Viktor Giacobbo

Katalog 46. Solothurner Filmtage, 20. Januar 2011

Ruth Waldburger

Von Ruth Waldburger gibt es noch weniger private Fotos als von Greta Garbo. Nicht weil Ruth eine zickige Diva wäre, sondern weil ihr Vater Fotograf war und sie als Kind sein Lieblingssujet. Jedenfalls lautet so ihre versöhnende Erklärung, nachdem sie mir wiederholt einen scharfen Verweis erteilt hat, nur weil ich es wagte, sie zu fotografieren.
Nein, eine Diva ist sie nicht, im Gegenteil: Sie ist ein inspirierender Kumpel, eine unkomplizierte Produzentin, die jede noch so kleine und unformulierte Idee von wem auch immer aufnimmt und den etablierten Kultregisseur gleich wie den Drehbuchanfänger ernst nimmt und ermutigt. Als ich sie beim Schreiben eines Filmkonzepts fragte, ob ein Dreh in der Mojave-Wüste überhaupt zu realisieren sei, sagte sie: Schreib einfach mal das Drehbuch – um die Produktion kümmere ich mich dann schon.
Um sein Fotogeschäft attraktiv zu halten, hielt ihr Vater als begeisterter Tierfotograf drei junge afrikanische Löwen im Haus, mit denen sich seine Kunden ablichten lassen konnten. Jeder in der Filmbranche dürfte mit mir einig sein, dass praktische Erfahrung als Dompteurin eine ideale Voraussetzung für den Beruf der Filmproduzentin ist. Man mag das für ein schiefes Bild halten, aber im brutalen Filmalltag kämpft Ruth Waldburger für ihre Projekte wie eine Löwin – ich könnte das mit einer einzigen Foto beweisen, wenn ich nicht ihre harsche Reaktion fürchten müsste.
In ihrer Karriere gibt es eine weitere wahre Geschichte, die sich wie eine Legende anhört. Für die Hauptrolle in „Johnny Suede“ castete sie in New York einige junge Männer und engagierte schliesslich den damals praktisch unbekannten Brad Pitt – weshalb sie heute als dessen Entdeckerin gilt. Sie hat mir diese Geschichte erzählt, als wir die ersten Gespräche über „Ernstfall in Havanna“ führten – und ich gebe zu, dass sie mich mit der Aussicht lockte, den Brad Pitt der Schweiz zu werden. Nun, mit dieser Karriereplanung ist zwar etwas leicht schief gelaufen, aber Ruth tröstet mich heute damit, dass ich zwar mit keiner Angelina Jolie verheiratet bin, aber somit auch keine 13 Adoptivkinder aus 9 Kontinenten aufziehen muss.
Das daily business einer Filmproduzentin, bei der täglich alle möglichen Probleme zusammenlaufen, besteht vor allem im Ärger-Management. Ein Film über diese Tätigkeit hiesse „The Shit hits the Fan“ oder vielleicht „Film Capitalisme“. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die erstaunlichste Fähigkeit von Ruth: Ihre Firma könnte tagsüber kurz vor dem Bankrott stehen – als Gastgeberin würde sie abends wie immer entspannt ihre Gäste bekochen und sich als tolle Freundin nach deren Plänen erkundigen. Nur schon deswegen müsste man Ruth Waldburger erfinden, wenn es sie nicht gäbe.

2017