Viktor Giacobbo

, 29. Mai 2011, von Sebastian Ramspeck und Simon Bärtschi

«Um wirklich Geld zu machen, müsste ich als Harry Hasler Leasingverträge verhökern»

Satiriker Viktor Giacobbo über «Giacobbo/Müller» als Geldquelle, seine Pläne für einen neuen Film, sein Engagement für Amnesty International und einen Heiratsantrag vom Trapez herunter

Er fährt mit dem Velo vor, springt die Treppenstufen zum Haupteingang des Casinotheaters hoch und führt die Besucher ins grosse Sitzungszimmer im ersten Stock. Viktor Giacobbo, Verwaltungsratspräsident der Casinotheater Winterthur AG, TV-Moderator, Kabarettist, Schauspieler, hat eine neue Freundin, eine neue Wohnung in Winterthur und ein neues Filmprojekt. Ganz schön viel für einen 59-Jährigen, der sich in Interviews regelmässig als faul bezeichnet.

Zusammen mit anderen Künstlern und privaten Geldgebern hat Giacobbo das 130-jährige Casinotheater 2002 zu neuem Leben erweckt – mit Theaterbühne, Festsaal, Bar und Restaurant. In dem Haus stecke fast sein ganzes Vermögen, dafür könne er hier immer gratis essen, erzählt Viktor Giacobbo und setzt sich.

Herr Giacobbo, wo hatten Sie Ihren allerersten Auftritt?

Hier – im Casinotheater Winterthur.

Wie bitte?

Ja, im Sitzungszimmer vis-à-vis. Ich war 18, ein Leutnant unterhielt sich mit mir, es ging um die Aushebung für die Rekrutenschule.

Sie spielten etwas vor?

Ich bereitete mich auf das Gespräch vor, indem ich drei Nächte nicht schlief und sehr viel Kaffee trank. So kam ich bleich und mit Augenringen her und schrieb einen schwurbeligen Aufsatz. Die Diagnose des Leutnants: Drogen!

So drückten Sie sich um den Militärdienst?

Ja, ich musste allerdings zweimal auftreten. Beim zweiten Mal war der Befund: Es ist noch schlimmer geworden mit den Drogen.

Jetzt kennen wir die Entstehungsgeschichte Ihrer Figur Fredi Hinz, des bekifften Obdachlosen aus «Giacobbo/Müller».

Ja, ich spielte eine Frühform von Fredi Hinz – allerdings noch ohne Plastiksack. Und wirklich verladen war ich auch nicht.

Nun drücken Sie sich vier Monate lang ums Sendungmachen: «Giacobbo/Müller» macht bis Anfang Oktober Sommerpause. Der beste Gag, den wir je von Ihnen gehört haben!

Das ist eher eine Sende- als eine Sommerpause. Mike Müller und ich machen nur 30 Sendungen pro Jahr, damit wir Zeit für andere Projekte haben. Und natürlich mache ich im Sommer auch Ferien.

Wohin fahren Sie?

In die USA, wie so oft.

Wieso?

Die USA sind ein spannendes Land, zum Reisen und zum Wandern. Dann habe ich dort einige Freunde. Und in den USA kennt mich keine Sau.

In einem Ferienresort in Thailand wäre das anders?

Ja. Es gibt natürlich auch in den USA gewisse Orte mit Schweizer Touristen, die mich ansprechen.

Sie lieben teure Resorts.

Ich mag die Abwechslung: Im letzten Sommer war ich in Sumatra, habe auf einer Pritsche im Urwald übernachtet. Dann als Kontrast in ein schönes historisches Hotel – wieso nicht?

SVP-Nationalrätin Natalie Rickli will die TV-Gebühren halbieren und die SRG zum Sparen zwingen. Gibt es Ihre Sendung im Herbst gar nicht mehr?

Möglich. Aber wenn man ausrechnet, wie günstig wir produzieren, dann können wir es mit vielen Sendungen des Schweizer Fernsehens aufnehmen – erst recht, wenn man die Kosten mit den Zuschauerzahlen vergleicht. Kollegen, die im Ausland ähnliche Sendungen machen, kriegen zudem eine mehrfach höhere Gage als wir.

Wie hoch ist Ihre Gage?

Lassen wir die Gage. Wenn ich einen Abend als Fredi Hinz auftrete, erhalte ich dafür mehr als für eine Sendung «Giacobbo/Müller», auf die ich mich mehrere Tage vorbereite.

10 000 Stutz pro Fredi-Hinz-Auftritt?

Nein, Fredi kriegt nur zwei. Ich lange etwas kräftiger zu.

Rickli ist die umtriebigste SRG-Gegnerin – und sie bezeichnet «Giacobbo/Müller» als eine Ihrer Lieblingssendungen. Was machen Sie falsch?

Fast alle Politiker schauen gern unsere Sendung, wir machen politische Unterhaltung und verschonen dabei keine Partei. Man muss auch sagen, dass Frau Rickli nicht nur die umtriebigste SRG-Gegnerin ist, sondern auch eine gut bezahlte Lobbyistin. Sie verdient Geld mit den Werbefenstern ausländischer Privatsender.

«Giacobbo/Müller» läuft seit bald dreieinhalb Jahren. Ihre Bilanz?

Mike und ich haben immer noch Spass an der Sendung, und das zahlreiche Publikum offenbar auch. Zudem sind wir bei den Podcasts und den Internet-Downloads Nummer 1 – wobei die Downloads in den Zuschauerstatistiken nicht erfasst werden.

Das Highlight Ihrer Sendung sind die Sprüche zur Wochenaktualität und die Sketches. Ihre Politiker-Interviews sind dagegen oft zum Einschlafen.

Gut für Sie! Aber einige Leute finden die Interviews das Highlight, andere die Sketches, wieder andere die auftretenden Künstler. Das ist Geschmackssache. Man muss machen, was man selber gut findet. Der Massstab ist das, was Mike und mir gefällt. Wenn einer nur Pointen mag, dann ist er sicher kein Fan von Gesprächen.

Kürzlich war SVP-Ständerat Adrian Amstutz in der Sendung – und im Publikum hörte man fast niemanden lachen.

Er ist ja auch kein Komiker. Wieso sollte da jemand lachen?

Weil das Publikum «Giacobbo/Müller» schaut, um zu lachen.

Der Talk mit Amstutz ist beim Publikum sehr gut angekommen. Sie müssten mal im Livepublikum sitzen, um die Reaktionen beurteilten zu können.

Das Publikum hat sich gekrümmt vor Lachen?

Nein, das muss es auch gar nicht. Wir machen eine «Late-Night»-Sendung mit satirischen Elementen. «Late Night» heisst: eine nette Plauderei zu später Stunde.Hinzu kommt, dass wir mittlerweile eine der wenigen Unterhaltungssendungen sind, bei der weder künstliche Lacher noch Applause eingespielt werden und weder eine Signaltafel noch ein Aufnahmeleiter das Publikum zu Reaktionen nötigt.

Im Vergleich zu «Harald Schmidt» oder zur «Daily Show» wirkt «Giacobbo/Müller» sehr nett, sehr schweizerisch.

Wie soll sie denn wirken? Argentinisch? Die SonntagsZeitung wirkt gegenüber der «New York Times» auch schweizerisch. Deshalb braucht niemand einen Minderwertigkeitskomplex zu kriegen. Tatsache ist, dass ausländische Künstler – wie Josef Hader, Gerhard Polt oder Django Asül – gerne zu uns kommen, weil sie unsern eigenen Stil ausgesprochen mögen. Richtig ist aber auch: Wir sind mal besser, mal schlechter.

Üben Sie mit Ihrer Sendung politischen Einfluss aus?

Nein. Ich glaube, wir verstärken beim Publikum höchstens die schon vorhandenen Meinungen. Aber ich höre von jungen Menschen immer wieder, dass sie unsere Sendung schauen und sich daraufhin für Politik zu interessieren beginnen. Das ist für mich ein schönes Kompliment.

Ihr Fernsehkollege Matthias Aebischer will in den Nationalrat. Sie auch?

Ich? Nein! No way!

Wieso nicht?

Ich wäre zu faul. Parlamentarier müssen unglaublich viele Akten studieren. Bei Exekutivmitgliedern kommt das Konkordanzprinzip hinzu. Da wäre ich eine Fehlbesetzung.

Wen wählen Sie bei den nationalen Wahlen im Oktober?

Sicher Leute aus dem grünen Lager: Grüne, Grünliberale, aber auch einige Sozis und echte Gesellschaftsliberale, vormals Freisinnige. Es gibt nicht die eine Liste, die mich restlos überzeugt. Die deutschen Grünen könnte ich vorbehaltlos wählen. Die einheimischen haben leider ein sehr biederes Führungspersonal.

Sie meinen Ueli Leuenberger?

Ja, ihm und seiner Crew wünschte ich etwas weniger dröge Moral und etwas mehr humorvolle Kampfkraft.

Sie stehen politisch links. Macht Ihnen die Überfremdungsdebatte Angst?

Mich beschäftigt vor allem, mit welch einfachen Schlagwörtern man Volksinitiativen gewinnen kann. Das «Bireweichste» war die Anti-Minarett-Initiative – in einem Land mit drei, vier Minaretten! Jetzt sind die Ausländer sogar an der Atomenergie schuld. Bedenklich auch, wie aus dem einst wertfreien Begriff «Asylant» ein eigentliches Schimpfwort gemacht worden ist.

Wer ist der lustigste Politiker der Schweiz?

Schlagfertig ist Alexander Tschäppät, der bringt Pointen und schlägt zurück, wenn man ihn angiftelt. Es macht auch Spass, mit Toni Brunner zu streiten.

Sie führen die Gespräche, Mike Müller sitzt daneben, macht eine Bemerkung – und holt die Lacher ab. Stört Sie das nicht?

Nein, wieso auch? Mike und ich führen keine Prestigekämpfe gegeneinander, null, nichts. Schön finde ich, dass Sie offenbar doch einige Lacher gehört haben.

Wie eitel sind Sie?

So eitel, wie man in diesem Beruf sein muss. Eitelkeit stört nur dann, wenn sie neidisch auf andere macht, die Erfolg haben. So bin ich nicht. Im Gegenteil. Ich hole gern junge Talente in die Sendung.

Egozentrisch?

Nein, aber manchmal ein bisschen bestimmend.

Sie engagieren sich in einer Kampagne von Amnesty International für den burmesischen Komiker Zarganar, der zu 35 Jahren Haft verurteilt wurde. Warum gerade dieses Engagement?

Ich unterstütze Amnesty seit langem. Ich habe der Organisation beispielsweise den Telepreis gespendet. Damals fragte ich Amnesty, ob es nicht Berufskollegen gebe, die wegen ihrer Tätigkeit im Gefängnis sitzen. So kam ich dazu, zwei burmesische Komiker zu unterstützen. Jetzt kam Amnesty auf mich zu, wieder ging es um einen Burmesen.

Der Spot ist sehr nüchtern. Stammt er von Ihnen?

Nein, der Spot ist nicht von mir und er war noch etwas pathetischer geplant, aber ich wollte das nicht. Von mir erwartet man eigentlich etwas Lustiges. Aber genau das ist der Spot nicht. Sehr gut konzipiert ist die Plakatkampagne – fadengerade, ohne Chichi.

Mussten Sie das Engagement dem Schweizer Fernsehen vorlegen?

Habe ich nicht getan. Dann wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass mein SRF-Vertrag eine Bewilligungspflicht beinhaltet. Ich erwiderte, das Engagement gehöre zu mir als Mensch, und als Mensch würde ich auch meine Sendung machen. Die Direktion hats dann durchgewunken.

Bei Giacobbo drückt das Fernsehen ein Auge zu.

Nein. Man kann ja nicht im Ernst gegen Amnesty sein. Ich mache keine kommerzielle Werbung – um meine Unabhängigkeit zu wahren. Um wirklich Geld zu machen, müsste ich den Job bei SRF an den Nagel hängen und mit Harry Hasler Autoleasingverträge verhökern.

Amnesty ist Ihr wichtigstes gemeinnütziges Engagement?

Ja. Es gibt noch andere Organisationen, die ich unterstütze. Ich bin ein grosser Tierfan, KAG Freiland darf zum Beispiel mit meinem Namen Inserate schalten.

KAG Freiland setzt sich gegen Massentierhaltung ein. Woher kommt Ihre Tierliebe?

Ich hatte Tiere immer schon gerne, schon als Kind.

Ihr Vater war Metzger.

Ja, aber er liebte die Tiere trotzdem. Er spielte noch im hohen Alter am Boden mit meinen Katzen. Mein Interesse an Tieren ist auch der Grund, warum ich vor einem Jahr nach Indonesien reiste, um Auswilderungsstationen von Orang-Utans zu besuchen.

Haben Sie Haustiere?

Ich hatte bis vor einem halben Jahr eine Katze.

Sie tauschten die Katze gegen Ihre neue Freundin?

Ja, für ein altes Tigerli kriegte ich eine junge Blondine. Quatsch, der 18-jährige Feld-Wald-und-Wiesen-Kater sollte nicht in die Stadt deportiert werden.

Wieso sind Sie umgezogen?

Ich wollte schon immer mal die grosse Welt sehen. Und die 13-Zimmer-Villa wurde zu eng.

Neue Wohnung, neue Freundin – das fällt zeitlich zusammen.

Überhaupt nicht, wir waren schon vorher zusammen. Lange hat es einfach niemand bemerkt.

Noch eine Frage zu Ihrem Arbeitgeber: Würden Sie den neuen SRG-Chef Roger de Weck als Talkgast in die Sendung laden?

Auf jeden Fall! Am letzten Sonntag haben wir ja zur Illustration des sogenannten Gebührenmonsters sein Foto gezeigt. Ich möchte mal sehen, bei welchem anderen Medienkonzern so etwas möglich wäre! Jedenfalls habe ich weder bei Tamedia noch bei Ringier jemals einen Witz über die eigenen Chefs gelesen. Der starre Staatsbetrieb beweist hier eine grosse Liberalität.

Sie werden im kommenden Jahr 60. Bereiten Sie sich auf die Pensionierung vor?

Ja, deshalb zog ich in eine betreute Alterswohnung – und das Mountainbike habe ich durch einen Rollator ersetzt. (Lacht.) Nein. Für mich ist das kein Thema. Ich stelle manchmal verwundert fest, dass ich 60 Jahre alt werde und weder Mühe mit dem Weitermachen noch mit dem Aufhören habe. Ich bin sehr gerne faul.

Wer so omnipräsent ist, kann nicht faul sein.

Fürs Amnesty-Plakat musste ich zwei Stunden investieren, das Fernsehen ist ein 60-Prozent-Job, in der Casinotheater Winterthur AG bin ich nicht operativ tätig. Es sieht bloss so aus, als ob ich sehr viel arbeiten würde.

Färben Sie eigentlich Ihre Haare?

Nein. Ich habe einem «Blick»-Redaktor dazu eine Wette vorgeschlagen: Stimmt die Aussage, zahle ich 20 000 Franken, sonst er. Er wollte leider nicht darauf einsteigen.

Sie reden ungern über Privates. Aber als Sie mit Nadja Sieger alias Nadeschkin zusammen waren, waren Sie ein öffentliches Paar. Und Ihre neue Freundin Barbara Josef präsentierten Sie den Medien im März, an der Premiere des Circus Knie . . .

Eigentlich wollte ich sie mit Fredy Knies Schimmeln durch die Manege traben lassen und ihr dann vom fliegenden Trapez herunter einen Heiratsantrag machen, um diesen dann der Boulevardpresse zu verkaufen. Aber ein eifriger Berufskollege von Ihnen fotografierte uns bereits vor der Vorstellung. Weil wir bereits seit Monaten ein Paar waren, haben wir genau dies bestätigt. So viel zum Thema Präsentieren.

Ihre neue Freundin ist 24 Jahre jünger als Sie. Eine Art, sich jung zu halten?

Ja. Aber eigentlich habe ich eine gesucht, die 34 Jahre jünger ist.

Wie lernten Sie sie kennen?

Wir haben Castings durchgeführt und Mike Müller hat sie dann für mich ausgewählt.

Ein alter VR-Präsident, der sich eine junge hübsche Freundin angelt – das klingt nach einer Giacobbo-Figur!

Ich bin ja auch eine Giacobbo-Figur. Was wollen Sie denn? Soll ich im Hotel über Dienstmädchen herfallen?

Planen Sie noch Kinder?

Nein. Aber wir möchten später einmal Katzen. Weil sich bei Katzen die Mundartfrage nicht stellt, würde ich jederzeit eine Katze einem Kind vorziehen.

Ihr erster Kinofilm «Ernstfall in Havanna» war ein Riesenerfolg, der zweite – «Undercover» – der grösste Flop Ihrer Karriere. Verspüren Sie Lust, nochmals auf der Leinwand zu reüssieren?

«Undercover» war kein Flop. Er hatte mehr Zuschauer als viele andere Schweizer Streifen – im Kino und vor allem auch bei der TV-Ausstrahlung. Ich war einfach mit meiner Leistung nicht zufrieden und sagte das auch öffentlich. Zu Ihrer Frage: Ich will nicht mehr erleben, wie irgendeine Kommission in Bern beurteilt, ob etwas lustig ist oder nicht. Das mache ich garantiert nicht mehr mit. Aber unter anderen Bedingungen habe ich grosse Lust auf einen neuen Film!

Das heisst?

Ich arbeite ohne Hektik an einem Filmprojekt. Die Idee muss aber noch reifen. Im Moment fehlt ohnehin die Zeit für die Realisierung. Es wäre eine Produktion mit relativ kleinem Aufwand.

Arbeiten Sie wieder mit Ruth Waldburger zusammen, der Produzentin von «Ernstfall in Havanna» und «Undercover»?

Das kann gut sein.

Spielt der Film in der Schweiz?

Nein.

Eine Komödie?

Komisch – ja. Aber keine Komödie im klassischen Sinn.

Ein Trickfilm?

(Lacht.) Nein. Ich werde Ihnen das noch nicht verraten.

Ein Dokumentarfilm à la Michael Moore?

Da kommen Sie der Sache schon etwas näher.

2017