Viktor Giacobbo

Sonntags-Blick, 2. Januar 2005, von Paola Biason und Patrik Müller

«Viele Leute bewältigen Leid durch Lachen»

Das Grosse Interview

Viktor Giacobbo, Satiriker

WINTERTHUR ZH. Entsetzen und Trauer beherrschen die Welt nach der Flutkatastrophe in Asien. Darf man trotzdem lachen? Satiriker Viktor Giacobbo (52) über Humor in schweren Zeiten. Und über sein neues Filmprojekt, die Blocher-Schweiz und seine Traumfrau.

Die Welt ist fassungslos. Darf man in solchen Zeiten Satire machen?

VIKTOR GIACOBBO: Man muss sogar. Satire heisst nicht, ein solches Drama als Witz zu betrachten. Satire ist immer mit Realität und der persönlichen Haltung dazu verbunden.

Dass man über die Katastrophe witzelt, ist aber ausgeschlossen.

Kein Satiriker käme auf die Idee, über die Katastrophe zu witzeln. Aber man könnte durchaus thematisieren, wie Promis das Elend in Asien ausnützen, um sich selbst in den Vordergrund zu drängen.

Macht es Ihnen denn selber Spass, in einer solchen Lage die Leute zum Lachen zu bringen?

Nein. Das Flutdrama überschattet alles. Ich war froh, dass ich diese Woche keine Kolumne schreiben musste. Bilder von toten Kindern lähmen mich.

Lachen kann auch jetzt eine befreiende Wirkung haben …

Natürlich, viele Leute bewältigen Schwierigkeiten, Elend, Leid durch Lachen. Kürzlich hat mir jemand erzählt, sie sei an einer Beerdigung gewesen, wo laut gelacht wurde. Das habe sehr geholfen.

Sind Sie ein Optimist?

Ich bin ein mittelfristiger Optimist – aber ein lang- fristiger Pessimist.

Das müssen Sie uns erklären.

Ich glaube an Lösungen für unmittelbare Probleme. Deshalb bin ich ein politischer Mensch und deshalb mische ich mich auch immer ein. Doch es verschlägt mir den Optimismus, wenn ich darüber nachdenke, wohin sich die Welt langfristig bewegt.

Was denken Sie ein Jahr nach dem «Umsturz» im Bundesrat über die Schweiz? Hat sich unser Land verändert?

Hysterie beiseite. Die Schweiz ist nicht im letzten Jahr, sondern in den letzten zehn Jahren eine andere geworden. Die Auseinandersetzung ist schärfer geworden, was ich nicht für schlecht halte. Deshalb ist die «zwangsharmonisierende» Konkordanz-Demokratie ein Auslaufmodell. Es ist doch absurd, dass heute der lauteste Oppositionelle des Landes mit seinen eingeschüchterten Gegnern in der Regierung sitzt.

Aber richtig aufzuregen scheint Sie das nicht.

Der aufgeregte Thomas Hirschhorn bezeichnet Blochers Wahl als Demokratie-Versagen. Man stelle sich einmal vor, Christoph Mörgeli hätte die Wahl von Micheline Calmy-Rey so bezeichnet: Der Aufschrei wäre riesig gewesen. Nein, Blocher ist nicht der Untergang der Demokratie – zumal er viel weniger bewirken kann, als viele meinen. Lasst uns zuschauen, wie er von der Konkordanz und dem Apparat aufgefressen wird.

Welches aktuelle politische Ereignis würden Sie in «Viktors Spätprogramm» persiflieren?

Den Wechsel des Bundespräsidenten. Man könnte zeigen, wie Samuel Schmid von Chris von Rohr trainiert wird, eine möglichst coole Neujahrs-Ansprache zu halten.

Seit Ihrem Weggang fehlt dem Schweizer Fernsehen ein kabarettistisches Aushängeschild. Woran liegts?

Vielleicht müsste man ein Team finden mit einer Frontfigur, wie uns damals. Ich war relativ unbekannt, aber man ging trotzdem das Risiko ein. Man gab uns alle Freiheiten und hielt zu uns, obwohl uns die Presse am Anfang völlig zerstampft hat.

Alle namhaften Kabarettisten der Schweiz sind politische Köpfe. Muss ein guter Kabarettist politisch sein?

Schon, aber man kann von jungen Komikern nicht verlangen, dass sie auf die gleiche Art politisch sind wie die 68er oder 80er. Jede Generation politisiert anders.

Nennen Sie uns die fünf besten Komiker der Schweiz?

Eine Rangliste wäre blödsinnig, aber abgesehen von den Etablierten gibt es beispielsweise die Duos «Lutz & Heierli», «Ohne Rolf» oder «Lapsus».

Wie? Nur Männer?

Leider gibt es wenig Frauen auf diesem Gebiet. Nicht weil sie weniger Humor haben, aber sie gehen weniger offensiv damit um. Als Mann ist man eher eine Frontsau.

Seit letzter Woche ist Harald Schmidt zurück im Fernsehen. Ist auch für Sie ein TV-Comeback denkbar?

Ich habe mich nicht vom Fernsehen verabschiedet, sondern mit einer Sendung aufgehört. Aber in nächster Zeit stehen andere Projekte im Vordergrund.

Verraten Sie uns auch welche?

Im Februar gehe ich als Debbie Mötteli mit Fabienne Hadorn und dem Symphonieorchester des Musikkollegiums Winterthur auf Tournee. Das wird ein Crossover zwischen Klassik und Comedy. Im April und Mai drehen wir unter der Regie von Sabine Boss in Italien einen neuen Kinofilm. Und im Herbst stehe ich mit Mike Müller in «Ein seltsames Paar» auf der Bühne im Casinotheater Winterthur.

Ist der Film eine Fortsetzung von «Ernstfall in Havanna»?

Nein. Der Film heisst «Undercover» und handelt von einem verdeckten Ermittler, der in Italien einen Geldwäschereifall lösen muss. Mit dabei ist seine bei den Globalisierungsgegnern aktive 16-jährige Tochter, die nicht ahnt, dass ihr Vater Geheimpolizist ist. Sie hält ihn für einen Langweiler und weiss auch nicht, dass er ein abenteuerliches Verhältnis mit seiner Chefin und der künftigen Bundesanwältin hat.

Die meisten Frauen wünschen sich einen Partner, der sie zum Lachen bringt. Sind Sie privat ein humorvoller Mensch?

Raten Sie mal, weshalb ich jede Frau mit der richtigen Pointe kriegen kann. Im Ernst: Ich habe es manchmal auch privat gern lustig, reisse aber nicht den ganzen Tag Witze. Ich habe einmal ein Zitat von Otto Waalkes geschiedener Frau gelesen. Da sagte sie, sie hätte ihr Kind schützen müssen, weil der Vater es mit seinem pausenlosen Lustigsein überfordert hat. Entsetzlich!

Seit Monaten spielen Sie mit Patrick Frey und Mike Müller das Stück «Sickmen». Darin sprechen Sie offen über Intimitäten. Privat sind Sie eher zugeknöpft …

Ich bin gut damit gefahren, mich privat abzugrenzen. Meine ehemalige Beziehung zu Nadja Sieger wurde nur bekannt, weil wir beide in der Öffentlichkeit stehen. Das war auch okay so.

Welche Ansprüche stellen Sie an eine Frau?

Was ich total unsexy finde, ist Dummheit. Und wenn eine Frau einem Muster entspricht, wie es andere 10 000 tun, ist sie für mich auch nicht spannend. Innerhalb dieses Spektrums bin ich aber fast anspruchslos.

Im Februar werden Sie 53. Eine Familie ist nicht in Sicht. Haben Sie nie das Gefühl, etwas verpasst zu haben?

Beim Casting zum Film kamen viele 16-jährige Girls. Bei ganz wenigen hab ich schon gedacht, es wäre toll, so eine Tochter zu haben. Aber zum Heulen war mir deshalb nicht. Da bin ich Fatalist. Mein Leben hat sich eben anders entwickelt.

Ist das Thema definitiv abgehakt?

Nichts ist definitiv, ausser der Tod. Aber es ist peinlich, mit 70 noch Vater zu werden.

Worauf freuen Sie sich im neuen Jahr?

Auf mein Leben. Ich fühle mich extrem gelöst und offen. Ich habe das schöne Privileg, tun zu können, was mir am meisten Spass macht – beruflich wie privat.

Darf man wissen, mit wem Sie Silvester gefeiert haben?

Ich habe im Casinotheater zweimal «Sickmen» gespielt, lange mit Renée Zellweger telefoniert und mit Freunden gefeiert.

Und wen haben Sie um Mitternacht geküsst?

Jede und jeden. Wie es sich an Silvester gehört …


Persönlich

Geboren: 6. Februar 1952

Erlernter Beruf: Lehre als Schriftsetzer, danach Korrektor, Lektor und Mediendokumentalist. Heute Autor, Kabarettist, Moderator und Schauspieler.

Karriere: 1990-2002 «Viktors Spätprogramm» (SF 1). Seit 2000 Verwaltungsratspräsident des Casinotheaters Winterthur. 2002 Hauptdarsteller, Co-Produzent und Co-Autor des Kinofilms «Ernstfall in Havanna».

Lieblingsgericht: Mistkratzerli von glücklichen Vögeln

Grösster Genuss: Nach einer gelungenen Vorstellung mit den Bühnenkollegen eine extreme Süssspeise wegputzen

Liebste Ferien-Destination: zurzeit Reykjavik

Unerfüllter Wunsch: Dass Renée Zellweger endlich bei mir einzieht.

Website: www.viktorgiacobbo.ch

2017