Viktor Giacobbo

, 24. Februar 2006

Integrierte Minarette

Neulich an einer Abdankungsfeier für einen verstorbenen Jugendfreund: Der Pfarrer begrüsst die Trauergemeinde in quälend langsamer Rede, erwähnt den Toten in administrativ-statistischen Werten: Name (nach hastigem Blick ins Manuskript), Geburts- und Todesdaten, die AHV-Nummer gibt er nicht bekannt. Danach wechselt er in einen leidenschaftlicheren Tonfall, berichtet erschüttert von Jesus von Nazareth, der zwar tragischerweise auch verstorben ist, aber dessen Angehörige nicht in der Kirche sitzen. Es folgt ein thematisch nicht unbedingt zwingendes Zitat aus dem Römerbrief über Gottes freie Gnadenwahl und anschliessend eine detaillierte Schilderung der Fischereiwirtschaft am nahöstlichen See Genezareth vor 2000 Jahren. Herrgottnochmal, denke ich, jetzt leben diese Christen seit über einem Jahrtausend bei uns und sind immer noch nicht integriert!

Ich war nicht der einzige, den diese Werbeveranstaltung nervte, um so mehr als der arme Verstorbene Fischgerichte nicht ausstehen konnte. Gleichsam als Strafe für meine Gedanken erschien mir ein Engel, der sich in irritierendem Aargauer Dialekt an mich wandte. Aha, dachte ich erst, die haben da oben dieselben Probleme wie die Zürcher Innenstadt am Samstagabend – doch der Engel entpuppte sich nur als Hologramm von Doris Leuthard, die also zu mir sprach: „Die Schweiz ist ein Land mit christlicher Kultur. Das muss jeder akzeptieren, der hier leben will.“ Da bereute ich und nickte, denn schliesslich möchte ich nicht wegen unakzeptierter christlicher Kultur ausgewiesen werden.

Eine geballte Ladung christlicher Kultur erlebt zur Zeit der türkische Kulturverein in Wangen bei Olten, der auf seinem Vereinslokal ein Minarett errichten will. Zwar nur ein kleines, symbolisches das jederzeit durch das Kampfgeläute der umliegenden christlichen Minarette vom Dach geblasen werden könnte. Trotzdem hat die Baukommission das Miniminarett nicht bewilligt, weil es als Sakralbau in der Gewerbezone zu stehen käme, und so blöderweise Heiliges mit Geschäftlichem vermengt wird, was nicht unserer christlichen Kultur entspricht. Ein weiteres Problem sei die Parkplatzzahl für 450 Gläubige, die nicht garantiert werden könne. Hier wartet man noch auf einen VCS-Grundsatzentscheid vom Stuhl (Gabi) Petri.

Ferner gibt es in Wangen auch diejenigen, die Angst haben, weil sich ihr Islam-Bild irgendwo aus Kara Ben Nemsi oder Aladins Wunderlampe herleitet. Ausserdem wehrt sich die lokale evangelische und katholische Konkurrenz gegen den ausländischen Religionsanbieter inmitten der gewerblichen Sakralzone. Natürlich würden sie niemals das gegnerische Gotteshaus abfackeln oder Todesprämien für Karikaturisten aussetzen, wie das von radikalen Imamen der islamischen Welt zur Zeit praktiziert wird. Doch betreffend Integration friedlicher Muslime in der Schweiz stellen die Wangener wie auch Frau Leuthard (das Imami der CVP) eine Christenkarikatur dar, und zwar eine selber gezeichnete.

Hoffentlich finden die Wangener noch eine Lösung. Vielleicht nicht gerade in der Gewerbezonenverordnung, dafür im Lukas-Evangelium: Wer dich auf das eine Wangen schlägt, dem biete auch das andere dar.

2017