Viktor Giacobbo

, 27. April 2002, von Guido Mingels

Es ist vorbei, Viktor

Zwölf Jahre „Viktors Spätprogramm“: Das reicht. Viktor Giacobbo muss sich neu erfinden.

Freund Thomas und ich sassen vor dem Fernseher, am vorletzten Mittwoch, tranken Bier und schauten Giacobbo. So, wie wir das immer tun, wenn „Viktors Spätprogramm“ läuft. Der kurze Mann mit den langen Ohren, ungelenk, wie wir ihn lieben, stakste an den Bühnenrand im Zürcher Kaufleuten, von wo seine Sendung alle paar Wochen live ausgestrahlt wird, bleckte seine Zähne, die wir so lieben, grinste sein Grinsen, das wir so lieben, und sagte zum Publikum: „Sie sehen heute so extrem nach Spassgesellschaft aus.“
Thomas setzte das Bier ab und sagte: „Da ist was faul heute.“ Ich sagte: „Kommt schon noch.“
Nach ein paar Zoten über „Blick“ und Borer, Schumacher und Wolfhalden, Kirche und Kinder ging Giacobbo an die Bar zu Patrick Frey, wie er es in jeder Sendung tut. Frey, mit dunkel umzäunter Brille, in seiner Rolle des Herrn Dr. Stolte-Benrath, Experte für alles, sagte seinen Text, machte aus Nahost einen grossen Zoo, sprach von „artgerechter Haltung der Palästinenser“, vom „Alpha-Tier Arafat“ und dessen israelischen Wärtern und wollte auch sonst so gemein sein, wie er aussieht. Doch statt guter Satire kam nur gute Gesinnung heraus. Zudem stotterte er. Es lief nicht. Auch Giacobbo stotterte. Sein Grinsen gerann ihm zur Fratze. Die Fratze sagte: „Herr Stolte-Benrath, heute sind Sie gar nicht so lustig wie sonst.“
Thomas sagte: „Wo er Recht hat.“ Ich: „Irgendetwas ist faul heute.“
Dann folgte, wie immer an der Stelle, der Auftritt der Mitspieler fürs Interview: Ernst Mühlemann als Ex-FDP-Nationalrat und „SonntagsBlick“-Autor, Roger Köppel als „Weltwoche“-Chefredaktor und Viktor Giacobbo in der schwächsten seiner vielen Rollen, als Viktor Giacobbo. Das versprach mehr Zunder als beim letzten Mal, als die ebenso aalglatte wie humorfreie freisinnige Anstandsdame Maya Lalive D’Epinay und ein vierschrötiger Ostschweizer Bauer namens Elmar Bigger, angeblich ein SVP-Nationalrat, ein Mann jedenfalls, der keinerlei Hilfe bedarf, um sich zu blamieren, auf den Sesseln sassen.
Köppel, Mühlemann, Giacobbo lächelten. Man kennt sich. Viktor ist mit Roger und Ernst per du, Ernst war schon öfter da. Eine geheime Übereinkunft sprach aus den Gesichtern: Gell, wir tun einander nicht weh. Aber ein bisschen so aussehen lassen wollen wirs schon. Und darum sagte Ernst mit gewichtiger Miene: „Deine Sendung ist ja das gefährlichste Minenfeld der Schweizer Medienlandschaft.“ Prompt wollte Viktor kritisch werden, stellte Fragen zur Macht der Medien, zu Borer, Ringier und Deiss. Ernst parierte mit einer kollegialen Pointe: „Viktor, ich habe gehört, du warst stellvertretender Botschafter in Havanna. Jetzt wirst du wahrscheinlich Botschafter in Berlin.“ Viktor sagte: „Das lassen wir jetzt mal.“
„Ach, nein, so geht das nicht“, sagte Thomas. „Warum nicht?“, fragte ich. „Weil alle, die bei Giacobbo sind, versuchen, Giacobbo zu sein.“
Am Ende der Unkorrektheit Da hatte Thomas Recht. Er hat immer Recht. Bei ihm, Giacobbo, dem Satiriker, dem Zyniker, der nichts ernst nimmt, da darf jeder lustig und sympathisch sein, heisse er Giezendanner, Mühlemann oder Ziegler. Denn der Viktor ist ja selber so ein Spassvogel. Und werden seine Fragen mal scharf, so heisst es: Saletti zäme! Viktor, du bist mir einer! Was du da wieder fragst! So löst sich alles auf in wohlig-warmer Duzbrüderschaft und Uneigentlichkeit. Denn Giacobbo fehlt die Souveränität eines Harald Schmidt, der mit Höflichkeit Distanz zu seinen Gästen schafft. Es fehlt ihm aber auch die kalte Kompetenz des ARD-Polit-Talkmasters Michel Friedman, der durch echte Aggression sein Gegenüber herauszufordern versteht.
Ich sagte: „Der soll jetzt mal einen Sketch bringen.“ Thomas: „Genau.“
Und es kam ein Sketch. Einer über die Krise des Schweizer Fussballs. Es traten darin auf: Raimondo Ponte als Fachidiot, ein Spielervermittler namens Jack Boppeler mit dem Berufsethos eines Sklavenhändlers und ein schwarzafrikanischer Despot mit Leopardenfellmütze und Akzentfranzösisch, der den 1. FC Affoltern gekauft hatte, um ihn in die Nationalliga A zu führen. Die Dialoge boten durchaus ein paar hübsche rassistische Scherze. Trotzdem lachte Thomas nicht. Ich auch nicht. Ich sagte zu Thomas: „Du lachst ja gar nicht.“ Er sagte: „Du auch nicht.“ Wir fingen an, noch während der Sketch lief, uns alte Giacobbos zu erzählen. Bessere. „Da gabs doch mal den“, sagte ich, „wo Ueli Maurer einen Eignungstest mit jungen Neonazis durchführt, die der SVP beitreten wollen. Super.“ „Fredi Hinz vor der Antirassismus-Kommission, der war gut“, warf Thomas ein. „Oder dieser Italoschweizer, der dauernd sagt „Kasche magge de gagge“.“ Schöne Erinnerungen.
Die Schweiz verdankt Giacobbo viel. Er hat mit seinen Figuren den schlechten Geschmack humorfähig gemacht. Das will etwas heissen in einem Land, das Frank Baumanns „Ventil“ nicht verkraftete. Harry Hasler, Fredi Hinz, der Inder Rajiv, Debbie Möteli – sie waren helvetische Pioniere des Anti-PC, der Pointen wider die politische Korrektheit. Aber die Mission ist längst erfüllt, die Botschaft, das nichts vor dem Zugriff der Satire geschützt werden darf, lange schon verstanden. Über Ausländer, Hitler, Frisösen, Behinderte, Volksparteiler, Secondos, Uriella und andere Minder- und Mehrheiten lacht heute jeder Schrebergärtner. Es gibt keine politische Korrektheit mehr, ergo auch keine Unkorrektheit.
Thomas fragte: „Wie lange macht der das eigentlich schon?“ Ich: „Zwölf Jahre.“ Thomas: „Das ist lang.“
Falsche Vorwürfe Giacobbo, der gerne als „Hofnarr der Schweiz“ apostrophiert wird, ist zu ihrem Maskottchen geworden. Alle haben ihn gern. Die „NZZ am Sonntag“ widmete ihm, pünktlich zur Eröffnung seines neuen Casinotheaters in Winterthur, eine Laudatio auf eineinhalb Seiten.
Und wird er doch einmal kritisiert, so sind die Vorwürfe seltsam: Er sei autoritär, dominant, liest man. Gegenargument: Wen kümmerts? Wen gehts etwas an? Er dulde keine Götter neben sich, fördere keine Talente. Gegenargument: Na und? Der Mann ist kein Entwicklungshelfer. Er pflege den Filz, seine Truppe sei fascht e Familie, er monopolisiere den Schweizer Humor. Gegenargument: Das mag schon sein („Spätprogramm“-Autor Markus Köbeli ist der Lebenspartner von „Spätprogramm“-Darstellerin Birgit Steinegger; Ex- oder Noch-Giacobbo-Lebenspartnerin Nadja Sieger trat mit Ursus & Nadeschkin im „Spätprogramm“-Showblock auf; „Spätprogramm“-Stammgast Patrick Frey, Ex-„Kabarett Götterspass“, ist auch Stammgast in der Fernseh-Soap „Lüthi und Blanc“, wo Katja Früh zuweilen das Drehbuch schreibt, die auch bei „Götterspass“, wo auch Beat Schlatter mittat, der auch in „Lüthi und Blanc“ auftritt, Regie führte; Patrick Frey ist gemeinsam mit Giacobbo und anderen Mitinitiant des Casinotheaters Winterthur; „Spätprogramm“-Darsteller Mike Müller tritt auch im Giacobbo-Film „Ernstfall in Havanna“ auf, für den Domenico Blass, der auch fürs „Spätprogramm“ Dialoge erfindet, das Drehbuch schrieb) – aber solang das Resultat stimmt, warum nicht? Die Schweiz ist klein, ihre ganze Wirtschaft ist auf Filz gebaut, warum also nicht auch die Satire.
Die Wahrheit ist einfacher: Giacobbo tut, was er tut, nicht mehr gut. Und deshalb erklären wir, Freund Thomas und ich, den Mittwoch, 17. April 2002, zum Todestag von „Viktors Spätprogramm“, der mutmasslich erfolgreichsten Schweizer Satiresendung aller Zeiten, eine halbe Million Zuschauer pro Sendung, auch Massen können irren. Zwölf Jahre, Viktor: Das Dutzend ist voll. Lass gut sein jetzt, es war schön mit dir. Aber es ist vorbei. Du warst Harry und Fredi, warst Rajiv und Debbie – nun geh und erfinde dich neu. Das ist doch dein Beruf.
Viktor Giacobbo in der schwächsten seiner vielen Rollen: als Viktor Giacobbo

Guido Egli ist „Magazin“-Redaktor (guido.egli@dasmagazin.ch).

2017