Viktor Giacobbo

, 3. Juni 2009, von Tibor de Viragh

Aufstand der Weiber, unzensiert

«Schauermärchen sehr frei nach Schiller» nennt Carla Lia Monti «Räuberinnen – Director’s Cut» – so frei, dass der Verweis auf den Klassiker als erste Provokation zu deuten ist.

Es war einmal im Schweizer Land eine sadomasochistische Adlige (Alexandra Prusa), die wollte mit Hilfe eines pervers-bigotten Bischofs (Hans-Peter Ulli) eine ihrer Töchter verschachern. Doch die blonde Emily (Nina Bühlmann) floh vor der Zwangsheirat mit dem infantilen Grafensohn und gründete mit Bordellhuren eine Räuberinnenbande. Bald schlossen sich den Vogelfreien unbescholtene Frauen aus der Umgebung an, die genug von ihren Männern und Söhnen hatten.

Es ist leicht, über den Film «Räuberinnen» herzuziehen. Übertreibungen, Verfremdungen und karikierte Figuren ohne Eigenleben stempeln die Folge sketchartiger Szenen zwar zur surrealen Burleske ab. Doch die Gags und Pointen zünden nicht und die fetten Wänste, hängenden Busen oder erigierten Gummiglieder lassen einen kalt. Nonstop inszeniert, verlieren Schamlosigkeit, Hässlichkeit und Dummheit rasch ihre skandalträchtige Wirkung: Wer kann dieses Kasperletheater ernst nehmen? Eine solche Reaktion liegt nahe, und es gibt nur einen, allerdings gewichtigen Grund, sie zu hinterfragen: Monti scheint mit ihr gerechnet zu haben. Sie verweist nämlich auf einen Filmemacher, dessen Werke wie «Pink Flamingo», «Polyester» und zuletzt «A Dirty Shame» ähnlich grotesk, geschmacklos und in der Regel unlustig sind wie «Räuberinnen»: John Waters. Sein Bild trägt Emily im Amulett und sagt, es handle sich um den verstorbenen Vater.

Auf den berüchtigten amerikanischen Provokateur bezieht sich auch Samir in einer «Anmerkung des Produzenten». Monti stelle sich «quer zu allen Lehrmeinungen über den empathischen Film» und stehe damit in der Tradition «der künstlerischen Filmemacher der 70er-Jahre wie John Waters». Das ändert die Sicht auf «Räuberinnen» radikal. Offenbar will die Regisseurin nicht, dass das Publikum sich in die Charaktere einfühlt, im Bann einer dramatisch erzählten Geschichte steht oder sich gehörig entrüstet. Vielmehr soll das Spektakel die Zuschauer auf Distanz halten. Selbst das Obszöne und Unästhetische darf nicht naiv aufgefasst werden: Monti weiss, dass die Ära der Skandale wegen derartiger Harmlosigkeiten vorbei ist. Sie stellt, so Samir, «das Groteske, Unheimliche und Schreckliche in den psychologischen und sexuellen Beziehungen» dar, aus weiblicher Sicht, aber ohne «pseudokorrektes politisches Korsett». Tatsächlich setzt sich die Autorin ideologisch zwischen alle Stühle. Mit Emilys Hippie-Softie-Lover (Niels Althus), willfährigen Beamten, hirnlosen schwulen Bodyguards, dem ohnmächtigen verweiblichten Grafen und zwei notgeilen Räubern (Viktor Giacobbo gibt den primitiven Macho, Patrick Frey den fanatischen Vegetarier), mokiert sie sich über das «starke Geschlecht».

Auch Frauen keine Vorbilder

Doch das eigene kommt kaum besser davon: Nicht Patriarchen sind Schuld an der vorgeführten Tragödie, sondern zwei kontrollsüchtige omnipotente Mütter. Emily taugt bloss bedingt als Identifikationsfigur: Verwöhnt und blauäugig muss sie durch die Ereignisse aus ihrem geistig-emotionalen Dornröschenschlaf gerissen werden. Ihre Gesellinnen entpuppen sich mehrheitlich als egoistisch. Bruchlos mutieren sie von vermeintlichen Opfern zu Ausbeuterinnen und stehen Schlange, um einen Mann zu vergewaltigen. Nur eine linientreue Feministin verurteilt den Verrat der emanzipatorischen Idee.

Das signalisiert wie unzählige andere Anachronismen, dass Monti das Hier und Jetzt im Visier hat. Symbolisch beschreibt sie unbewusste Mechanismen, welche aus Menschen fremdbestimmte Marionetten machen, die gegenwärtige Spassgesellschaft bestimmen und die Konsumhaltung fördern. Folgerichtig versagt sie dem Publikum das erhoffte Gaudi und bestätigt keine wie auch immer geartete Ideologie. Wen wunderts, steht sie auf fast verlorenem Posten!

2017