Viktor Giacobbo

Via (SBB-Zeitschrift), 3. September 2004, von Thorsten Kaletsch

Viktor Giacobbo – Ein Komiker an der Spitze einer AG

Viktor Giacobbo (52) ist als Satiriker, Schauspieler und Autor erfolgreich. Im Via-Interview zeigt der Winterthurer auch überraschende Seiten, spricht übers Joggen und Älterwerden, über Gastronomie, Business, Burn-Out und Selbstüberschätzung.

Herr Giacobbo, rauchen Sie nach diesem Interview eine Zigarre?

Viktor Giacobbo: Nein, nach diesem Interview gehe ich joggen. Zigarre rauchen und Joggen verträgt sich nicht gut – jedenfalls nicht gleichzeitig.

Joggen Sie regelmässig?

Ja, im Normalfall zweimal, wenns gut geht sogar dreimal pro Woche. Ich brauche das – nicht nur als körperliche, sondern auch als geistige Ertüchtigung. Joggen lüftet mir den Kopf durch, und ich komme dabei tatsächlich auf Ideen. Ich mag es, durch den Wald zu laufen.

Das Schönste an einem TV- oder Theaterauftritt sei der Gedanke, danach in der Beiz eine Zigarre rauchen zu können, sagten Sie einmal.

Und ein Bier zu trinken! Natürlich habe ich da ein bisschen kokettiert: In einer Sendung oder auf der Bühne ist man voll konzentriert und kann erst nachher an die Fortsetzung denken. Aber ich schätze diese Art Entspannung. Man sitzt mit den Leuten zusammen, mit denen man gemeinsam etwas gemacht hat. Dabei redet man nicht unbedingt über die Arbeit – ich finde es eher mühsam, wenn Leute sich nicht davon lösen können. Das Schönste war es jeweils, mit den Gästen von «Viktors Spätprogramm» zusammenzusitzen und weiter zu streiten. Dass das möglich war, widerspiegelte auch den Geist der Sendung.

Sind Sie ein Genussmensch?

Genuss spielt für mich eine grosse Rolle, aber ich suche ihn nicht in jeder Lebenslage. Und ich bin sicher kein geschmäcklerischer Geniesser. An Cigar Nights und Weindegustationen nehme ich nicht teil, und wenn jemand beim Weintrinken zu sehr fachsimpelt, nervt mich das eher. Ich habe es lieber, wenn man eine Flasche aufmacht, sagt wie der Wein ist und ihn dann trinkt. Wer immer nur über die Arbeit redet oder beim guten Essen nur übers Essen spricht, langweilt mich.

Welche Rolle spielt Gastronomie in Ihrem Leben?

Ich habe immer gern gegessen und bevorzuge seit jeher die einfache Küche. Etwas vom Grössten für mich ist es, in eine unbekannte Trattoria reinzuplatzen und zu fragen, was es dort gerade gibt. Das behagt mir viel mehr als ein hochdotierter Gault-Millau-Betrieb. Was es heisst, einen Gastrobetrieb zu führen, habe ich als Verwaltungsratspräsident der Casino AG in Winterthur begriffen.

Kochen Sie selber für Ihre Gäste?

Ja, am liebsten Eintopfgerichte. Und zwar auch aus praktischen Gründen: Ich stehe nicht gerne in der Küche, wenn meine Gäste schon eingetroffen sind und will sie nicht erst beim Abschied sehen. Deshalb mache ich am liebsten eine Bouillabaisse, ein Fondue oder einen Eintopf.

Über Ihr Privatleben weiss man in der Öffentlichkeit wenig. Sie scheinen sich bewusst sehr bedeckt zu halten.

Ich fasse das als Kompliment auf. Es ist tatsächlich so. In meinem Beruf gibt man sehr viel von sich preis. Mein Privatleben ist – wie der Name schon sagt – privat. Hin und wieder kann man es aber nicht vermeiden, dass etwas bekannt wird.

War es Ihnen unangenehm, dass Ihre Trennung von Ihrer Lebenspartnerin Nadeschkin publik wurde?

Nein. Wir wussten beide, dass wir das einmal bekanntgeben mussten. Das haben wir gemeinsam gemacht, in aller Freundschaft übrigens.

Ihre beruflichen Fähigkeiten sind in der Öffentlichkeit weit bekannter. Sie waren als Typograph, Korrektor, Mediendokumentalist tätig, arbeiten jetzt als Autor, Kabarettist, Moderator, Schauspieler und VR-Präsident und hatten in der Figur von «Harry Hasler» selbst als Rapper Erfolg. Sie scheinen ein gewiefter Geschäftsmann zu sein.

Ich bin kein Geschäftsmann. In das Mandat als VR-Präsident des Casinotheaters Winterthur bin ich reingerutscht. Ich mache das, weil ich mit Theater, Unterhaltung und Satire etwas am Hut habe und ich zufälligerweise auf dieses Gebäude gestossen bin, weil ich aus Winterthur stamme. Deshalb stand ich von Anfang an mit meinem Namen für dieses Projekt ein. Alleine hätte ich das aber nie geschafft. Wir haben für jeden Bereich Spezialisten, die viel mehr von der Materie verstehen. Ich verstehe mich eher als Klammer, und zum Teil bin ich auch ein bisschen Aushängeschild. Absurderweise werde ich neuerdings an Unternehmerveranstaltungen eingeladen und bin dort so etwas wie der bunte Hund. Ich sage dann jeweils, dass wir die einzige AG sind, die öffentlich zugibt, dass an ihrer Spitze ein Komiker steht. Das ist bei den anderen Unternehmen zwar nicht anders, sie geben es aber nicht zu.

Schreibt das Casinotheater Winterthur schwarze Zahlen?

Letztes Jahr haben wir Verlust gemacht – wie viele Gastrobetriebe. In Bezug auf die Belegung des Restaurants und die Zuschauerzahlen haben wir aber zugelegt. Ich denke, dass wir auch im künstlerischen Bereich erfolgreich sind. Trotzdem sind wir keine Insel innerhalb einer konjunkturellen Entwicklung. Dieses Jahr sind die Zahlen jedoch ausgezeichnet – wir liegen in den ersten Monaten über unseren Vorgaben.

Da spricht ein echter Businessman…

Sie haben mich nach den Geschäftszahlen gefragt. Die andere Seite ist das kulturelle Projekt an sich, und das ist einmalig. Kürzlich hat selbst Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit bei seinem Besuch gesagt, er kenne nichts Vergleichbares. Bei uns fühlen sich alle Künstler wohl, auch jene aus dem Ausland. Wir sind das einzige Haus, das die Künstler selber besitzen und in dem Künstler wirklich bevorzugt behandelt werden. Wir haben schöne, grosse Garderoben mit Waschmaschinen und Tumblern – für Künstler auf Tournee eine angenehme Sache. Wir sind stolz darauf, dass uns die Realisierung dieses Projekts ohne Subventionen der öffentlichen Hand gelungen ist.

Als VR-Präsident nehmen Sie beispielsweise an Sitzungen mit den Sponsoren des Casinotheaters teil.

Ja, aber wir haben im Verwaltungsrat Spezialisten für alle Bereiche, zum Beispiel Betriebswirtschafter und einen Wirtschaftsanwalt. Ich bin derjenige, der das Projekt erklärt und auch ein bisschen der Türöffner. Ich überschätze mich diesbezüglich nicht. Ich habe so viele schlechte Eigenschaften – eine der guten ist, dass ich genau weiss, wo meine Fähigkeiten liegen und vor allem wo nicht.

Ist die Selbstüberschätzung ein generelles Problem in Ihrer Branche?

Wenn man bekannt ist und einem alle Leute auf die Schultern klopfen, läuft man in der Tat Gefahr, dass man sich selber plötzlich rundum gut findet. Ein grosses Stück Selbstironie hilft da, sein eigenes Schaffen realistisch zu beurteilen und einzusehen, dass man eigentlich gar nicht so wahnsinnig gut ist. Gewiss – einige Dinge sind mir gelungen, aber es gibt mehr Dinge, die mir nicht gelungen sind.

Zur letzten Kategorie gehört zweifellos der schwache Film «Germanikus», in dem Sie eine Rolle spielten.

Der Film ist ein Musterbeispiel dafür, dass es der Komik und der Dramaturgie schlecht bekommt, wenn sich zu viele Leute einmischen. Er ist Gerhard Polt leider völlig entglitten. Das ist tragisch, denn sein ursprüngliches Drehbuch war hervorragend. Ich spielte darin mit, weil ich mit Gerhard befreundet bin. Auf den Film selber hatte ich keinen Einfluss. Ich zähle ihn auch nicht zu meinen Misserfolgen. Einzelne Sendungen oder Auftritte empfand ich als weitaus schlimmer.

Der Film «Ernstfall in Havanna», bei dem Sie als Co-Autor und Co-Produzent mitwirkten und die Hauptrolle verkörperten, gilt dagegen als einer der erfolgreichsten in der Schweizer Filmgeschichte. Wann kommt die Fortsetzung?

Es machte sehr viel Spass, diesen Film zu realisieren, und ich habe Lust auf einen neuen. Das Projekt für unseren zweiten Film «Undercover» in ähnlicher Besetzung steht bereits. Ob wir ihn jedoch realisieren können, hängt auch vom Ausschuss des Bundesamtes für Kultur ab, der Filmförderungsgelder spricht. Fürs erste hat dieser unser neues Projekt abgelehnt, weshalb sich das Ganze auf 2005 verschoben hat.

Sie wissen sich durchaus zu vermarkten: Es gibt Bücher, Kalender, Filme und sogar eine CD, auf der Sie als Harry Hasler rappen.

Das ist mein Beruf, und ich lebe davon. Hier im Casino verdiene ich zum Beispiel nicht sehr viel, obwohl ich viel Zeit dafür aufwende. Ich hätte im Übrigen sehr viel mehr Business machen können: Obwohl ich lukrative Angebote hatte, habe ich noch nie kommerzielle Werbung gemacht und beispielsweise auch nie T-Shirts drucken lassen. Alles, was ich gemacht habe, ist direkt mit meiner Arbeit verbunden. Videos und CDs zum Beispiel sind immer Reproduktionen meiner Hauptarbeit.

Ist Ihnen Geld nicht so wichtig?

Ich weiss natürlich schon, was ich wert bin. Wenn ich irgendwo zusage, dann kostet das auch – es sei denn, es sind Benefizanlässe. Ich sage aber nur dort zu, wo ich das Gefühl habe, etwas beitragen zu können und wo ich es wirklich will. Ich habe genügend Geld zum Leben und kann mir das leisten, was ich will. Dies auch, weil ich keinen teuren Lebensstil pflege. Ich brauche Geld nicht anzuhäufen, um mich zu bestätigen. Die Figur «Harry Hasler» beispielsweise hätte man für die Werbung gnadenlos ausschlachten können. Ähnlich verhält es sich mit den Anfragen aus Deutschland: Warum sollte ich in Deutschland umherfliegen, wenn ich schon hier nicht alles machen kann, was ich will – der einzige Grund wären die hohen Gagen. Aber Satire macht man am besten dort, wo man lebt.

Was ist für Sie gute Satire? Sie haben einmal gesagt, es sei leicht, frech zu sein, schon etwas schwieriger, komisch zu sein, das Ziel von Satire müsse es aber sein, gleichzeitig komisch und frech zu sein.

Diese Definition ist für mich nach wie vor gültig. Selbstverständlich muss man nicht alles in der gleichen Nummer anstreben. «Viktors Spätprogramm » haben so viele Leute geschaut, weil wir zahlreiche Elemente gemischt haben und ziemlich locker und unbelastet damit umgingen. Es war etwas vom Schönsten, dass wir auf diese Weise auch Leute angesprochen haben, die mit Satire sonst nicht viel am Hut haben.

Welche Aufgabe hat die Satire?

Die Aufgabe der Satire ist es, zu unterhalten. Das tönt desillusioniert. Ich sage es bewusst so. Denn wenn einer sagt, die Aufgabe der Satire sei es, die Menschheit aufzuklären und die Welt zu verbessern, habe ich schnell den Verdacht, dass er die Message über seine Fähigkeiten stellt – und das ist leider manchmal schon der Fall. Satire ist ein Unterhaltungsmittel, das die Realität nicht verdrängt, sondern einbezieht.

Sollte Satire nicht mindestens eine andere Sicht der Dinge aufzeigen?

Das ist sehr optimistisch. In der Regel sehen sich Leute mit gegenteiliger Meinung kaum ein satirisches Programm an und lassen sich überzeugen. Satire trägt immer sehr persönliche Züge des Vortragenden – er muss eine Meinung vertreten. Und zwar nicht missionarisch, denn das Missionarische stört die Kunst und die Komik. Wer missioniert, ist nicht mehr fähig zur Selbstreflexion und Selbstironie. Vielleicht ist mir das so zuwider, weil ich zu Beginn der 70er- Jahre einer Art Polit-Sekte des linken Spektrums angehörte. Das war eine gute Erfahrung. Ich merkte, wie schnell relativ vernünftige Leute in ein solches Fahrwasser geraten können. Ich stellte damals mit Schrecken fest, dass ich die ganze Welt erklären konnte – ich hatte für alles eine Antwort, für alles eine Schublade. Wenn einer das kann, müsste er sich meiner Meinung nach dringend einer Therapie unterziehen. Ich gehöre politisch sicher nach wie vor zum bunten linksliberalen sozialdemokratischen Konglomerat – genau diese Parteien und Vertreter sind es aber, die mich am meisten herausfordern, sie zu kritisieren.

Sind Sie ein Workaholic?

Nein, das bin ich sicher nicht. Ich bin einer, der manchmal in die Arbeit getrieben wird. Ein Workaholic kann nichts anderes als arbeiten – ich aber bin gerne ein fauler Mensch. Ich kann sehr gut gar nichts machen, Tage verplempern mit Lesen, Leute treffen, Telefonieren und Fernsehen. Auch auf Reisen kann ich es sehr gut ganz gemächlich nehmen.

Reisen Sie oft?

Ich reise sehr gerne. Früher unternahm ich alle zwei Jahre eine mehrmonatige Reise. Das war zuletzt leider nicht mehr möglich. Reisen erweitert den Horizont. Das ist zwar eine Banalität, wie viele andere Banalitäten trifft sie aber zu.

Im Ausland, sagten Sie einmal, seien Sie primär ein Normalbürger, weil man Sie dort nicht erkennt.

Genau. Ich beobachte gerne Leute, sitze beispielsweise in einem Strassencafé und schaue ihnen stundenlang zu. Das gelingt mir im Ausland besser als in der Deutschschweiz.

Könnten Sie das süsse Nichtstun auch geniessen, wenn Sie keine Projekte am laufen hätten?

Ich glaube, das könnte ich, ja. Ich könnte mir auch vorstellen, ein Jahr oder zwei ganz woanders zu verbringen.

Ein lange gehegter Wunsch?

Das ist es, ja. Ich verspürte ihn in letzter Zeit verstärkt. Es wäre interessant, einmal ganz wegzugehen und eine Art Zäsur zu machen – vielleicht würde es mir gut tun, vielleicht auch nicht.

Das tönt ein bisschen nach Burn-Out.

Nein, bei einem Burn-Out hat man keine Lust mehr auf andere Projekte, freut sich auf nichts mehr. Aber warum nicht mal sagen, dass es noch ganz andere Dinge zu erleben gibt: Gegenden, die ich noch nicht gesehen habe, Leute, die ich schon lange nicht mehr besucht habe. In meinem Beruf muss man auch in zunehmendem Alter ein Kindskopf bleiben. Und manchmal, wenn ich auf Gleichaltrige treffe, habe ich das ungute Gefühl, das sei die Generation meiner Eltern.


MIT KRANKEN MÄNNERN AUF TOURNEE

Grosse Bekanntheit erlangte Viktor Giacobbo mit seinen Satire-Sendungen «Viktors Programm» und «Viktors Spätprogramm» im Schweizer Fernsehen DRS, in die er prominente Talk-Gäste einlud. In diesen zwölf Jahren entwarf er auch die Kultfigur «Harry Hasler», die er selber verkörperte. Giacobbo arbeitet als Autor, Kabarettist, Moderator und Schauspieler und schreibt regelmässig Zeitungskolumnen (zuerst «Facts», jetzt «TagesAnzeiger»). Seit 2000 ist er Verwaltungsratspräsident des Casinotheaters Winterthur, das vollumfänglich von Künstlern getragen wird. Im Schweizer Spielfilm «Ernstfall in Havanna» (2001) verkörperte er die Rolle des überforderten Stellvertreters des Schweizer Botschafters in Havanna und war zudem Co-Produzent und Co-Autor. Bis Ende Januar 2005 ist Giacobbo mit dem Stück «Sickmen» auf Schweizer Tournee. Patrick Frey, Mike Müller und er erzählen darin von ihren Ängsten und eingebildeten Gebrechen. «Jeder von uns hat sehr persönliche Dinge eingebracht, und wir haben einmal abgemacht, dass wir nicht sagen, was wahr ist und was nicht», erklärt Giacobbo. Das sei es denn auch, was die Zuschauer am Ende sehr gerne diskutierten.

2017