Viktor Giacobbo

, 27. November 2008, von Fabian Saner

Abendfüllende Lehre des Erfolgs

STADTTHEATER OLTEN Die drei Grossen des Schweizer (Fernseh-)Kabaretts mimen sich überzeugend selbst

Kein doppelter Boden! – Der ist schon eingebaut in «Erfolg als Chance» von Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller. Als Alter Egos ihrer selbst loteten sie auf Einladung des Theaterstudios im Stadttheater die kreative Krise aus, die erfolgsverwöhnte Künstler zuweilen befallen mag und in der programmatischen Leere gipfelt. Der Lösungsansatz bestach das zahlreich aufmarschierte Publikum gänzlich, wie sich am lang anhaltenden Schlussapplaus abhören liess. KEIN PETER-BICHSEL-VERSCHNITT, keine Ueli-Maurer-Parodie, kein Stolte-Benrath-Statement, sondern die reine Selbstbespie(ge)lung, die pure Illusion einer Realität im Angesicht der unerbittlich näher rückenden Drohkulisse des Premierentermins – «Erfolg als Chance» ist das Etikett für jene Aura, die den drei bekanntesten, arriviertesten und durchhaltefähigsten Spassmachern anhaftet, die Leutschenbach in den letzten zehn Jahren aufs televisionäre Land losgelassen hat.

Viktor Giacobbo, Patrick Frey und Mike Müller tun in ihrem «Konversationsstück» nämlich das, was sich nur die erfolgsverwöhnten Olympioniken des Fachs leisten können: Sie schneidern die Ideenund Einfallslosigkeit elegant, elegisch und eloquent zum abendfüllenden Programm. Und – noch stärker als in «Sickmen» – sie (be)spielen diejenigen Teile ihrer Autobiografien, die jenseits des Privaten längst zum modellierbaren Fundus an Öffentlichkeitsinventar gehören und doch im Privaten gründen.

DIE AUSGANGSSITUATION von «Erfolg als Chance», das am Dienstagabend im ausverkauften Stadttheater über die Bühne ging, ist denkbar einfach und doch von treffender Ironie – also nah an den Gewässern (künstlerischer) Realität gebaut: Die drei Bühnentiere finden sich nach all den Grosserfolgen und zwischen ihren diversen Privatengagements (Werbung für «Molkehersteller») vor dem berühmten leeren Blatt wieder. Die Inspirationslosigkeit hat voll eingeschlagen in dieses Künstlertriumvirat – dabei steht der Premierentermin im eigenen Casinotheater bereits fix am Anschlagbrett, und die Vorverkaufskasse läuft entsprechend heiss.

Übt man sich anfänglich noch in souveräner Kaltblütigkeit, weicht die Selbstbeherrschung zunehmend einem verworrenen Themendropping. Die Sitzungs- und Ideenprotokolle bleiben so dürftig, dass bald schon über die endgültige Absage des Stücks nachgedacht werden muss – wäre da nicht die Annonce im Veranstaltungskalender, die den Lauf der Dinge endgültig dem Dreiergespann entreisst und die Durchführung geradezu erzwingt, um grössten Reputationsschaden abzuwenden.

GIACOBBO, MÜLLER UND FREY spielen also ohne doppelten Boden und ohne Brechungen sich selbst – beziehungsweise stellen den doppelten Boden der Bühne auf die Bühne selbst, und produzieren sich hoch konzentriert in einem täuschend authentischen Gestus der Improvisation. Was da so leichtfüssig in wechselnde Dialogsituationen gegossen wird, trägt gerade deswegen erstaunlich lang und durch den ganzen Abend, weil es das befreite Improvisieren simuliert. – Und damit demonstriert, dass das Trio nicht nur zum Fernseh-Slapstick begabt ist, sondern auch ohne Requisiten, Parodie-Schablonen mit Wiedererkennungswert oder bärbeissigem Zynismus aus sich selbst schöpfen kann.

Und in diesem Bekanntheitsvorsprung wurde denn auch üppig gesuhlt – mehr oder minder gelüftete Aspekte der Berufs-, Herkunfts- und Boulevard-Biografien schlugen sich die drei Kabarettisten in gewohnt deftiger Manier um die Ohren: Giacobbo musste sich für seine jugendlichen Revoluzzerträume wehren, Mike Müller durfte die Herkunftstraumata – «Mittelklasse», «Mittelschule», «Mittelwerte» – ausbreiten und mit lokalgeografischen Reminiszenzen aufmotzen, Patrick Frey seinen unaufhaltsamen Abstieg aus dem Grossbürgertum mit der adäquaten Prise melancholischen Charmes und psychoanalytischer Verdrossenheit zelebrieren.

WENIGER TYPOLOGISCHE Leidensgeschichte, mehr voyeuristisch veranlagter Selbstwitz: «Erfolg als Chance» fehlt jene gesellschaftliche Dimension, die das Erfolgsprogramm Sickmen in den Midlife-Männerkrisen geortet hatte. Diese schimmern zwar auch durch – im Versuch, die Lebensträume ebenfalls anzuschneiden in jenem Programm, das noch geschrieben werden muss –, beschränken sich aber auf die je harmlosen Selbstmodellierungen, die die Herren dem Publikum zu gewärtigen haben: Giacobbo, der südafrikanische Weingutbesitzer, Frey der Romanschriftsteller, Müller der bewusste Kontemplationseinsiedler. Selbst die Mütter (in der imaginierten Ersatzmama Auto oder ganz real, mit gestikulatorischen Regieanweisungen in Reihe eins) werden hervorgezerrt, um die Ent-Täuschungen und die wahren Werte des Künstlerlebens – das nie erhaltene Lob der lb. Nährerin – zu fassen.

Dass diese prekäre dramaturgische Konstruktion, die sich im Grund vom inhaltlichen Nichts nährt und dieses beständig immer wieder umkreist, nicht abstürzt oder zur süsslichen psychologischen Sauce abschmackt, beruht in erster Linie auf der blinden Abstimmung der drei bühnenmächtigen Profis: Müller, Giacobbo und Frey verkörpern in sich selbst drei dermassen unterschiedliche, aber gleichermassen präsente Charaktere, dass sich daraus beinahe per se kabarettistisches Potenzial extrahieren lässt. Aufgrund ihrer medialen Trimmung (Fernsehen!) wissen sie nicht nur genau, welche Pointendichte es abzumessen gilt, sondern auch, wie mit der eigenen Person und der eigenen (veröffentlichten) Vergangenheit – als Kabarettisten wie als «Privatpersonen» – gewuchert werden kann. Und, nicht zuletzt: Die beinahe transparenten und doch sehr energisch gesetzten dramaturgischen Akzente des Regisseurs Tom Ryser sorgen dafür, dass der «Spannungsbogen» (man erinnert sich) die Dreierkonstellation (immer zwei gegen eins in unterschiedlichen Besetzungen) so optimal ausnützt, dass nie harmonische Langeweile aufkommt.

MIT BEDACHT: Frey, Müller und Giacobbo haben nicht das asymptotisch authentische Bild vom künstlerischen Produktionsprozess erzählt, wo aus der kreativen Leere die Wut und der Zwang der Improvisation entstehen, sondern ihren eigenen Bekanntheitsgrad als Funk- und Fernsehkabarettisten zum Wucherpfand kalkulierter Selbstironie gemacht. Ohne Schminke und Brimborium, aber mit viel Witz und dem Wissen um die situative Komik des Theaters, das sich selbst bespiegelt.

So sei ihnen denn auch der imaginierte Premierenauftritt gegönnt, der das eigene Improvisationstalent implizit gar stark unterstreicht – mit Nichts gelangen sie auf den Brettern schliesslich (im Stück!) zum Grosserfolg. Doch wer könnte die Pfade des erfolgsverwöhnten Kabaretts (zumindest hierzulande) besser nachzeichnen als gerade diese drei? Insofern bleibt Mike Müllers (rhetorische) Frage gültig: «Kennst du ein besseres und ein schlechteres Lachen?»

2017