Viktor Giacobbo

, 10. März 2002, von Ewa Hess

Balsiger kennt kein Tempolimit

Warum der «Ernstfall in Havanna» zum Glücksfall wurde

 

Wenn der Chefsatiriker des Landes zum ersten Mal auf der Leinwand zu sehen ist, zittern alle ein bisschen. Die Giacobbo-Fans vor Neugierde: Spielt er da mehr den Hasler oder den Rajiv? Die Cinéphilen vor Misstrauen: Wird das ein Film oder eine Reihe von Kabarettnummern? Und natürlich sind die Ängste der Produzentin Ruth Waldburger bei einem solchen Prestigeprojekt ebenso gross wie ihre Hoffnungen.

Nach der Mittwochpremiere von «Ernstfall in Havanna» also das Aufatmen: Experiment gelungen! Viktor Giacobbo ist in seinem ersten Kinofilm weder Hasler noch Schawinski, überhaupt Niemandes Karikatur, sondern der Botschaftsangestellte Stefan Balsiger, eine echte Filmfigur mit mehr als einem Charaktermerkmal im darstellerischen Köcher. Schon ganz am Anfang des Films entzückt eine Tanzszene: Der Balsiger, fiebrig erwartungsvoll, tänzelt aus dem Bett ins Bad, kleine Schrittchen auf den Zehenspitzen, nach links, nach rechts, und schwupps um die eigene Achse, ein lächerlich rührender Schmalspur-Travolta in karierten Boxershorts. Nur jene, die auf eine beissende Politsatire im Stil von «Viktors Spätprogramm» hofften, werden den ganz hämischen Giftzahn des Kabarettisten missen.

Es gibt viel zu lachen, doch «Ernstfall in Havanna» ist kein Klamauk

Der Handlungsknoten ist schnell geknüpft: Der kleine Mann Balsiger hat grandiose Gelüste. In der kleinen Schweizer Botschaft auf Kuba will er auf Grandseigneur machen, mit Zigarre und weissem Leinenanzug. Die Gelegenheit bietet sich, sobald sein Chef auf Dienstreise nach Bern abrauscht. Noch während Balsiger der Schweizer Fotografin Bea (Sabina Schneebeli) für eine People-Story posiert, nimmt Unheil seinen Lauf. Ein echter Grosskotz kommt an, US-Senator Russel.

Der Film gibt nicht vor, das Komödiengenre neu erfinden zu wollen. Wozu auch? Der kleine Mann, die ehrgeizige Journalistin, der gutmütige, wenn auch trottlige Sicherheitsbeamte, die heiss-blütige Kubanerin – das ist eine erprobte Klamauk-Besetzung, die selten ihre Wirkung verfehlt. («Die Schweizermacher» waren da eigenständiger mit den übereifrigen Einwanderungsbeamten, denn darauf mussten die Amerikaner erst kommen, was sie auch taten, 1990, mit «Green Card»). Doch nicht umsonst heisst der Film «Ernstfall in Havanna». Es gibt viel zu lachen – reiner Klamauk ist er aber nicht.

Obwohl das Drehbuch von Viktor Giacobbo stammt (und von Domenico Blass, der auch schon «Viktors Spätprogramm» mit seinem Witz alimentierte), und obwohl der Film stark von der Hauptfigur Balsiger lebt, ist die Handschrift der Regisseurin Sabine Boss unverkennbar. Die 35-jährige Absolventin der Zürcher Filmklasse hat mit ihrem Debutfilm, der TV-Produktion «Studers erster Fall», auf sich aufmerksam gemacht. Schon in dieser eigenwilligen Umsetzung des Romans «Matto regiert» von Friedrich Glauser hat Boss ein eigenwilliges Tempo vorgegeben und ihrer Hauptfigur, der weiblichen Kommissarin Studer, eine leicht verschrobene Ernsthaftigkeit verliehen. Ähnliche, zutiefst helvetische Widerborstigkeit vermochte die junge Regisseurin auch in Santo Domingo in Szene zu setzen, wo «Havanna» – in Ermangelung der Dreherlaubnis auf Kuba – entstand.

Die bedächtige Sprache überhöht die Geschwindigkeit der Ereignisse

Wer eine Knall auf Fall geschnittene Screwball Comedy erwartet, wird also zunächst enttäuscht. Flotte Salsa (Musik: Balz Bachmann, Peter Bräker) macht Stimmung, der Film nimmt sich aber Zeit. Das Unvermeidliche entrollt sich erst gemächlich und Charaktere, die man meint, sofort durchschaut zu haben, werden sorgfältig installiert. Die Fotografin verrät bei ihrer Ankunft im Flughafen ihre rebellische Ader. Der Botschafter zeigt bei der Instruktion der Subalternen den keinesfalls partizipativen Führungsstil. Und der naive Grössenwahn Balsigers verrät sich in der Szene mit dem amerikanischen Diplomatenkollegen Claiborne: «Sorry», sagt dieser, «verlass mein Büro, ich habe einen Anruf aus Washington», worauf Balsiger antwortet: «I know what you mean», und dann, bedeutungsvoll «Berne».

Sobald sich die Ereignisse nach der Ankunft Russels überschlagen, gewinnt der Film an Tempo. Nur in der Art, wie die Schweizer Englisch und Spanisch sprechen, hallt die bedächtige Langsamkeit nach. Die als langsam eingeführten, langsam sprechenden Figuren sehen sich plötzlich einer Kaskade von Ereignissen ausgesetzt, die sie überfordert. Dadurch, dass Sabine Boss diesen Kontrast in die Struktur des Films einbaut – zuerst langsam und dann immer schneller – gibt sie dem komödiantischen Stoff eine solide Basis. So wirken die Figuren viel glaubwürdiger.

Die Charakterisierung, wie man nach «Studers erster Fall» und nun dem «Ernstfall» bemerkt, gehört zu den grossen Stärken der Regisseurin, die an deutschen Theatern ihr Knowhow in Schauspielerführung übte. Auch wenn Sabina Schneebeli in der Rolle der Fotografin etwas blass bleibt, begeistern schauspielerische Leistungen bis in die Nebenrollen hinein – Mike Müller etwa als Sicherheitsbeamter Rüegg, Daniel Rohr als Bundesratsassistent Thomas Fröhlicher oder Jean-Pierre Cornu als Bundesrat Hitz – Cornu ist dazu dem amtierenden Bundesrat Deiss täuschend ähnlich.

Die Regisseurin erzählt, dass während der Dreharbeit sie und Viktor Giacobbo viel zu streiten hatten – trotz, oder gerade wegen der grundsätzlich vorhandenen Sympathie. Als Zuschauer ist man froh um diese Auseinandersetzung: «Ernstfall in Havanna» ist dadurch kein eindimensionales Starvehikel geworden, sondern ein echter Schweizer «Glücksfall in Havanna». Auch wenn es die Dominikanische Republik war.

2017