginn und vor etwas mehr als zehn Jahren auf der Kippe stand, habe ich mit anderen nochmals Geld à fonds perdu eingeschossen. Noch heute sind wir dem Risiko eines strukturellen Defizits ausgesetzt: Schlägt eine grössere Eigenproduktion fehl, geht es sofort um die Existenz. Und das betrifft nicht nur das Theater, sondern auch den Betrieb mit über 60 Angestellten und zahlreichen Lernenden in Küche, Service und Technik.
Wirklich?
Ja, damit haben wir in all den Jahren gelebt. Und es ging immer auf – ohne staatliche Gelder.
Was wäre so schlimm, Geld vom Staat anzunehmen – wie es andere Theater tun?
Es wäre kein Problem, wenn wir dann immer noch die gleiche Unabhängigkeit hätten. Aber ich fürchte, sobald wir einen Franken Steuergeld erhalten, dass dann ein Gemeinderat oder sonst wer aus der Politik auf den Plan tritt und sagt: «Und das mit unseren Steuergeldern!»
«Millionengeschenk für die Linksreichen» war eine Plakatkampagne, als in Winterthur über den Verkauf des Casinotheaters an Sie abgestimmt wurde.
Das reibe ich Alfred Heer, der damals im Nein-Komitee war, immer noch unter die Nase. Etwa kürzlich, als es um meine Reichweite auf X ging.
«Dich haben sie noch nicht geschliffen», kommentierte der SVP-Nationalrat einen Ihrer Posts.
«Tja, wir Linksreichen», schrieb ich dazu. Heer reagierte mit einem Smiley. Er ist auch einer, der einen Joke lachend einstecken kann. Da zeigt sich eben wieder der gemütliche rechte Simpel.
In den USA ist mit der Show von Stephen Colbert die beim Publikum erfolgreichste Late-Night-Sendung abgesetzt worden, weil sie für seinen Sender ein Verlustgeschäft ist. Ist Late Night am Ende?
Es gab einige, die meinten, man müsse nun gerade die SRG verstärkt unterstützen, um weiterhin Late-Night-Sendungen zu haben. Da werden Dinge vermischt, die nichts miteinander zu tun haben: Die Late-Night-Shows finden in den USA bei Privatsendern statt. Sie ermöglichen seit Jahrzehnten, dass Satire gegen die Regierung gemacht wird – und zwar jeden Abend mit teils sehr scharfen Pointen. Das muss man mal als grosse Errungenschaft anerkennen.
Bei Colbert ging es zuletzt dauernd gegen Trump. Etwas langweilig, nicht?
Auch als ich noch Late-Night-Sendung bei SRF machte, habe ich solche Formate nur sehr selten geschaut. Eigentlich nur, wenn ich für Ferien in den USA war. Heute schaue ich nur Ausschnitte aus den Shows. Mein grosser Held war David Letterman, der unerreicht ist: Er hatte eine grosse Souveränität und Selbstironie, zugleich aber auch eine Liebe zum Blödsinn. Heute leben wir jedoch in einer Zeit, in der man an diesem Idioten namens Trump als Comedian fast nicht vorbeikommt.
Es gibt die These, dass Trump sehr viel von den Stand-up-Comedians übernommen hat und unter anderem deshalb mit seinen Auftritten so erfolgreich ist. Einverstanden?
Das glaube ich nicht. Trump hatte schon immer ein schmerzloses Mundwerk. Er ist ein skrupelloser Egomane und völlig ungebildet. Eigentlich weiss er nichts über unsere Welt, die er groteskerweise zurzeit vor sich herjagt.
Es reicht offenbar, um US-Präsident zu werden.
Das ist das Elend, das alle meine Freunde in den USA beklagen.
«Ich heule bei Videostorys über gerettete Tiere. Selbst vor Katzenvideos schrecke ich nicht zurück!»
Wie gebildet muss ein Komiker sein?
Ich selbst habe keine klassische Bildung. Ich war aber immer neugierig, habe immer viel gelesen, bin viel gereist, habe mich für vieles interessiert. Ich kenne zum Beispiel die gesamte japanische Geschichte der Tokugawa-Ära, die bekanntlich von 1603 bis 1868 dauerte – und Sie wollen jetzt nicht wirklich, dass ich hier das Thema vertiefe…! Meine Bildung ist meine Neugier.
Anders als in Deutschland, wo Harald Schmidt eine Zeit lang die Intellektuellenkarte spielte, gab es in der Schweiz eigentlich nie jemanden, der mit Bildungszitaten arbeitet. Die erfolgreichste Gruppe der Schweiz ist Divertimento, die in ihren Programmen nicht über das hinausgeht, über was man als Jugendliche in der Sekundarschule lacht. Was sagt das über die Schweiz?
Dass Sie offenbar die Sekundarschule unterschätzen und dass Divertimento mindestens ebenso lustig sind wie Harald Schmidt. Jonny Fischer und Manu Burkart machen keine Politkomik, das ist ihr gutes Recht. Aber sie pflegen krasse Figuren und verdammt lustige Dialoge.
Es muss für Sie nicht immer politisch sein?
Nein, überhaupt nicht. Auf Instagram gibt es zum Beispiel einen dicklichen Japaner, der mit Pfropfen an seinen Brüsten Dinge runterschlägt. Saulustig – manchmal mehr als der neuste Trump-Joke!
In der Öffentlichkeit haben wir Sie noch nie emotional erlebt. Es scheint, dass Sie sehr kontrolliert sind.
Ja, das konnte ich gut verbergen. Ich bin allerdings nahe am Wasser gebaut. Ich heule bei allen Instagram-Videos, auf denen Kinder weinen müssen, weil sie ein ersehntes Geschenk erhalten. Oder bei Videostorys über gerettete Tiere. Selbst vor Katzenvideos schrecke ich nicht zurück! Mich ekelt es allerdings, wenn Prominente ihr emotionales Privatleben in die Öffentlichkeit tragen. Was das Weinen anbelangt, bin ich aber nicht allein. Es gibt dafür sogar einen Fachbegriff, wie ich gelernt habe: «sudden tears». Offenbar ist das eine Alterserscheinung. Seit ich weiss, dass auch Jonny Fischer nah am Wasser gebaut ist, schicke ich ihm solche Videos zu, bei denen wir beide heulen müssen. Das ist unser Joke.
Einige sagen, dass Sie nur über den ganz besonders feinen Witz lachen, also eine Art Connaisseur-Humor pflegen.
Wer das tut, ist verloren. Lachen ist anarchisch. Es kümmert sich keinen Deut darum, was du denkst, was für moralische Prinzipien du hast. Ich behaupte, dass alle hin und wieder über Dinge lachen, die sie selber als unter ihrem Niveau empfinden und die gegen ihre moralischen Werte verstossen. Humor ist eine Eigenschaft, die wir nie wirklich kontrollieren können. Gut so!