Viktor Giacobbo

Cigar, 1. Oktober 2000, von Bruno Bötschi

Hofnarr mit Cigarre

Fast die ganze Schweiz lacht, sofern er will. Viktor Giacobbo ist Komiker. Sagen wir es so: Er ist der neue Emil aus der Schweiz. Oder so: Lustiger als Harald Schmidt ist er auf alle Fälle. Nach Deutschland will er trotzdem nicht.Everybodies Darling. Seine Blamagenlosigkeit, schrieb die Schweizer Wochenzeitung (Woz), sei für jeden Rechercheur peinlich. Selbst seine Gegner und Opfer lieben ihn. Opfer? Gegner? Vielleicht die falschen Worte. Richtige Gegner sind sie nicht. Er veräppelt sie. Karikiert sie.
Wenn schon Politik, dann eher die Sozialdemokraten. Doch das hat nicht sollen sein. Nur wäre das eine andere Geschichte, die in den 68er-Jahren abrupt endete nach einer Demonstration vor dem Winterthurer Volkshaus: «Wer hat uns verraten? Die Sozialdemokraten! Wer hat uns?»
Wer er ist? Viktor Giacobbo. Schweizers Liebling im Fach Komik. So etwas wie der Harald Schmidt der Eidgenossen – aber echt besser. Der Hofnarr der Nation. Der neue Emil, der damals wie der Emmentaler zum helvetischen Exportschlager in Deutschland wurde. Nur anders. Moderner. Und politisch – unkorrekter. Und eben – kein Exportartikel.
Gut möglich, dass sie seinen Namen nach diesem Porträt nie mehr lesen. Wenn Sie Deutsche/r sind, ist die Chance groß. «Ich muss schon in der Schweiz neun von zehn Anfragen für Auftritte ablehnen», sagt Giacobbo ohne Arroganz, «wozu soll ich nach Deutschland, wo der Markt härter ist? Die deutschen Komiker, die wir in der Sendung haben, sind total begeistert, wie es bei uns her und zu geht. Sie hätten so gar kein Fernsehgefühl, es sei wie eine normale Vorstellung.»
Sendung? Zehnmal im Jahr seit zehn Jahren lachen Herr und Frau Schweizer vor der Fernsehkiste, wenn mittwochs «Viktors Spätprogramm» aus dem Zürcher In-Club Kaufleuten sendet; mit traumhaften Quoten im Schweizer Fernsehen. Viktor Giacobbo spielt sich selber. Karikiert den Zürcher Eingeborenen so brutal wie Comiczeichner Deix die Wiener. Äfft mit Schauspielern wie Walter Andreas Müller und Birgit Steinegger Schweizer PolitikerInnen nach. Köstlich. Wunderbar.
Für Lachkrämpfe sorgen seine Parodien auf den Präsidenten der SVP, der Schweyzerischen Volchspartey. Der heißt Ueli Maurer und ist ein Klon des helvetischen Blut-und-Boden-Volkstribuns Christoph Blocher, der gut und gerne der Bruder vom Austria-Haider sein könnte. Die Volchspartey, früher eine Bauernpartei, gewinnt aus dem Reservoir der Heimatdümmelnden, Senioren und Europagegnern Wahl um Wahl.
Und natürlich hat die SVP-Hilfstruppe «Bund der Steuerzahler» versucht, den Viktor Giacobbo von der Bühne des Casinos wegzupusten. Dank ihm haben die politischen Rechten die deutsche Sprache mit der Wortschöpfung «Linksreiche» bereichert. Im Casino Winterthur, einer verlotterten kommunalen Theaterliegenschaft, soll eine Bühne für das helvetische Kabarettschaffen entstehen.
Prompt erzwängten die senkrechten Vatterländischen eine Volksabstimmung, die Giacobbo und seine Freunde gewannen zur Ehrenrettung der Winterthurer Museum- und Kulturstadt. Bald geht es los mit der Sanierung, ab 2001 soll wieder gespielt, gelacht, geklatscht, getrunken, gestanden, gewartet, gegessen werden. «Ich bin es nicht allein, der das Casino möglich macht», wehrt Giacobbo ab. Er ist der Motor der Aktion von über 40 Schweizer Kunstschaffenden, die das Casino von der Stadt kaufen. Viel Arbeit für Giacobbo, aber auch viel Spaß. Und Freiraum für Ideen. «Wir werden neue Sachen zeigen, auch für Experimente offen sein.»

Schlagfertigkeit war eher meine Sache. Aber ich war nicht ein permanenter Blödler.
Wann hat er gemerkt, dass er komisches Talent hat? «Als in der Schule der Sport aktuell wurde, war ich nicht bei den Ersten. Schlagfertigkeit war eher meine Sache. Doch ich war nicht ein permanenter Blödler.» Von Natur aus wirkt er als der introvertierte Mr. Schüchtern. Richtig aus sich heraus geht er wohl erst, wenn er sich verkleidet und sich in eine seiner Phantompersönlichkeiten verwandelt.
Im Rampenlicht stehen. Und doch mit seinen Talkgästen fair umgehen, und wäre es die Bundesrätin Ruth Dreyfuss. Als dumm-scharfe Blondine Debbie Mötteli im Interview mit helvetischen Servelatpromis wie Ex-Miss-Schweiz Stephanie Berger oder der Tessiner Sängerin Nella Martinetti. Indisch kann er es auch. Als Rajiv. Das Volk hält sich die Bäuche.

Oder der Kiffer Fredi Hinz. So gut, dass sich Psychiater schon fragen, ob Giacobbo mit diesen Rollen sein wahres Ich verstecken wolle.
Bei Harry Hasler, einem dumm-dreisten, brustbehaarten, immer in weißem Cowboylederoutfit auftretenden Playboy aus Zürich-Schwamendingen, wollte das psychologische Hinterfragen gar nicht mehr enden. «Wänd weisch wan i mein» – um bei Haslers Standardantwort zu bleiben, mit der es Giacobbo bis in die Top Ten der Schweizer Hitparade schaffte. Saletti Chatze!
Die Figuren sind aus Zufall entstanden, oft aus einem Notstand, denn the play must go on – der Sendetermin wartet nicht. Eine Planung – von Moskaus Weltrevolution ferngesteuert, wie die Rechten im kalten Krieg mutmaßten – stand nie dahinter. «Beim Hinz suchten wir einen Kiffer, und weil ich das schon lange einmal spielen wollte, übernahm ich den Part. Ich hätte nicht gedacht, dass die Rolle beim Publikum so gut ankommt.»
Ähnlich Debbie Mötteli, die in grässlich bunten Fetzen mit wogenden Brüsten vor die Fernsehkameras stöckelt. Der grandiose Harry Hasler hieß in der ersten Sendung noch Herr Berger. «Zufall, warum wir was wie machen. Vielleicht lassen wir den Hasler mit seinem Ami-Schlitten in der nächsten Sendung in die Wand knallen und er stirbt.»
Nicht sterben, aber leiden würde Viktor Giacobbo, wenn er längere Zeit keinen guten Kaffee bekäme. Ein richtiger Kaffeefreak. Zu Hause steht eine Megamaschine mit zwei Kolben, die Bohnen immer von Café Ferrari in Dietikon. «Ich liebe seinen wunderbaren dunklen Espresso Napoli, den er im Holzofen röstet. Er ist der einzige, der das noch so macht in der Schweiz. Mein Kaffee muss frisch gemahlen sein und säurefrei. Natürlich muss die Tasse vorgeheizt sein, weil die ja sonst sofort die Hitze aufnimmt.»
Der Kenner spricht. Der Genießer. Der geschmäcklerisches Tun über alles hasst. Das ganze Brimborium und Gegurgel der alleskennenden Gurus beim Wein. Das Möchtgerngehabe. «Ich rauche darum nicht gerne Cohiba, das ist für mich die überzahlte Werbercigarre. Und sie ist ja auch die meistgefälschte Puro.» Fotografieren lassen mit Cigarre ist nicht sein Ding – Cigar-Fotograf Marcel Studer hat es trotzdem geschafft – und öffentlich rauchen auch nicht, lieber privat genießen und ungestört. Ein, zwei Puros die Woche smokt er, im Urlaub können es auch mehr werden.

Sein rauchiger Liebling ist die Hoyo de dieux und da ist er gar nicht unglücklich, dass die keine Banderole hat. Er braucht das Prestige der Edelpuro nicht für sein Selbstbewusstsein. Schweizer Understatement? Gerne zieht er an einer Montecristo No. 2, mit anderen Provenienzen hat er seine Mühe. «Der kubanische Tabak ist der beste der Welt, und so ist auch eine schlechte Havana noch besser als irgendeine andere Cigarre.»
Den Vergleich mit dem Wein schiebt Giacobbo nach. Schweizer Landweine seien wohl auch nicht schlecht, aber er liebe halt den italienischen Tiganello. Die Weine aus Italien hätten deutlich mehr Understatement als die Franzosen. Wenn es hochprozentiger sein soll, schlürft Giacobbo gerne einen Malt Whisky. «Aber nicht die torfigen.»
Könnte gut sein, dass Viktor Giacobbo demnächst etwas mehr smokt. Man wird sehen, ob er den zuckersüssen kubanischen Kaffee mag oder dann doch lieber eisigen Moijto. Anfang 2001 ist Kuba in seiner Agenda eingetragen. Zu viel verraten darf er noch nicht. Aber wenigstens ein bisschen? «Wir werden eine Politkomödie für das Kino drehen. Die Geschichte geht davon aus, dass die Schweiz seit der amerikanischen Wirtschaftsblockade die USA diplomatisch in Havana vertritt.»
Und «Viktors Spätprogramm»? Wird das auch in Cuba gedreht? «Nein, ich fliege während den Dreharbeiten in die Schweiz.» Keine Abnützungserscheinungen nach zehn Jahren? «Stimmt, die Pace ist ziemlich hart, und mit zehn Cabaretprogrammen in einem Jahr ist der Verschleißquotient hoch. Wir werden die Sendung sicher nicht mehr so lange machen, wie wir sie bis jetzt schon gemacht haben.» Schön salomonisch. Die Fassade bleibt, die Türe geht nie ganz auf. Eine Homestory gibt es von Komiker Viktor Giacobbo nicht. Keine Badewannebilder für die illustrierte Schweiz. Die Presse weiß es, und wenn es dann wirklich etwas zu knipsen gäbe, schnallen sie es doch nicht. Da war die Verleihung vom «Prix Walo» in Zürich und immer eine Frau an der Seite vom Viktor. Für das Siegerfoto wurde sie weggeschoben, das Team von «Viktors Spätprogramm» sollte doch drauf.
Wer war die Frau? Nadeschkin ihr Künstlername. Die andere Hälfte des jungen Schweizer Komikerduos Ursus und Nadeschkin. Mit auffällig blond gefärbten Rastazöpflis. Damals die neue Flamme von Giacobbo. Niemand schnallte es, aber heute wissen es alle. Sie lassen sich auch zusammen fotografieren. Nur nicht privat. «Man gibt viel in so einem Job», sagt Giacobbo, «und da brauche ich irgendwo ein Daheim. Einen Ort, wo ich mich sein kann.»
Während der Sendung zweihundert Prozent für das Publikum und dafür die freien Minuten auch zweihundert Prozent für sich – und gute Freunde. Ein Sympathieträger, aber nicht zum Anfassen für jedermann. Einer, der noch viele Ideen in sich trägt. Der versteckte Witz in den Augen lässt sie nur ahnen. Aber zeigt längst nicht alles allen. Außer sein Lachen.
Das vergeht ihm, wenn er an einer Confiserie vorbei soll, ohne einzutreten. «Das kann ich fast nicht, und vor allem nicht beim Weber in Winterthur, der hat die besten Linzertörtchen!» Und wenn er essen geht? Er mag Beizen wie das «Rössli» in Winterthur, das im Keller einen Humidor versteckt, vor dem Cigarier schon einmal feuchte Augen kriegen. Oder den Italiener um die Ecke, eine Trattoria, wo es einfach das gibt, was der Koch da hat. «Total grässlich eingerichtet, dafür mit unheimlich viel Atmosphäre.»
Aber jetzt will er gehen – einen Kaffee trinken.

2017