Viktor Giacobbo

, 8. Juli 2003

«Ich bin total gegen farbige Karikaturen»

Der Karikaturist Nico feiert sein 35-Jahr-Jubiläum beim «Tages-Anzeiger». Viktor Giacobbo befragte ihn aus diesem Anlass zu Motiven, Provokationen und Pannen.

Mit Nico sprach Viktor Giacobbo

Nico, du behauptest immer von dir, du würdest an der Côte d’Azur leben. Das macht aus dir einen Mann von Welt. Jetzt treffen wir uns hier in diesem trostlosen Mehrzweckbüro, das du beim «Tages-Anzeiger» bewohnst. Wie geht das zusammen?

Auch ein Kosmopolit muss hin und wieder in die Niederungen der Provinz hinuntersteigen. Nein, ernsthaft, es ist gar nicht mein Büro, sondern das von Tagi-Chefredaktor Peter Hartmeier.

Aha, das Chefbüro! Deswegen strahlt es so etwas Weltmännisches aus.

Das ist der Geist, der rüberspringt.

Du bist ja ursprünglich Deutscher . . .

Sag das nicht . . .

Die Wahrheit muss jetzt auf den Tisch. Du bist in Hannover aufgewachsen. Das ist ja nicht gerade ein wunderschöner Ort. War es danach immer dein Traum, einmal im Leben in Olten zu wohnen?

Beide Städte sind dermassen schön, man spürt den Übergang gar nicht.

Du hättest Montreux, Lugano oder Oberwinterthur wählen können und hast dich für Olten entschieden?

Ich bin erst nach Luzern gegangen und dann nach Zürich. Dass ich in Olten wohnte, kam erst viel später.

In Emmen wärst du mit dem Namen Cadsky nicht eingebürgert worden. Aber offenbar damals in Opfikon?

Ja, und zwar weil ich den Beamten mit meinen Jasskenntnissen überzeugen konnte. Ich betete ihm die Regeln aller in der Schweiz gängigen Jassarten herunter, sogar des ominösen Guggitalers, von dem der Beamte noch nie gehört hatte. Um sich das Ganze nicht noch einmal anhören zu müssen, hat er mich eingebürgert. Später wäre ich in Opfikon sogar fast noch Ehrenbürger geworden.

Dein gesamtes Leben hat sich also im Dreieck Opfikon, Olten, Hannover abgespielt?

(lacht)
Warum hast du dich als Schweizer Karikaturist an der Côte d’Azur niedergelassen?

Der Grund ist ein einfacher: Irgendwann bekam ich in den Händen Gicht und konnte nicht mehr ohne Schmerzen zeichnen.

Ein Super-GAU für einen Karikaturisten.

Ja, ich musste meine Lebensumstände verändern, bin in den Süden gezogen, habe meine Ernährung umgestellt und bin die Gicht so wieder losgeworden.

Du bist wahrscheinlich der bekannteste tagesaktuell politisch kommentierende Karikaturist der Schweiz. Da ich in einer verwandten Branche arbeite, überfällt mich immer wieder der Neid. Du zeichnest etwa 400 Karikaturen im Jahr. Findest du wirklich jeden Tag eine Idee?

Ich brauche die Ideen nicht zu finden, weil die Politiker und Wirtschaftskapitäne sie mir jeden Tag zuspielen. Das heisst, ich lese viele Zeitungen, höre Radio, schaue fern und versuche, am Ball zu bleiben.

In 35 Jahren beim Tagi hast du im Publikum ziemlich viel Widerspruch ausgelöst. Würde es wehtun, wenn die Beschimpfungen ausblieben?

Ja, Beschimpfungen braucht es. Sie schützen die Haut besser als Nivea-Crème.

Hast du eine Lieblingsbeschimpfung?

Ich bin nicht wählerisch. Die ernsthaftesten Beschimpfungen kommen natürlich aus der religiösen Ecke. Wenn eine Schwester aus Ingenbohl schreibt, sie reklamiere im Namen von 50 Millionen Christen, dann meint die das offensichtlich ernst. Ich habe der Schwester geantwortet, auf dem Brief würden noch ein paar Unterschriften fehlen.

Ist es nicht erstaunlich, dass Jahre nach den Filmen von Mel Brooks oder der Monty Pythons auch heute immer noch so viele Reaktionen von religiöser Seite kommen?

Die Reaktionen sind heute schon nicht mehr dieselben. Als ich 1968 beim Tagi anfing, gab es in Schweizer Tageszeitungen kaum politische Karikaturen. Für einen, der die Zeitung schon 50 Jahre abonniert hatte, war es ein gewaltiges Novum. Zu Beginn gab es enormen Protest, und es brauchte keine harten Zeichnungen, um die Leute auf die Barrikaden zu treiben. Heute ist dieser Gewöhnungsprozess abgeschlossen.

Bist du eigentlich kompletter Freidenker und Atheist?

Ja. Komplett frei. Sieh dich um: Es sind immer die monotheistischen Religionen, die Mord, Totschlag und Kriege auslösen.

Hattest du beim damals noch stärker links stehenden «Tages-Anzeiger» besonders gute Bedingungen, um zu provozieren?

Ich habe mir diese Frage manchmal gestellt, etwa wenn ich wieder einmal kündigte, weil ich mich über etwas aufgeregt hatte. Da stellte sich immer die Frage, wo ich jetzt hingehen könnte. Die Wahrheit ist – ich sage das nicht gern und streiche dem Verleger Hans Heinrich Coninx nicht gerne Honig um den Bart -, dass es in der Schweiz kein liberaleres Haus gibt als den «Tages-Anzeiger». Deswegen bin ich auch die ganze Zeit dageblieben. Der Tagi und Coninx haben von mir ja auch einiges an Kritik einstecken müssen, aber ich kann sagen, dass sie das gut weggesteckt haben.

Du hast ja einmal mit einer Karikatur Herrn Coninx sehr direkt angegriffen. Du liessest den Unternehmer Nicolas Hayek, der mit einer Studie über den «Tages-Anzeiger» beauftragt worden war, in einer Zeichnung zum Verleger sagen: «Wir können in diesem Haus niemanden entbehren – ausser Sie.» Wie hat er reagiert?

Er hat das sehr humorvoll aufgenommen, ja, er wünschte sich danach sogar das Original der Karikatur. Eine solche Haltung ist aber selten. Von all den Politikern und Bundesräten, die ich während der Jahre sehr häufig gezeichnet habe, hat eigentlich nur ein Einziger regelmässig mit Lob oder Kritik geantwortet: Willi Ritschard, der Bundesrat, von dem alle gesagt haben, der sei ja nur ein Spengler, wenn nicht gar ein Analphabet. Sonst kam nichts.

Auch nicht von Ogi oder von Blocher?

Blocher hat mir bei einer persönlichen Begegnung mal gesagt: «Aha, Sie sind der, der mich immer so zur Sau macht!» Das war seine Begrüssung.

Wenn man 35 Jahre lang zu allen wichtigen politischen Themen gezeichnet hat, kommt dann nicht der Punkt – etwa beim Thema Krankenkassenreform -, wo man merkt, dass man zu diesem Thema alle Jokes schon gemacht hat, die es gibt?

Mein Problem ist ein anderes: Wenn ich zu einem Thema zeichne, zum Beispiel zu Berlusconi, habe ich immer mehrere Zeichnungen fixfertig im Kopf, und im letzten Moment rufe ich diejenige ab, die mir die beste scheint. Die nicht gebrauchten Bilder bleiben aber im Kopf, und wenn ich später wieder zum Thema komme, weiss ich nicht mehr, ob ich diese Bilder schon gezeichnet habe oder nur gedacht.

Hast du schon einmal die gleiche Zeichnung erneut abgeliefert, weil du nicht mehr wusstest, dass du sie bereits gemacht hast?

Ja, ein einziges Mal ist mir das passiert, aber niemand hats gemerkt. Ich habs selber auch erst später bemerkt.

Wie geht das eigentlich technisch vor sich, wenn du von Cannes aus für die Zeitung zeichnest?

Ich schicke die Karikaturen per hundskommunes Fax. Ich bin gegen Computer und habe immer alle Geräte verschenkt, die ich aufgedrängt erhalten habe. Vermutlich würde die Redaktion von mir auch vermehrt farbige Karikaturen verlangen, wenn ich mit Computer und Modem ausgerüstet wäre, ich bin aber total gegen farbige Karikaturen.

Warum?

Aus ästhetischen und inhaltlichen Gründen. Die politische Karikatur verliert an Härte, wenn sie bunt gezeichnet ist. Wenn man die Tradition bei Angelsachsen oder Franzosen anschaut, dann sind jaall diese Karikaturen aus gutem Grund schwarzweiss.

Eines deiner erklärten Vorbilder als Karikaturist ist Paul Flora, auch Sempé gefällt dir. Gibt es Jüngere, die dir imponieren – oder verfolgst du die Szene nicht so stark?

Ich verfolge alles – ausser Comics, bei denen ich immer abschweife, weil mich die Geschichten langweilen. In der politischen Karikatur gibt es jedoch wenig Nachwuchs. Weder bei «Le Monde» noch bei der «Libération» oder den wichtigen deutschsprachigen Zeitungen sind bedeutende neue Talente zu erkennen.

Stirbt dein Gewerbe aus?

Nein, wir Älteren, Gestandenen hocken den Jungen heute einfach überall vor der Nase, sodass die sich gar nicht richtig entwickeln können. Zumal es auch keine Ausbildung gibt. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass ich nie von einer Kunstschule als Dozent angefragt wurde, um talentierte Zeichner, die Witz haben, zu politischen Karikaturisten auszubilden.

Kennst du denn einen guten Zeichner, der aus einem solchen Lehrgang hervorgegangen wäre? Wie wars bei dir?

Bei mir ist es autodidaktisch passiert, aber die Grundformen des Zeichnens habe ich doch in der Kunstgewerbeschule gelernt. Ein Lehrer entdeckte da, dass ich beim Porträtzeichnen leicht karikierte. Durch das leichte Verzerren kam ich schneller zur Ähnlichkeit als andere.

Genauer durch Übertreibung.

Genau. Zur Kenntlichkeit verzerrt.

Begonnen hat es also auch bei dir mit einer Kunstausbildung. Nun gelten die komischen Künste ja nicht richtig als Kunst. Wolltest du irgendwann etwas Ernsthaftes malen, um als wahrer Künstler anerkannt zu werden?

Es gab immer Kollegen, die gemalt haben. Ich weiss von Fredy Sigg, dass er gemalt hat, Peter Hürzeler malt, Hans Sigg sowieso. Ich selber würde nie malen. Das heisst, ich mache vielleicht schon humoristische Aquarelle, aber Malen als Künstler würde ich nicht. Es gibt so viel Tausende, die das machen . . .

Die Wertschätzung wäre eine andere.

Das ist mir wurst. Diesen Ehrgeiz habe ich nicht.

Aber das Vorurteil hast du schon gespürt?

Natürlich. Ich wurde schon zwei-, dreimal für den grossen Kunstpreis der Stadt Zürich vorgeschlagen. Das wurde freilich gar nie in Erwägung gezogen.

Wenn man an den «Tages-Anzeiger» der 60er- und 70er-Jahre denkt, dann erinnert man sich auch an radikale Journalisten, etwa an Niklaus Meienberg. Mit dem hast du dich aber seltsamerweise nicht so gut verstanden.

Das hatte eine Geschichte. Niklaus Meienberg verfasste eine Glosse auf einen Text, den Golo Mann für die «Weltwoche» geschrieben hatte. Das Problem war, man verstand die Glosse nicht, wenn man die «Weltwoche» nicht gelesen hatte. Also habe ich gesagt, dass ich mich weigere, diese Glosse zu illustrieren und dass ich sowieso dagegen sei, dass sie erscheint. Sie erschien aber dennoch, und es gab deswegen ein grosses Gestürm. Die Folge all dessen war, dass ich mit Niklaus Meienberg Streit hatte, nie etwas zu ihm zeichnete und er sich dies seinerseits auch vehement verbeten hätte. Später schrieb er dann in der WoZ einmal eine Doppelseite über politische Karikatur in der Schweiz, nur um darin meinen Namen nicht ein einziges Mal zu erwähnen. Es war unglaublich, welch negative Energie er mobilisieren konnte. Das war schade, denn politisch war ich mit ihm durchaus gleicher Meinung.

Sind wir Satiriker nicht vielleicht besonders gut im Austeilen, aber weich wie Pflaumen beim Einstecken?

Ich glaube nicht. Ich kann gut einstecken. Aber ich musste es lernen.

Welche Kritik macht dich auch heute noch sauer?

Wenn jemand schreibt, dass ich nicht aussehe wie Clark Gable.

Dabei siehst du aus wie Brad Pitt . . .

Mein jüngster Sohn rief mich letzthin an und sagte, er habe gar nicht gewusst, dass ich in einem Film mitspiele. Er bat mich France 3 einzuschalten, da sah ich Marlon Brando als 150-Kilo-Monstrum einen Psychiater spielen. Ich musste wahnsinnig lachen.

Empfindest du es nicht auch als grosses Privileg, dass wir unsere Wut in etwas Unterhaltsames verwandeln können?

Doch, es ist auch Psychohygiene.

Macht einen das aber nicht auch pessimistisch über die Entwicklung der Welt, weil die Probleme ja immer dieselben bleiben?

Zurzeit kann ich nur staunen, wie sich die Welt entwickelt – wenn ich etwa an George W. Bush oder Berlusconi denke. Ja: Pessimistisch bin ich manchmal, aber es knüppelt mich nicht nieder. Andererseits ist der Mensch halt einfach die schlimmste Kreatur der Schöpfung, das habe ich begriffen. Es gibt keine Fortschritte.

Du bist von Beginn an Pazifist gewesen und hast mit 19 Jahren Deutschland verlassen, weil du zum Militärdienst hättest einrücken müssen. Ist das eine Grundhaltung?

Ja. Ich musste schon beim «Nebelspalter» gehen, weil ich gegen den Vietnamkrieg und die Amerikaner anzeichnete. Der damalige Verleger fand das nicht lustig.

Aber beim Tagi teilt man deine politischen Haltungen?

Ja, es hat jedenfalls noch nie ein Verleger oder Konzernmanager oder Chefredaktor oder Redaktor versucht, meine Meinung zu ändern.

Kennst du jemanden anderen, der – so wie du – einfach zeichnen kann, was er will?

Von der Haltung her gab es ein Vorbild für mich: Die Geschichte von Vicky, der jahrzehntelang für den Londoner «Evening Standard» zeichnete. Vicky war ein ungarischer Kommunist, und dennoch wurde er vom bürgerlich-konservativen Besitzer des «Evening Standard» als Karikaturist angestellt. Der Besitzer sagte: «Meine eigene Meinung gezeichnet zu sehen, ist mir zu langweilig. Ich möchte wissen, was die anderen denken.» So verkaufe auch ich einem Freund und Kapitalisten meine Arbeitskraft – damit habe ich kein Problem -, aber nicht meine Seele. Die habe ich bereits dem Teufel verkauft.

Nico, ich danke dir für dieses Geständnis.

(Bearbeitung: Dominique Eigenmann)

2017