Viktor Giacobbo

Rückrufaktion: Politische Satire

Es war so etwas wie ein Ritual. Am Sonntagabend die Woche Revue passieren lassen. «Giacobbo/Müller» lieferte den Soundtrack und die Bilder dazu. Ihre Figuren waren Prototypen der Schweiz. Dr. Köti erklärte die Konkordanz, Hanspeter (Bu-i-i) Burri den SBB-Ticketautomaten. Fredi Hinz wollte einen Stutz. Harry Hasler fuhr Tesla. Mergim Muzzafer spielte im «Samschtig Jass» mit. Mike Müller mimte einen Hooligan. Und Dani Ziegler machte einen sauren Stein. Die Lacher waren nicht immer gleich laut, und doch war ihr Wochenrückblick eine wohltuende Abwechslung im Programm. Giacobbo und Müller ordneten ein, teilten aus und forderten heraus.

Im Dezember 2016 wurde die letzte Sendung ausgestrahlt. Die Sendeplätze wurden neu verteilt, und das SRF-Urgestein Kurt Aeschbacher übernahm mit seiner Talksendung den begehrten Platz am Sonntagabend. Dann kam die Leere.

Die Lücke

Knapp ein Jahr später, am 6. Oktober 2017, fand so etwas wie eine Katharsis statt. Viktor Giacobbo und Mike Müller traten in der Late-Night-Sendung «Deville» auf. Der ehemalige Punkmusiker und Kindergärtner Dominic Deville gilt als der Nachfolger der beiden. Nun, an diesem späten Freitagabend «halb live» aus dem «Mascotte» in Zürich, wurde einmal mehr deutlich, was der Schweiz fehlt: politische Satire.

Giacobbo und Müller kamen am Ende der Sendung mit Deville ins Gespräch, und sie brauchten nur wenige Anlauf, um klarzumachen, wie sehr sie fehlen. Die beiden brachten das Konzept durcheinander, hielten sich nicht an die Regeln, sorgten für die Lacher – all das, was man eigentlich von ihren Nachfolgern erwarten würde.

Doch «Deville» bleibt immer wieder unterhalb der Messlatte seiner Vorgänger. Die Witze sind flau, absehbar und wirken müde. Die Pointenschreiber planschen im Fahrwasser von Allgemeinplätzen, kratzen häufig nur an der politischen Oberfläche. Agota Dimén, Dominic Devilles Side-Kick, vermag die Sendung auch nicht wirklich zu retten. «Deville» hat zwar eines der meistgeschauten und meistgeteilten Youtube-Videos der Schweiz («Switzerland Second») hervorgebracht, doch viel mehr ist bislang nicht in Erinnerung geblieben. Der Sendeplatz am späten Freitagabend ist wohl auch nicht besonders zuträglich.

Auch «Müslüm TV» konnte die Lücke nicht füllen. Die Fahrten in seinem Wohnmobil durch die Schweiz waren etwa so lustig und politisch wie Feriengrüsse aus einer Jugendherberge. «Heute fahre ich ins Macho-Tal. Ein Platz wie gemacht für mich», sagte Müslüm etwa vor einer Fahrt ins Maggiatal. Die Sendung wurde mittlerweile eingestellt.

Vor Kurzem sagte Viktor Giacobbo in einem Interview mit der SonntagsZeitung , dass das SRF die Organisation ihrer Nachfolge «verkackt» habe: «Schlicht und einfach. Vom Sendeplatz her und auch vom frühzeitigen Aufbau einer Nachfolge.» Das klingt verbittert, und doch spricht Giacobbo an, was bislang niemand tat.

Die Gespräche

«Giacobbo/Müller» hat Spuren hinterlassen, gerade auch wegen den Gesprächsgästen am Ende der Sendung. Manche Politikerin, mancher Politiker geriet dabei ins Schwitzen – zugleich gelang es den beiden Moderatoren, eine Nähe zu schaffen.

Da war Doris Leuthard, die offen über Bundesratssitzungen plauderte. Oder Eveline Widmer-Schlumpf, die sich als Finanzministerin über die Steuererklärung enervierte. Und immer wieder SVP-Nationalrat Toni Brunner, der lauthals und herzlich lachte und den schlagfertigen Giacobbo zu kontern vermochte. ​

Die Sendung am Sonntagabend legte die Schweiz unter das Mikroskop, setzte das Skalpell an und sezierte – mal sorgfältig, mal brachial. Das fehlt den Formaten, die aktuell ausgestrahlt werden. Es fehlen die politischen Themen, die Polit-Gäste, die politische Auseinandersetzung

Kurz: Es fehlt politische Satire. Das ist bedauernswert, gäbe es doch genügend Stoff, der verarbeitet werden könnte.

Unter dem Mikroskop

6. Januar 2018, Basler Zeitung, von Lukas Lampart

Rückrufaktion: Politische Satire Es war so etwas wie ein Ritual. Am Sonntagabend die Woche Revue passieren lassen. «Giacobbo/Müller» lieferte den […]

Die Satiresendung « Giacobbo / Müller » feierte TV-Premiere

Es gibt wieder bissigen Humor zu sehen am Schweizer Fernsehen. Doch so erfreulich Viktor Giacobbos TV-Comeback ist: Seine neue Wochensendung will zu viel in den 40 Minuten Sendezeit.

Es ist wie ein Flashback: das Kaufleuten in Zürich. Viktor Giacobbo als Zeremonienmeister. Humorliebhaber als Zielpublikum. Die Premiere des neuen Satireformats am Sonntag weckte Erinnerungen an die Derniere vor fünf Jahren, als sich Giacobbo im grossen Klubsaal vom Schweizer Fernsehen verabschiedete.

Seither versuchte die Abteilung Unterhaltung des Schweizer Fernsehens krampfhaft, das Loch zu stopfen. Ohne Erfolg. Das Late-Night-Geplauder «Black’n’Blond» mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr hing von Anfang an durch. Bleibt noch René Rindlisbacher, der seither mit einem Komikergrüppchen in «edelmais & co.» eine Sketch-Konserve abliefert, bei der die Lacher aus der Tube gedrückt werden. Originell ist diese Idee eines Potpourris mit Perücken und Pointen nicht. Und Birgit Steinegger und Walter Andreas Müllers Politikerparodien sind nett, aber nicht aufregend und zudem kaum für ein jüngeres Publikum. Fünf Jahre lang Flaute also – entweder mangelte es den SF-Verantwortlichen an guten Konzepten oder am Mut zum Experiment mit Grips. Also holten sie ihren besten Mann zurück.

pieksen & stechen. Das ist gut so. Giacobbos Humor piekst und sticht und beisst, lakonisch und ironisch. Clevere, erfrischende Unterhaltung mit Biss – das erhoffte sich schon die ARD, als sie Harald Schmidt zurückgewann. An dessen Late-Night-Sendung erinnert denn auch « Giacobbo / Müller »: Auch hier werden aktuelle Themen kommentiert, angereichert mit Kurzfilmchen und Musik, und Studiogäste zum Short-Talk begrüsst. Nichts Neues. Aber besser als gar nichts.

Mike Müller agiert als Sidekick, als Giacobbos Andrack. Und macht das zu Beginn der Sendung sehr gut. Als Giacobbo den Sexskandal der katholischen Kirche anspricht und erklärt, die hätten den Bibelsatz «Jesus liebt dich» falsch verstanden, ergänzt Müller trocken: «Und es hiess ja auch ‹zwölf Jünger› und nicht ‹zwölfi und jünger›.» Das sind One-Liner, die sitzen. Erfrischend auch, wie die Political Correctness mit Füssen getreten wird.

Doch auf einen starken Start folgt ein schwacher Schluss: Allzu verschiedene Studiogäste nehmen am runden Tisch Platz, zu viele für die kurze Zeit, die mehrheitlich FDP-Politiker Otto Ineichen für sich beansprucht. Giacobbo demonstriert seine Schlagfertigkeit, lässt ihn auflaufen. Doch verstreicht zu viel Zeit beim Polittalk, angesichts der Tatsache, dass mit dem Kopf-Komiker Andreas Thiel und dem Erfinder Herbert Bay zwei weitere Gäste Giacobbo / Müller flankieren.

Der Kopf-Komiker Thiel fällt aus dem Rahmen und Erfinder Bay hätte man von Anbeginn besser «Aeschbacher» überlassen. Mike Müller verstummt beinahe, vor sich einen Laptop, die Sendung franst aus, die Spannung verfliegt. Auch bei mässigen Einspielern wie Müllers Albaner-Sketch (wo sich zeigt, dass Müllers Talent zur Akzent-Imitation Grenzen hat). Das Beigemüse sorgt aber auch für Höhepunkte, etwa im Beitrag über Müllers Rekrutierung sowie Fredi Hinz’ Comeback. Ebenfalls vielversprechend ist der Einbezug des trashig-britischen Alleinunterhalters Phil Hayes.

Zurück in der Zunft

29. Januar 2008, Basler Zeitung, von Marc Krebs

Die Satiresendung « Giacobbo / Müller » feierte TV-Premiere Es gibt wieder bissigen Humor zu sehen am Schweizer Fernsehen. Doch […]

Wenn das Fernsehen Theater spielt: Viktor Giacobbo untersucht im Casinotheater Winterthur die Psyche des ersten und einzig originalen Tellensohns – eine Dialektsatire mit viel Prominenz aus Funk und Fernsehen auf der Bühne wie im Premierenpublikum.Es gibt Fragen, auf die geben uns die Geschichtsbücher keine Antwort. Zum Beispiel was das überhaupt für eine Apfelsorte war auf Tell juniors Kopf, damals beim Apfelschuss. Ein Boskoop? Aber auch, was im kleinen Walterli wohl vorging, als sein Vater mit der Armbrust auf ihn zielte.

«Schau vorwärts, Walter, und nicht hinter dich» – das Lebensmotto hat uns Schiller mitgegeben, aber im Weitern hat er sich für den ersten und einzig originalen Tellensohn kaum interessiert. Wie hat Walterli den Tod des Übervaters (bei der Errettung jenes Mädchens im wilden Schächenbach) erlebt? Wie ist er mit dem schillernden Heldenvatervorbild zurechtgekommen?

Die längst fälligen Antworten auf diese und weitere drängende Fragen (ist Walter Tell wirklich in der Schlacht bei Morgarten von einem Habsburgerspeer durchbohrt gestorben? Sass er nicht damals der Mutter auf dem Schoss und ass Apfelmus?) gibt nun das Casinotheater Winterthur in seiner ersten grossen Hausinszenierung nach der «Eröffnungs»-Show vor gut einem Jahr (vgl. BaZ vom 3. Mai 2002).

Am Dienstag war Premiere, und alle sind dabei gewesen: der Schweizermacher und der Höhenfeurer, der Pingu-Altrocker und der Mann von der Tagesschau, der Mann von den Facts und der Exmann vom Privatfernsehen, der Fernsehkulturmann, der mal sehen wollte, wie eine erfolgreiche Show funktioniert, so gut wie der Ex-Mister-Expo, der endlich mal was über die Schweiz erfahren wollte. Und zahlreiche Blondinen. Und Franz Hohler, dem Sujet angemessen mit Sohn.

Mythen in Schräglage

Wie im Alpabzug wurden sie von urchigen Sennen in den Saal gedrängt (die «Acapickels», für einmal nicht als Dragqueens verkleidet) – Scheunen-Atmosphäre auf der Bühne: mit Heufäden an den Wänden und Stroh am Boden, Zuber, Traktorpneu und Armbrust-Schiessscheibe und einer gewaltigen Reihe von Schönheitsplaketten und Milchleistungsauszeichnungen. Alles echt urschweizerisch, da darf auch der Alpsegen nicht fehlen. Er kippt allerdings bald in Schräglage: «O lobet, zu loben! In Gottes Namen lobet gopfertorigopferteli jetz frohlocked äntli!» – wie die Tellensage insgesamt. Denn Walterli hat ein Apfelschusstrauma. Das äussert sich einerseits darin, dass er zwanghaft Apfelmus isst, und zwar nur ohne Hörnli, anderseits, dass sein Sinn nicht nach dem Weibe steht und auch nicht nach dem Manne (wie Grossvater Walter Fürst schon vermutet).

Viktor Giacobbo spielt Walter Tell mit Hamlet-Attitüde («Ob’s edler im Gemüt, die Pfeil und Armbrust eines wütenden Geschicks ertragen / oder sich wappnend gegen einen Vierwaldstättersee der Plagen…») und der Psyche von Woody Allen und räumt auch gleich mit der Legende auf, er habe vor dem Apfelschuss gerufen: «Schiess, Vater, schiess!». «Schiss hani Vatter, Schiss!» muss es heissen. Er ist wehleidig und grüblerisch, und erst als er seine Familienmythen touristisch auswerten kann, kommt er ein wenig in Fahrt. Aber er hat die Vergangenheit immer noch nicht wirklich bewältigt… Da kanns nun schön satirisch werden im Dialektstück von Hannes Glarner und Patrick Frey. Zum Beispiel stellt sich heraus, dass Gessler im Himmel Steuereintreiber geworden ist – Steuern im Himmel? Nur für die Schweizer; der Himmel ist EU. Held Tell (Mike Müller als Sportspruchhaufen) und Schürzenjäger Gessler (Patrick Frey mit Pferdenummer) gondeln dann gemeinsam vom Himmel herunter in eine Schokoladenbildli-Schweiz, um Walter auf die Sprünge zu helfen. Grossvater Fürst (Ueli Beck als patronaler Businessman: «Jeder Feind ist ein zukünftiger Konsument oder Tourist») sieht zu diesem Zweck ein leichtes Mädchen aus Göschenen vor, die Künstlerin Helvetia Christen, die Sandra Studer schön billig gibt.

«Kän rächte Schwiizerbueb»

Walterli hat allerdings Mühe, am ersten Todestag des Vaters mit dessen Exfreundin, die jetzt die Freundin des Grossvaters ist, den «Nidwaldner Muniflug» auszuprobieren. «Ich bi kän rächte Schwiizerbueb und wett au keine sii», singt er in seinem Couplet mit Fluch-Refrain. Generell fluchen sie gern und neigen zu rustikalen Spässen (Regie: Alexander Stoia), diese Urschweizer, wenn sie nicht gerade jassen oder schwören: Klaus Knuth als begriffsstutziger Stauffacher, Regula Esposito als axtschwingender Baumgarten, Fabienne Hadorn als feministisch angehauchte Schwester Walters und Tellen-Tochter, die somit endlich auch mal vorkommt. Beni Thurnheer moderiert sportiv, und Peter Fischli spielt einen Petrus im Jodelhimmel, dem alles ein wenig ausser Kontrolle gerät, hauptsächlich Walter Andreas Müller als seniler Attinghausen in Rollstuhl und Filzpantoffeln, der über die Bühne rollt und «Einig, einig, einig» ruft. Heiter, heiter, heiter!

Walter Tell, ein schillernder Schweizerknabe

5. Juni 2003, Basler Zeitung, von Andreas Klaeui

Wenn das Fernsehen Theater spielt: Viktor Giacobbo untersucht im Casinotheater Winterthur die Psyche des ersten und einzig originalen Tellensohns – […]

2017