Viktor Giacobbo

Schaffhauser Nachrichten, 14. Dezember 2014

Markus Werner wird 70

Lieber Markus, du bist jetzt also 70, aber ich verzeihe dir. Auch wenn es mir schwer fällt. Denn – hast du mir etwa zu meinem 70. gratuliert? Nein. Und jetzt bitte keine Ausflüchte. Meine Situation hier ist unangenehm: Ich schreibe. Anstatt du. Dabei bist du doch der Schriftsteller und ich bloss der Leser. Allerdings ein hartnäckiger. Ich weiss, dein Pech ist, dass ich als Leser mit dir befreundet bin und dieses Privileg auch immer auszunützen versuche. Denn ich habe kreative Vorschläge, die du leider seit Jahren ignorierst. Wie oft habe ich mich bemüht, dich zu überzeugen, mit meiner Lieblingsfigur aus „Zündels Abgang“ ein Sequel zu verfassen. Du weisst, welche ich meine: Die Frau jenes Deutschlehrers, der seinem Kollegen erzählt, er habe sich „in den Ferien wieder einmal intensiv mit Goethes Sesenheimer Lyrik befasst. (…) Auch meine Frau konnte Zugang dazu finden.“ Diese Zugangsfrau, der du nicht einmal einen Namen gegeben hast, wird dann vom lautstark ausrastenden Zündel nochmals thematisiert, indem er ihren Mann anranzt: „Hoffentlich ist der wichtigste Zugang zu deiner Frau jetzt nicht mit Lyrik verstopft.“ Und genau hier wäre der Ausgangspunkt für ein Spin-off ideal gewesen. Natürlich hast du danach sechs weitere Romane geschrieben – und jeder davon erst noch ein Meisterwerk! Aber mit meiner Sequel-Idee wärst du zum Pionier der Relativpronomenromantitel geworden, die heute offenbar so verkaufsfördernd wirken: „Die Frau, die den lyrischen Zugang fand und verstopfte“. Dieses Buch hätte nebenbei noch die Anzahl deiner Titelwörter erhöht, die bei 7 Romanen insgesamt bei bescheidenen 13 Wörtern liegt, was einem durchschnittlichen Rating von nur 1,86 Titelwörtern pro Buch entspricht. Ein Umstand, der übrigens von der Literaturwissenschaft völlig vernachlässigt worden ist. Du wolltest nicht auf mich hören – und deshalb verzeihe ich dir jetzt doch nicht, dass du schon 70 bist. Aber ich gratuliere dir von Herzen und wünsche dir (und somit uns) nur das Beste, mein Lieber!

2017