Viktor Giacobbo

, 3. November 2006

Über Ich-bin-da und die Welt

Dass es Gottes Gerechtigkeit irgendwie nicht bis ins sudanesische Darfur, nach Bagdad oder an die asiatischen Tsunamiküsten geschafft hat, war bisher für viele Nicht- bis Leichtgläubige eine beunruhigende Panne. Doch dieser Mangel ist eine Lappalie gegen die Ungerechtigkeit, die bisher dem Buch der Bücher, der Bibel, anhaftete. Das kunterbunte Kompilat aus alten, vielfach übersetzen, redigierten und zensurierten Texten leidet an sprachlicher Ungerechtigkeit, ist durchsetzt mit frauenfeindlichen Begriffen. Erst jetzt, wo die von protestantischen Christinnen und Christen neuübersetzte „Bibel in gerechter Sprache“ auch bei uns vorgestellt wird, werden wir gewahr, dass es offenbar in alt- wie neutestamentlicher Zeit weder Mutterschaftsurlaub noch geschlechtergerechte Doppelnamen wie beispielsweise Frau Maria Muttergottes-Nazarettinger gab.

Dem und noch viel anderem soll nun abgeholfen werden. Der Mackerbegriff „Herr“ wird ersetzt durch „die Ewige“, „die Lebendige“, „die Eine/der Eine“ oder „Ich-bin-da“. Selbstverständlich geht es hier nicht etwa um eine Geschlechtsumwandlung des „Ich-bin-da“, sondern lediglich um eine geschlechtsneutrale Darstellung des „Sie-Er“, wie „die Lebendige“ auch genannt werden darf. Mit viel modernem Sprachgefühl haben die Übersetzer auf die etwas zweifelhaften Begriffe Herrin oder Domina verzichtet.

Trotzdem ist leider die Sprache eine äusserst komplexe und eben nicht ganz protestantisch-korrekte Einrichtung, weshalb ich herrgottnochmal bzw. ichbindanochmal wissen möchte, wie ich gendergerecht evangelisch zu fluchen habe: dielebendigefriedstutz statt gottfriedstutz? Was rufe ich aus, wenn mir die Teufelin begegnet? Mein Ich-bin-da, steh mir bei? Vielleicht weiss da der schusselige alte Herrgott gar nicht, dass er gemeint ist!

Die über 50 Theologinnen und Theologen, die die traditionellen Bibeln im Sinne von Tina Luther und Hulda Zwingli neu übersetzt haben, werden von Gruppierungen wie dem österreichischen Weltgebetstagskomitee, aber auch vom nordelbischen Männerforum sowie von der Oekumenischen Frauenbewegung Zürich unterstützt. Vermutlich wird die Übersetzung sowieso ökumenekompatibel sein, denn gerade die Katholiken sehen das Geschlechtliche gerne etwas neutral und somit unbefleckter.

Die ganze Umschreiberei soll übrigens 400’000 Euro gekostet haben. Ich weiss nicht, wie viele Mahlzeiten man damit nach Darfur hätte liefern können, aber ich bin voller Hoffnung, dass mit der neuen Bibel die Ärmsten der Armen endlich sprachlich korrekt gegen den Hunger anbeten können.

Manch einer wird vielleicht dem amerikanischen Biologen Richard Dawkins näher stehen als dem nordelbischen Männerforum. (Achtung, der folgende Satz ist für leicht betroffene Christen nicht geeignet!) Dawkins sagt, dass in der heutigen Welt die grossen Religionen mehr Unheil als Frieden anrichteten, und er glaube ebensowenig an Gott wie an Schneewittchen oder an das Flying Spaghetti Monster. Ich selber begrüsse, dass mit der Neuübersetzung die Komik in das Buch der Bücher Einzug hält (wenn auch unfreiwillig), und ausserdem ist mir persönlich das Spaghetti-Monster gar nicht so unsympathisch, denn es ist geschlechtsneutral und somit absolut gerecht.

2017