Viktor Giacobbo

, 29. Oktober 2008

In der bunten Kiste finden sich Schrott und Perlen

Originaltitel: Die Qualität der Qualitätsdebatte

Beim Thema „Qualität des Fernsehens“ erfasst mich für gewöhnlich eine plötzliche psychosomatische Müdigkeit. Denn es handelt sich hier zwar nicht gerade um ein sich selbst zerstörendes, aber bestimmt um ein sich selbst beantwortendes Thema. Schliesslich wird Fernsehen ja durchwegs mit schlechter und nicht mit guter Qualität konnotiert.

Was kürzlich an der Fernsehpreisverleihung in Deutschland ablief, war typisch für dieses ewige Gejammer: Ein bildungsbürgerlicher Fernsehverächter, in diesem Fall Marcel Reich-Ranicki, lässt sich über ein Medium aus, das ihm zutiefst fremd ist und das er deshalb auch nicht kennt. (Dass er sich für einen Fernsehpreis nominieren lässt und erst bei der Verleihung merkt, an welch schwachsinniger Veranstaltung er teilnimmt, bestätigt seine Unkenntnis.)

Natürlich heisst das nicht, dass er komplett unrecht hat. Natürlich ist Fernsehen (auch) ein ärgerliches Schrottmedium, zuweilen nicht nur eine Beleidigung für jeden von uns, die wir ja alle über einen inneren Reich-Ranicki verfügen, sondern für jene, die irgendwas mit den Begriffen Würde oder Stil anfangen können. Jedoch – ist diese Erkenntnis für irgend jemanden neu? Nee, weder für den fernsehsüchtigen Analphabeten noch für den Gross-Feuilletonisten. Für alle, vom White Trash über den bewusst massvollen Fernsehzuschauer und den verzweifelt nach einem Thema suchenden Kolumnisten bis zum elitären Kulturschaffenden, der bei jedem Vernissage-Smalltalk stolz anfügt: Ich habe gar keinen Fernseher – für alle diejenigen ist „das Fernsehen“ ein beliebt-bewährtes Schmähobjekt. In der Schweiz sagt man häufig anstelle von „das Fernsehen“ auch „Leutschenbach“, früher der Name eines unschuldigen Vorortbaches, heute eine abfällige Bezeichnung für biederes Staatsfernsehen.

Dabei wundere ich mich manchmal, mit welcher Elle gemessen wird, und vor allem, wer diese Elle anlegt. Häufig ist das die, sagen wir mal freundlich semi-professionelle Fernsehkritik in den Printmedien, meist verfasst von Leuten, deren Qualifikation für diese Tätigkeit darin besteht, dass sie einen Fernseher besitzen. Während für alle andern Sparten wie beispielsweise Oper, Wirtschaft oder Sport primäres Grundwissen verlangt, ja als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird, ist die Fernsehkritik sowas von brutal radikaldemokratisch: jeder, der will, darf. Manchmal auch jeder, der woanders nicht mehr kann, darf hier noch lange, und zwar unbeleckt von Sachkenntnis. Und hier wäre mal eine Debatte über die Qualität der Qualitätsdebatte sehr interessant. Doch das ist erst mal eine Metaebene zuviel.

Fernsehen ist halt immer Boulevard, und zwar nicht nur bei Unterhaltungssendungen für die Masse. Der immanente Zwang zur Bebilderung wirkt in manchen Bereichen rührend hilflos oder unfreiwillig komisch. Etwa bei den unter dem Label Kultursendung laufenden Geschichtsmagazinen, wo drittklassige Darsteller römische Feldherren mimen. Schön grotesk auch Literaturdiskussionen, in denen Germanistik-Cracks alles dafür tun, um zu verschleiern, dass sie im Fernsehen sind. Trotzdem findet man in dieser riesigen bunten Kiste namens Fernsehen echte Trouvaillen – Dokumentarfilme, Magazine, Serien, Diskussionssendungen, die den Qualitätsvergleich mit den so seriösen Printmedien nicht zu scheuen brauchen. Schrott ist in jedem Medium zu haben, im Fernsehen ist er einfach besonders schön gelackt, deswegen aber nicht verwerflicher als die aufgegossenen Brangelina-Paris-Hilton-News, die der Tages-Anzeiger auf seiner Kehrseite mit dreitägiger Verspätung publiziert.

Weshalb nun eigentlich die permanente Aufregung übers Fernsehen? Wie kommt es, dass die „Arena“ seit Jahren als Brüllshow bezeichnet wird, obwohl ich dort wirklich selten jemanden habe brüllen hören? Neidisch, weil diese Art der politischen Auseinandersetzung halt eben nur im Medium Fernsehen möglich ist (unabhängig von vielen dürftigen Voten, die man ja nicht ernsthaft dem Überbringer anlasten kann)? Weshalb führen sonst ganz vernünftige Leute über Jahre hyperventillierend eine aufgeregte Debatte über die Qualität einer Wettersendung, nur weil diese auf einem Hausdach produziert wird? Weil kein anderes Medium dermassen ordinär in die Wohnung des Zuschauers platzt. Und seltsamerweise auch in die Wohnung jener, die zwar gar nie Fernseh gucken, aber trotzdem schon immer und auch in Zukunft öffentlich den Oechslegrad der Fernsehqualität bestimmen wollen.

(Dies ist die Originalversion des Artikels, bevor er von der TA-Redaktion konfektioniert worden ist… V.G.)

2017