Viktor Giacobbo

Montagsinterview · Ade Sommerpause: Am Sonntag startet die Satiresendung «Giacobbo/Müller» des Schweizer Fernsehens in die neue Staffel. Zeit für ein Gespräch mit dem Winterthurer Kabarettisten Viktor Giacobbo (62) über Humor, sein Theater und das Pensionsalter.

Herr Giacobbo, wir fürchten uns ein wenig vor Ihnen…

Viktor Giacobbo: Das ist eine gute Voraussetzung. Ich mag ängstliche Journalisten. Aber wieso?

Im Gespräch mit Journalisten offenbarten Sie «Arroganz und Dünnhäutigkeit», war kürzlich in einer grossen Schweizer Tageszeitung zu lesen.

Ach, das war ein Spezialfall, das war kein verängstigter Journalist, sondern ein verärgerter – und er liess sich von Mike und mir so prächtig ärgern. Ich kann Sie aber beruhigen: Für gewöhnlich bin ich nicht so. Mich kann man alles fragen.

Sehr gut. Dann fragen wir, ob es Sie wurmt, dass Geri Müller seine Nacktselfies just in der Sommerpause von «Giacobbo/Müller» verschickt hat?

Nein, nein. Natürlich hätten wir zu Geri Müller möglicherweise ein paar pointierte Bemerkungen gemacht. Aber das nächste Gerigate kommt bestimmt. Die nachhaltigsten Rohstofflieferungen, die man sich vorstellen kann, finden ja in unserer Branche statt, in der Politik und auch sonst überall, wo auf der Welt was passiert.

Es wurmt Sie kein bisschen, wenn Sie etwas nicht in der Sendung verarbeiten können?

Natürlich kommt das vor. Aber ich habe ja auch andere Kanäle neben der Sendung. Ich twittere zum Beispiel oft oder verarbeite Ereignisse in Theaterproduktionen.

Welcher Politiker hat eigentlich den höchsten Unterhaltungswert?

Unfreiwilligen Unterhaltungswert haben viele, freiwilligen nur wenige. Alexander Tschäppät zum Beispiel ist einer der zweiten Kategorie, er ist schlagfertig und fightet gerne auf humorvolle Art. Toni Brunner kann das auch.

Viele Politiker sind bei «Giacobbo/Müller» zu Gast. Wie wählen Sie sie aus?

Mike Müller und ich brainstormen mit der Redaktion völlig unsystematisch nach möglichen Gästen, bei denen aber die Humorfähigkeit weniger Kriterium ist als deren Authentizität. In der Regel fragen wir unsere Wunschkandidaten dann am Dienstag oder am Mittwoch vor der Sendung an.

Und die kommen so kurzfristig?

Wenn sie sich freimachen können, schon. Die meisten Politiker nehmen die Einladung an und sind sich bewusst, dass man bei einem Auftritt in unserer Sendung gut wegkommen kann – oder eben auch nicht. So oder so ist unser Publikum grösser als jenes der «Arena», relativ jung und politisch noch unentschieden. Das ist für Politiker natürlich attraktiv.

Was bedeutet es Ihnen, wenn Sie Junge für Politik begeistern können?

Kürzlich hat mir eine Gymnasiastin gesagt, sie hätte die Sendung früher uninteressant gefunden, weil sie nie gewusst habe, wovon wir sprechen. Auf Anraten ihrer Freundinnen hätte sie begonnen, die politischen News zu verfolgen, und nun fände sie die Sendung toll. Es ist ein schönes Kompliment, wenn Junge «Giacobbo/Müller» schauen und merken, dass die Sendung zwar zum Lachen ist, dass es aber neben dem Klamauk auch um die politische Realität geht.

Sitzen Sie und Mike Müller die ganze Woche zusammen und hecken Sprüche aus?

Nein, das nicht gerade. Aber natürlich stehen wir in engem Kontakt. Unsere Partnerinnen haben uns auch schon als altes Ehepaar bezeichnet, das mindestens einmal pro Tag telefonieren muss. Wenn man eine solche Sendung zusammen macht, versteht man sich auch neben dem Beruf und ist befreundet.

Wie sieht eine Produktionswoche bei Ihnen aus?

Sie beginnt am Dienstag mit einer Telefonkonferenz. Wir schauen, welche Themen aktuell sind, welche Sketche wir machen könnten. Am Mittwoch werden diese geschrieben, danach ziemlich rasch produziert. Die Sketchtexte stammen von Mike Müller oder von mir, unser Headwriter Domenico Blass schreibt ab und zu auch einen, sonst niemand. Nur damit das mal gesagt ist.

Aber Sie arbeiten mit Pointenschreibern.

Ja, es gibt eine solche Gruppe. Sie bekommt jeweils am Donnerstag die Themen der Sendung, dann kann sie uns Pointen schicken. Wenn wir eine davon verwenden, wird der Schreiber entlöhnt. Das ist international Usus bei Late-Night-Shows. Ausserdem kommen jeweils drei von ihnen an unsere wöchentliche Inputsitzung.

Wie viel kostet eine Pointe?

Ungefähr 70 Franken.

Im Nachhinein müssen Sie sich Ihre Sendung anschauen. Tun Sie das mit Ihrer Freundin auf dem Sofa?

Nein. Ich sitze alleine auf dem Sofa.

Und wie ist das?

Es ist der härteste Teil meines Jobs. Denn es gibt immer Situationen, in denen ich etwas vermasselt habe. Dann muss ich beschämt wegschauen.

Sie sind streng mit sich.

Ja, Mike Müller und ich sind mit uns selbst am strengsten. Aber am Ende des Tages gibt es nur ein Kriterium für jemanden, der Satire macht: seinen eigenen Geschmack. Was wir gut finden, bringen wir. Wenn du anfängst, dich nach Mehrheiten zu richten oder gar Probeaufführungen durchführst, verlierst du deine Identität. Dann hast du auch keinen Mut mehr, Neues auszuprobieren.

Aber das Schweizer Fernsehen SRF nimmt doch bestimmt Einfluss.

Nein. Dass uns niemand dreinredet, war eine Grundbedingung für uns, diese Sendung zu machen. Wir sind nicht auf Gedeih und Verderb vom Fernsehen abhängig, das gibt uns eine frische Haltung. Und die Situation ist ja für beide Seiten gut: Wir bescheren dem Sender tolle Quoten und er uns keine Vorschriften.

Selbst bei Kritik am SRF nicht?

Es ist ein viel gescholtenes Unternehmen, wir halten uns mit Kritik auch nicht zurück, machen uns über die Logos lustig oder über die Chefs. SRF hat früh realisiert, dass man Satiremacher walten lassen muss, wenn man Satire will. Anders geht es nicht.

Sie produzieren 30 Sendungen pro Jahr, damit Raum für andere Projekte bleibt. Aktuell haben Sie neben «Giacobbo/Müller» Auftritte in der Boulevardkomödie «Achtung Schwiiz» im Casinotheater Winterthur. Ist es schwierig, den Theatermann vom TV-Satiriker zu trennen?

Trennen muss ich da nichts. Ich spiele im Theater eine andere Figur, es ist ein anderes Medium. Manchmal wird es halt ein bisschen streng, wenn Theater und Fernsehen zusammenkommen, so wie jetzt gerade.

Sind Sie auf der Bühne freier als im Fernsehen?

Freier im Sinne von frecher sicher nicht. Die Form ist anders. Bei einem Theaterstück ist man über zwei Stunden auf der Bühne, man muss das Publikum abholen und den Spannungsbogen bis am Schluss durchhalten. Man kann am Ende nicht sagen: Diese Szene machen wir noch einmal und schneiden am Schluss etwas raus, was man beim Fernsehen theoretisch machen könnte. Ein Publikum zu begeistern, ohne Mikrofon, unverstärkt zu spielen, Dialoge mit anderen Schauspielern – das ist etwas Grossartiges. Fernsehen ist für mich in keiner Hinsicht besser.

Anfang Jahr löste ein TV-Sketch, für den sich Birgit Steinegger das Gesicht schwarz angemalt hatte, eine Grundsatzdebatte über Humor aus. Hat diese Diskussion etwas verändert?

Nein, solche Diskussionen kommen ja immer wieder. Meistens wird dabei nicht sachlich diskutiert, das zeigt auch diese sogenannte «Blackfacing»-Debatte. Es war ein misslungener Sketch – so was passiert jedem Komiker. Aber daraus zu schliessen, Birgit Steinegger sei eine Rassistin, ist absurd. Als ich vor über zehn Jahren Harry Hasler gespielt habe, brandmarkten Feministinnen die Figur als frauenfeindlich. Bei fast allen Figuren hat irgendein Bedenkenträger mal protestiert – ich versuche diese jeweils zu ermuntern, sich statt mit dem eigenen grossartigen Moralkodex doch eher mit dem Verstand zu fragen, wer denn die Satirezielscheibe ist – bei Hasler sicher nicht die Frauen, sondern der Depp, der so daherredet.

Manche Leute denken einfach nicht weit genug.

Ja, aber meist ist nicht das Publikum zu dumm, sondern Berufsempörte entdecken da für sich ein Podium. In der «Blackfacing»-Debatte waren es zwei Kulturschaffende, die auf Missachtung der Antirassismusnorm klagten. Wenn wir so weit sind, dass wir Pointen oder die Satire dem Urteil eines Richters überlassen wollen, dann gute Nacht.

Humor braucht also kein Leitbild?

Um Gottes Willen! Das wäre das Ende.

Wo liegen Ihre persönlichen Grenzen?

Es fordert mich nicht heraus, wenn jemand bereits am Boden liegt und alle auf ihn eintreten, wie bei Geri Müller. Man kann ihn wegen seiner Nahostpolitik kritisieren, aber sicher nicht, weil er blöde Fotos verschickte und sich daraufhin selber als «Tubel» bezeichnete. Schliesslich hat er seine Penisaufnahmen nicht der Hamas geschickt.

Im arabischen Raum wird Humor gegen IS-Terroristen eingesetzt – etwa durch Karikaturen. Es gibt Stimmen, die das pietätlos finden. Andere meinen, Humor könne eine Waffe sein.

Konkret ändern kann Humor oder Satire wahrscheinlich nichts. Aber es kann jemanden beim Weiterdenken helfen, wenn er mal lachen muss. Oder sich mal etwas komplett Absurdes anschaut. Diese Diskussionen gab es schon immer. Darf man Hitler verulken? Er war doch ein Böser, darf man über ihn lachen? Wieso sollte man nicht über ihn lachen dürfen? Das Böse hat sehr wohl seine lächerlichen Seiten. Und ich denke nicht, dass Neonazis einen Sketch amüsant finden, in dem Hitler als Dödel – der er ja nebst Massenmörder auch war – dargestellt wird.

Hat sich Ihr Humor seit dem Anfang Ihrer Karriere verändert?

Lustig ist lustig, überraschend ist überraschend, absurd ist absurd. Das ist gleich geblieben. Verändert hat sich, wie man Humor konstruiert. Wenn man sich zum Beispiel die alten Sketches aus «Viktors Spätprogramm» anschaut, sieht man: Die waren doppelt so lang und viel langsamer geschnitten. Die Ästhetik hat sich verändert und damit auch die Rezeption von Humor.

Humor entsteht oft aus Traurigkeit. Haben auch Sie eine melancholische Basis?

Ja, genauso wie alle anderen Menschen auch. Es gibt viele Leute, die müssen in ihren Jobs funktionieren und gleichzeitig mit ihren depressiven Momenten fertigwerden. Das Klischee vom Clown, der an seiner Traurigkeit besonders zu leiden habe, finde ich kitschig und verlogen. Nehmen wir Robin Williams: Der arme Kerl litt an Depressionen und er hätte auch unter Depressionen gelitten, wenn er kein Komiker gewesen wäre.

Zu einem erfreulichen Thema: Sie sind Initiator und Verwaltungsratspräsident des Casinotheaters Winterthur.

Ja, das Haus funktioniert auch nach über zwölf Jahren immer noch – und das vor allem wegen der vielen kreativen Leute, die es am Leben erhalten. Das Haus wird durch Sponsoren finanziert und kommt ohne öffentliche Gelder aus. Trotz treuer Sponsoren – es ist an jedem Jahresende ein Kampf um eine schwarze Null.

Wenn Sie wie im aktuellen Stück selber mitspielen, stürzen sich die Zuschauer auf die Tickets.

Das hat nicht nur mit meinem Namen zu tun – das ist eine Teamleistung von Ensemble, Regie, künstlerischer Leitung. Aber Publikumshits lassen sich nur beschränkt programmieren.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Institution?

Wir müssen dafür sorgen, dass die Künstler der jüngeren Generation nachrücken und sich künstlerisch wie finanziell beteiligen. Wenn ich in zehn Jahren hier noch Verwaltungsratspräsident bin, stimmt etwas nicht.

Weil Sie in zehn Jahren in Pension sind? Sie sind 62-jährig …

Nein, aber dann mache ich etwas anderes. Vielleicht meine Zivilschutzkarriere fortsetzen.

Können Sie sich überhaupt vorstellen, je in Pension zu gehen?

Schwer. Aber ich habe ja auch ein grosses Privileg: Die Wahl, nur noch Projekte in Angriff zu nehmen, auf die ich Lust habe.

SRF plant auf 2016 eine eigene Dramaserie. Wäre nach TV-, Kino-, Theater- und Zirkusauftritten eine Serienkarriere was für Sie?

Nein, das kann Mike Müller besser («Der Bestatter», SRF, Anm. d. Red.). Wahrscheinlicher ist wieder einmal ein Spielfilm.

Wie bewahren Sie sich Ihren jugendlichen Elan?

Ich habe das Glück, mit vielen jungen Leuten zusammenzuarbeiten. Meistens bin ich zwar in diesen Gremien der grösste Kindskopf. Man sollte sich immer die Lust auf Neues bewahren. Ich habe beispielsweise für mein Alter einen eher untypischen Musikgeschmack. Ich liebe Indierock. Die meisten in meinem Alter hören ihre Oldies.

Dann trifft man Sie regelmässig an Konzerten?

Ich bin kein grosser Konzertgänger. Wenn man eine so bekannte Fresse hat, ist das nicht immer nur locker.

Alle wollen ein Selfie?

Ja. Die Leute sind ja immer nett und ich sage sicher nicht Nein. Aber an einem Konzert möchte ich nicht über die Sendung reden und Selfies machen.

Aber wir dürfen jetzt noch ein Selfie mit Ihnen machen?

Gerne. Aber die Hosen lasse ich nicht runter.

Interview: Stefanie Christ Fabian Sommer Giacobbo/Müller: ab 28.9., immer sonntags, 22.15 Uhr, SRF 1.

Achtung Schwiiz!: bis am 4.10. im Casinotheater Winterthur.


Im Gespräch

Wir treffen Viktor Giacobbo im Casinotheater Winterthur. Der 62-jährige Schauspieler, Satiriker und Autor initiierte im Jahr 2000 die privat finanzierte Institution und steht ihr seither als Verwaltungsratspräsident vor. Während er sonntags im Schweizer Fernsehen mit Mike Müller durch die satirische Late-Night-Show «Giacobbo/Müller» führt, tritt der Winterthurer noch bis zum 4. Oktober mit der Boulevardkomödie «Achtung Schwiiz!» im Casinotheater auf. Es ist ein familiäres Haus mit angegliedertem Restaurant, in dem die Mitarbeiter den Chef duzen und in dem auch kurz vor dem Auftritt noch alle gelassen scheinen.

Auch im Gespräch begegnet uns Viktor Giacobbo ruhig, reflektiert, herzlich. Wer einen aufgedrehten «Schnuri» erwartet hat, wird eines Besseren belehrt. Er nimmt sich Zeit für die Antworten, freut sich über ein vertieftes Gespräch – allzu oft halte ihm jemand unter Zeitdruck ein Mikrofon ins Gesicht. Man spürt: Giacobbo will nicht als Prominenter, der er zweifelsohne ist, wahrgenommen werden, sondern als Kulturschaffender. So werden denn auch Fragen zu seinem Privatleben höchstens mit einem schelmischen Grinsen gewürdigt.

Nach dem Interview mischt sich ein bescheidener Giacobbo unter die Gäste des Theaterrestaurants. Stunden später wird er sie auf der Bühne zum Lachen bringen.stc/fs

«Ich bin der grösste Kindskopf»

22. September 2014, Berner Zeitung, von Stefanie Christ und Fabian Sommer

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Zusammen mit Trampeltier Suleika ist er einer der Stars der diesjährigen Knie-Tournee: Fredi Hinz alias Viktor Giacobbo, der das Zirkusleben auch nach sieben Monaten und rund 230 Vorstellungen noch in vollen Zügen geniesst.

 

Fredi Hinz hat eine strenge Nacht hinter sich. «Also zuerst musste ich die Elefanten verladen und von Brig hierherbringen, und danach habe ich rasch das hier aufgestellt», erzählt er und zeigt stolz auf das Zelt des Circus Knie, das in seiner ganzen Pracht hinter ihm auf der Thuner Allmend steht. Und wäre da nicht das Schmunzeln in den Mundwinkeln von Fredi Hinz alias Viktor Giacobbo, man würde ihm die Geschichte glatt abnehmen.

«Nein, im Ernst », sagt Viktor Giacobbo dann, «ich bin auch nach sieben Monaten noch überwältigt, wenn ich miterlebe, wie das Zelt und alles andere am einen Ort abgebaut und verstaut wird und dann am nächsten Tag, wenn ich aufwache, bereits wieder am neuen Ort steht.»

Liebenswerter Fredi Hinz

Seit sieben Monaten reist der Autor, Schauspieler und Satiriker Viktor Giacobbo mit dem Circus Knie durch die Lande und begeistert das Publikum auch in der Manege in seiner Rolle als liebenswerter Kiffer Fredi Hinz, der im Circus Knie seine Lebensumstände zu verbessern versucht. Und das Leben im Zirkus hat es ihm angetan. «Es ist zwar anstrengend, fast jeden Abend aufzutreten. Dafür kann ich mich hier voll auf diese eine Sache konzentrieren.» Gefallen gefunden hat Viktor Giacobbo auch an seinem momentanen Zuhause, dem Wohnwagen. «Er ist komfortabler als ein Hotel», sagt er, «und weil ich zu blöd bin, ihn selber zu zügeln, wird er mir jeweils an den neuen Ort gefahren und steht dann schon bereit, wenn ich ankomme.» Kaum hat er das gesagt, verzieht er in bester Fredi-Hinz-Manier das Gesicht und fügt an: «Dass nun ja nicht alle denken, mein Leben im Zirkus sei wahnsinnsbequem, denn manchmal ist es auch Knochenarbeit.»

Zu gern würde er nun vom Yoga erzählen, mit welchem er sein hartes Training beginne, ulkt Giacobbo. Aber: «Ich muss gestehen, dass meine Vorbereitungen eine halbe Stunde vor der Vorstellung mit dem Einsetzen der Kontaktlinsen beginnen.»

Nie ohne Suleika

Dann aber gilt während fast dreier Stunden vollste Konzentration. «Die Vorstellungen sind anstrengend, denn alles ist so live, wie es überhaupt nur möglich ist», beschreibt Viktor Giacobbo. Seine Figur Fredi Hinz spielt nämlich mit dem Publikum, und da weiss man nie so genau, was herauskommt.

Bei einem Rundgang über das Zirkusgelände treffen wir dann auf Viktor Giacobbos wichtigste Manegenpartnerin: die Kameldame Suleika. Die bewegt sich aber nicht gross von der Stelle, als ihr Bühnenpartner an den Zaun tritt. «Sie frisst mir zwar das trockene Brot aus der Hand, aber sonst bin ich für sie wohl keine allzu grosse Respektsperson», sagt er und lacht. Schliesslich muss er sich in der Nummer mit ihr die Frage gefallen lassen, wer denn nun das grössere Kamel sei …

Nach Suleika stattet Viktor Giacobbo dem Hängebauchschwein Willy einen Besuch ab, das ebenfalls mit Fredi Hinz auftritt und an diesem Nachmittag tut, was es am besten kann: faul herumliegen.

Die Nonnen-Herde

In den rund 230 Zirkusvorstellungen, in denen Viktor Giacobbo bisher aufgetreten ist, hat er einige lustige Anekdoten erlebt: «Einmal sassen in einer Vorstellung zwölf Nonnen in ihren traditionellen Kleidern nebeneinander im Publikum. Suleika nahm die Gruppe wohl als fremde Herde wahr, blieb bockstill vor ihnen stehen und – urinierte. Fredy Knie und ich konnten uns vor Lachen kaum mehr halten, nur die Nonnen wussten nicht so recht, was das alles sollte», erzählt er lachend.

In Biel dann habe während einer seiner Nummern eine Frau die Manege betreten, die sich fürchterlich darüber aufgeregt habe, dass das Programm in Deutsch aufgeführt wurde. «Am Schluss ihrer feurigen Rede in Französisch habe ich sie gefragt, ob sie dasselbe nun noch in Deutsch sagen könne. Daraufhin ist sie ziemlich wild geworden», erinnert er sich, und der Schalk blitzt aus seinen Augen.

Noch ein paar Vorstellungen, dann ist das Abenteuer Zirkus für Viktor Giacobbo vorbei. Er wird viele gute Erinnerungen mitnehmen und sagt überzeugt: «Eine solch grossartige Livetournee ist nur mit einem Zirkus möglich.

Fredi ist der Star in der Manege

27. Oktober 2006, Berner Zeitung, von Renate Rubin

Zusammen mit Trampeltier Suleika ist er einer der Stars der diesjährigen Knie-Tournee: Fredi Hinz alias Viktor Giacobbo, der das Zirkusleben […]

Hand aufs Herz: Sind Sie nicht auch schon im Konzert gesessen und haben gehofft, es möge etwas Schreckliches passieren, damit Sie nicht umkommen vor Langeweile? Letzten Dienstag ist das seit Jahren angestaute Abonnentenflehen erhört worden: Das finale F-Dur von Otto Nicolais Windsor-Ouvertüre hängt noch in der Luft, da geht die Tür auf und Debbie Mötteli, die geilste Schnalle von Volketswil oder Bümpliz, stöckelt in den Casinosaal. Samt bauchfrei pubertierendem Gottenkind Gabi Muff, das unbedingt Musicstar werden will.

Die beiden aufgetakelten Hühner, gespielt von Viktor Giacobbo und Fabienne Hadorn, führen durch den Konzertabend mit dem Musikkollegium Winterthur. Dabei mutieren die Pausenunterhalterinnen für viele zur Hauptattraktion. Wohl auch für den Konzertveranstalter, der schlichtweg vergessen hat, auf dem Programm den Dirigenten aufzuführen. Dabei ist es allein die musikalische Qualität, die den Abend vor dem Abgleiten in reinen Klamauk bewahrt.

Amüsant wird der Abend im zweiten Teil, wenn die beiden Stränge Comedy und E-Musik nicht mehr nebeneinanderher laufen, sondern zusammenfinden; wenn die «Chicks in Concert» wortwörtlich ins Konzert finden und bei Leopold Mozart mitspielen. Oder wenn Gabi doch noch zu ihrem Musicstarauftritt kommt und in einer Mischung aus Kindernutte und untergehender Galionsfigur den Titanicsong hechelt, zur überkandidelten Begleitung durch das Sinfonieorchester.

Endlich, es ist etwas Unerhörtes geschehen in einem klassischen Konzert. Allerdings in einem Konzert, in dem sich niemand danach gesehnt hat. PS: Der Dirigent heisst Marc Kissoczy.

Unerhörtes im Casino

17. Februar 2005, Berner Zeitung, von Frank Gerber

Hand aufs Herz: Sind Sie nicht auch schon im Konzert gesessen und haben gehofft, es möge etwas Schreckliches passieren, damit […]

Bald nach dem Apfelschuss ist Wilhelm Tell gestorben. Sein Sohn Walter aber hadert weiter mit dem Schicksal – und ist der Held in der Satire «Walter Tell» im Casinotheater Winterthur.«Si hei der Wilhälm Täll ufgfüert im Löie z’Nottiswil», sang einst der Berner Troubadour Mani Matter. Viele Jahre später, da schafft es Tell gar bis ins ferne Winterthur. Allerdings wurde er in der Zwischenzeit von seinem Sohn quasi entmachtet: «Walter Tell» heisst die Aufführung nämlich, inszeniert hat sie Alexander Stoia. Das ursprüngliche Drama haben Patrick Frey und Hannes Glarner in eine «Dialektsatire» in fünf Akten verwandelt.

Benis Taktgefühl

Gesungen wird in der neusten Tell-Version auch: Mit «O lobet» eröffnen die Zürcher Kabarettistinnen Acapickels den Premierenabend am Dienstag – zuvor haben sie bereits als Sennen das prominente Publikum in den Saal getreiben. Dem Loblied auf den Tellensohn folgt eine Art Flamenco-Ballett des ebenfalls mit viel Prominenz ausgestatteten Ensembles. DRS-Sportmoderator Beni Thurnheer etwa beweist bereits in diesen ersten Minuten sein Taktgefühl. Nach dem Tänzchen gibt Thurnheer historische Hintergrundinformationen zur «Schweizer Nationalwaffe», der Armbrust. Und zum Sinn und Zweck des Abends: «Es isch ösi gmeinsami Vergangeheitsbewältigung.»

Und die geht so: Wilhelm Tell, gemäss offiziellen Geschichtsbüchern und Friedrich Schiller der wahre Hero, ist tot. Nach dem Apfelschuss und einer un-zimperlichen Begegnung mit Gessler ist der revolutionäre Nationalheld ertrunken, als er einem Mädchen das Leben retten wollte. Deshalb hat er wenig später auch den für uns alle prägenden Rütlischwur verpasst.

In Winterthur hat nun einer ein massives Vergangenheitsproblem: Tells Sohn Walter. Vom Apfelschuss traumatisiert, ist er ein neurotisches Weichei mit Apfelmus-Sucht und massivem Vaterkomplex. Da bringt auch die schöne Liebesdienerin Helvetia nichts, die er heiraten soll. Einzig der tote Vater müsste nochmals erscheinen, damit das Trauma ad personam verarbeitet werden könnte. Und weil es die Satire manchmal auch gut meint mit den Menschen, setzt sich Papa Tell im Himmel in den Sessellift und schwebt auf die Erde herab.

Patrick Frey und Hannes Glarner haben mit ihrer Satire eine wilde Version der Tell-Geschichte geschaffen. Das Ensemble mit unter anderen dem herzerwärmenden Viktor Giacobbo als Walter Tell, Mike Müller in der herausragenden Rolle des Nationalhelden, Sandra Studer als Helvetia sowie Autor Patrick Frey in der Rolle des Bösewichts Gessler hat offensichtlich Spass an der neuen alten Heldengeschichte.

Shakespeare und SVP

Und während die ersten beiden Akte etwas langatmig sind, ist die zweite Hälfte ein amüsantes Spektakel, bei dem sowohl Shakespeare zitiert wird als auch teils witzige, teils zotige Bezüge zu aktuellen helvetischen Themen wie der Pro Helvetia, den Überflugsrechten und der SVP eingeflochten werden.

Das erstaunlichste an der Tell-Satire ist aber, dass sie entgegen den Erwartungen eigentlich die Liebe zur Heimat feiert. Wenn die Acapickels eines ihrer Loblieder mit afrikanischen Rhythmen mischen oder Wilhelm Tell zum leidenschaftlichen Ausbruch zur Verteidigung seiner selbst und des Landes anhebt, wird man das Gefühl nicht los, dass die Helvetia auch Jahrhunderte nach Apfelschuss und Rütlischwur so fantasielos und trist nicht ist. Das ist wirkungsvolle Vergangenheitsbewältigung.

Weitere Vorstellungen: bis 28. Juni. Wegen grosser Nachfrage gibts Zusatzvorstellungen. Vorverkauf und Infos: www.casinotheater.ch / 052 260 58 58.

Apfelmus und Heimatliebe

5. Juni 2003, Berner Zeitung, von Madeleine Corbat

Bald nach dem Apfelschuss ist Wilhelm Tell gestorben. Sein Sohn Walter aber hadert weiter mit dem Schicksal – und ist […]

2017