Viktor Giacobbo

, 20. Juli 2011, von Stefan Busz

Die Landvermesser

Sie sind die Staatenbildner unter den Satirikern. Viktor Giacobbo und Domenico Blass haben die Komödie «Die Nepotistan-Affäre» geschrieben. Im September kommt dieses Stück Schweiz im Casinotheater zur Premiere.Es ist ein Ernstfall. Zwei Schweizer werden in einem Land, das eine Trallala-Diktatur ist, zur Geisel genommen. Der Grund: Die Schweizer Behörden haben den Sohn des Despoten hopsnehmen lassen, dafür soll das ganze Land nun büssen. Der Bundespräsident düst schnell hin, um die Sache zu bereinigen, allein: Die Aktion scheitert grandios. Die Konsequenz: Der Bundespräsident wird vom Parlament abgewählt, das akzeptiert er nicht und hält sich weiter für den Präsidenten. Aus diesem Grund wird der in die Psychi eingewiesen – ex und hop geht auch in einer Demokratie. In Sachen Geiseln will der Despot aus Nepotistan dann aber nur mit seinem Pendant in der psychiatrischen Klinik verhandeln, das Bedürfnis nach Grösse verbindet. So wird der Wahnsinn zum Sonderfall der Konkordanz. Gebraucht wird aber: der gesunde Verstand. Erinnert das uns nicht an eine andere Geschichte?

Hollywood hätte aus dieser Affäre, die grösser als das Leben in Wirklichkeit ist, schon längst einen Film gemacht. Der Titel hiesse vielleicht «The Mission», und zu sehen wäre der Zusammenstoss zweier Systeme in einer Art Operetten-Manier.

Unterbreitete man aber der Schweizer Filmkommission eine solche Geschichte, sie würde sagen: Erstens: zu oberflächlich. Zweitens: Frauenanteil zu gering. Drittens: Ausländerpro- blem nicht so richtig abgehandelt. Alles in allem: Gesuch abgelehnt.

Innenpolitischer Schwank

Die Pointe von der Filmkommission ist von Viktor Giacobbo und Domenico Blass. Sie sitzen im Casinotheater und erzählen von ihrem neuen Projekt. Die beiden kennen sich eben auch in Schweizer Filmpolitik light aus. Von ihnen stammen die Drehbücher für «Ernstfall in Havanna» und auch «Undercover». Jetzt haben Giacobbo/Blass die Geschichte der Nepotistan-Affäre geschrieben. Es ist wieder ein Versuch, die Schweizer Geschichte in der Möglichkeitsform zu zeigen. Diesmal als einen innenpolitischen Schwank, nach Vorlage Libyen/Merz.

Der Schweizer Film hat aber mit Querstrichen Mühe. Es ist eigentlich schon eigenartig, sagt Viktor Giacobbo, dass von der jüngsten Vergangenheit der Schweiz im Kino nichts zu sehen ist. Keine Rede von der Nähe der Politiker zur Presse, sprich Boulevard. Nichts von den grossen Schweizer Plänen und Abläufen, Stichwort Nagra und das Atomendlager. Nichts von der Konkordanz, die ein spannendes Thema ist. Nichts vom heute so grassierenden Bilderbuchpatriotismus. Nichts auch von der Armee, fügt Domenico Blass an. Nichts auch von Filippo Leutenegger, sagt Viktor Giacobbo. Und so sitzt man in der Schweiz auch meist im falschen Film.

Ein Heimspiel

Aber dafür gibt es ja zum Glück immer noch das Theater. Im September kommt «Die Nepotistan-Affäre» im Casinotheater Winterthur zur Premiere, Untertitel: Ein Diktator, ein Bundesrat und eine Geiselnahme. Da ist viel Schweiz drin. Und auch die grosse Welt. Also ein Heimspiel, im besten Sinn.

Ein Schwank. Eine Groteske. Man muss die Sachen ein bisschen verdrehen, damit sie deutlicher zu sehen sind, sagt Domenico Blass zur Anlage der «Nepotistan-Affäre». Zusammen mit Viktor Giacobbo hat er für die Satiresendung des Schweizer Fernsehens «Giacobbo/Müller» den Handel und Wandel im Figurenkabinett von «Schweiz aktuell» in den Texten plastisch gemacht – der Querstrich ist auch hier Programm. Die «Nepotistan-Affäre» bringt nun alles an einem Stück – das ist mehr als Fernsehen, Satire quasi in 3-D. Und in einem Stück können die Details viel besser ausgearbeitet werden.

Giacobbo/Blass sind eigentliche Landvermesser, sie «verändern politische Ereignisse aus jüngster Zeit bis zur Kenntlichkeit». Die «Nepotistan-Affäre» ist auch in anderer Hinsicht ein Modellfall.

Denn eine solche Produktion kann nur im Casinotheater gemacht werden. Die «Nepotistan-Affäre» zeitigt auch die Besonderheiten dieses Hauses: Was für andere nur eine Möglichkeitsform bleibt, wird hier Wirklichkeit. Die Voraussetzung: Alle verstehen sich auf die Sache. So ist es mit den Autoren. Wer ist im Schreibprozess der Diktator? Wer der Demokrat? Gibt es Geiseln? Domenico Blass und Viktor Giacobbo lachen. Es geht nur zusammen. Parallel haben sie das Stück geschrieben. Und die beste Idee gewinnt. Es gibt hier keine grosse Neigung zur Konkordanz. Und auch nicht zur ewigen Basisdemokratie: «So kommt kein Stück zusammen.»

Glücksfall Casinotheater

So ist es auch mit der Technik des Hauses. «Wir haben hier fantastische Leute», sagt Giacobbo, und sie machen alles, dass jedes Theater gut über die Bühne geht. Am 1. August muss schon das Bühnenbild stehen, damit mit den Proben für die «Nepotistan-Affäre»begonnen werden kann. Es wird stehen. Alles ordnet sich der Produktion unter.

Und dazu kommen natürlich noch die Superschauspielerinnen und -schauspieler, die für dieses Stück Schweiz aufgeboten wurden. Alle sind mit dem Haus verbunden, und einige zeigen sich in einer ganz neuen Rolle. Zu sehen sind: Hanspeter Müller-Drossaart, Esther Gemsch, David Bröckelmann, Rolf Sommer, László I. Kish und Daniel Ludwig. Ein Figurenkabinett mit allen Möglichkeiten. Regie führt Stefan Huber.

Und noch ein Detail: Wo -istan steht, ist keine Demokratie drin. Das ist mehr oder weniger allen klar. Was macht aber ein Nepot? Da kann man Wikipedia fragen, und Wikipedia sagt, das ist so etwas wie ein Nevö. Am einfachsten ist, ins Casinotheater zu gehen, um zu sehen, wie das Wort die Welt regiert. Der Ernstfall hat schon begonnen.

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Die Nepotistan-Affäre
Ein Diktator, ein Bundesrat und eine Geiselnahme. Casinotheater Winterthur, Premiere 1. September. Aufführungen bis 1. 10.

www.casinotheater.ch

2017