Viktor Giacobbo

, 22. April 2002, von Roger Anderegg

Ernstfall in Winterthur

Satiriker Viktor Giacobbo gibt einen Unternehmer – die neueste Rolle ist vielleicht seine besteAuch mancher Verwaltungsratspräsident hat klein angefangen. Viktor Giacobbo zum Beispiel begann als Securitaswächter. Den gab er bei Firmenjubiläen und Banketten so überzeugend, dass ihm die Gäste bei der Eingangskontrolle freiwillig ihre Handtaschen zur Inspektion überliessen. Erst wenn der Mann allzu intime Fragen zu deren Inhalt stellte, dämmerte den Leuten, dass das bereits Bestandteil der Show war.

Die Truppe, die solcherart für Verunsicherung sorgte und den Begriff des Theaters keck ausweitete, nannte sich «Harul’s Top Service» und wurde als parodistischer Stosstrupp auch als «die verrückten Kellner» bekannt.

Kellner – das war für Giacobbo denn auch die nächsthöhere Stufe. Dann wechselte er, zunächst als satirischer Schlusspunkt der TV-Sendung «Medienkritik», auf den Bildschirm. Nach zwei Jahren bekam er seine eigene Show. Heute präsentiert er regelmässig «Viktors Spätprogramm», schreibt Kolumnen, ist im Kino in «Ernstfall in Havanna» zu sehen und moderiert private Galas. Sein Repertoire besteht mittlerweile aus mehr als zehn Figuren, Harry Hasler, Fredi Hinz, Debbie Mötteli, Rajiv & Co.

Jetzt hat sich Giacobbo seine grösste Rolle angelacht: Knapp 15 Jahre nach seinem Debüt als Securitaswächter präsidiert er den Verwaltungsrat der Casino Theater AG. Er ist auf dem Gipfel seiner Karriere angelangt.

Natürlich sieht das ein Satiriker anders. «VR-Präsident ist ganz im Gegenteil der Tiefpunkt meiner Karriere», sagt Giacobbo. «Das ist ja heute der meistgeschimpfte Job im Lande. Man braucht sich bloss so die Berufskollegen anzuschauen…»

Immerhin steht er einem Unternehmen der innovativen Art vor. Mit dem Casinotheater Winterthur, einem Haus für Kleinkunst, Kabarett und Komödie, erhält das Lachen eine ständige Adresse. Die Parodie, diese Streunerin, bekommt eine feste Bleibe. Die Satire, dieses flatterhafte Wesen, wird sesshaft.

Und die Künstler werden Aktionäre. Seit Giacobbo sein Projekt lanciert hat, herrscht in der Branche Generalmobil- machung. An die fünfzig Klein- und andere Künstler haben je mindestens 10 000 Franken investiert, Initiant Giacobbo selber «einen sechsstelligen Betrag unter einer halben Million».

Schnell fügt er bei: «Die Menge der erworbenen Aktien hat nichts zu tun mit der Präsenz auf der Bühne.» Also nix da mit Unterhaltungsmafia. Spricht jetzt doch der Satiriker aus dem Verwaltungsratspräsidenten?

Nein, umgekehrt: Aus dem Satiriker spricht der Unternehmer. «Wir wirtschaften auf seriösem Boden, wir haben sehr vorsichtig kalkuliert», versichert der VR-Präsident. «Bei einem Umbaubudget von 13,5 Millionen haben wir heute nur null Komma etwas Prozent Mehrausgaben.» Nicht nur im Weltverbessern arbeiten Satiriker offenbar präziser als viele kommunale Bauherren und Politiker.

Winterthur als neue Humordestination wird die Lachgeografie des Landes ernsthaft verändern. Denn heute denkt ein Unternehmer wenn nicht global, so doch überregional. Giacobbo rechnet mit einem Einzugsgebiet, das bis Bodensee und Rhein reicht, bis St. Gallen und Schaffhausen, und die Stadt Zürich mit einschliesst: «Die Zürcher kommen immer gern nach Winterthur, wenn hier was los ist.»

Dabei weiss ein kluger Unternehmer auch den Lokalpatriotismus zu nutzen. TV- und Radio-Moderator Beni Thurnheer steht zwar eher im Rufe eines Schnellschnorris als eines Kleinkünstlers, ist aber immerhin bekennender Winterthurer und folglich mit dabei. Schriftsteller Peter Stamm, der sich mit seinem Ouvre («Agnes», «Ungefähre Landschaft») als begnadeter Jungtragiker profiliert hat, findet in seinem Frühwerk prompt zwei Humoresken, die im Juni auf der Casinobühne gegeben werden.

«Unser Kapital ist die grosse Aufmerksamkeit, die wir geniessen, weil wir viele bekannte Leute haben, die innovative Sachen bringen», sagt Giacobbo. Die engeren Branchenkollegen sind eh alle dabei: Patrick Frey (er inzwischen VR-Präsident der Casino Immobilien AG), Joachim Rittmeyer und Lorenz Keiser, Gardi Hutter und Franz Hohler. Müller Walter Andreas und Müller Mike. Aktionäre, wohin man schaut.

Ein weitsichtiger VR-Präsident sorgt auch für optimale Auslastung des Hauses. Giacobbo verfügt über beste Verbindungen zu Funk und Fernsehen, und die werden hier synergetisch genutzt: SF DRS zeichnet wöchentlich eine Comedy-Show auf, und Radio DRS überträgt die Verleihung des Salzburger Stiers live. Vielleicht jemand im Saal, der den noch nicht bekommen hat?

Während die Handwerker noch hämmern, führt uns der VR-Präsident stolz durchs Haus. Das Casinotheater ist ein stattliches Gebäude aus der Gründerzeit. Von aussen wirkt es nüchtern wie eine Humorfabrik. Im Restaurant kriegt das Servicepersonal gerade seine Einführung. Auf der Bühne probt Regisseurin Katja Früh mit lauter Aktionären das Premierenspektakel «Die Eröffnung». Die 15 Vorstellungen sind ausverkauft.

Dann stehen wir im imposanten Bankettsaal. Hier erlebte der VR-Präsident einst seine militärische Aushebung, die ihm den begehrten Stempel «Dienstuntauglich» eintrug. «Nicht ohne mein Zutun», sagt er und lächelt ironisch. «Die Buchungen für den Saal laufen super», schwärmt Giacobbo. Hier werden Tagungen und Bankette für bis zu 500 Leute ausgerichtet – und Aktionärsversammlungen. Nur noch die Kronleuchter waten auf die Endmontage.

2017